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Am Plateau beim Anlegeplatz im Seedom standen die diensttuenden Wachen und vertauten U.10. Möller berichtete über die letzten vierzehn Stunden, seitdem U.10 ausgefahren war.

Die Fische wurden auf eine kleine Lowry verladen und der Miniaturzug fuhr ab.

Es hatte sich einiges in der »Stadt unter dem Meere« geändert.

In Dom 2 waren neben dem Kreuz des armen Haller noch zwei neue errichtet.

Zwei gute Kameraden waren kurz nacheinander gestorben. Ein Schweißer kam durch den elektrischen Starkstrom ums Leben. Der Tischler Klüberle, ein biederer gemütlicher Badenser, war an Heimweh und an gebrochenem Herzen zugrunde gegangen.

Im großen Maschinendom waren eine Anzahl Maschinen mit Bretterverschlägen und Persenningen zugedeckt.

Im Wohn- und Schlafdom hatten die Mannschaften schöne wohnliche Kojen gebaut. Immer je zwei Mann bewohnten ein »Zimmer«.

Im Dom 8 war ein kleiner See angelegt; Enten und Gänse schwammen dort umher.

Gleich im Winter 1918 hatte Möller es durchgesetzt, daß von dem Wassergeflügel nichts mehr in die Küche wanderte, außer den überschüssigen Erpeln und Gänserichen. Die übrigen Tiere blieben zur Brut.

»Denn«, sagte Möller, »Enten und Gänse können zur Not auch mit Fischen genährt werden, während man von den Hühnern gleich über 100 Stück in einigen Wochen verzehrt, um für die restlichen 60 Stück das vorhandene Futter zu strecken.«

Dann war von dem guten Möller eine große Pilzzucht in dunklen Mistbeeten angelegt worden. Vortreffliche Champignons hatte er gezüchtet. Als er seinerzeit – da noch wöchentlich zwei Verpflegungsboote aus der Heimat alles Nötige brachten – um verschiedene Sämereien und Pflanzen gebeten, hatte man ihn ausgelacht, aber doch seinem Wunsche willfahrt, da er all diese Dinge von seiner Löhnung bezahlte.

Seit eineinhalb Jahren hatte Möller mit Hilfe des Kochs Klusmeyer experimentiert, und da er seinerzeit aus dem vorhandenen Heu eine Unmenge Futtersamen in wochenlanger Geduld gesammelt, so hatte er eine Anzahl großer Bogenlampen, die in den anderen Domen überflüssig geworden waren, über ein großes von ihm bearbeitetes Stück Boden, das er mit Mist aus den Ziegen- und Geflügelställen düngte, gehängt.

Und, o Wunder, es wuchs! Es wuchs helles Gras. Die künstlichen, Millionen Kerzen starken Lichtstrahlen ersetzten die Sonne zum Teil, und die noch vorhandenen Ziegen und der Bock fraßen mit Vorliebe dieses helle saftige Gras.

Man hatte die Ziegen, bis auf die zwei, abgeschlachtet und somit das Futter auf weit über die doppelte Zeit gestreckt.

Auch die Kaninchenzucht war bis auf zwei Pärchen den Weg alles Irdischen gegangen.

Eine Schar Hunde und Kanarienvögel bevölkerten die »Stadt unter dem Meere«.

Die Hunde wurden leicht mit Fischen verpflegt und für die Vögel war noch genügend Futter vorhanden.

Ein äußerst wichtiges Lebensmittel aber entbehrten die Eingeschlossenen seit Wochen. Es gab kein Brot mehr, denn der Mehlvorrat war zu Ende gegangen. Auch Kartoffeln fehlten schon lange.

Konserven waren noch in Menge vorhanden. Es gab Fleisch-, Fisch-, Gemüse-, Obst- und eine große Auswahl anderer Konserven. Dann hatte man die Zweitaschenmuschel aus dem Seedom als Nahrung versucht; der Koch hatte ein Rezept dazu gefunden und nun gab es jede zweite Woche »farbige Zweitaschenmuschel mit pikanter Soße«.

Das geistige Niveau der Mannschaft stieg ungemein. Fast alle konnten fließend englisch, italienisch, französisch und portugiesisch sprechen. Diese letztere Sprache wurde von einem Offizier gelehrt, der lange Jahre in Südamerika gelebt und sie vollkommen beherrschte.

Die meisten Unterhaltungen wurden in fremden Sprachen geführt. Mancher Scherz entstand. Schröder, der anscheinend verlernt hatte, »Danke schön« zu sagen, sprach seinen Dank nur auf portugiesisch aus »Molto obligato!«

Der physische Gesundheitszustand ließ, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nichts zu wünschen übrig. Der psychische jedoch um so mehr. Die Leute wurden – besonders im letzten Halbjahr – von Woche zu Woche stiller und in sich gekehrter. Die Natur forderte ihr Recht und auch die vielen niederschlagenden Mittel halfen nichts, die Dr. Katzberg heimlich ins Essen praktizierte.

Verschiedentlich hatte man Versammlungen abgehalten und die Frage erörtert, ob man heimkehren solle. Immer wieder wurde nach langen Beratungen, auf Grund der aufgefangenen Funkberichte, beschlossen, in der »Stadt unter dem Meere« zu bleiben und normale oder wenigstens bessere Zeiten zur Rückkehr abzuwarten.

Niemand von den Leuten wollte die Heimat in den Händen unfähiger Politiker wiedersehen.

Die Funkstationen brachten stets Berichte über die Auswüchse des Kommunismus, der ganz im Fahrwasser des russischen Bolschewismus segelte.

Durch Vorträge waren die Leute in der »Stadt unter dem Meere« aufgeklärt worden, daß man mit der sogenannten allgemeinen Verbrüderung der Völker einen allgemeinen Zusammenbruch erlebt hatte.

Wo waren die französischen, die englischen, die italienischen Brüder, die helfend und versöhnend die ausgestreckte deutsche Hand nahmen?

Wo blieb die Verwirklichung der Versprechungen, die seit Jahren von den phrasendreschenden Agitatoren in Aussicht gestellt worden waren?

Keine Hand rührte sich. Der französische Proletarier war von derselben Rachgier und dem gleichen Haß gegen alles Deutsche beseelt wie der Bürger. Der englische Arbeiter ist ein zu großer Ignorant, um auch nur darüber nachzudenken, ob etwas wahr oder erlogen. Er haßt den Deutschen, weil er – wenn auch oft unbewußt – fühlt, daß ihm der Deutsche, insbesondere der deutsche Arbeiter, an Geist, Auffassungsgabe und Allgemeinbildung weit überlegen ist. Der Engländer, ob Adel, Bürger oder Proletarier, verschlingt die mit handgreiflichen Lügen gespickten Zeitungen, und wenn er auch nicht immer glaubt, was darin steht, so hält er sich doch daran und sagt einfach: »Well, it is in the newspapers and that settles it.« (Es steht ja in den Zeitungen und das genügt.)

Mader dachte häufig über diese Dinge nach.

Kommunismus?! Das, was diese Leute Kommunismus nennen, ist gar keiner. Die Herrschaft einer einzigen Klasse wollen sie. Jede Individualität soll unterdrückt werden. Den Intellekt in eine Zwangsjacke sperren, einseitig denken und fühlen ist ihr Wunsch.

In dieser kleinen Gemeinde, in der »Stadt unter dem Meere«, herrschte eigentlich der wahre Kommunismus. Doch hier überwog die Liebe zum Vaterlande alles. Hier kannte man keine Diktatur, es gab einen allgemeinen Willen und nicht den des Einzelnen. Der Bolschewismus Rußlands hat sich als krasser und brutaler Absolutismus, schlimmer als jener der Zarenherrschaft, gezeigt. Wenn früher eine Clique reaktionärer Hofschranzen in Rußland die Politik beeinflußte und despotisch jede Aufklärung unterdrückte, so geschieht dasselbe jetzt, in entgegengesetzter Richtung, auf noch viel einseitigerem Wege.

Jede Musikkapelle und jedes gute Orchester braucht einen Dirigenten. Wenn jeder Musiker den Taktstock schwingen wollte, was wäre damit gewonnen?

Bis zur Stunde ist das Weltbeglückende der Lehre des Bolschewismus nicht in Aktion getreten. Noch ist das Elend übergroß und eine Gegenströmung darf sich nicht hervorwagen, da sonst die Todesurteile viel rascher vollstreckt werden, als in den ärgsten Zeiten des Zarismus.

Mader hatte eine Besprechung mit seinen Kameraden abgehalten und berief nach Schluß der Arbeitsstunde die Mannschaften nach Dom 9.

Die Leute merkten, daß es etwas Besonderes gab und warteten ungeduldig auf die Eröffnungen des Kapitäns.

Als Mader vor die Versammelten trat, war er sehr bewegt. Mit stark vibrierender Stimme begann er:

»Wie Ihr aus den heutigen Nachrichten erseht, ist in unserer Heimat die Unordnung größer denn je. Immer wieder muß ich betonen, daß ich nicht für mich spreche. In den vielen Jahren unseres Beisammenseins hat sich manches geändert. Doch unwandelbar bleibt die Liebe zur Heimat. Wir haben hier ausgeharrt. Wir wollen nicht zurück, bevor nicht geordnete Zustände in unserer Heimat eingetreten sind. Wir hofften, daß in einiger Zeit, in Wochen, Monaten, sich alles einrenken werde. Bald drei Jahre sind es her, daß der Krieg beendet und noch immer ist kein Ende der feindlichen Bedrückungen, kein Ende der inneren Kämpfe abzusehen.«

Aufmerksam lauschten die Männer.

»Wir haben hier in diesen Jahren Kulturarbeit geleistet. Ohne Hilfsmittel von außen wurden große Errungenschaften auf dem Gebiete der Technik gemacht. Und nicht nur der Technik. Unser guter Möller hat es sogar zustande gebracht, uns hunderte Meter unter der Erde einen Garten und ein Feld zu schaffen. Möller ist der Erfinder des hellen Grases.«

Die Leute schmunzelten.

»Man braucht darüber nicht zu lachen«, fuhr Mader fort, »wer weiß, zu welch weiteren Entwicklungen die Erfindung Möllers führt, wenn sich ihrer die Wissenschaftler bemächtigen?

Aber ich will nicht, daß wir ganz von allem abgeschlossen bleiben.«

Mader hob die Stimme:

»Wieder muß ich die Frage stellen: Will einer von euch zurück, so möge er es sagen. Wir werden fest zusammenstehen und ihn von seinem Schwur entbinden.«

Es meldete sich niemand, obwohl einzelne verlegen zu Boden blickten und aufseufzten.

»Wir wollen niemanden zwingen, sich länger den Entbehrungen auszusetzen. Obwohl weder ich noch einer der Herren den Wunsch hat, nach Deutschland zurückzukehren, solange dort nicht Ordnung herrscht, so sind wir doch übereingekommen, es jedem freizustellen, nach eigenem Ermessen zu handeln.«

Alles blieb still.

»Ick gläuw, wi bliewt hier, Herr Kaptain«, sprach Möller in seinen langen Spitzbart hinein.

Keiner meldete sich sonst.

»Nun«, sprach Mader weiter, »ich habe mit den Herren beschlossen, daß wir mit unserem Klein-U.1000, der neuen Erfindung, morgen abend ausfahren und einige Mann, ziemlich nahe bei den Felsen von Bergeggi, auf eines der Ruderboote aus Dom 1 mit kleinem Mast und Segel aussetzen.«

Überrascht hörten die Leute zu.

»Die Leute sollen die großen alten Postsäcke, aus denen alle Inschriften herausgeschnitten werden, mitnehmen, sich in die Dörfer begeben und dort einkaufen. Göbel, Maxstadt, Herdigerhoff und Rinseler sind der italienischen Sprache vollkommen mächtig, sehen südländisch aus und werden als vernünftige Männer alles richtig besorgen.«

Die vier Genannten sahen überrascht auf Mader.

»Alleräußerste Vorsicht ist dringend geboten. Ihr dürft nicht beisammen bleiben, sondern jeder hat sich nach einem anderen Orte zu begeben. Möglichst unauffällig muß euer Benehmen sein. Eure Uniform müßt Ihr nach Belieben abändern, denn Ihr dürft nicht gleichmäßig gekleidet sein. Wenn die Gelegenheit gegeben ist, so kauft euch alte Kleider.

Rinseler! Sie müssen bis Savona. Dort telefonieren Sie Fratello Rossi, Speditionsgesellschaft in Genua, an, und fragen, ob nicht eine Tasche für Sennor Almeida aus Zürich dort lagert. Seien Sie vorsichtig und antworten Sie auch portugiesisch, wenn man Sie fragt, ob Sie Portugiese sind.«

Rinseler nickte.

»Ist die Tasche oder sonst etwas dort, so bitten Sie, daß man es bahnpostlagernd nach Savona unter demselben Namen schickt. Verstanden?«

»Jawohl, Herr Kapitän.«

»Klappt die Geschichte, so werden wir es so einrichten, daß bald ein anderes Quartett auf ›Landurlaub‹ geht.«

Alle lachten. Die Aussicht, wieder mal Tageslicht zu sehen, war zu verlockend.

»Am Abend, nach Dunkelheit, findet Ihr euch wieder bei eurem Boote ein und rudert gegen zweitausend Meter SSW. Punkt neun Uhr tauchen wir auf und nehmen euch an Bord. Eure Laterne wird uns den Weg weisen.«

»Vergeßt bloß nicht, Vogelfutter und Zwiebeln und Möhren und Butter zu bringen!«

Möller sprudelte das hastig hervor.

»Mensch, und Priem, son ordentlichen dicken swatten Priem!«

»Jo, un wat to smöken!«

Tausende von Wünschen wurden laut. Mader beschwichtigte. Alles, was sie erhalten könnten, sollte in den vier großen Postsäcken verstaut werden.

· · ·

Am folgenden Abend um sieben Uhr war man zur Abreise gerüstet.

Die vier Landurlauber, die ihre Uniformen unauffällig abgeändert hatten, stiegen mit den Postsäcken durch die Einsteigluke des in der »Stadt unter dem Meere« erfundenen und erbauten neuen kleinen U-Boot-Typs U.1000.

U.1000, nur zwölf Meter lang und mit einer vom Oberingenieur Klebinder erfundenen Akkumulatorenbatterie ausgestattet, die sich durch Kontredrehungen immer von neuem lud und so bis zur Verbrennung der Zinkbatterien durch vier Tage oder sechsundneunzig Stunden, Kraft gab.

Dieses kleine Boot hatte einen Aktionsradius von zweihundertundfünfzig Seemeilen und eine Geschwindigkeit von achtzehn Knoten über Wasser, unter Wasser lief es vierzehn Knoten.

Alle Einrichtungen waren durch lange Experimente und gründliches Studium verbessert. Das Boot konnte schneller auf- und untertauchen. Die Scheinwerfer waren vervollkommnet und durch Ineinanderschleifen der Parabolspiegel imstande, kräftiger zu wirken. Insbesondere unter Wasser. Die Sehschlitz- und Periskopvorrichtung für Unterwassersichtung war neu angeordnet.

Mader händigte jedem der Leute englisches, amerikanisches und italienisches Geld ein.

Punkt acht Uhr dreißig tauchte fünf Seemeilen von der Küste von Bergeggi entfernt, U.1000 aus dem Wasser. Die Luke wurde zurückgeschlagen und die Mannschaften kamen eilig an Deck.

Mader hielt Umschau. Kein Boot war in der Nähe.

In der Ferne zuckten die Lichter von Savona und südöstlich davon Genua mit dem Leuchtfeuer davor. Westlich konnte man die Fenster des großen Hotels von Spotorno im vollen Lichterglanz sehen. Ganz weit, hinter Spotorno, flimmerten die Lichter von Noli und der Leuchtturm von Capo di Noli. Ein Rivieraexpreß fuhr eben mit leuchtenden Augen aus dem Tunnel von Capo di Noli.

Rasch wurde das Boot zu Wasser gelassen, die Säcke wurden verstaut, und mit kräftigen Ruderschlägen entfernte es sich.

U.1000 fuhr in voller Fahrt hinaus in die See.

Die Stadt unter dem Meere

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