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2.1 Begründung und Darstellung des forschungsmethodischen Vorgehens Warum qualitative Forschung?

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„Am Anfang einer jeden Forschung steht ein Phänomen, das die Forschenden interessiert und eine Forschungsfrage, auf die eine Antwort gegeben werden soll. Ist die Beantwortung der Frage auf der Grundlage des gegenwärtigen Wissensstandes nicht möglich, ist ein offener, sinnverstehender Zugang mittels qualitativer Verfahren zum empirischen Feld zu wählen.“ (Mey & Mruck, 2009, S. 100).

Nach diesem Zitat der beiden Psychologen Mey und Mruck ist die Begründung für einen qualitativen Forschungsansatz in dem Verhältnis von Erkenntnisinteresse des Forschenden bzw. reichhaltiger Empirie zu vorhandenen Theorien zu suchen. In erkenntnistheoretischer Hinsicht beschreibt Rost in eben diesem Sinne den Erkenntnisfortschritt durch jegliche empirische Wissenschaften als Wechselspiel von Theorie und Empirie bzw. Wechselspiel von Deduktion und Induktion (Rost, 2002, 2003). Während quantitative Forschungsansätze ihren Ausgangspunkt in starken Theorien nehmen, daraus quantifizierbare Hypothesen deduzieren und diese anschließend mit statistischen Verfahren testen, „ist der Schritt von der Empirie zur Theorie vergleichsweise dürftig“ in diesen Ansätzen begründet (Rost, 2003, S. 9). Der Schritt der Theorieentwicklung bzw. von der Empirie zur Theorie sei dagegen die Domäne qualitativer Forschungsansätze. Eben dieser Schritt sei dann geboten, wenn Theorien in nicht ausreichendem Maße vorhanden sind, um die an die Empirie herangetragene Fragestellung zu beantworten. Qualitative Forschung wendet sich damit Aspekten zu, die theoretisch (noch) nicht direkt erfassbar sind, z.B. weil es keine passende Theorie für die Fragestellung in dem jeweiligen Feld gibt, oder aber berechtigte Kritik an bestehenden Theorien geübt werden kann.

Flick, von Kardorff und Steinke nennen diese Aspekte „das Neue im Untersuchten, das Unbekannte im scheinbar Bekannten“, für das qualitative Forschung offen ist (Flick, von Kardorff & Steinke, 2008b, S. 17)3F[4].

Vor diesem Hintergrund liegt die Begründung für die Entscheidung für ein qualitatives Vorgehen weniger in diesem forschungsmethodischen Kapitel, sondern vielmehr in den Kapiteln zu den theoretischen Grundlagen. Denn nur dort kann gezeigt werden, dass sich in der Theorie keine angemessenen Antworten auf die jeweilige Fragestellung finden lassen. Insofern kann sich der Leser sein Urteil über die Wahl des Forschungsansatzes letztendlich erst nach der Lektüre der Kapitel 3.1 und 4.1 bilden. Im Folgenden wird kurz die Genese der Fragestellungen der Untersuchung thematisiert, bevor die theoretischen Lücken als Begründung für einen qualitativen Ansatz umrissen werden.

Ihren Ausgangspunkt hat die Untersuchung in einer Feststellung genommen, die am Ende der Arbeit der Frankfurter Arbeitsgruppe zu Kooperativem Lernen stand4F[5]. Und zwar wurde festgestellt, dass die Lehrkräfte immense Probleme damit hatten die Schüler während der selbständigen Arbeitsphasen zu betreuen. Dadurch konnte sogar bei der Evaluation der letzten Studien die Konzeptimplementation nur eingeschränkt als erfolgreich beurteilt werden (vgl. Bähr, 2009b; Bähr & Wibowo, 2012).

Ausgehend von dieser Feststellung wurde das Themengebiet der hier vorliegenden Forschungsarbeit auf die Betreuungsleistung der Lehrkräfte während der selbständigen Arbeitsphasen fokussiert. Vor dem Hintergrund der Recherchen und auch erster offener Auswertungsschritte (s.u.) wurde zweierlei klar.

Zum einen wurde deutlich, dass keine geeignete Theorie in der Sportpädagogik vorliegt, die gleichermaßen Lehren und Lernen während der Betreuungsphasen der Lehrkräfte berücksichtigt (vgl. Kapitel 4.1). Gängige Theorien (Bildungs-, Entwicklung- oder Bewegungstheorien) oder pädagogisch-praktische Konzepte (aus empirischen Forschungsarbeiten, mit Rückgriff auf das sokratische Gespräch oder Ansätze zu problemorientiertem Lernen im Sportunterricht) berücksichtigen zwar durchaus beide Aspekte, jedoch werden Zusammenhänge zwischen Lehren und Lernen kaum theoretisch in einer angemessenen Detailliertheit modelliert und in ein Gesamtbild gestellt.

Der Blick über den „Tellerrand“ lenkte die Aufmerksamkeit auf das Konzept des Scaffoldings und dessen sozialkonstruktivistische Grundlagen, der jedoch (noch) keine nennenswerte Berücksichtigung in nationalen und internationalen sportwissenschaftlichen Forschungsbemühungen findet. Was bleibt ist eine Lücke, die die Fragestellung aufwirft: Wie betreuen Lehrer selbständiges Lernen im Sportunterricht? (vgl. Kapitel 4).

Die Ergebnisse von Studie II5F[6] - die sich mit dieser Fragestellung befasst - weisen auf zweierlei hin. Erstens, dass das sozialkonstruktivistische Fundament des Scaffolding-Ansatzes eine geeignete theoretische Grundlage zur Beantwortung der Fragestellung der Untersuchung aber auch für zukünftige Arbeiten zur Verfügung stellt. Zweitens, dass eine gegenstandsspezifische Modellierung der untersuchten Betreuungsprozesse auf der Basis des in Studie I entwickelten Problemlösemodells eine sinnvolle Anpassung darstellt.

Zum anderen fiel auf, dass das Angebot an Theorien, die versuchen den Gegenstand des Lernens im Sportunterricht zu erfassen – also einen essentiellen Aspekt der ersten Studie betreffen - erstens sehr verschieden sind und auf unterschiedlichen Ebenen versuchen die Empirie mehr oder weniger detailliert zu modellieren, und zweitens nur in geringem Maße in der Lage sind den untersuchten Daten gerecht zu werden (vgl. Kapitel 3.1). Diese Feststellung führt zur Fragestellung von Studie I nach Strukturen selbständigen Lernens im Sportunterricht.

Ein prinzipieller Unterschied bei der Recherche möglicher theoretischer Grundlagen findet sich in der Unterscheidung von phänomenologisch-bildungstheoretischen Ansätzen – wie sie vor allem in der Sportpädagogik rezipiert werden - und kognitionspsychologischen Ansätzen – die in der Sportwissenschaft vor allem in der Bewegungswissenschaft Berücksichtigung finden, aber auch in der pädagogisch-psychologischen Unterrichtsforschung. Die Pluralität dieser Ansätze - die einerseits wissenschaftstheoretisch als unvereinbar dargestellt werden (vgl. Kapitel 3.1.3), aber durch ihre unterschiedlichen Ansatzpunkte auf jeweils wichtige Aspekte verwiesen haben – ließ zu Beginn der Untersuchung keine eindeutige Entscheidung zu und führte zu dem durchgeführten qualitativen Forschungsansatz. Eine Verbindung der verschiedenen Aspekte wurde erneut durch einen Ansatz jenseits des sportwissenschaftlichen Horizonts gefunden, und zwar durch Problemlösetheorien (vgl. Kapitel 3.1.4).

Die Ergebnisse von Studie I zeigen einerseits, dass Theorien des Problemlösens und deren gegenstandsspezifische Adaption durch diese Untersuchung einen geeigneten gegenstandsangemessenen Rahmen bieten, um Lernprozesse zu modellieren. Andererseits hat sich die so modellierte Struktur der Lernprozesse als Ansatzpunkt für die Betreuungsprozesse und deren Beurteilung nach Graden der Angepasstheit / Adaption bewährt. Letzteres – die Klassifikation verschiedener Grade der Adaption (vgl. Kapitel 4.2.3) – soll aus Sicht des Autors als Kernergebnis der gesamten Untersuchung verstanden werden.

Betreuung selbständigen Lernens im Sportunterricht

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