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Keine Trennung

Albert Einstein, der über eine tiefere Einsicht in die Natur von Zeit und Raum, von Masse und Energie, von Licht und Schwerkraft verfügte als seine Zeitgenossinnen, erkannte, welch blind machende Wirkungen Begehren und Anhaften haben und wie wichtig es ist, das aufzulösen, was er die »Täuschung der Getrenntheit« nannte. Als sich einmal ein Rabbi an ihn wandte und ihn um Rat fragte, wie er den Tod seiner Tochter, eines »wunderschönen sechzehnjährigen Mädchens ohne Sünde« deren älterer Schwester erklären solle, entgegnete Einstein:

»Ein Mensch ist Teil des Ganzen, das wir ›Universum‹ nennen, ein in Zeit und Raum begrenzter Teil. Es erfährt sich selbst, seine Gedanken und Gefühle als etwas vom Rest Getrenntes – eine Art optischer Täuschung seines Bewusstseins. Diese Täuschung ist wie ein Gefängnis für uns, da sie uns auf unsere persönlichen Wünsche und auf die Zuneigung für einige wenige Menschen, die uns am nächsten stehen, beschränkt. Unsere Aufgabe besteht darin, uns aus diesem Gefängnis zu befreien und den Kreis unseres Mitgefühls derart auszuweiten, dass er alle lebenden Kreaturen und die gesamte Natur in ihrer Schönheit umfängt. Niemand ist fähig, das vollkommen zu erreichen, aber das Streben nach einer solchen Errungenschaft ist an sich bereits ein Teil der Befreiung und ein Fundament für innere Sicherheit.«

Dass Einstein als großer Physiker von Befreiung und innerer Sicherheit spricht, ist schon an und für sich sehr bezeichnend. Es wird deutlich, wie sehr er das Gefühl hatte, dass wir alle von der Täuschung der Getrenntheit geplagt werden, der Trennung meiner selbst von mir selbst, meiner selbst von dir, des Ich vom Du, und wie viel er von dem Leiden verstand, das daraus resultiert, sowie von der Notwendigkeit, sich durch das Kultivieren von Mitgefühl dagegen zu schützen.

Er betrachtete die Welt aus einer ganzheitlichen Perspektive, mit den Augen der Ganzheit. Und aus der Perspektive der Befreiung von Täuschung. Und seine Antwort war… Mitgefühl.

Können wir von uns selbst verlangen, mit den Augen der Ganzheit zu sehen und uns bewusst zu sein, was für ein Gefängnis wir aufgrund unserer Täuschung der Getrenntheit für uns selbst und für andere errichten, wo es doch im Grunde gar keine Trennung gibt? Können wir, wie Einstein es formulierte, den Kreis unseres Mitgefühls so weit ausdehnen, dass er »alle lebenden Kreaturen und die gesamte Natur in ihrer Schönheit« umfängt? Und können wir uns selbst in diesen Kreis des Mitgefühls miteinbeziehen?

Warum nicht?

Es ist schließlich eine Sache der Übung, keine philosophische Frage. Und diese Übung nennt man aufwachen aus der Täuschung, aus der Fragmentierung, aus der Abdankung, aus den Machenschaften unserer eigenen Missverständnisse. Das nennt man die Befreiung unserer selbst von dem, was »Getrenntheit« zu sein scheint, wo wir doch in Wirklichkeit auf der allertiefsten Ebene wahrhaft zugehörig sind, wo wir doch schon immer nahtlos in das Ganze eingewoben sind, wo wir doch bereits zu Hause sind, hier, in diesem Augenblick, mit diesem Atemzug, an diesem Ort.

Ach, nicht getrennt sein,

nicht durch so wenig Wandung

ausgeschlossen vom Sternen-Maß.

Innres, was ists?

Wenn nicht gesteigerter Himmel,

durchworfen mit Vögeln und tief

von Winden der Heimkehr.

RAINER MARIA RILKE

Das heilende Potenzial der Achtsamkeit

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