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Close my eyes

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Close my eyes what I see, you are smiling for me

Your appearance, your grace so bright - safe a life for the night

Each yard you are away from me it is like light years to me

Each walk in the summer rain I cannot believe

Only thing I can do – is dreaming of you

Close my eyes what I see – you are smiling for me

Your appearance your grace so bright - safe a life for the night

Each look in your magic eyes I am loosing the ground

Each touch of your magic skin there is heaven around

The only thing I can do – is dreaming of you

Uebersetzung

Ich schließ' die Augen nur zu

Ich schließ' die Augen nur zu und ich sehe Dich für mich lächeln

Deine Erscheinung, deine glänzende Anmut

schützt ein Leben vor der Nacht.

Jeder Meter, den Du entfernt bist,

ist wie Lichtjahre für mich.

Bei jedem Spaziergang im Sommerregen

kann ich es immer noch nicht glauben.

Alles was ich tun kann ist von Dir zu träumen.

Ich schließ' die Augen nur zu und ich sehe Dich für mich lächeln

Deine Erscheinung, deine glänzende Anmut

schützt ein Leben vor der Nacht.

Bei jedem Blick in Deine magischen Augen

verliere ich den Boden unter den Füssen.

Bei jeder Berührung Deiner magischen Haut

fühle ich den Himmel um mich herum.

Alles was ich tun kann ist von Dir zu träumen.

Der herbe Geruch von Rauch kriecht zäh aus dem gusseisernen Kaminofen zu mir herüber. Das trockene Eichenholz knackt und knistert hinter der verrusten Glasscheibe. Das dort lodernde Feuer wärmt mich nur wenig aber sprüht unablässig seine goldweissen Funken das Ofenrohr empor. Spärlich hilft der gelb flackernde Schein einer einsamen Glühbirne, die verloren in einer schlichten Fassung von der offenen Holzdecke herunterbaumelt dem Kaminfeuer dabei, mein kleines Zimmer zu erhellen. Draußen vor dem leicht trüben Fensterglas zerrt in der Dunkelheit der frühen Nacht eine kühle Windbö an den kleinen Astern auf meinem Austrittsbalkon und ein kühler Wind , der vom Rhein herüberweht, rüttelt wieder einmal knarzend an den weißen, seit vielen Jahren nicht mehr behandelten Holzfenstern, während durch einen breiten Schlitz unter der Balkontüre ein frischer Luftzug in meine Wohnung dringt. Trotz des züngelnden Kaminfeuers sitze ich fröstelnd auf meinem grünen Stoffsofa, eingehüllt in einer alten Patchwork-Tagesdecke, mein aufgeklapptes Notebook auf dem Schoss und wehre mich mit einem Glas Whiskey gegen die um sich greifende Kälte. Gedankenverloren schweifen meine müden Augen durch mein kleines Reich, keine fünfzig Quadratmeter groß und doch ein Hort des Friedens und der Ruhe, mein sicherer Hafen. Mein Blick wendet sich den Instrumenten und Fotographien zu, wandert über leere Glasflaschen und Stapel von Papieren, Magazinen und Ordnern zurück zum flimmernden Monitor des Computers vor mir.

Ich lebe nun schon seit gut elf langen Jahren im ersten Stockwerk eines alten Stadthauses in der Oberen Rheingasse in Basel unweit der Mittleren Rheinbrücke.

Das schmale Häuschen mit seinen drei Mietparteien ist kaum breiter als viereinhalb Meter aber ein Kleinod an Historie und Gemütlichkeit. Die hell verputzte Fassade, die hölzernen Sprossenfenster und die alten Dachschindeln geben diesem Schmuckkästchen eine pittoreske Note und dienen dem ein oder anderen Touristen bei ihren Streifzügen durch die Baseler Altstadt als hübsches Fotomotiv. Im den Sommermonaten zieren rote Hängegeranien die kleinen Fenstersimse und schenken dem Antlitz des Häuschens ein paar farbige Tupfer. Das enge Treppenhaus stellt jeden hier ein- und ausziehenden Mieter beim Möbeltransport vor besondere Herausforderungen und nicht selten wurden und werden Schränke und Sessel durch die flussseitigen Fenster hinab- und hinaufgeschafft. Der eingeschränkte Komfort des Gebäudes wird mehr als wieder gut gemacht durch die heimelige Atmosphäre des uralten Gemäuers und die exklusive Lage direkt am großen Strom. Ich mag mein bescheidenes aber einladendes Heim, inmitten meiner inzwischen liebgewonnenen neuen Heimat in der Schweizer Grenzstadt.

Außer mir wohnt noch eine ältere Dame im Haus. Die kleine Wohnung im Erdgeschoss beherbergt Pierrette, eine ehemalige französische Journalistin. Früher war sie beim Figaro verantwortlich für die kulturelle Berichterstattung aus der Schweiz und trägt trotz eines an dieser Stelle zu verheimlichenden, aber gewiss bemerkenswerten Alters selbst daheim meist einen eleganten Hosenanzug und auffallenden Modeschmuck. Die elegante und gemessen an ihrem geschätzten Alter sehr jugendlich aussehende Dame schminkt sich täglich mit einer Akribie und Selbstverständlichkeit als würde sie sogleich in ihre Redaktion oder zu einer Recherchereise für eine neue Story aufbrechen müssen. Doch ihre aktiven Tage als Kulturreporterin sind schon lange her. Nur noch selten betätigt sie sich als Schreiberin von Leserbriefen. Ihre dunkelbraun gefärbten Haare trägt sie in einer mädchenhaft kurzen Frisur und gönnt sich jeden Monat einen ausgiebigen Besuch bei ihrer Kosmetikerin am Spalentor, die ihr die Augenbrauen und den sich ausweitenden Damenbart zupft. Pierrette lebt in ihren zwei Zimmern gemeinsam mit ihrer schon fast erblindeten Mischlingshündin Jeanne inmitten eines hübschen Ensembles aus alten Möbeln, Bildern, Skulpturen und sonstigen Devotionalien ihres Lebens, von denen jedes einzelne eine unendlich lange und bewegte Geschichte zu erzählen hat. Neben den teils kitschigen, teils sehr avantgardistischen Gemälden sind die Wände mit so unzähligen Fotos vollgehangen, dass ich nicht beschreiben könnte, welche Tapete sich dahinter verbirgt. Vor allem die vielen, teilweise schon verblassten schwarz-weiß Aufnahmen zeigen Menschen und Orte, die ihr etwas ganz besonders am Herzen liegen und viel bedeuten müssen. Sie hängt sehr an ihren „Devotionalien“, wie sie die Dinge selber gern bezeichnet. Gelegentlich beobachte ich sie beim Blick durch ihr Fenster, wie sie unbewegt und gedankenverloren vor einem der Bilder steht. Ein Bild scheint es ihr besonders angetan zu haben. Es ist das Bild eines jungen Mannes mit einem Barett auf den lockigen Haaren und einer Flinte in der Hand. Es ist wohl das Bild ihrer großen Liebe, der in Frankreich, während der Nazi-Zeit in der Resistance kämpfte und bei La Rochelle aufgegriffen und standrechtlich hingerichtet worden war. Ab und an sieht es so aus als wüsche sie sich eine Träne aus den Augenwinkeln. Jeden Morgen, wenn die Mischlingshündin Jeanne und ihr Frauchen zu einem kurzen Spaziergang das Haus vorderseitig verlassen, ist zu hoffen, dass die beiden den Weg auch wieder zurückfinden. Pierrette hat die Alzheimer-Krankheit, allerdings erst in einem sehr frühen Stadium. Sie spricht nicht darüber, aber vor ein paar Monaten, es waren die letzten Tage vor Weihnachten, hatte sie mir bei einem Glas Punsch mit ihrem reizenden französischen Akzent gesagt: „Ich bin dabei die Gegenwart zu verlieren, Monsieur Pierre. Ich verliere das Heute und das Morgen und verirre mich im gestern. Ich habe das ungute Gefühl, dass sich meine Dimension von Zeit verändert, sich aufbläht und schrumpft, sämig wird wie heißer Teer und dann wieder strömt wie ein Wasserfall. Irgendetwas passiert da in meinem Kopf, Pierre. Ce qui se passe avec moi, mon Pierre? Die Vergangenheit wird immer grösser und die Gegenwart immer kleiner. Ich werde alt, Pierre. Ich bin alt.“

Ich hatte ihr da nur sagen können: „Nein, für mich sind sie jung, Madame. Jünger als sie denken. Bei mir ist das übrigens auch so mit der Zeit. Mir ist die Gegenwart viel zu schnell, als dass ich mir noch irgendetwas merken könnte. Und meine eigene Geschichte, meine Vergangenheit ist so gross, gewaltig gegenwärtig, dass sie die Gegenwart übertüncht. Meine Vergangenheit war aufregend und lebendig, aber meine Gegenwart ist so belanglos und langweilig.“ Pierette hatte mich angelächelt und meinet nur: „Ach, was soll’s. Ich habe gelebt, geliebt, gelitten und gelacht. Was darf man mehr erhoffen? Aber Sie Monsieur Pierre, Sie sind noch jung und lebendig. Leben Sie, Pierre! Lieben Sie! Und bitte erinnern sie mich bitte jeden Tag- chaque jour ­- an meine Zukunft, bitte! D’accord?“. Trotz des spürbaren Fortschreitens ihrer Erkrankung ist mir Pierrette ans Herz gewachsen, ohne dass ich sagen könnte, dass wir uns sehr nahe stehen. Ich bin seit jenen Tagen vorsichtig geworden mit Begriffen wie Freund oder Vertrauter. Aber diese geistig aktive und mich intellektuell überragende Dame ist für mich ein beneidenswertes Wunder an Energie, Intuition, Wissen und Weisheit. Sie ist mir eine Kameradin geworden. Obwohl Pierette Gedächtnislücken in der jüngsten Vergangenheit hat, ist ihr Erinnerungsvermögen im Langzeitgedächtnis enorm. Sie hat beispielsweise noch genaue und sehr detaillierte Kenntnisse vom großen Baseler Chemieunfall am ersten November 1986 unweit des Industriegebietes Schweizerhalle, bei dem der ganze Rhein durch kontaminiertes Löschwasser verseucht wurde und der Fluss zu einem so gut wie toten Gewässer verwandelt wurde. Damals hatte sie sich bei der Recherche zu den Vorgängen als investigative Journalisten einen Namen gemacht, obwohl sie ja eigentlich nur aus dem kulturellen Leben berichten sollte. Sie hatte sich damals aus Betroffenheit über die Weisungen ihrer Vorgesetzten hinweggesetzt und sich die Unbill einzelner Industriekapitäne der Chemiebranche auf sich gezogen und manch einer hat ihr dieses Engagement zur Sensibilisierung für den Umweltschutz nicht verziehen. Pointiert kennt sie noch heute Geschichten und Gerüchte aus Politik, Wirtschaft und Kultur in Basel, Bern und Zürich und den anderen dreiundzwanzig Kantonen vom Tessin bis zum Jura, von Graubünden bis ins Waadtland. Sie ist fürwahr eine faszinierende, eine außergewöhnlich Frau, trotz und wegen ihrer Bildung. Wenn auch in ihrer Attitüde manchmal etwas eigenwillig auf mich wirkt und auch sie nicht ganz ohne die typischen Allüren einer stolzen Pariserin auszukommen scheint, so ist sie mir doch eine angenehme Gesprächspartnerin. In meinen einsamen Stunden lade ich mich gerne selber mit einer Flasche Bordeaux und etwas französischem Käse zu einer ihrer Geschichten ein auch um mein Versprechen einzulösen, sie an ihre Zukunft zu erinnern. Auch wenn sie in den Kriegsjahren mit ihrem Verlobten in der französischen Widerstandsbewegung gekämpft hatte, so kann sie heute einem Glas Roten nicht widerstehen. So lässt sie sich immer mal wieder gerne auf einen Plausch mit mir ein, was wohl mehr dem Bordeaux und dem Käse zu verdanken ist, als einer besonderen Zuneigung zu mir. Gelegentlich fällt mir dann beim Wein und den zweifelnden Blick in ihre braunen Augen auf, dass sie angestrengt darüber nachdenkt, wer dieser Fremde ist, der da bei ihr am Küchentisch sitzt. Schnell helfe ich ihr dann bei ihrer Suche und erzähle etwas von einem tropfenden Wasserhahn, einem neuen Riss im Putz oder einer knarrenden Holzdiele in meiner Wohnung über ihr, um sie nicht bloß zu stellen oder zu beschämen. Madame, wie ich Pierrette meist nenne, hat trotz ihrer auftretenden Gebrechlichkeit und ihrer Alzheimer-Erkrankung nichts von ihrer koketten, unnahbaren und manchmal provozierenden französischen Art eingebüßt. Einmal führte sie mir einen neuen Sommerhut vor, den ihr eine alte Schulfreundin aus Paris als Geschenk geschickt hatte. Es war wundervoll zu sehen, wie sie mir tänzelnd ihre neuste Errungenschaft so mädchenhaft-verspielt und doch so elegant und nobel präsentierte, auch wenn sie beinahe über ihre verwirrte und halbblinde Hündin gestolpert wäre. Madame ist mir eine lieb gewordene Bekanntschaft geworden, ohne dass ich hätte sagen können, dass ich dies auch für sie bin.

Außer Pierrette und mir wohnt im Haus oben unter dem Dach noch ein Student aus Berlin, der an der Baseler Universität Graphik und molekulare Biologie studiert. Er ist vor viereinhalb Jahren in die Maisonette Wohnung eingezogen. Unser Kontakt ist eher distanziert, aber freundlich und eher oberflächlich. Er weiß wahrscheinlich nicht so recht, was er mit diesem kauzigen Aachener aus der Wohnung unter ihm anfangen soll. Unsere Welten sind wohl zu verschieden und von daher bleiben wir beide stets reserviert. Nur selten höre oder sehe ich David, der wohl Anfang dreißig ist und neben dem Studium scheinbar hauptsächlich laute Computerspiele zu seinem Lebensinhalt erkoren hat. Freitags- und Samstagsnachts frönt er regelmäßig einer weiteren Leidenschaft, nämlich ausschweifenden und vor allem geräuschintensiven Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern oder Partnerinnen. David gilt sicher hinlänglich als äußerst gutaussehend soweit ich das als Mann beurteilen kann mit seinem sportlichen Körper, den markanten Gesichtszügen und dem stets perfekt frisierten, vollen blonden Haar. Unter der steilen Stirn erstrahlen stahlblaue Augen und auch bei seiner Garderobe überlässt er nichts dem Zufall. Er pflegt einen eigenen Modestil, der auf mich elegant und doch rockig wirkt. Schwarz scheint seine Lieblingsfarbe zu sein. Zu jugendlichen Jacketts mit Schal oder Tuch trägt er meist lässige feingestreifte Stoffhosen, manchmal mit Hosenträgern und darunter auffällig lässige Westernstiefel. Er schmückt sein Äußeres mit Ringen und Ketten von Thomas Sabo und ähnelt etwas dem Stargeiger David Gerret, wenn er sein schulterlanges Haar zu einem Zopf zusammenbindet. Zufällig hat er auch noch den gleichen Vornamen wie der berühmte Violinist. David ist vom Typ her eher eine Rampensau, den ich mir aufgrund seines Charismas als Lead-Gitarrist in meiner alten Rockband gewünscht hätte. Sogar in seiner ganzen Bewegung ähnelt er ansatzweise solchen Jungs wie Markus Schenker oder Richie Samborra. Das ein oder andere mal fragte mich Madame nach den vielen jungen Männern und Frauen, die am Wochenende im Haus ein und ausgingen. Ich hatte Pierrette von Davids Studien im Bereich Biologie berichtet, ohne mich damit in gewisser Weise nicht vollends schuldig zu machen, die Unwahrheit zu sagen. David erarbeitet seine biologischen Feldversuche und Echtzeit-Studien Gott-sei-Dank zumindest meistens nur an den Wochenenden, so dass mir Zeit genug bleibt, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, ohne von lautem Gestöhne, Gekreische, Gelächter und Gequietsche abgelenkt zu werden. Ich mag ihn nicht besonders, obwohl er mir keineswegs unsympathisch ist. Im Gegenteil, irgendwie beneide ich ihn um vieles. Vielleicht liegt es daran. Es wurmt mich sicher, dass er sein Leben so unbeschwert und unverletzt leben kann, frei von Konventionen und allem Ballast des Erlebten. Im Grunde ist er das Gegenteil von mir: offen, zugewandt, lebensfroh und Spaß orientiert. Er lebt im Jetzt, in der Gegenwart. Er ist lebendig, sehr lebendig und mir ist eigentlich bewusst, dass es nicht Jens ist, den ich nicht mag. Ich mag mich nicht.

So lebe ich ein aufgeräumtes und unaufgeregtes Leben in chronischer Sentimentalität und Melancholie ohne Freude oder Glück zu empfinden. Ich bin tot, auch wenn ich lebe und die wenigen glücklichen Augenblicke schenken mir mein Freundespaar Jim Beam und Fender Stratocaster, meine alte E-Gitarre. Meinen Lebensunterhalt bestreite ich mit Schreiben. Ich betätige mich als erfolgloser Schriftsteller, was mich zwangsläufig nicht ernährt, so dass ich inzwischen freiberuflich in der Werbung als Texter oder sagen wir neudeutsch besser in der abenteuerlichen Welt der Marketingkommunikation und public relations tätig bin. Das klingt spannender als es ist, denn hauptsächlich erarbeite ich einfache Werbetexte, wortspielerische Slogans, und Claims sowie Rundfunkwerbungen als Auftragsarbeiten. Hin und wieder platziere ich sogar mal bei einem Kunden eine ganze Kommunikations-Kampagne, eine eigene musikalische Werbekomposition oder ein Jingle. Es ist ein hartes und oft undankbares Brot und der Wettbewerb ist auch in der Welt der Kreativen angekommen, aber es sichert mir ein bescheidenes Einkommen, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten und verhilft mir sogar gelegentlich zu so etwas wie beruflicher Zufriedenheit. Eine tiefere Erfüllung oder gar Sinnhaftigkeit in meinem Tun entdecke ich dabei kaum. Nur manchmal in meinen vielen schlaflosen Nächten- und das sind gewiss wohl meine kreativsten Phasen- dann berührt mich etwas, dass mein Herz mit Freude erfüllt. Es ist immer dann, wenn ich das Gefühl habe, meine Seele bei einer Arbeit öffnen zu können. Es sind die Augenblicke, wo ich etwas nicht für meine Auftraggeber schreibe, sondern für mich selbst, für meine Geschichte, für meine Seele oder für Anna. Meine Anna.

Inzwischen ist es still geworden vor unserem Haus am Oberen Rheinweg. Man hört zu dieser späten Stunde kaum etwas von draußen, außer dem unablässigen Rütteln des Windes an den Fensterläden und Türen und nur ganz leise vom Fluss her das unablässige Fließen des Wassers. Auch unten auf dem Weg ist das Gemurmel der bei Tage so zahlreich hier flanierenden Passanten verstummt.

Von meinem Küchenfenster kann ich im Winter, wenn die Lindenbäume ihr dichtes Blattwerk abgelegt haben, hinüber auf die Altstadt von Basel sehen, mit dem imposanten Münster und der fast sechshundert Jahre alten Universität. Doch mein Lieblingsblick gilt dem Fluss. Stundenlang kann ich ihm zusehen, wie seine Wogen und Wellen dem Meer entgegenziehen. Ich mag es den vorbeifahrenden Schiffen hinterherschauen und den permanenten Wandel des Stroms zu folgen. Mal strömt er majestätisch und breit durch die Enge zwischen Groß- und Kleinbasel. Dann ist er satt und träge, gemütlich und zufrieden wie nach einem Festtagsmenü. Wiederum gibt es auch Tage, da zeigt der Fluss ein ganz anderes Gesicht. Dann ist er abweisend und missmutig, fließt braun und bissig unter den fünf innerstädtischen Brücken hindurch.

Er wirkt dann rastlos, ungeduldig und wie ein Getriebener.

Ein paar hundert Meter weiter in Höhe von St. Johann wendet sich das Flussbett des Rheins in einem breiten Bogen dem Norden zu, passiert im Industriehafen vor Weil das Dreiländereck Schweiz-Deutschland-Frankreich, um dann über so viele Staustufen und durch meine alte Heimatregion rund um Köln majestätisch dem Meer entgegen zu fließen.

Mit ihm sind oft und viele meiner Gedanken und Erinnerungen in Richtung Aachen und der rheinischen Hauptstadt Colonia Claudia Ara Agrippinensum flussabwärts geflossen. Die eine oder andere Träne ist gelegentlich schon mit dabei, wenn ich abends auf den Uferstufen sitzend gedankenverloren in das Wasser starre.

Basel, diese bezaubernde, kleine Schweizer Stadt am großen Fluss ist mir ein gutes, liebevolles Zuhause geworden. Sie ist ein Zuhause für einen Heimatlosen geworden. Für dieses Gefühl bin ich unendlich dankbar. Ich fühle mich sicher und geborgen hier. Einige Wissenschaftler behaupten, Basel sei wohl oder übel eine der gefährlichsten Städte Europas, aber das ist nicht kriminalistisch gemeint. Die Erbebenwahrscheinlichkeit im Rheingraben zwischen Schaffhausen und Saint Louis ist Forschern zufolge enorm hoch und das Stadtgebiet von Basel vermutlich im Epizentrum eines demnächst zu erwartenden gewaltigen Bebens. Nach allem was mir wiederfahren ist, sind das keine beunruhigenden Expertisen und Angst einflößenden geotektonische Analysen für mich. Ich habe mein Erdbeben schon gehabt, ich hatte bereits den Boden unter den Füssen verloren, lebe noch immer in den Ruinen meines Schicksals und seine Nachbeben erschüttern mich noch bis in die Gegenwart.

In einer Zeit, in der es ohnehin keine Verlässlichkeiten und Wahrheiten mehr zu geben scheint, in einer Zeit ohne Rücksicht und Respekt sind die Menschen einander mehr Bedrohung geworden als die höchsten Amplituden einer nach oben offenen Richterskala . Vielleicht genau darum war mir auf meinen Reisen kein Ort am großen Fluss mehr ans Herz gewachsen wie diese historische Stadt, die lange Zeit die deutsche und europäische Geistesgeschichte geprägt hat und die von allen Schweizer Städten wohl die weltoffenste ist. Seit Jahrhunderten leben hier Migranten aus aller Herren Länder friedvoll mit einander, dulden einander, tolerieren einander und lernen voneinander. Im doppelten Sinn hat Chemie diese Region reich werden lassen, sowohl die industrielle als auch die zwischenmenschliche. Mein privater Vergleich hinkt gewiss, aber mir war Basel immer ein kleines Köln nur heimeliger und weniger laut und dreckig. Diese Sicht hatte ich von Beginn an nicht nur wegen der ausgeprägten Fastnachtskulturen ob nun rheinisch-katholisch oder alemannisch-protestantisch oder der besonderen Lage am Rhein. Diese Vertrautheit entsprang und blieb bis heute vor allem wegen des multikulturellen Lebensgefühls, der überall spürbaren Internationalität, einer erlebbaren Toleranz und zugewandten Freundlichkeit. Zürich hingegen war mir eher stets ein übersteigertes Düsseldorf, ein suspekter Ort, wo es weniger um Sein als um Schein geht, mehr um Materie als um Seele und Geist. So fühle ich mich angekommen in einem bescheidenen Leben in meiner Heimstadt Basel, in meinen kleinen vier Wänden mit den drei keinen Sprossenfenstern. Täglich beobachte ich während der gelegentlichen Arbeitspausen mit einer Tasse Kaffee in der Hand am Küchenfenster stehend die vielen Menschen, die unten auf dem Oberen Rheinweg entlangspazieren. Ich betrachte, wie die Münsterfähre „Leu“ mit ihrem Fährmann Jacques Thurneysen nur die Kraft des Wassers nutzt, um am langen Seil treibend ganz ohne Motorkraft zwischen den beiden Ufern hin und her zu pendeln. Mit einem gönnenden Lächeln und manchmal auch einem weinenden Auge betrachte ich junge Liebespaare, die unten vor dem Haus Händchenhaltend auf einer der Holzbänke verweilen und miteinander schweigen, andere wie sie miteinander kokettieren und hin und wieder andere miteinander streiten oder sich küssen. Jogger und Velofahrer, die sicher nicht ganz uneitel hier ihre körperliche Fitness herzeigen passieren mein Fenster ebenso wie die Alten, die Gebrechlichen und Kranken, die sich überall auf eine der vielen Bänke in einem kleinen Schwätzchen verlieren. In den Sommermonaten, wenn Vater Rhein frisches, klares Wasser durch sein Flussbett schiebt, nutzen viele Baseler aber auch Gäste der Region die Fliesskraft des alten Stroms und lassen sich von der Schwarzwaldbrücke an am Klein-Basler-Rheinufer entlang, an den sich sonnenden Studenten auf den Uferterrassen vorbei bis hin zur Dreirosenbrücke treiben. So mancher Unerschrockene stolziert dann in Badehose oder Bikini mit einem wasserdichten Schwimmsack für die wichtigsten Utensilien ( man nennt ihn hier ortsüblich nur „s`Fischli“ ) unter den Arm geklemmt an den Restaurants der Promenade vorüber zurück, um sich dieses Vergnügens ein zweites oder auch drittes oder viertes Mal zu erfreuen. Das Rheinschwimmen hat eine mehr als tausendjährige Tradition und wird im „Baselbiet“ ebenso gepflegt wie der Pontonier-Sport mit den schweren hölzernen Übersetzbooten, den langen Weidlingen und ihren kraftraubenden Manövern.

Und immer wieder betrachte ich vom Balkon die unentwegten Passagen der kleinen, motorlosen Holzboote über den Rhein. Sie sind mir ganz besonders ans Herz gewachsen, die pittoresken Fähren, die unablässig ihren regelmäßigen Pendelverkehr an vier Stellen zwischen den beiden Stadthälften Klein- und Groß Basel aufrechterhalten solange Strömung und Wasserstand des Flusses es ihnen erlaubt. Bis in die späten Abendstunden bringen die „Fährlis“ Touristen und Einheimische, Fremde, Freunde und Liebende in romantischer Langsamkeit von einem Ufer zum anderen. Auch mich entschleunigt diese kurze Fahrt über den Rhein immer wieder.

Doch jetzt war es Nacht. Die Fährleute hatten ihren Betrieb für diesen Tag eingestellt und der noch eisige Frühlingswind hüllte die Stadt in eine dunkle Decke der Müdigkeit ein.

Ich setzte mich wieder hin und starre auf das Display des offenen Notebooks. Auf dem Sofa sitzend blicke ich auf die weiße, unberührte Seite des Word-Dokuments, das darauf wartet meine ersten Buchstaben aufzusammeln. Mir fällt nichts ein. Mein Kopf ist leer, wie so oft in den letzten Wochen. Keine Inspiration, keine Idee, nicht einmal ein Fetzen an sprachlicher Kreativität lässt sich aus meinen Gehirnwindungen herausquetschen. Zu sehr beschäftigt mich meine bevorstehende Reise, zu sehr lenken mich meine Erinnerungen und meine Gefühle ab von der Aufgabe, die ich heute noch vollenden muss. Dringend sollte ich jetzt mal etwas Brauchbares an den Marketingleiter meines Auftraggebers schicken, aber keine Intuition, kein Einfall will das Weiß vor mir mit schwarzen Lettern füllen.

Ich öffne mein Email-Account und schreibe:

Sehr geehrter Herr Schempfli,

ich bedauere sehr, dass ich Ihnen bis zum heutigen Abend keine mich selbst zufriedenstellende Textidee oder einen Leitgedanken für ihre neue Weihnachtskollektion senden konnte.

Meine derzeitigen Ideen sind unzureichend und bleiben bruchstückhaft. Sie drücken nicht das aus, was ich sagen möchte und wie Ihr Haus diese Kampagne gerne kommunizieren möchte.

Bitte geben Sie mir ein paar Tage Zeit. Ich versichere Ihnen dann einen Text zu liefern, der nicht nur die Emotionalität und die Wertigkeit des Projekts, sondern Ihres ganzen Hauses ausdrücken wird. Ich begebe mich auf eine Reise, die mir hoffentlich wieder die gewohnte Kreativität und Inspiration schenken wird.

Insofern werbe ich um Ihr Verständnis und Ihre Geduld.

Ihr

Peter von Bergen

Dann drücke ich den Button „E-Mail senden“ und klappe den Computer zu.

Ich gehe zum Fenster, vorbei an meinen beiden treusten Gefährtinnen: einer 72er Fender Stratocaster E-Gitarre und der halbakkusitischen Ovation aus der Celebrity-Serie. Durch das leicht trübe Fensterglas schaue ich hinab auf den unruhig dahin fliessenden Strom, aufgepeitscht von einzelnen, aufbrausenden Windböen und getrieben von der Sehnsucht nach der endlosen Weite des Ozeans. Mein Fluss!

Jeder Tropfen dieses Wassers wird bald in meiner alten Heimat sein. Der Rhein ist mir wie eine pulsierende Lebensader, eine emotionale Standleitung hin zu Orten und Plätzen, zu Menschen und all jene Erinnerungen, die sich tief in meine Seele gegraben haben. Das Schicksal hat mich hier nach Basel und somit einmal mehr an den Strand des großen Flusses gespült, so als wolle er mir zeigen, dass wir für immer miteinander verbunden sind.

Mund der Wahrheit

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