Читать книгу Die Stadt unter dem Meere - Joseph Delmont - Страница 28

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Rinseler saß am Steuer, während die anderen drei, trotz des Segels, angestrengt ruderten.

Die Flaute ließ das Segel schlaff und bewegungslos hernieder hängen.

Das kleine Inselchen östlich von Spotorno kam in Sicht. Es lag öde und verlassen. Kurz nach Kriegsende war die Scheinwerfer- und Wachtabteilung von der Insel abgezogen worden.

U-Bootsucher kamen um ihren beneideten Faulenzerposten.

Die Fischer und sonstigen Freier aus den umliegenden Orten hatten alles brauchbare Holz entfernt.

Wie vor dem Kriege standen nur die Mauerreste einer früheren kleinen Ansiedlung.

Mit raschen Schlägen näherte sich das Boot.

Göbel stand vorne und sah forschend in die sternenhelle Nacht hinaus.

Nichts regte sich auf dem Eilande.

An der Insel vorbei, ging es gegen die felsige Küste zu.

Tiefe Stille herrschte. Von Spotorno schlug eine Turmuhr die zehnte Stunde.

Eine tiefe Felsengrotte, bizarr und phantastisch, öffnete sich an den steilen Uferfelsen. Mit eingezogenen Rudern und gerafftem Segel fuhr das Boot lautlos über die leichte Brandung.

An der Grotte stieß das Boot sachte einen Felsen hinauf.

Göbel sprang als erster an Land und zog das Tauende mit dem Boot die Schräge hinauf. Die anderen folgten.

Das Boot wurde ganz aus dem Wasser geholt und festgemacht.

Maxstadt sog die Luft in tiefen Atemzügen ein. Ein eigenartiges Gefühl beschlich ihn. Heiß lief es ihm über den Rücken.

Fünf Jahre und zwei Monate waren es gerade jetzt, daß er zum letzten Male auf fester Erde, im Freien gestanden!

Einem Impulse, einem inneren treibenden Muß folgend, sank er in die Knie und faltete betend die Hände.

Ein befreiendes Gefühl beschlich ihn.

Die andern waren mit Staunen dem Beginnen Maxstadts gefolgt. Fast gleichzeitig nahmen sie die Mützen ab und senkten betend das Haupt.

An der steilen Felsenwand kletterten sie hoch.

Oben lag die weiße, staubige Rivierastraße, gleich dahinter liefen die Gleise der Rivierabahn Genua-Nizza.

Die vier Männer standen still und lauschten in die Nacht hinaus. Sie waren so bewegt, daß sie nicht sprechen konnten.

Eine kurze Beratung, dann ging Rinseler auf der Straße nordwärts gegen Bergeggi nach Savona.

In einer halben Stunde sollte Herdigerhoff folgen und in Bergeggi übernachten.

Maxstadt nahm den Weg nach Spotorno und wollte in Noli nächtigen.

Göbel sollte beim Boot bleiben und gegen Tagesanbruch nach Spotorno gehen.

Fast taumelnd schritt Maxstadt die Straße entlang.

Fünf Jahre! Fünf Jahre war er nicht auf festem Boden unter freiem Himmel gewesen. Fünf, fünf lange Jahre! Er lachte in sich hinein, sprach mit sich selbst, ging an die hohen, mit weißem Staub überzogenen Kakteen, die den Straßenrand einsäumten, heran, befühlte sie und ließ sich von einem Stachel stechen. Er riß Büschel von Gras und Unkraut vom Wegrand aus und sog tief, tief den herben Duft ein. War es denn Wahrheit? Ging er wirklich auf der Straße unter freiem Himmel? War da keine Tropfsteindecke über ihm? Mit raschen Schritten trabte er fürbaß.

Da erdröhnte die Erde und ein langes Pfeifen durchschnitt die Stille der Nacht.

Der Expreß Genua—Nizza brauste an dem einsamen Wanderer vorbei, um in Spotorno mit quietschendem Geräusch zu halten.

Die Lichter der kleinen Stadt kamen näher. Die Fenster des großen Luxushotels waren erleuchtet. Ein leiser Wind hub an und trug die Töne einer Musikkapelle herüber.

Plötzlich stand Maxstadt still. Angestrengt horchte er in die Nacht hinaus.

Silbernes Mädchenlachen klang durch das Dunkel. Das Lachen einer Frau. Wie lange hatte er das schon nicht gehört?

Während der fünf Jahre war das Bild der Mädchen und Frauen langsam zu etwas Eigenem, Unfaßbarem in den Köpfen der Höhlenbewohner geworden. Die erregte Phantasie hatte in fortgesetztem Denken einen irren, krausen Weg im Gehirn geschaffen. In tausendfacher Gestalt war »das Weib«, im Wachen wie im Traum, erschienen und zu etwas Schemenhaftem, Unnatürlichem geworden. Nur die Arbeit, das Studium, das Turnen und nicht zum mindesten die Bromportionen von Dr. Katzberg hatten geholfen, die Gedanken von den Frauen abzulenken. Doch waren sie alle Männer in den besten Jahren, kräftige und gesunde Menschen.

Die Phantasie war das häßliche Gespenst, das die Sinne trotz allem aufpeitschte und den Körper leiden ließ. Die Natur forderte ihr Recht.

Wieder erklang das Lachen. Waren es Frauen oder Mädchen?

Der Schweiß lief Maxstadt am ganzen Körper herab und trotzdem spürte er kalte Schauer im Rücken. Er trocknete sich die Stirne, atmete tief auf und schritt langsam weiter.

Jetzt kam er am Gartengitter des Hotels vorbei.

Dickstämmige Palmen standen in gleichen Reihen. Dazwischen zogen sich Wege und Beete hin.

Ein starker Duft von Blumen strömte zur Straße hinaus.

Im großen Saale wurde getanzt.

Maxstadt stand mit offenen Augen am Gitter und starrte durch das Dunkel des Gartens zu den lichterfüllten Fenstern des Tanzsaales.

Frauen! Mädchen! Mit nackten Schultern und Armen, weiß wie Alabaster.

Frauen mit leuchtenden Augen! Frauen, mit schwellenden Lippen, lagen in den Armen schwarzbefrackter oder uniformierter Herren und drehten sich im Kreise.

Den Mund halb geöffnet, die glänzenden Augen zu dem Manne erhoben, lächelten sie: »So komme doch! Küsse mich! Fühlst du nicht, wen du in deinen Armen hältst? Bist du blind?«

Maxstadt sah mit heißem Brennen in der Brust in den Saal. Wie lang ist es her, daß er ein Mädchen in den Armen gehalten, geherzt und geküßt? Wie lange ist es her? Undenkliche Zeiten.

Er wandte den Blick ab und wollte weiter gehen, doch ein Schwindelgefühl packte ihn. Fast wäre er gefallen. Langsam ließ er sich auf dem Rand des Postaments am Gitter nieder. Seine Zähne schlugen hörbar aneinander.

Der Kies im Garten knirschte plötzlich ganz in seiner Nähe.

Ein Herr und eine Dame blieben kurz vor dem auf dem Stein kauernden Maxstadt stehen. Sie sprachen kein Wort. Der Mann legte den Arm um die Hüfte des Weibes und küßte sie. Ihre Arme flogen um seinen Hals und preßten den Kopf des Mannes in heißer Leidenschaft an die Lippen. Unbeweglich standen die Beiden Mund an Mund. Im Kusse vergehend.

Maxstadt wollte schreien, doch er konnte nicht. Der Duft des Weibes drang herüber und verursachte einen Rausch in seinem Gehirn. Er raffte sich auf und taumelte die Straße entlang.

Durch das schlafende Spotorno ging der Weg. Dann kam wieder die Landstraße.

Mit zusammengepreßtem Munde stapfte Maxstadt vorwärts. Seine Lippen waren heiß und trocken. Nur weiter, weiter.

In Noli war noch pulsierendes Leben.

Noli, die pittoreskeste Stadt Italiens. Das bildhaft schönste Nest am Ligurischen Meer.

Maxstadt schritt durch die engen, von Bogen überspannten Gäßchen. Die Laternen baumelten an Ketten in der Mitte der Straßen und wurden vom Wind leise bewegt. Die Schatten an den Hauswänden und auf dem Pflaster bewegten sich gespenstisch hin und her.

Über Treppen, durch nur zwei bis drei Meter breite Gäßchen schritt der erregte Maxstadt hinauf und hinunter.

Ein kleiner freier Platz mit mehreren Heiligenstatuen breitete sich im Sternenlicht der Nacht aus.

An einer Haustüre lehnte ein Weib. Schwarzes Haar in der Stirne. Spuren einstiger Schönheit. Sie weinte still vor sich hin.

Sie wollte ihren Mann aus der Schenke holen. Seit fünf Tagen war er nicht draußen auf dem Wasser gewesen. Aber bei Martino, dem Hafenwirt, war ein neues großes Faß Barbera angekommen. Schwarzrot, dickflüssig. Eine Gabe Gottes.

Sie muß darben und der Mann versäuft die letzten Soldi.

Maxstadt biegt um die Ecke, sieht die Frau und geht auf sie zu.

Sie nimmt das Tuch von den Augen.

»Kann ich hier wo über Nacht bleiben?«

Ohne fremden Akzent stößt er die Frage hervor.

Die Frau sieht in das weiße Gesicht des Mannes und erschrickt vor seinen glühenden Augen. Langsam zieht sie sich in den Torweg zurück und deutet wegweisend mit dem Finger die Straße hinab.

Er geht nicht, sieht die Frau nur an. Bittend hebt er die Hände. Sie ist unfähig, sich zu rühren.

Da packt er ihre Hände und preßt sie an seinen Mund. Heiß vom Fieber sind seine Lippen. Die Frau will ihre Hände zurückziehen; er aber hält sie an den Mund gepreßt.

Schritte erschallen in der Ferne.

Erschreckt zieht das Weib Maxstadt in die Toreinfahrt. Um Gottes willen, nicht gesehen werden! Kein Mensch würde ihr die Geschichte glauben. In diesem kleinen Nest würde man nur das Schlechteste von ihr denken.

Draußen kommen die Schritte näher. Ängstlich preßt sie sich in die Ecke hinter der Tür.

Maxstadt mißversteht ihre Bewegung und drückt sie heftig an sich heran.

Die Schritte verhallen.

Maxstadt hat mit seinem brennenden Munde den ihren gefunden und gräbt seine Zähne in ihre Lippen.

Sie will schreien und kann nicht. Fest hält er ihren Mund verschlossen. Ihr schwindelt.

Seit Wochen wurde sie von ihrem Manne, dem Trunkenbold, vernachlässigt und geschlagen. Dreißig Jahre war sie erst alt. Heißes italienisches Blut durchbrauste ihre Adern. Alles um sich her vergessend, erwiderte sie brünstig seine Küsse. Sie zog ihn über den Hof in ihre Wohnung. Es war keine Gefahr, daß sie überrascht würden. Der Säufer von Ehemann torkelte erst immer morgens schwergeladen nach Hause.

Im Zimmer brannte nur unter einem Heiligenbild ein Öllämpchen.

In wilder Glut hatten sich die Beiden umfaßt.

In Fetzen reißt er ihr das Kleid, das Hemd. Wie ein wildes Tier wirft er sich über sie. Sie setzt ihre Zähne in seinen Hals und saugt seinen Lebenssaft in ihren glühenden Mund. Das Lämpchen flackert und wirft gespenstische Schatten an die Wand.

Ein Luftzug verlöscht den Docht an der Lampe.

Zwei Menschen in heißer Umschlingung vergessen Gott, Pflicht und die Welt.

Im ewigen Kreislauf des Lebens, das alte Lied der sündigen Lust.

Die Stadt unter dem Meere

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