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Kapitel 5

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Serge Quinnec telefonierte mit der Einsatzzentrale und bat um alle Informationen zu den Geiselnehmern. Der von ihm angeforderte Psychologe war bereits unterwegs. Seinen Männern gab er den Befehl, nach einer Möglichkeit zu suchen, Bilder vom Inneren des Juwelierladens zu erhalten. Kleine, einem Endoskop ähnelnde Kameras, gehörten als Basisausstattung zu ihrer Ausrüstung, genauso wie Richtmikrophone, mit denen sie versuchen konnten, Gespräche mitzuhören.

Die Scharfschützen hatten ihre Positionen sofort nach ihrem Eintreffen eingenommen und jetzt alle Fenster und Türen im Visier. Sie hatten keinen Einblick in den Laden, es wäre auch nicht ratsam, einen der Geiselnehmer zu erschießen, falls dies überhaupt möglich wäre. Die Gefahr für die Geiseln würde sich damit enorm erhöhen. Niemand konnte wissen, wie die restlichen Verbrecher darauf reagierten. Entweder sie konnten alle gleichzeitig unschädlich machen oder keinen.

„Es gibt ein kleines Entlüftungsrohr auf der Seite des Hauses, wir werden versuchen, dort eine Kamera hineinzuschieben, Serge.“ Serge Quinnec sah ins Gesicht eines vermummten Kollegen.

„Sehr gut! Führt das Rohr direkt in den Laden?“

„Das wissen wir noch nicht, es kommt auf einen Versuch an. Ist aber durchaus denkbar.“ Er entfernte sich wieder und schlich zu der kleinen engen Seitenpassage neben dem Juwelierladen.

Serge ging zum Einsatzwagen und stellte sich neben einen Mitarbeiter, der vor einem großen Computerbildschirm saß und auf ein Signal der Kamera wartete. Jetzt tauchte ein erstes Bild auf. Die Kamera wurde durch das Rohr geführt, an dessen Ende ein heller Fleck zu sehen war. Zentimeter für Zentimeter wurde die Kamera vorwärtsbewegt. Der helle Fleck verwandelte sich langsam in ein Gitter und kam der Optik der Kamera immer näher. Vorsichtig manövrierte der Kollege den endoskopähnlichen Schlauch mit der kleinen Kamera zu einem Schlitz der Abdeckung. Dann sahen die Polizisten in das Innere des Ladens. Sie konnten die Geiseln auf dem Boden kauernd sehen und die drei maskierten Männer verteilt im Raum stehen. Jeder hielt eine Waffe in der Hand. Das eingebaute Mikrophon lieferte jedes Geräusch gleich mit.

Gebannt sah Serge Quinnec auf den Bildschirm und versuchte, sich ein Bild von der Situation zu machen. Er versuchte, die Anzahl der Geiseln festzustellen. Hinter der Verkaufstheke lag ein Mann auf dem Boden. Vermutlich handelte es sich um das Opfer des abgegebenen Schusses vor etlichen Minuten. Auf dem Boden vor der Theke sah er drei Frauen und zwei Männer. Insgesamt waren somit fünf Geiseln in der Gewalt der Verbrecher und ein verletzter oder toter Juwelier.

„Und wenn die Gendarmen nicht auf deine Forderungen eingehen?“, hallte es plötzlich aus dem Lautsprecher.

„Dann müssen wir eben mehr Druck ausüben. Wir sind am Drücker, wir haben die Geiseln.“

„Willst du wirklich alle Geiseln erschießen?“, fragte der Mann, der unmittelbar neben den Geiseln stand.

„Was heißt alle? Wir brauchen nur eine zu töten, und schon lenken die da draußen ein.“

„Und was ist, wenn sie das nicht tun? Was passiert, wenn sie einfach stürmen und uns alle abknallen? Ich habe keine Lust abgeknallt zu werden.“

„Und wir sind Ihnen wohl egal?“, rief eine jüngere Frau, die unmittelbar neben dem toten Mann auf dem Boden lag.

„Halts Maul!“, schrie der Angesprochene ihr entgegen.

Serge Quinnec verfolgte das Gespräch aufmerksam. Die Männer im Laden begannen nervös zu werden. Das hatte er mit der Verlängerung des Ultimatums zu erreichen beabsichtigt. Mit jeder Minute erhöhte sich die Chance, dass die Geiselnehmer untereinander Zwist bekamen und letztlich aufgaben.

„Warum willst du überhaupt Maurice freibekommen? Die Beute lässt sich besser durch drei als durch vier Leute teilen.“

„Du Dummkopf, ich will verhindern, dass der Grünschnabel auspackt. Es ist doch besser, wenn die Bullen nicht wissen wer wir sind.“

„Glaubst du wirklich, Denis, dass sie das noch nicht wissen? Maurice ist bestimmt bereits befragt worden. Der packt sofort aus. Seine Knie schlottern doch schon, wenn er nur einen Bullen sieht. Und wenn wir die Geiseln mitnehmen wollen, passen wir sowieso nicht in unseren Wagen. Hast du dir das überlegt?“

„Hmmm, da hast du Recht, Jules, ich werde mir etwas einfallen lassen.“

„Da solltest du aber schnell nachdenken. Wenn du plötzlich mit anderen Forderungen kommst, verlangen die Bullen vielleicht noch mehr Zeit. Ruf sie sofort an, los.“

Serge Quinnec hatte für den Moment genug gehört. Er überlegte, wie er auf eine neue Forderung reagieren sollte. Der Mann hatte ihm ja schon einen Hinweis gegeben. Er konnte also auf Zeit spielen. Es stellte sich jetzt nur die Frage, was würde Denis fordern?

„Monsieur Quinnec, der Psychologe ist eingetroffen. Sie sollten ihn über den aktuellen Stand informieren. Dann kann er die weiteren Verhandlungen mit den Gaunern übernehmen.“ Jugo Kerhat sprach Quinnec an, als er aus dem Überwachungswagen ausgestiegen war.

„Der Psychologe? Ach ja, wo steckt er?“

„Er steht dort drüben, neben unserem Wagen.“

Serge Quinnec ging auf den hageren, ca. 1,80 großen Mann mit den graubraunen Haaren zu. Er machte einen sympathischen Eindruck. Er war kein Freund von Psychologen, weil er schon öfter festgestellt hatte, dass die Herrschaften nur Psychologie studiert hatten, um vielleicht unbewusst ihre eigenen Schwierigkeiten besser meistern zu können. Dieser Mann hier erschien ihm in anderem Licht. Er strahlte Zufriedenheit und Selbstsicherheit aus, die auf Serge jedoch nicht arrogant wirkte. Bekleidet mit Anzug und weißem Hemd und ohne Krawatte stand er neben dem Einsatzfahrzeug der Gendarmen und sah auf den Juwelierladen.

„Bonjour, ich bin Serge Quinnec. Ich leite den Einsatz. Sie sind der angeforderte Psychologe?“

„Stimmt, ich bin Elouan Le Gripp, seit gerade einmal zwei Wochen Polizeipsychologe.“

„Schön, dass Sie hier sind. Kann ich Sie kurz in den aktuellen Stand einführen?“

„Ich bitte darum, Monsieur Quinnec.“

„Also, nachdem wir Sichtkontakt zu den Geiselnehmern hergestellt haben, wissen wir jetzt, dass es sich um drei Männer handelt und um fünf Geiseln. Der Inhaber des Ladens ist entweder schwer verletzt oder tot. Jedenfalls liegt eine reglose Person auf dem Fußboden hinter der Verkaufstheke. Ich habe mit den Geiselnehmern bereits gesprochen. Sie fordern die Freilassung ihres Komplizen, einen Wagen und eine halbe Million Euro in gebrauchten Scheinen. Sie haben uns ein Ultimatum gestellt. In einer Stunde wollten sie ihre Forderungen erfüllt sehen. Bei meinem Gespräch mit ihnen, haben sie sich dann bereit erklärt, uns drei Stunden zusätzlich zu gewähren.“

„Wie haben Sie das hinbekommen?“

„Ich habe ihnen gedroht. Entweder sie geben mir mehr Zeit, um die Forderungen erfüllen zu können, oder wir stürmen.“

„Haben die Männer nicht mit der Ermordung der Geiseln gedroht?“

„Haben sie, aber ich habe ihnen gesagt, dass es mir egal sei. Daraufhin haben sie eingelenkt.“

„Sie haben Ihnen das abgenommen?“

„Es blieb ihnen nichts anderes übrig. Anscheinend habe ich sehr überzeugend argumentiert.“

„Das war ein riskantes Spiel, das ist Ihnen bestimmt klar gewesen.“

„Es war ein wenig gepokert, ich hatte aber wohl die besseren Nerven.“

„Gut, dann sollten wir versuchen, erneut mit dem Anführer in Kontakt zu treten.“

„Die rufen uns gleich an, dann können Sie das Gespräch sofort übernehmen. Wir haben mitbekommen, dass sie eine andere Forderung stellen wollen. Es wird um ihre Flucht gehen. Allem Anschein nach wollen sie die Geiseln mitnehmen. Der Fluchtwagen ist dafür nicht geeignet.“

„Wenn wir ihnen entgegenkommen und auf ihre Bedingungen eingehen, müssen sie uns auch etwas bieten. Vielleicht können wir einige der Geiseln freibekommen.“

„Daran habe ich auch schon gedacht, ich bin gespannt, ob und wie Sie das hinbekommen.“

„Ich auch!“

Keine fünf Minuten später rief der Beamte aus dem Überwachungswagen Quinnec zu sich. Die Geiselnehmer waren am Telefon.

Quinnec und Le Gripp beeilten sich, zum Wagen zu kommen. Der Psychologe setzte sich ein Headset auf, und der Beamte verband ihn mit dem Mann, der sich Denis nannte.

„Mit wem spreche ich?“, fragte Elouan seinen Gesprächspartner.

„Wer bist du jetzt? Ich will sofort mit dem Einsatzleiter sprechen, aber dalli.“

„Ja, dann haben wir ein Problem. Der Mann musste gerade dringend weg. Keine Ahnung wohin er gegangen ist. Er hat mir nur gesagt, dass ich alle Befugnisse habe, mit Ihnen zu sprechen. Und da bin ich jetzt, mein Name ist Le Gripp, Elouan Le Gripp. Was kann ich also für Sie tun, und mit wem habe ich die Ehre?“

„Hör auf mit dem schwülstigen Gerede. Mein Name spielt keine Rolle. Ich bin derjenige, der hier sagt wo es langgeht. Hast du mich verstanden? Ich brauche einen größeren Fluchtwagen. Am besten einen Kleinbus. Der Bus muss Platz für mindestens neun Leute haben.“

„Einen Bus? Aber warum wollen Sie einen Bus haben. Sind Sie neun Leute in dem Laden?“

„Du bist ja ein Schnellmerker. Wir sind hier neun Personen. Wir haben fünf Geiseln, und die gehen mit uns.“

„Also nur für mein Verständnis, Sie sind zu viert und haben fünf Geiseln. Sie brauchen also einen Bus für mindestens zehn Personen.“

„Warum zehn Personen? Ich sagte doch neun. Wir werden vier sein und die Geiseln.“

„Aber Sie brauchen doch einen Chauffeur. Es sei denn, dass Sie einen Busführerschein besitzen. Für einen Bus benötigen Sie unbedingt einen Führerschein, der das Befördern von Menschen erlaubt. Ansonsten bekommen wir den Bus nicht gestattet.“

„Willst du mich verarschen? So blöd kann doch keiner sein.“

„Weit gefehlt, ich denke nicht einmal daran, Sie auf den Arm zu nehmen. Aber vielleicht verstehen Sie mich besser, wenn ich Ihnen erkläre, dass ein Bus nicht so einfach wie ein Personenwagen zu fahren ist. Da braucht man schon spezielle Kenntnisse. Ihre Flucht wäre deutlich sicherer, wenn Sie einen Chauffeur hätten. Denken Sie doch nur an die engen Gassen hier in Douarnenez. Das ist nicht so einfach, mit einem Bus da durchzukommen, zumal wenn rechts und links noch Autos parken. Also ich wüsste da eine bessere Lösung.“

„Eine bessere Lösung? Versuch mich nicht auszutricksen, das könnte einer Geisel das Leben kosten.“

„Ich will Sie bestimmt nicht austricksen. Aber warum wollen Sie unbedingt alle Geiseln mitnehmen? Die sind doch nur hinderlich bei der Flucht. Sie müssen davon ausgehen, dass die Gendarmen Sie verfolgen. Wenn Sie sich dann unterwegs von den Geiseln befreien wollen, dann ist das ein zusätzliches Risiko. Ich schlage Ihnen vor, dass ich mich um einen größeren Wagen kümmere, sagen wir für fünf Personen. Sie nehmen mich als Geisel und lassen die anderen frei, sobald der Wagen bereitsteht.“

„Was soll ich machen? Meine Geiseln freilassen, kommt überhaupt nicht in die Tüte. Du kümmerst dich um einen Bus und bringst mir meinen Kumpel Maurice her.“

„Maurice? Wer ist denn jetzt Maurice?“

„Hast du vorhin nicht gesagt, dass du die Verhandlungen führst? Maurice ist unser Kumpel, den ihr verhaftet habt. Der fährt mit uns mit.“

„Ach so, ihr seid gar nicht zu neunt in dem Laden. Ihr seid nur acht und der neunte ist Maurice.“

„Genau, Maurice ist der neunte. Jetzt beeil dich und besorg uns den Bus.“

„Da gibt es noch ein Problem. Wir brauchen etwas mehr Zeit, um den Bus zu besorgen. Die Forderungen davor waren einfacher zu erledigen. Aber einen Bus zu besorgen, das geht nicht so schnell. Ihr müsst uns wenigstens zwei Stunden mehr Zeit geben.“

Denis wurde langsam ungehalten. Jules hatte ihn bereits darauf hingewiesen, dass es bestimmt länger dauern würde, wenn er seine Forderungen änderte. Seine Verunsicherung ließ Aggressionen in ihm aufsteigen. Er kannte sich, wenn er wütend wurde, dann begann er Fehler zu machen. Beim letzten Mal führte das zu seiner Verhaftung. Er versuchte sich zu beherrschen, aber gleichzeitig wollte er Stärke zeigen. Er überlegte kurz und kam dann zu dem Ergebnis, etwas nachzugeben.

„Also, eine Stunde bekommt ihr zusätzlich, und dann sind alle Forderungen erfüllt. Ist das klar?“

„Absolut, wir arbeiten mit Hochdruck daran. Ich rufe Sie an, sobald ich Ihnen sagen kann, wie weit wir sind.“

Denis beendete das Gespräch. Serge Quinnec, der die ganze Zeit neben Elouan gestanden hatte, konnte ein leichtes Grinsen nicht unterbinden.

„Eine Stunde zusätzlich, also haben wir noch knapp zweieinhalb Stunden Zeit. Bis dahin kochen wir sie weich.“

Serge schien zufrieden zu sein. Seine Vorkehrungen zum Sturm des Juwelierladens wurden vorangetrieben. Er hoffte dennoch, dass die Bemühungen des Psychologen, die Geiselnehmer zur Aufgabe zu bewegen, noch eine Chance hatte. Jedes gewaltsame Eindringen war mit Risiken verbunden. Risiken für seine Leute, für die Geiseln und letztlich auch für die Geiselnehmer. Die Methode des Psychologen erschien ihm stümperhaft. Glaubte der wirklich, dass die Verbrecher sich mit solchen Spielereien hinhalten lassen würden? Die Fragen nach Chauffeur und Führerschein hatten einen Hauch von Unbeholfenheit des jungen Psychologen in ihm aufsteigen lassen. Andererseits hatte er eine weitere Stunde an Zeit gewonnen.

Serge dachte nicht weiter darüber nach und machte sich auf den Weg, um seine Vorbereitungen voranzutreiben.

Die schwarzen Männer

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