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DIE „FINALE KRISE DES KAPITALISMUS“

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Wie gezeigt, ordnete Adler die Weiterentwicklung der sozialistischen Theorie den Erfordernissen der politischen Arbeit unter. Auf die Marx’sche These von der finalen Krise des Kapitalismus hatte er in den Jahren nach dem Hainfelder Parteitag wiederholt Bezug genommen,67 diese allerdings zehn Jahre später im Zuge der Revisionismusdebatte vorsichtig relativiert. Es werde „immer darüber diskutiert werden, … ob die kapitalistische Wirtschaft die Rapidität der technischen Entwicklung infolge der Ausdehnung der Märkte noch ertragen könne, oder ob sie, am Ende ihrer Elastizität angelangt, einer Katastrophe zutreibe.“68 Weiter wollte er in seiner Skepsis (vorerst) nicht gehen, um gewisse Kerngruppen und Funktionärsschichten der Partei nicht zu irritieren, deren Glaube an die Marx’schen Prognosen unerschüttert geblieben war.

Die junge Generation marxistischer Theoretiker empfand diesen Umgang mit theoretischen Problemen offensichtlich als unbefriedigend. Die „geschichtlicher Tendenz der kapitalistischen Akkumulation“ ist die zentrale Fragestellung des wohl berühmtesten ökonomischen Werks des Austromarxismus, Rudolf Hilferdings Finanzkapital (1910), die auch Otto Bauer unter anderem Blickwinkel in einem in der „Neuen Zeit“ veröffentlichten Beitrag behandelte.


Rudolf Hilferding (1877–1941), 1923.

In seinem Buch Das Finanzkapital, 1910 als Band 3 der Marx-Studien erschienen,69 von Kautsky als „4. Band“ des Kapital auf die höchstmögliche Ebene marxistischer Literatur gehoben, analysierte Hilferding die Entwicklung des Kapitalismus unter den Bedingungen der von Marx vorhergesehenen progressiven Konzentration und Zentralisation des Kapitals sowie dessen Mobilisierung durch Aktiengesellschaften, Banken und Börsen. Angetrieben wird der Prozess durch das Marx’sche Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate als Folge einer steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals.70 Die wichtigsten unter der Herrschaft des Finanzkapitals eintretenden Strukturveränderungen des Kapitalismus sind die Beschränkung des Wettbewerbs durch Kartelle, letztlich mündend in einem „Generalkar-tell“; das Entstehen einer Lücke zwischen Profiten und Investitionen, die durch Kapitalexporte in noch wenig oder gar nicht vom Kapitalismus erfasste Teile der Welt kompensiert wird (Imperialismustheorie); sowie eine verstärkte Indienstnahme des Staates durch das organisierte Kapital.

Die Konsequenz für die Frage der Krisenanfälligkeit des kapitalistischen Systems ist ambivalent. Einerseits „erscheint das Kapital als einheitliche Macht, die den Lebensprozess der Gesellschaft souverän beherrscht“, wodurch „die Frage nach der Organisation der gesellschaftlichen Ökonomie durch die Entwicklung des Finanzkapitals selbst immer besser gelöst wird“. Es handelt sich bei dieser Organisation „um die bewusst geregelte Gesellschaft in antagonistischer Form. Aber dieser Antagonismus ist Antagonismus der Verteilung.“71

Das Finanzkapital schafft „organisatorisch die letzten Voraussetzungen für den Sozialismus“, gleichzeitig „macht es auch politisch den Übergang leichter.“ Dieser Übergang ist nicht gewaltlos, das Ende des Kapitalismus ist nicht Folge eines ökonomischen Zusammenbruchs, wohl aber einer finalen Katstrophe politökonomischer Natur: Das Finanzkapital „vollendet die Diktatur der Kapitalmagnaten. Zugleich macht es die Diktatur der Kapitalbeherrscher des einen Landes immer unverträglicher mit den kapitalistischen Interessen des anderen Landes und die Herrschaft des Kapitals innerhalb des Landes immer unvereinbarer mit den Interessen der durch das Finanzkapital ausgebeuteten, aber auch zum Kampf aufgerufenen Volksmassen. In dem gewaltigen Zusammenprall der feindlichen Interessen schlägt schließlich die Diktatur der Kapitalmagnaten um in die Diktatur des Proletariats.“72

Eine originelle Konjunktur- und Krisentheorie des Kapitalismus entwickelte Otto Bauer im Zusammenhang seiner Kritik an Rosa Luxemburgs Die Akkumulation des Kapitals.73 Der mechanischen Zusammenbruchstheorie Luxemburgs stellte Bauer eine auf dem Kapital basierende Krisentheorie gegenüber. In dieser Krisentheorie gibt es einen Anpassungsmechanismus, der es dem Kapitalismus ermöglicht, die Bedingungen für gleichgewichtige Akkumulation immer wieder herzustellen. Maßgebliche Bestimmungsfaktoren des Krisenzyklus sind dabei das Wachstum der Bevölkerung bzw. des Arbeitskräftepotentials einerseits und die langfristige Tendenz zur Zunahme der organischen Zusammensetzung des Kapitals (c/v, Verhältnis von konstantem zum variablen Kapital). Die Akkumulation „vollzieht sich ohne Störung, sofern sie nur in einem bestimmten Größenverhältnis bleibt einerseits zum Wachstum der Bevölkerung, andererseits zur Entwicklung der Produktivkraft, die sich in dem Fortschritt zu höherer organischer Zusammensetzung des Kapitals ausdrückt“. Eine „objektive Grenze der Akkumulation“ sieht Bauer dann gegeben, wenn Bevölkerung und Arbeitskräftepotential nicht mehr wachsen. „Akkumulation wäre dann nur mehr in dem Maße möglich, als die Entwicklung der Produktivkräfte zusätzliches konstantes Kapital zur Beschäftigung einer unveränderten Arbeitermasse erheischt“. Allerdings wird der Kapitalismus schon „früher gefällt“, nicht durch die Unmöglichkeit der Mehrwertrealisierung, sondern als Folge einer „wachsenden Empörung … der Arbeiterklasse“.74

Weichen diese Krisentheorien in ihren Argumentationen grundlegend von der Version von Karl Marx ab, so haben sie jedoch beide eine markant anti-revisionistische Tendenz, indem sie eine finale Krise prognostizieren.

Friedrich Engels

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