Читать книгу Das heilende Potenzial der Achtsamkeit - Jon Kabat-Zinn - Страница 10

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Das ist nicht persönlich gemeint, aber, verzeihen Sie… Sind wir wirklich, wer wir zu sein glauben?

Der wahre Wert eines menschlichen Wesens

wird vor allem von dem Ausmaß bestimmt,

in dem es Freiheit von sich selbst erlangt hat.

ALBERT EINSTEIN ZUGESCHRIEBEN

Als ich Biologie studierte, wurde uns eingehämmert, dass das Leben den Gesetzen der Physik und der Chemie gehorcht und dass biologische Phänomene genau denselben Naturgesetzen unterliegen (und einhämmern ist tatsächlich eine Metapher, die in höheren Bildungsinstitutionen nicht unüblich ist). Auch wenn das Leben sehr komplex ist und die Moleküle des Lebens weitaus komplizierter sind als die einfacheren atomaren und molekularen Strukturen der unbelebten Natur, so sagte man uns, bestehe kein Grund zu der Annahme, dass es eine besondere belebende Kraft oder »Lebensenergie« gäbe, welche die »Ursache« für die Lebendigkeit eines Systems sei. Da wäre also nichts außer einer einigermaßen prekären Konstellation von Umständen, die es den Komponenten und Strukturen von lebenden Systemen erlauben, so zusammenzuwirken, dass die Eigenschaften des Ganzen, also zum Beispiel einer lebenden, wachsenden und sich teilenden Zelle, emergieren. Dasselbe Prinzip gälte, weitergedacht, den Stammbaum der Evolution hinauf auch für die zunehmend komplexeren Lebensformen, die sich immer weiter in das Pflanzen- und Tierreich hinein entfalten und natürlich auch in unsere Säugetierlinie, in der sich nach und nach immer komplexere Nervensysteme entwickelten, bis dann irgendwann wir selbst auf den Plan traten.

Aus dieser Sicht gibt es keinen inhärenten Grund dafür, anzunehmen, dass wir nicht eines Tages Leben erzeugen können, auch wenn wir bis heute nicht einmal auf der Ebene einer einzelnen Zelle, nicht einmal auf der Ebene eines ganz »einfachen« einzelligen Organismus wie eines Bakteriums das verstehen, was wir »Leben« nennen, und tatsächlich wurde im Jahr 2010 das erste vollständig synthetische Bakterium hergestellt. In einem ähnlichen Durchbruch gelang es Forschern, das Polio-Virus im Labor aus einfachen Chemikalien anhand der im Internet gefundenen Informationen über die genetische Sequenz des Virus zusammenzusetzen. Nachdem sie es erzeugt hatten, konnten sie zeigen, dass es infektiös war und sich in einer lebenden Zelle replizieren und neue Viren erzeugen konnte – womit bewiesen war, dass keine »zusätzliche« Lebensenergie notwendig war.

Diese Perspektive, dass lebende Systeme nicht durch ein »zusätzliches« nichtmaterielles Elements belebt werden, ist in der Biologie ein Bollwerk gegen das, was früher »Vitalismus« genannt wurde, nämlich die Überzeugung, dass es einer besonderen Energie bedarf, die jenseits der von Physik, Chemie und Biologie erklärbaren Kräfte besteht, und nicht allein dadurch zustande kommt, dass das Leben über sehr lange Zeiträume seine einzigartigen Eigenschaften entwickelt, zu denen auch das Bewusstsein gehört. Der Vitalismus wurde als mystisch, irrational, antiwissenschaftlich und schlichtweg falsch angesehen. Und nach der bisherigen historischen Bilanz war und ist er es auch. Das heißt jedoch nicht, dass eine reduktionistische und rein materialistische Sichtweise richtig sein muss. Es gibt verschiedenste Methoden, das Mysterium des Lebens wissenschaftlich zu erforschen und zu verstehen, Methoden, die höhere Ordnungen von Phänomenen und deren emergente Eigenschaften in Betracht ziehen und anerkennen.

Vom Standpunkt der Biologie aus gibt es an der Basis lebender Systeme, einschließlich des Menschen, nichts anderes als unpersönliche Mechanismen. Sie sieht die Emergenz des Lebens selbst als eine Folge einer umfassenderen Emergenz, nämlich der Evolution des Universum und all der geordneten Strukturen und Prozesse, die sich darin entfalten. An einem bestimmten Punkt dieser Evolution, vielleicht vor etwa drei Milliarden Jahren, als die Bedingungen günstig waren auf dem noch jungen Planeten Erde – der sich aus dem interstellaren Staub gebildet hatte, welcher den in Entstehung befindlichen Stern umgab, den wir heute unsere Sonne nennen, einem Staub, der selbst wiederum das Ergebnis eines kolossalen Zerfalls früherer Sterne auf dem Weg über einen Gravitationskollaps war, in dem außer Wasserstoff eben die Atome entstanden, aus denen unser Körper und alles andere auf diesem Planeten gemacht ist –, konnte es gar nicht anders kommen als zur Synthese von Biomolekülen durch natürlich auftretende anorganische Prozesse in warmen Tümpeln und Ozeanen in Millionen und Abermillionen Jahren, vielleicht ausgelöst von Blitzen, von Tonerden und anderen unbelebten Mikroumgebungen, die auf verschiedene Weise zu solchen Prozessen beitragen können. In genügend langen Zeiträumen fanden diese verschiedenen Biomoleküle Möglichkeiten, entsprechend den Gesetzen der Chemie zu interagieren, was zur Entstehung rudimentärer Polymerketten von Nukleotiden (dem Stoff, aus dem die DNS und die RNS gemacht sind) und von Aminosäuren mit ganz bestimmten Eigenschaften führte.

Ihrer Natur nach besitzen Polynukleotidketten die Fähigkeit, mittels der Sequenz der vier Basen, aus denen sie bestehen, große Mengen an Informationen zu speichern; außerdem können sie sich selbst durch Replikation mit hoher Präzision verdoppeln und dabei diese Informationen bewahren, oder es kann unter bestimmten Bedingungen zu kleinen Veränderungen kommen, wodurch als Mutationen bezeichnete Varianten erzeugt werden, die in seltenen Fällen einen selektiven Vorteil im Wettstreit um natürliche Ressourcen haben können. Diese Informationen in den Polynukleotidketten werden in die lineare Sequenz von Aminosäuren übersetzt, die jene Polynukleotidketten bilden, die, wenn sie eingefaltet sind, Proteine genannt werden, sozusagen die Arbeitspferde der Zelle, die all ihre Tausende von chemischen Reaktionen ausführen, in welchem Fall sie Enzyme genannt werden; und die eine Myriade struktureller Schlüsselbausteine zur Verfügung stellen, aus denen die Zellen erzeugt werden, in welchem Fall sie strukturelle Proteine genannt werden.

Was genau geschehen ist, dass überhaupt eine organisierte Zelle entstand, wenn auch eine äußerst primitive Zelle, lässt sich bis heute nicht erklären. Aber in der Biologie ist man der Meinung, dass es im Prinzip verstanden werden kann und eines Tages auch wird – und alles, was nötig sein wird, um es zu verstehen, wird ein tieferes Verständnis komplexer Systeme aus Molekülen sein, die selbst keine Lebenskraft besitzen außer dem Vermögen, unter günstigen Bedingungen und im Zusammenwirken mit vielen anderen solcher Moleküle unvorhersehbare neue Phänomene emergieren zu lassen, einschließlich, und das ist wichtig, der Stabilisierung, Speicherung und Wiederherstellung von Informationen und der Modulation des Informationsflusses. In diesem Sinne ist das Leben eine natürliche Erweiterung der Evolution des Universums, sobald einmal Sterne und Planeten entstanden sind, welche die notwendigen Bedingungen bereitstellen, unter denen auf chemischen Prozessen basierende lebende Systeme emergieren können. Und Bewusstsein, das dann in lebenden Systemen emergiert, welche denselben Gesetzen der Physik und Chemie gehorchen, wenn die Bedingungen günstig sind, es genügend Zeit dafür gibt und der Selektionsdruck groß genug ist, damit sich eine solche Ebene der Komplexität entwickeln kann, wird deshalb als eine natürliche, wenn auch höchst unwahrscheinliche Emergenz aus einem evolutionären biologischen Prozess betrachtet, der leer von einer treibenden Kraft, leer von Teleologie und ganz und gar nicht mystisch ist.

Wenn Bewusstsein, zumindest ein chemisch begründetes Bewusstsein, bereits als potenzielle Möglichkeit in ein sich entwickelndes Universum eingebaut ist, und es sich aus diesem Potenzial entwickelt, sofern geeignete Anfangsbedingungen gegeben sind und genügend Zeit vorhanden ist, dann könnte man sagen, dass das Bewusstsein in lebenden Organismen eine Weise des Universums ist, sich selbst zu erkennen, sich selbst zu sehen, ja sogar sich selbst zu verstehen. Wir könnten sagen, dass in der unermesslichen Weite allen Seins diese Gnade uns zuteil geworden ist, dem Homo sapiens sapiens, zumindest allem Anschein nach in stärkerem Maße als allen anderen Spezies auf diesem unendlich winzigen Staubkorn, das wir in der unvorstellbaren Weite des sich ausdehnenden Universums bewohnen, in diesem Universum, in dem unsere Art von Materie, aus der unser Körper ebenso besteht wie die Planeten und sämtliche Sterne, nur einen winzig kleinen prozentualen Anteil der Substanz und Energie des Universums auszumachen scheint.3 Dieser Ansicht zufolge ist unsere Fähigkeit zu Bewusstsein uns nicht aufgrund irgendeiner moralischen Tugend zugefallen, sondern durch reinen Zufall, durch die Wechselfälle des evolutionären Selektionsdrucks auf die Spezies der baumbewohnenden Primaten, von denen sich einige, als sie sich in die Savannen hinausbewegten, sich zum aufrechten Gehen hin entwickelten, wodurch ihre Arme und Hände zu anderem Gebrauch frei und ihr Gehirn vor die Aufgabe gestellt wurde, mit einem größeren Spektrum an Herausforderungen umzugehen. Hier ist natürlich von unseren direkten Vorfahren die Rede.

Wie wir unsere ererbte Empfindungsfähigkeit verstehen und was wir individuell und kollektiv als Spezies damit anfangen, ist ohne Zweifel eine der entscheidendsten Fragen der heutigen Zeit. Der biologischen Sicht auf lebende Systeme mit ihrer ganz unpersönlichen Natur zufolge wohnt der Entfaltung des Lebens keine mystische Dimension inne. Sie besagt, dass Bewusstsein den Prozess nicht etwa lenkt, sondern aus dem Prozess emergiert, wenn auch das Potenzial für seine Emergenz die ganze Zeit latent vorhanden war. Nichtsdestoweniger kann Bewusstsein, wenn es erst einmal hoch genug entwickelt ist, tiefgreifenden Einfluss auf alle Bereiche des Lebens haben, und zwar durch unsere Entscheidungen darüber, wie wir leben und worin wir unsere Energie investieren wollen, und dadurch, dass wir anerkennen, welchen Einfluss wir auf unsere Welt haben. Empfindungsfähigkeit konnte nur durch die passenden Ursachen und Bedingungen emergieren, und dass diese eintreten, war keineswegs zwangsläufig. Wären sie allerdings nicht vorhanden gewesen, dann wäre auch niemand von uns da, um ihre Abwesenheit überhaupt bemerken zu können.

Wenn wir selbst also ein Produkt unpersönlicher Ursachen und Bedingungen sein sollen, die den Gesetzen von Physik und Chemie unterliegen, wie komplex auch immer diese sein mögen, und wenn es keine »Lebenskraft« hinter all dem gibt, dann können wir sehen, warum der Antivitalismus der Naturwissenschaften, insbesondere der Biologie, zu der Behauptung führt, dass es so etwas wie die Seele als ein entscheidendes Zentrum in einem fühlenden Wesen, das anderen Gesetzen gehorcht als denen der Physik und Chemie, nicht gibt. Im 17. Jahrhundert behauptete René Descartes, die Zirbeldrüse tief im Inneren des Gehirns sei der Sitz der Seele. Moderne Neurobiologen würden sagen, dass die Zirbeldrüse zwar viele Dinge leistet, aber keine Seele hervorbringt, zumal es keinen Grund gibt, eine dauerhafte Entität oder Energie zu postulieren, die immateriell ist und dem Organismus innewohnt oder mit diesem irgendwie verbunden ist und dessen Weg durchs Leben lenkt. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Leben und die Fähigkeit zu Empfindungen nicht ein großes Mysterium sind und damit heilig, so wie auch das gesamte Universum ein großes Mysterium ist. Es heißt auch nicht, dass wir nicht von der Seele sprechen können, wenn wir damit das meinen, was sich tief in der Psyche und im Herzen bewegt, und auch nicht von der Quelle der Erbauung und Wandlung, die wir »Geist« im spirituellen Sinne nennen. Es impliziert ebenfalls nicht, dass unsere persönlichen Gefühle und unser persönliches Wohlergehen unwichtig wären und dass es keine Basis für ethisches und moralisches Handeln oder für die Empfindung des Numinosen gäbe. Tatsächlich könnten wir sagen, dass es unsere Natur und Berufung als fühlende Wesen ist, unsere Situation mit Ehrfurcht und Staunen zu betrachten und uns tiefe Fragen über das Potenzial zur Erweiterung unserer Empfindungsfähigkeit zu stellen und diese einzusetzen für das Wohlergehen anderer und dessen, was in dieser lebendigen Welt das Schönste und das Heiligste ist – so heilig, dass wir uns weit effektiver davor hüten würden, der Welt so respektlos zu begegnen oder sie womöglich sogar durch unsere Unreife zu zerstören.

Die Buddhisten haben ein ähnliches Verständnis von der unpersönlichen Natur der Phänomene. Wie wir schon am Beispiel der Herz-Sūtra gesehen haben (siehe Band 1 im Kapitel Leere), hat der Buddha auf der Grundlage seiner eigenen persönlichen Forschungen und Erfahrungen gelehrt, dass die gesamte erfahrbare Welt – also das, was er die fünf skandhas (Aggregate, Anhäufungen) nannte, nämlich Form, Empfindung, Wahrnehmung, psychische Formkräfte und Bewusstsein – leer ist von jeglichen dauerhaften und aus sich selbst existierenden Eigenschaften. So sehr man auch danach suchen mag, es wird einem nicht gelingen, eine dauerhafte, unveränderliche Selbstheit in oder unter den Phänomenen aufzufinden, den unbelebten und den belebten einschließlich unserer selbst, weil alles wechselseitig miteinander verknüpft ist und jede Manifestation einer Form oder eines Prozesses in ihrer individuellen Emergenz und in Bezug auf ihre charakteristischen Eigenschaften von einem sich ständig wandelnden Gefüge von Ursachen und Bedingungen abhängt. Der Buddha fordert uns heraus, selber hinzusehen und nachzuforschen, ob dem so ist oder nicht, ob das Selbst oder Ich nicht einfach ein Konstrukt ist, so wie unsere Sinne irgendwie zusammenwirken, um sowohl die Welt, die »da draußen« zu sein scheint, als auch die Empfindung einer Person »hier drinnen«, die die Welt wahrnimmt, zu konstruieren.

Nun, wie könnten wir aber dann das Gefühl haben, dass es ein Selbst gibt, dass wir ein Ich sind und dass das, was geschieht, »mir« geschieht; – dass jeden Morgen dasselbe Ich aufwacht und sich als solches im Spiegel wiedererkennt? Sowohl die moderne Biologie und Kognitionswissenschaft als auch der Buddhismus würden sagen, dass dies in gewisser Weise eine Fehlwahrnehmung ist, die zu einer beständigen individuellen und kulturellen Gewohnheit geworden ist. Wenn Sie sich jedoch auf den Prozess einer systematischen Suche nach diesem Ich oder Selbst einlassen, so behaupten beide, dann werden Sie kein beständiges, eigenständiges Selbst finden, ob Sie nun in »Ihrem« Körper – einschließlich seiner Zellen, spezialisierten Drüsen, seinem Nervensystem, Gehirn und so weiter – oder in »Ihren« Gefühlen, Überzeugungen, Gedanken, Beziehungen oder sonstwo suchen.

Und der Grund dafür, dass Sie nirgendwo ein dauerhaftes, isoliertes, aus sich selbst existierendes Ich finden können, das »Sie« sind, besteht darin, dass dieses Ich ein Trugbild ist, eine holographische Emergenz, ein Phantom: das Produkt eines an Gewohnheiten gebundenen und emotional aufgewühlt denkenden Geistes. Dieses »Ich« wird ständig, von Moment zu Moment, konstruiert und wieder dekonstruiert. Es ist andauernd dem Wandel unterworfen und deshalb im Sinne von etwas Identifizierbarem und Isolierbarem weder dauerhaft noch wirklich. Es ist eher virtuell als solide, zumindest metaphorisch vergleichbar mit den virtuellen Elementarteilchen, die für kurze Augenblicke im Quantenschaum des leeren Raumes aus dem Nichts aufzutauchen scheinen und sich sofort wieder in das Nichts auflösen. Das, was wir das Selbst nennen, könnte man in der Welt der Chaostheorie auch als einen »seltsamen Attraktor« bezeichnen, ein dynamisches Muster, das sich ständig verändert, aber immer selbst-ähnlich bleibt. Mehr oder weniger sind Sie, wer Sie auch gestern schon waren, aber doch nicht genau die oder der Gleiche.

Lassen Sie uns ein wenig mit dieser Vorstellung spielen und unter die Lupe nehmen, was wir meinen, wenn wir von »meinem Körper« sprechen. Wer sagt das? Wer behauptet da, einen Körper zu »haben« und damit von ebendiesem Körper getrennt zu sein? Das ist doch ziemlich mysteriös, nicht wahr? Unsere Sprache selbst ist selbst-referentiell – sie verweist auf ein Selbst. Sie verlangt, dass wir von »unserem« Körper sprechen – zählen Sie nur einmal, wie oft ich auf dieser Seite ein Personalpronomen benutzen muss, um Irgendetwas über uns auszusagen –, und wir gewöhnen uns daran, zu denken, dass es eben das ist, was wir sind, oder doch zumindest ein großer Teil dessen, was wir sind. Das wird zu einem nicht hinterfragten Teil unserer konventionellen Realität. Auf der Ebene der Erscheinungen ist das, relativ gesprochen, natürlich auch der Fall.

In den meisten Fällen würden wir nicht »eine Hand« oder »ein Bein« oder »einen Kopf« sagen, sondern wir würden das Personalpronomen »mein« verwenden, weil, relativ gesehen, dieser unser Körper (da haben Sie es schon wieder) in einer Beziehung zu der Sprechenden steht, wer immer das ist. Sprächen wir von »unserer Hand« als »einer Hand«, erschiene uns das distanziert, entfremdet, irgendwie unverkörpert und krankhaft. Es gibt also eine geheimnisvolle Beziehung zwischen mir und meinem Körper, jedoch eine, die wir gewöhnlich in keiner Weise hinterfragen. Weil sie nicht hinterfragt wird, verfallen wir so leicht darauf, zu glauben, dass es »unser« Körper ist, ohne uns bewusst zu sein, dass wir gar nicht genau wissen, wer es ist, die da behauptet, die Besitzerin zu sein, und dass dieser Besitzanspruch nur eine Sprachfloskel ist und keine Tatsache. Natürlich ist das relativ wahr (schließlich ist es nicht der Körper von jemand anderem – würden wir das denken oder fühlen, dann wären wir in großen Schwierigkeiten und uns stünde wohl die Einweisung in eine Nervenklinik bevor), doch aus der absoluten Sicht gilt das nicht. Wenn das, was der Herz-Sūtra besagt, wahr ist, dann ist die Erscheinung an sich leer.

Dasselbe trifft auch auf den Geist zu. Wessen Geist ist es denn? Und wer macht sich die Mühe, einen Geist zu erfinden? Und wer will das wissen? Wer liest gerade diese Zeilen?

Nehmen wir einmal an, die Biologinnen und die Buddhistinnen hätten recht – obwohl der Geist für die Buddhistinnen durchaus einer anderen Dimension angehört, die ihre eigene Gesetzmäßigkeit besitzt, und er zwar mit materiellen Phänomenen, also dem Gehirn, in Zusammenhang gebracht, jedoch nicht auf Materie reduziert werden kann. Als Lebewesen wären wir nach dieser Ansicht das Produkt von Chemie, Physik und Biologie, von gänzlich unpersönlichen Prozessen, die, sobald wir mit der Welt jenseits unserer Haut und mit dem Reich von Körper und Geist in Kontakt treten, unsere Erfahrung hervorbringen. Die Empfindung eines Selbst, eines »Ich«, das all diese Erfahrungen macht, das diese Gedanken denkt, diese Gefühle fühlt, das Entscheidungen trifft und auf diese oder jene Weise handelt, ist nur ein Epiphänomen: ein Nebenprodukt komplexer biologischer Prozesse. Sowohl die Ichempfindung als solche als auch unsere Persönlichkeit sind in einem tiefen Sinne unpersönlich, wenn auch eindeutig einzigartig und im relativen Sinne wirklich, so wie auch unser Gesicht einzigartig und relativ gesehen wirklich ist, wenn auch bei Weitem nicht alles, was wir sind.

Wenn dem so wäre, was würden wir verlieren? Und was könnten wir durch eine solch radikale Verschiebung des Blickwinkels hin zu einer größeren, umfassenderen und vielleicht grundlegenderen Sichtweise gewinnen?

Was wir verlieren würden, wäre unsere übertriebene Identifizierung mit praktisch jeglicher inneren wie äußeren Erfahrung als »ich«, »mich« und »mein« anstelle einer Sichtweise, für die sich die Phänomene entsprechend verschiedener Ursachen und Bedingungen entfalten oder sie, wie man sagen könnte, einfach geschehen. Wenn wir lernen könnten, die Art und Weise, wie sich eine Ichempfindung um Geschehnisse und Erscheinungen herum kristallisiert und sich dann, koste es, was es wolle, selbst behauptet, infrage zu stellen, wenn wir uns fragten, ob diese Ichempfindung grundlegend real ist und nicht bloß ein Konstrukt des Geistes, und wir untersuchen wollten, ob sie unveränderlich oder in ständigem Wandel begriffen ist, und bedenken würden, wie wichtig unsere Ansichten in jedem Moment in Relation zum größeren Ganzen sind, dann wären wir vielleicht nicht so sehr von uns eingenommen und die meiste Zeit so sehr mit unseren Gedanken und Meinungen sowie unseren persönlichen Geschichten über Gewinn und Verlust beschäftigt und damit, ersteren zu maximieren und letzteren zu minimieren. Dann könnten wir vielleicht durch diesen von uns selbst erzeugten Schleier, der auf subtile oder nicht so subtile Weise auf jeden Aspekt unserer Erfahrung abfärbt, hindurchsehen. Wir könnten uns selbst vielleicht sehr viel besser hören. Wir würden uns und die Geschichten, die wir darüber erfinden, wie die Dinge sein müssten, damit wir glücklich sein können und damit sie nach »unseren Vorstellungen« laufen, vielleicht weniger ernst nehmen.

Würden wir das tun, dann würden wir vielleicht auch mit einem größeren Gefühl von Leichtigkeit unseren Körper bewohnen und in der Welt leben, dann würden wir vielleicht sehr viel mehr über die bloße Tatsache unserer Existenz, die bloße Tatsache des Erkennens staunen, ohne uns allzu sehr in das feste Gefühl eines »Erkennenden« verrennen zu müssen, das sich von dem Erkannten abspaltet und damit sowohl ein Subjekt (ein Ich) als auch ein Objekt da draußen (das vom Subjekt erkannt wird) erzeugt sowie Distanz schafft zwischen den beiden statt Nähe in ihrer Wechselseitigkeit, einem gemeinsamen Entstehen mit dem Gewahrsein und im Gewahrsein. Stellen Sie sich vor, wir wären auf diese Weise weniger mit uns selbst beschäftigt, wir müssten nicht ständig unsere engstirnigen Pläne vorantreiben, weil wir sähen und wüssten, dass die Ichempfindung an sich leer ist von inhärenter Existenz, dass sie nur den Anschein der Existenz erweckt und dass eine starke Identifizierung mit ihr uns gefangenhält in einer verzerrten, verarmten und eklatant unvollständigen Sicht auf unser Sein und auf unser Leben, insbesondere in Beziehung mit dem Leben anderer und auf unseren Pfad in dieser Welt.

Was das angeht, so ist Ihnen vielleicht schon aufgefallen, dass unsere Ichempfindung uns die ganze Zeit glauben macht, wir seien nicht vollständig. Sie sagt uns, dass wir anderswohin gelangen müssen, dass wir etwas Erstrebenswertes erlangen müssen, dass wir ganz werden, glücklich werden, etwas verändern, weiterkommen müssen – und all das mag zum Teil richtig und im relativen Sinne wahr sein, und in diesem Maße sollten wir diese Stimmen auch ernst nehmen. Aber unsere Ichempfindung vergisst, uns daran zu erinnern, dass auf einer tieferen Ebene, jenseits der Erscheinungen und der Zeit, all das, was es zu erreichen gilt, bereits jetzt hier ist, und dass es nicht möglich ist, das Selbst zu verbessern. Wir können lediglich seine wahre Natur als gleichermaßen leer wie voll und als ausgesprochen nützlich erkennen.

Wenn wir das zutiefst erkennen, wenn wir es mit unserem ganzen Sein erkennen – eine Fähigkeit, die die sich durch beständige Achtsamkeitspraxis entwickelt – dann vermögen wir in diesem Wissen selbst zu ruhen und können wesentlich weniger egozentrisch in der Welt handeln, zum Wohle anderer Lebewesen, mit einer gewaltlosen Haltung und ohne etwas erzwingen zu wollen. Wir sind dazu in der Lage, weil wir auf einer grundlegenden Ebene erkennen, dass die »anderen« immer auch wir selbst sind. Diese wechselseitige Verbundenheit ist ursprünglicher Natur. Sie ist der Geburtsort von Einfühlung und Mitgefühl, unseres Gefühls für die anderen, unseres Impulses und unserer Veranlagung, uns an die Stelle eines anderen zu setzen, mit einem anderen zu fühlen. Das ist die Grundlage von Ethik und Moral, auf der wir wahrhaft menschlich werden können – jenseits des potenziellen Nihilismus und des unbegründeten Relativismus, der aus einer rein mechanistischen und reduktionistischen Sichtweise des Geistes und des Lebens entspringt.

Von diesem Standpunkt aus gesehen, sind Sie in einem ganz wirklichen Sinn nicht diejenige, die Sie zu sein glauben. Und alle anderen Menschen sind auch nicht das, was sie zu sein glauben. Wir alle sind viel größer und viel geheimnisvoller. Haben wir das erst einmal erkannt, erweitern sich unsere kreativen Fähigkeiten enorm, weil wir verstehen, wie wir uns letztlich selbst im Weg stehen und uns klein machen durch unsere zwanghafte Beschäftigung mit uns selbst und unsere Selbstzentriertheit, unser Beschäftigtsein mit dem, was wir für wichtig halten, was aber in Wahrheit nicht wesentlich ist.

Das ist keine Kritik. Es ist bloß eine Tatsache.

Es ist also nicht persönlich gemeint, darum fassen Sie es bitte nicht so auf.

Ich bin nicht ich.

Ich bin der,

der neben mir geht

und den ich nicht sehe,

den ich gelegentlich zu besuchen vermag

und den ich zu anderen Zeiten vergesse…

JUAN RAMÓN JIMÉNEZ

(nach der englischen Übersetzung von Robert Bly)

Genug. Diese wenigen Worte genügen.

Wenn nicht diese Worte, dann dieser Atem.

Wenn nicht dieser Atem, dann dieses hier Sitzen.

Diese Öffnung für das Leben,

der wir uns verweigert haben,

wieder und immer wieder,

bis jetzt.

Bis jetzt.

DAVID WHYTE

3 In der Tat sind Kosmologen heute der Ansicht, dass das Universum zu etwa 30 Prozent aus »dunkler Materie« besteht, die vielleicht in schwarzen Löchern eingefangen ist, und zu mehr als 65 Prozent aus »dunkler Energie«, die möglicherweise für die Kraft hinter der Ausdehnung des Universums, eine Art Anti-Schwerkraft, verantwortlich ist.

Das heilende Potenzial der Achtsamkeit

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