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3.3 Neue Führungsaufgaben

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Anhänger der Balanced Scorecard müssten spätestens jetzt die üblichen Dimensionen Leistungsstrategie, Personalstrategie, Marktstrategie und Finanzstrategie um eine weitere, ebenbürtige Dimension erweitern: um die Veränderungsstrategie. Die Veränderungsstrategie beantwortet die nicht ganz leichte Frage, wie ein Krankenhausunternehmen sich dauerhaft auf die Erwartungen seiner Patienten einstellen und den Anforderungen des Marktes gerecht werden kann. In einer Welt des Wandels und des Wettbewerbs bedeutet Stillstand stets Rückschritt. Die Balanced Scorecard skizziert eher einen zukünftig angestrebten Status in vier Dimensionen, ein anzustrebendes Ziel. Dagegen fragt die Veränderungsstrategie danach, welche Strukturen, Prozesse und Methoden für eine Organisation geeignet erscheinen, damit sie sich stetig und kontinuierlich verbessert und verändert.

Es geht um die Kompetenz zur Selbstdynamisierung. Es geht darum, Ziele zu erreichen, die das Management heute nicht einmal benennen könnte. Wie schafft ein Unternehmen eine solche Veränderungskultur? Wie kommen Unternehmen, eine ganze Organisation und ihre Mitarbeitenden von A nach B?

Im Zustand A befindet sich eine Organisation in der Starre des Hier und Jetzt. Führungskräfte aktueller Prägung fordern Veränderung, sie setzen Ziele, sie wollen Veränderung durchsetzen. Aber nur selten oder nur punktuell finden sie wirksame Wege, um ihre großen und komplexen Organisationen auf breiter Front in Bewegung zu setzen. Ihnen fehlen schlicht die Mittel und Möglichkeiten, um ihre Mitarbeitenden (zentral) darin zu unterstützen, Veränderung nachhaltig zu betreiben. Mitarbeitende wiederum sehen sich ständigen Forderungen ausgesetzt, die sie nicht erfüllen können, und dies zumeist, ohne dass es ihnen wirklich bewusst wäre. Sie werden von ihren Führungskräften mit dieser Aufgabe weitgehend alleine gelassen. Nicht ohne Grund empfinden Führungskräfte ihre Tätigkeit als ein permanentes Anrennen gegen Mauern und einen Kampf gegen Windmühlen. Hier liegt die Ursache: Die Organisation und ihre Mitarbeitenden verfügen weder über die notwendigen Strukturen und Methoden noch über die Kompetenz zur Veränderung. Es fehlt nicht am Willen, sondern an den Mitteln.

B dagegen markiert einen Zustand, in dem der Fokus einer ganzen Organisation darauf gerichtet ist, Prozesse stetig zu verbessern, Qualität zu steigern und Kosten zu senken. Veränderung ist zur Überlebensstrategie für das Unternehmen geworden, zur Gewohnheit. Verbesserung und Veränderung sind ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur.


Abb. Dreiklang der Führung © Jörg Gottschalk

Der Zustand B und der damit einhergehende kulturelle Wandel eines Unternehmens ist konkret daran zu erkennen:

 Der Patient steht tatsächlich im Fokus, weil das, was er will, zu einem Prozessziel wird und damit eine messbare Orientierung für alle bietet.

 Ärzte und Pflegekräfte diskutieren nicht mehr getrennt voneinander über ihre Organisation. Die Prozessbeteiligten sprechen miteinander. Prozesse kennen schließlich keine Berufsgruppen, sie kennen nur Qualifikationen und Aufgaben.

 In einem Controllinggespräch muss nicht der Chefarzt oder die Chefärztin Rechenschaft über das Ergebnis und den Zustand der Abteilung ablegen, sondern alle unmittelbar im Prozess Verantwortlichen dürfen und müssen zeigen, wie sich ihre Organisation und ihr Ergebnis verbessern.

 Verbesserung wird in allen Abteilungen gleichzeitig in gemeinsamer Arbeit realisiert; in kleinen Schritten, stets mess- und sichtbar. Entscheidungen verlassen ihre bürokratischen Instanzen. Jeder noch so kleine (Verbesserungskrümel wird aufgesammelt. Auf nichts wird mehr gewartet in der irrigen Hoffnung, es käme irgendwann einmal etwas Besseres (z. B. ein neues Gebäude, ein IT-System). Parallelität und Schnelligkeit sind Selbstzweck.

 Führungskräfte verlassen ihre Schreibtische und Besprechungsräume. Sie begeben sich dorthin, wo die Musik spielt: auf die Stationen, die Funktionsbereiche und OPs. Sie helfen ihren Mitarbeitenden vor Ort, sie entscheiden im Angesicht der Betroffenen und beteiligen sich direkt und unmittelbar an der Verbesserung ihrer Organisation. Sie werden vom Entscheider zum Beteiligten.

Damit all das gelingen kann, entsteht für die Führung eines Krankenhauses eine grundlegend neue Aufgabe, die sich als solche leider nicht auf den ersten Blick zu erkennen gibt.

Die Führung eines Unternehmens nimmt sich der neuen Aufgabe an, ihre Organisation und ihre Mitarbeitenden aktiv darin zu unterstützen, ihre Behandlungsprozesse zu verbessern, und dies kontinuierlich und dauerhaft. Die Führung macht Verbesserung zu einem festen Bestandteil von Unternehmenskultur. Sie wird zur Entwicklerin der eigenen Organisation.

„Was ist daran neu?“, mag man sich fragen. Was sonst könnte ein Vorstand, ein Geschäftsführer, das Klinikdirektorium oder alle anderen hierarchisch Verantwortlichen zu ihrer originären Aufgabe erklären, wenn nicht das?

Die erste und vermutlich wichtigste neue Aufgabe einer Führungskraft besteht darin, der Veränderung einen Sinn zu geben und die Motivation der Mitarbeitenden nicht zu zerstören, die gerade im medizinischen Sektor zweifelsfrei vorhanden ist. Sehnsucht und Sinn verschaffen den Mitarbeitenden die nachhaltige Motivation für dauerhafte Veränderung. Kein anderes bekanntes betriebliches Führungsinstrument wäre geeigneter, dauerhaft das Maß an Energie zu erzeugen, das ein solch umfassender Veränderungsprozess benötigt. Keine Krankenhausorganisation wird sich grundlegend verändern können, wenn ihre Mitarbeitenden keinen Sinn darin erkennen – für das Unternehmen, aber vor allem für sich selbst und ihre Patienten.

Die zweite neue Aufgabe besteht darin, ihnen die Kompetenz und die Möglichkeit für Veränderung zu verschaffen.

Ihre dritte neue Aufgabe besteht in der Herausforderung, auch für sich selbst zu sorgen, selbst durchzuhalten, das eigene Rückgrat zu bewahren und dabei nicht der Versuchung zu unterliegen, einen solchen Prozess der kulturellen Veränderung über das Machbare hinaus zu beschleunigen. Es wird immer etwas geben, das kurzfristig mehr drängt als langfristige Veränderungen. Das nächste Quartalsergebnis lauert hinter der Tür. Das kurzfristig Notwendige wird zu einem latenten Feind des langfristig Sinnvollen. Doch Kulturveränderung benötigt Zeit, Motivation entwickelt sich nicht auf einen Schlag, Strukturveränderungen lassen sich nicht übers Knie brechen und eine Organisation kann niemals schneller lernen als ihre Mitarbeitenden. Eines ist gewiss: Kulturveränderung ist selten ein plötzliches Ereignis, sondern meist ein mühsamer, evolutionärer Prozess. Ich glaube, dass sich hier die Führungsspreu vom -weizen trennt.

Ich werde mich mit den grundlegenden Aspekten von Führung im Verlaufe dieses Buches ausführlicher auseinandersetzen. An dieser Stelle ist mir wichtig zu betonen: Lean Management ist mitnichten nur ein praktischer Methodenkoffer, sondern eine neue Führungsphilosophie. Die Führung eines Unternehmens verändert sich, weil sich das Unternehmen und seine Kultur verändern – et vice versa.

Die Führung verändert die Kultur und die Kultur verändert die Führung. Die Führung wird zu einer wichtigen Helferin und Entwicklerin ihrer Organisation.

Das schlanke Krankenhaus

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