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Araber

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( Legende aus einer Überlieferung der Beduinen)

Allah nahm eine Handvoll Südwind und erschuf damit das Pferd. Das Pferd, aber wollte nicht zu Fleisch werden und es wollte auch nicht dem Menschen dienen. Da versprach Allah, dass das Pferd nach seinem Tode wieder zu Wind werden solle und fortan in ewiger Freiheit leben würde.

... und Allah hat sein Versprechen gehalten

In dumpfer Galoppade durchpflügt ein prächtiger Araberschimmel raumgreifend die raue Gischt des Meeres. Nobel und kraftvoll wirbelt der anmutige, weisse Hengst den durchtränkten Sand auf, der wie ein prasselnder Graupelschauer dem hellen Schweif des Königs seiner Rasse zu folgen scheint. Sein dumpfes Klopfen nähert sich unaufhaltsam einer unbestimmten Endlichkeit.

Vollendet ist sein Lauf, ausgeprägt seine Muskulatur, edel sein Gebäude.

Im sich hebenden Nebel durchweht der lauwarme Wind unablässig die wallenden Strähnen seiner langen weissen Mähne. Allah hatte fürwahr eine Hand heissen Südwindes genommen und eine Kreatur geschaffen voller Leidenschaft und Lebensfreude. Ein Wesen der Elemente und Gezeiten.

Als würden die züngelnden Wellen des Ozeans den anmutigen Hengst zu noch ungestümerem Vorpreschen seiner flinken Beine auffordern, fliegt er den Meeressaum entlang, als wolle er der aufgehenden Sonne zu entkommen versuchen.

Schwer donnert der Trommelwirbel seiner Hufe auf dem weichen aber tiefen Geläuf begleitet vom anspornenden Gesang der im Seewind segelnden Möwen.

Alles Leben ist eins. Kreatur und Zeit, Wind und Meer, Ebbe und Flut, Feuer und Eis, Tag und Nacht.

Die Geschmeidigkeit der dynamischen Bewegungen des Schimmels, die Anmut seiner grazilen Glieder und die malerische Szenerie dieses Morgens erscheinen wie Gottes Geschenk für den nahenden Tag.

Schon vermählt sich das purpurne Rot der gleissenden Sonne mit dem eisblauen Violett des schlummernden Ozeans am Horizont und auch die Kiefern und Oleanderbäume fügen sich dem Rausch des Seewindes.

Die warme Morgenluft ist erfüllt vom aromatischen Duft mediterraner Nadelwälder und der endlosen See. Eine pastellfarbene Landschaft versprüht einen herben Duft aus Harz und Zedernholz, aus Meerwasser, trockenem Gras, Salz und Sand. Es riecht nach Unendlichkeit und Frieden, der Hengst atmet das Paradies.

Weisser Meerschaum markiert sanft die auslaufenden Wellenzungen, die das seichte Ufer begrenzen, während sich hinter einem schmalen Riff die mächtige Brandung an einzelnen Sandsteinfelsen austobt. Immer wieder tönt ein unheilverkündendes Grollen der sich brechenden Fluten von dort herüber und verebbt dennoch nur wenig später an den staubigen Dünen des Archipels.

Eine warme Bö spielt gleichzeitig mit dem alabasterfarbenen Schweif und der zotteligen Mähne des arabischen Vollbluts auf seiner Reise in den sich ankündigenden Tag.

Dann - wie aus dem Nichts, wie ein Blitz, wie ein Donnerhall - durchschlägt ein eisernes Geschoss die blanke Flanke des Tiers. Der Schuss trifft den Hengst im vollen Lauf. Das Projektil durchfrässt das Fell und Haut, Knochen und Fleisch, Gewebe und Organ der schuldlosen Kreatur. Das makellos schneeweisse Fell des Schimmels färbt sich binnen Sekunden blutrot und lässt ihn zu Boden stürzen. Wie ein Schwall tritt siedendes Blut aus der klaffenden Wunde. Auf dem feinen, hellen Sand liegend scheinen die Beine des mächtigen Hengstes immer noch seinen ungezügelten Lauf fortsetzen zu wollen, während seine weit aufgerissen Augen langsam erfassen müssen, was sein Körper noch nicht spürt.

Erst jetzt durchfährt den Arglosen ein bohrender Schmerz und allmählich und zögerlich ereilt ihn eine unausweichliche Vorahnung, dass dies sein letzter enthemmter Tanz mit den Wellen gewesen ist.

Das herausströmende Blut taucht den vormals weiss-gelben Sandstrand in ein dunkles lila. Selbst das brausende Meer und die versiegenden Wellen scheinen langsam den leidverkündenden Farbton des verendenden Geschöpfes anzunehmen.

Längst hat sich die aufgehende Sonne hinter einer dunklen Wolke versteckt, so als könne auch sie den elenden Anblick des sterbenden Tieres nicht ertragen.

Ein lichter und unwirklicher Schleier hebt sich als irdener Trauerflor rot changierend wie ein flirrendes Band über den Grat des Horizonts, da wo Himmel und Erde einander berühren.

Fragend und ungläubig starren die matten Augen des Schimmels, dessen ehemals glänzendes schneegleiches Fell inzwischen matt Rosa schimmert, zum Firmament, wo gerade der letzte Glanz des Abendsterns wimmernd in der Unendlichkeit des Raumes verschwindet. Riesigen Pupillen zittern leicht, während sich das Leben schleichend aus den eben noch so lebenshungrigen Gliedern verabschiedet.

Selbst der ewig rauschende Ozean scheint für eine kurze Weile in Andacht und Demut zu verstummen.

Noch einmal atmen die schon blutenden Nüstern die salzige Luft.

Noch einmal kämpft sich das zuckende Lid über den grossen Augapfel.

Mit leuchtendem Blick sieht der edle Vierbeiner, wie sich die Sonnenscheibe immer weiter barmherzig hinter den Wolkenbergen hervortraut, um ihre zarten, wärmenden Strahlen des beginnenden Morgens ein letztes mal zu ihm herüberzuschicken. Bedächtig taucht der Tag in rotblauen Farben auf aus der fiebrigen Schwüle der Nacht.

Dann - am entfernten Meeresrand erspäht der sein Ende ersehnende Hengst wie Tag und Nacht ineinander fliessen und in Millionen Farben verschwimmen. Seine Wahrnehmung wird vage, sein Schmerz abstrakt, sein Ende ist nah.

Ein ihm fremdes Schaudern überkommt ihn und die Angst verlässt seine Adern. Über seine verklärten Züge scheint eine bittere Mischung aus Verzweiflung und Erlösung, aus Leid und Freude, aus Not und Glückseligkeit zu dringen.

Er fühlt nichts und doch fühlt er alles. Er ist ganz bei sich. Er ist eins mit allem.

Sein Atem wird ruhiger. Es wird friedlich und warm. Der Strom triefenden Blutes versiegt langsam. Es ist auf einmal ganz still.

Sein schwarzes Auge wird leer und doch spiegeln sich noch die im Wind segelnden Möwen darin.

Im fahlen Gegenlicht verfärbt sich das milchig braune Auge des stolzen Pferdes in ein mattes dunkelgrau. Die Pupille verändert langsam ihre Farbe, die Iris wechselt ihren Schimmer und trägt nun nicht mehr den animalischen Umriss eines Pferdes.

Jetzt ist es mein eigenes Auge, das ich sehe.

Auf einmal bin ich hellwach. Erschrocken und fiebrig sitze ich da mit weit aufgerissenen Augen unter einer schweissnassen Stirn. Ich bin wie gebadet im salzigen Wasser meines Meeres, ertrinkend im Ozean meines eigenen klebrigen, nassen Schweisses. Schweiss der Angst. Schweiss der Jagd. Mein Herz rast und in den Arterien siedet mein Blut unter meinem heftigen Pulsschlag. Meine Lunge hechelt nach Sauerstoff. Und einmal mehr endet eine Nacht mit Etappenschlaf und Alkohol.

Doch heute ist es wieder soweit. Heute beginnt wieder meine alljährliche Reise hin zu den Trümmerfeldern und Schützengräben meiner früheren Existenz.

Mund der Wahrheit

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