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Kapitel 3

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Douarnenez war mit Touristen überfüllt. Seit Jahren hatten sich nicht mehr so viele Gäste in ihren Gassen getummelt. Das herrliche Wetter sorgte dafür, dass der Zustrom von Touristen ins Finistère noch einmal kräftig angestiegen war. Die Bretagne führte die Liste der beliebtesten Ferienlandschaften der Franzosen schon seit geraumer Zeit an. Auch in diesem Jahr war die Saison sehr erfolgreich, und die Straßen, Plätze und die Promenade am Hafen waren gut besucht. Die Geschäftswelt zeigte sich zufrieden. In den letzten Wochen war der Umsatz der Boutiquen, der Bar-Tabaks, der Restaurants und der Souvenirläden auf ein neues Rekordhoch gestiegen. Schon lange war der Tourismus zu einem wichtigen Geschäftsfeld angewachsen. Die Fischerei, die im vergangenen Jahrhundert noch die treibende Kraft war, ging beständig zurück. Für Douarnenez war das bisher noch nicht so schmerzlich zu spüren, denn die weltbekannte Marke, Petit Navire, konservierte hier immer noch den Thunfisch in den kleinen blauen Dosen.

Die Passanten schlenderten durch die Einkaufsstraßen, trugen zahlreiche Einkaufstüten mit den Logos der verschiedenen Boutiquen und achteten nicht so genau auf das Geschehen, das sich vor dem Juwelierladen in der rue Duguay Trouin abspielte.

Ein schwarzer Peugeot 406, mit vier Männern besetzt, hatte geduldig gewartet, bis ein Parkplatz vor dem Juweliergeschäft frei geworden war. Drei Männer stiegen aus dem Wagen, während der vierte bei laufendem Motor im Auto sitzen blieb. Die Männer gingen zielstrebig auf die Eingangstür des Ladens zu. Kurz bevor sie die Tür erreichten, zogen sie sich schwarze, wollene Sturmhauben übers Gesicht, rissen die Tür auf und stürmten in das Geschäft. Mit gezückten Pistolen schrieen sie die wenigen Besucher an:

„Auf den Boden! Los, auf den Boden! Schneller!“

Die erstaunten Kunden reagierten zögerlich, sahen sich ängstlich um und ließen sich dann langsam zu Boden gleiten. Drei Frauen und zwei Männer waren im Geschäft, als die drei hereingestürmt waren.

Der Juwelier hob seine Hände hoch und wollte sich ebenfalls auf den Boden legen.

„Du nicht“, schrie einer der Männer und reichte ihm eine Plastiktüte.

„Den ganzen Schmuck hier rein, aber schnell und keine Mätzchen, sonst knallts.“ Der Juwelier griff nach der Tüte und füllte sie.

„Nur die wertvolleren Stücke, den Modeschmuck kannst du denen hier verkaufen!“ Er zeigte auf die Menschen auf dem Boden. Der Inhaber bewegte sich langsam hinter der Ladentheke. Er hoffte, den Alarmknopf betätigen zu können, noch zwei Schritte, dann würde er ihn erreicht haben. Erneut griff er in die Vitrine vor sich und holte Ketten, Armbänder und Ohrringe heraus.

„Schneller, nicht so lahm!“, rief ihm einer der Männer entgegen.

„Auch die Sachen in den Schubladen!“, brüllte ein anderer. Der Juwelier war beinahe dankbar für diese Bemerkung. Jetzt konnte er sich etwas bücken und den Alarmknopf drücken, bevor er die Schublade aufzog. Er füllte die Plastiktüte weiter. Langsam kam er zu den teureren Uhren. Der Mann vor ihm fuchtelte mit der Pistole hin und her und schrie:

„Schneller, schneller, wir haben nicht ewig Zeit.“

Einige Minuten später, er hatte gerade die letzten beiden Schubladen mit den Uhren und Broschen geleert, waren die Sirenen der sich nähernden Gendarmeriefahrzeuge zu hören.

„Merde, die Bullen!“, schrie der am nächsten beim Juwelier stehende Gangster in Richtung seiner Kollegen, griff nach der Tüte und riss sie dem Juwelier aus der Hand. Die drei Männer rannten zur Tür, es war zu spät. Die Gendarmen waren bereits vor dem Geschäft eingetroffen, und ihre Fahrzeuge machten es unmöglich, dass sie mit ihrem Fluchtwagen verschwinden konnten.

„Los zurück“, schrie der erste Mann und drängte seine Komplizen wieder in den Laden.

„Du hast uns die Bullen auf den Hals gehetzt!“, brüllte der Mann mit der Tüte und zielte auf den Juwelier. Ohne zu zögern drückte er ab, der Knall drang durch die Scheiben nach draußen. Die Fußgänger vor dem Laden schrieen auf, die Gendarmen stürmten an die Hausmauer und postierten sich links und rechts der Eingangstür. Die Passanten wurden aus der Gefahrenzone gebracht und das Geschäft großräumig abgesperrt.

Einem Gendarmen fiel der Fahrer in dem Peugeot 406 auf, dessen Motor immer noch lief. Mit vorgehaltener Pistole lief er zu dem Fahrzeug und riss die Tür auf. Der Fahrer machte keinerlei Anstalten sich zu wehren. Er hob die Hände und ließ sich von dem Gendarmen aus dem Fahrzeug holen und abführen. Ein zweiter, schnell herbeigeeilter Gendarm, stellte den Motor ab und schloss die Tür des Fahrzeugs. Dann bestellten sie das Einsatzkommando, das in Quimper stationiert war. Es würde bestimmt noch eine halbe Stunde dauern, bis das Team einsatzbereit vor Ort war.

Mit einem Megafon versuchte ein Gendarm die Räuber zum Aufgeben zu bewegen.

„Kommen Sie mit erhobenen Armen heraus. Sie haben keine Chance. Ergeben Sie sich und kommen Sie sofort heraus.“

Alles blieb ruhig, von drinnen kam keine Antwort. Seit dem Schuss war nichts mehr zu hören. Der Beamte wiederholte seine Aufforderung mehrfach. Keine Antwort.

„Haben die jemanden erschossen?“, fragte einer der Gendarmen seinen Kollegen.

„Keine Ahnung, ich habe nur den Schuss gehört, so wie du auch.“

„Aber falls die jemanden erschossen haben, müssen wir auch die Mordkommission rufen.“

„Du kannst sie ja schon informieren“, sagte er zu seinem Kollegen und sah wieder gebannt auf die Eingangstür des Ladens. Durch die Fensterscheiben war nichts zu erkennen. Die Scheiben, mit den dahinter hängenden Werbeplakaten, waren durch einen Vorhang vom Innenraum getrennt.

„Was machen wir jetzt?“, fragte einer der maskierten Männer seinen Komplizen.

„Wir müssen hier weg, mit dem Auto kommen wir nicht mehr fort. Bestimmt haben sie Maurice schon verhaftet. Hoffentlich hält er dicht.“

„Die Bullen müssen uns einen Fluchtwagen stellen. Wir nehmen die hier als Geiseln!“

„Alle? Die stören uns doch nur auf der Flucht. Wir schnappen uns die Frau da hinten, die muss reichen. Was hast du mit dem Besitzer gemacht?“

„Dem habe ich eine Kugel verpasst, der ist doch an allem schuld. Der hat den Alarm ausgelöst.“

„Aber jetzt haben wir auch noch einen Mord am Hals!“

„Ich habe auf seine Schulter gezielt, bestimmt lebt er noch. Sieh mal nach.“

Der Angesprochene ging hinter die Ladentheke und beugte sich über den regungslosen Körper auf dem Boden. Er versuchte den Puls zu fühlten, konnte aber nichts spüren. Dann drehte er den Körper des Mannes um und sah das Blut, das aus seiner Schulter lief. Der Schuss war in die Schulter gegangen. Aber warum war der Mann jetzt tot?“

„Scheiße! Du hast ihn umgelegt. Der ist mausetot. Du hast uns schön reingeritten. Das gibt lebenslänglich.“

„Hör auf herumzujammern. Ich habe ihn nicht erschossen. Ich weiß auch nicht, warum er den Löffel abgegeben hat. Es ist passiert, Schluss, wir müssen zusehen, dass wir hier wegkommen. Lass mich nachdenken, mir fällt bestimmt etwas ein.“

Die beständige Beschallung von draußen durch das Megaphon, mit der Aufforderung aufzugeben und mit erhobenen Händen den Laden zu verlassen, ignorierte er weiterhin. Jetzt machte der dritte Mann zum ersten Mal seinen Mund auf.

„Wir sollten aufgeben, wir kommen hier nicht mehr weg. Ich habe keine Lust erschossen zu werden.“

„Halts Maul, Jules, wir gehen hier zusammen raus, und wir schaffen es, bis nach Rennes zu kommen.“

„Jetzt erzählst du denen auf dem Boden auch noch wo wir hinwollen. Du bist so was von bescheuert, Denis!“

„Na und, was macht’s schon. Wir bleiben ja nicht in Rennes, es ist doch nur eine Zwischenstation.“

Denis fuchtelte mit seiner Waffe herum, so als wollte er mit dem Lauf der Pistole Anleitungen geben.

„Ihr macht genau was ich sage, verstanden? Wir sind übereingekommen, dass ich sage wo es langgehen soll. Wenn jeder nur macht, was ihm in den Sinn kommt, landen wir alle hinter Gittern. Ich hole uns hier heraus, verstanden?“

Jules Fucauld und Marc Gourand sahen Denis Maubert nur ungläubig an. Die beiden Männer wussten, dass Denis ein gewalttätiger Mensch war, der keinen Widerspruch duldete, wenn es um seine Person und um seine Autorität in der Gruppe ging. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als das gemeinsam begonnene Spiel auch gemeinsam zu beenden. Auch wenn aus der Aktion schon deutlich mehr als ein Spiel geworden war. Wie hatte Denis zu ihnen noch während der Planung gesagt, „Wir gehen rein, holen uns den Klunker und marschieren wieder raus. Das wird ein Kinderspiel.“ Aus dem Kinderspiel war inzwischen Mord und eine Geiselnahme geworden. Jules glaubte nicht mehr daran, dass sie ungeschoren aus der Sache herauskommen konnten.

Jules nickte stumm und bestätigte Denis damit, dass er ihn verstanden hatte. Denis sah von Jules zu Marc, auch der bewegte seinen Kopf, zwar beinahe unsichtbar aber für Denis doch ausreichend.

„So, jetzt haltet ihr die in Schach!“, rief er ihnen zu und ging zum Telefonapparat, der hinter der Verkaufstheke auf einem Sideboard stand. Er nahm den Hörer ab und wählte den Polizeinotruf. Als er die Stimme auf der anderen Seite der Leitung hörte, unterbrach er den Beamten am Telefon sofort und schrie seine Forderungen in den Apparat.

„Hören Sie gut zu, wir haben mehrere Geiseln. Wir fordern die Freilassung unseres Kumpels Maurice, ein Fahrzeug und 500.000 Euro in gebrauchten Scheinen, ansonsten knallst hier, und ihr könnt jede einzelne Geisel mit einem Sarg abholen. Ihr habt eine Stunde.“

„Sagen Sie mir doch bitte, wer Sie sind, und wo wir Sie finden?“

„Seid ihr bescheuert? Wir sind in dem Juwelierladen, in der rue Duguay Trouin. Eure ganze Mannschaft steht doch vor der Tür. Was soll also die blöde Frage?“

Der Beamte in der Notrufzentrale hatte überhaupt nichts von dem Überfall mitbekommen, sein Dienst hatte erst vor wenigen Minuten begonnen. Er verband sich sofort mit den Kollegen am Tatort, übermittelte die Forderungen der Geiselnehmer und gab den Kollegen vor Ort die Telefonnummer, die auf seinem Display erschienen war.

Jugo Kerhat hörte sich an, was ihm sein Kollege aus der Notrufzentrale zu sagen hatte. Die Entscheidung, eventuell auf die Forderungen der Geiselnehmer einzugehen, lag nicht in seinem Kompetenzbereich. Die von ihm inzwischen angeforderte Verstärkung würde bestimmt gleich eintreffen. Die würden mit den Geiselnehmern verhandeln und eine Entscheidung über das weitere Vorgehen fällen. Er hatte gerade das Gespräch beendet, als ein Wagen der police judiciaire vor der Absperrung hielt und ein Beamter in Zivil ausstieg. Jugo war sicher, dass es sich um den Kommissar der Mordkommission handeln musste, die er benachrichtigt hatte, nachdem der Schuss gefallen war.

„Bonjour Monsieur, Paul Chevrier, police judiciaire, Sie haben uns informiert, dass es hier einen Toten gegeben hat, ich bin in der Nähe gewesen, die Zentrale hat mich über Funk erreicht.“

„Bonjour Monsieur le Commissaire, ja ich habe Sie informiert. Wir wissen noch nicht, ob es einen Toten gegeben hat, aber es ist ein Schuss gefallen, und da waren wir der Meinung, dass es besser ist, wenn Sie sofort dabei sind.“

„Gute Entscheidung“, sagte Paul und ließ sich über den aktuellen Stand informieren. Jugo Kerhat berichtete auch über die Forderungen der Geiselnehmer. Das herbeigerufene Einsatzkommando war inzwischen ebenfalls eingetroffen, und die Männer verteilten sich auf die umliegenden Gebäude, Hausecken, Hinterhöfe und rings um den Laden. Die Geiselnehmer konnten das Haus jetzt unmöglich ungesehen verlassen. An eine Flucht war nicht zu denken. Der Leiter des Einsatzkommandos trat zu Kerhat und Paul Chevrier.

„Haben Sie uns informiert?“

„Ganz genau, ich habe Sie um Unterstützung gebeten“, sagte Kerhat und unterstrich seine Worte mit kräftigem Kopfnicken.

„Dann übernehmen wir jetzt die weitere Kommunikation mit den Geiselnehmern. Gibt es schon irgendwelche Forderungen?“

„Ja, ich habe gerade eben gehört, dass die Geiselnehmer einen Fluchtwagen fordern, 500.000 Euro in gebrauchten Scheinen und die Freilassung von ihrem bereits verhafteten Kumpanen. Der Mann hat in dem Wagen gesessen, als wir hier eingetroffen sind. Er hat sich ohne Gegenwehr festnehmen lassen. Ich habe den Eindruck, dass der Mann nicht zu den abgebrühtesten Ganoven gehört. Wir haben eine Stunde, um die Forderungen zu erfüllen.“

„Wir sollten zuerst versuchen, das Ultimatum zu verlängern, um sie zu zermürben. Vielleicht geben sie dann auf. Wie können wir die Leute erreichen?“

„Ich habe mir die Telefonnummer des Juwelierladens geben lassen“, sagte Kerhat und reichte den Zettel an den Leiter des Einsatzkommandos, der sofort vom Einsatzwagen aus eine Verbindung zum Laden herstellte.

„Quinnec hier“, meldete er sich, als auf der anderen Seite das Telefon abgenommen wurde.

„Ich leite die Operation. Ich habe von ihren Forderungen gehört. Die erste Forderung, euren Kumpel freizulassen und euch den Fluchtwagen zu besorgen, können wir sofort erfüllen. Aber das Geld können wir nicht so schnell auftreiben. Dafür brauchen wir etwas mehr Zeit.“

„So, so, Sie brauchen mehr Zeit! Wir haben aber keine Zeit. Wenn wir das Geld nicht in einer Stunde haben stirbt eine Geisel, danach werden wir nach jeder viertel Stunde eine weitere erschießen. Haben Sie mich verstanden!“

„Sie brauchen nicht so laut zu schreien, ich kann Sie durchs Telefon sehr gut hören. Das ändert aber nichts daran, dass ich das Geld nicht in einer Stunde auftreiben kann. Eine halbe Million kann ich mir nicht aus den Rippen schneiden. Sie müssen mir wenigstens drei Stunden Zeit lassen. Dann kann das Geld hier sein. Wenn Sie jedoch auf ihrer Forderung bestehen, werden wir eben das Gebäude stürmen und den Tod einer Geisel in Kauf nehmen müssen. Da Sie sowieso geplant haben, eine Geisel zu erschießen, muss ich das wohl hinnehmen. Mehr als eine Geisel werden Sie nicht erschießen können, bevor wir Sie und ihre Komplizen erschießen. Wir sind Profis, davon dürfen Sie ausgehen.“

„Sie bluffen, Sie würden doch nie das Leben einer Geisel aufs Spiel setzen.“

„Wetten wir?“

Auf der anderen Seite blieb es stumm. Der Geiselnehmer schien nachzudenken. Serge hatte den Eindruck, dass er ihn mit seiner Aussage komplett verunsichert hatte. Serge Quinnec würde nie das Leben einer Geisel in Kauf nehmen, eine solche Haltung würde ihn sofort ins Gefängnis bringen, das wusste er. Aber der Geiselnehmer konnte sich dessen nicht sicher sein. Es war ein riskantes Spiel. Sollte der Mann bei seinen Forderungen bleiben, hatte er sich in eine schlechte Ausgangslage manövriert. Er hoffte, dass der Verbrecher unter Druck geriet und zu einem Zugeständnis bereit war. Drei Stunden sind eine recht lange Zeit in einer solchen Situation, das wusste er.

„Okay, drei Stunden, aber keine Minute länger“, schallte es plötzlich aus dem Hörer.

Serge Quinnec atmete tief durch, eine zentnerschwere Last fiel von seinen Schultern. Zum Zeichen, dass der Geiselnehmer eingelenkt hatte, hob er den Daumen der linken Hand und sah zu den beiden Kollegen. Paul Chevrier und Jugo Kerhat standen links und rechts des Leiters des Einsatzkommandos und warteten auf ein Gespräch mit ihm.

„Gut, dann mache ich mich sofort an die Arbeit, um das Geld zu beschaffen. Sie hören wieder von mir.“

„Sollte nicht ein Psychologe ein solches Gespräch führen?“, fragte Paul und sah Quinnec fragend an.

„Sicher, das ist die Vorschrift, aber bis der Psychologe von Brest hier ist, ist die von den Geiselnehmern gesetzte Frist bereits abgelaufen. Hätte ich warten sollen?“

„War ja nur eine Frage.“ Pauls Handy klingelte.

„Bonjour Monsieur Nourilly, was kann ich für Sie tun?“

„Ich habe gehört, es gibt einen Toten und eine Geiselnahme in Douarnenez?“

„Ob es einen Toten gibt wissen wir noch nicht genau. Die Gendarmerie von Douarnenez hat uns vorsichtshalber sofort informiert, nachdem in dem überfallenen Juwelierladen ein Schuss gefallen ist. Wir haben noch keinen Überblick über die Situation im Laden. Weder wissen wir wie viele Geiselnehmer sich im Geschäft aufhalten, noch wie sie bewaffnet sind, oder wie viele Geiseln sich in ihrer Gewalt befinden.“

„Kerber ist doch in Urlaub, brauchen Sie meine Hilfe?“

„Stimmt, Kollege Kerber hat eine Woche Urlaub. Ich glaube, dass ich alleine klarkomme. Sollte ich Hilfe benötigen, dann erlaube ich mir, mich vertrauensvoll an Sie zu wenden.“

„Tun Sie das, Monsieur Chevrier, tun Sie das. Ich helfe gerne. Noch etwas, wie sieht es mit einer Information an die Presse aus? Sollen wir die schon informieren?“

„Dafür ist es bestimmt noch zu früh. Ich melde mich bei Ihnen, sobald wir die Presse benachrichtigen können.“

„Gut, Sie halten mich auf dem Laufenden.“

Paul legte auf und atmete tief durch. Er war Nourilly gerade noch einmal entkommen. Er konnte sich an eine Situation erinnern, die lag schon viele Jahre zurück, da hatte Nourilly sich in die Ermittlungsarbeit in einem Mordfall eingeschaltet. Seine Unerfahrenheit in Ermittlungsarbeiten hatte damals beinahe dazu geführt, dass der Fall unaufgeklärt geblieben wäre. Damals war es Ewen gelungen, Nourilly davon zu überzeugen, dass es eine große Hilfe wäre, wenn er sich um die Presse kümmern könnte. Das Wort Presse brauchte man Nourilly nicht zweimal zu sagen. Vermutlich wäre er ein ganz hervorragender Pressekonferenz-Organisator geworden. Alleine der Gedanke an eine Pressekonferenz, führte bei Nourilly dazu, dass Glanz in seine Augen trat. Wenn er zudem noch über seinen Beitrag zur Lösung eines Falles berichten durfte, aus seiner Sicht war die Führung einer Dienststelle wichtiger als die Kleinarbeit in den Niederungen der Routinearbeit, schien der Gipfel der Freude erreicht zu sein.

„War das der Chef?“, fragte Quinnec und sah Paul schelmisch an. Er hatte während des Gesprächs das Mienenspiel in Pauls Gesicht verfolgen können.

„Ja, das war Nourilly. Er wollte lediglich wissen, ob er schon die Presse informieren soll.“

„Die Presse! Die fehlt mir gerade noch. Die tauchen noch früh genug hier auf.“

„Wie wollen Sie weiter vorgehen?“ Paul lenkte das Gespräch wieder auf die anstehenden Entscheidungen.

„Wir müssen zuerst wissen, wie viele Geiselnehmer im Geschäft sind und wie Sie bewaffnet sind. Wichtig ist auch zu wissen, wie viele Geiseln sich da drinnen aufhalten.“

„Der festgenommene Fahrer kann uns doch die Fragen beantworten. Der Mann sitzt in unserem Einsatzfahrzeug.“ Jugo Kerhat mischte sich jetzt wieder ins Gespräch ein.

„Gute Idee! Versuchen wir es, hoffentlich stellt sich der Mann nicht taub und verweigert jegliche Auskunft.“

Serge Quinnec und Jugo Kerhat gingen gemeinsam zum großen Einsatzfahrzeug der Gendarmerie. Die Schiebetür an der Seite des Wagens wurde aufgeschoben und gab den Blick auf den zusammengekauerten, mit Handschellen gefesselten Mann auf der Sitzbank frei. Er machte nicht den Eindruck eines eiskalten Verbrechers, viel eher schien es Serge, als sei der Mann zum ersten Mal in eine Straftat verwickelt.

„Serge Quinnec, ich leite hier den Einsatz“, stellte er sich vor, als er dem Mann gegenüber Platz genommen hatte.

„Wie heißen Sie?“

„Maurice, Maurice Colbert.“

„Also Maurice, wir haben hier eine sehr ernste Situation. Deine Kumpels haben vermutlich eine Geisel erschossen oder schwer verletzt, sie halten weitere Geiseln in ihrer Gewalt, und wie es aussieht, werdet ihr alle wegen des Raubüberfalls, der Geiselnahme und des versuchten oder ausgeführten Mordes vor Gericht gestellt werden. Die Strafe für diese Verbrechen wird bestimmt in der Gegend von lebenslänglich liegen. Du hast die Chance, deine Situation etwas zu verbessern, falls du mit uns zusammenarbeiten willst.“

„Aber ich habe doch gar nichts gemacht! Ich sollte doch nur den Wagen fahren. Ich habe niemanden erschossen und auch keine Geisel genommen.“

„Mitgefangen, mitgehangen, Maurice, das Gesetz macht da keinen Unterschied.“

„Aber wie kann ich Ihnen helfen, ich habe doch keine Ahnung?“

„Sie könnten uns zum Beispiel sagen, wie viele Männer in dem Geschäft sind.“

„Wir sind zu viert gewesen. Drei sind in den Laden gegangen.“

„Wie sind die Männer bewaffnet?“

„Jeder hat eine Pistole, aber ich kann Ihnen nichts über die Waffen sagen. Ich kenne mich damit nicht aus.“

„Sie wissen nicht zufällig, wie viele Geiseln in dem Geschäft sind?“

„Nein, ich bin nicht reingegangen. Ich habe im Wagen gesessen und sollte sofort losfahren, wenn sie wieder rauskommen.“

„Gibt es jemanden der das Kommando führt?“

„Klar, das ist Denis, Denis Maubert, der ist eiskalt!“

„Wie heißen die anderen beiden?“

„Jules Fucauld und Marc Gourand. Die haben mit Maubert in Brest eingesessen. Sie kennen sich schon seit Jahren.“

Serge Quinnec nickte, so als wollte er zum Ausdruck bringen, dass er die Männer gut kannte. Er notierte sich die Namen und verließ den Einsatzwagen.

Die schwarzen Männer

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