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2. Die unerträgliche Ähnlichkeit des Gegners

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Auch wir sind für Härte, auch wir tragen Bärte, auch wir geh’n oft viel zu weit. Doch manchmal im Guten, in stillen Minuten, da tut uns verschiedenes leid. (FREDDY QUINN: Wir)

Sprachkritik ist zurzeit sowas von mega-in – mega-inner geht’s nimmer.1 Dies zeigt sich insbesondere an dem Erfolg der mittlerweile vierbändigen Buchreihe Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod von Bastian SICK. Diese Bücher sind Sammlungen von Sprachglossen, die ursprünglich in der Kolumne ‚Zwiebelfisch‘ auf SPIEGEL ONLINE veröffentlicht wurden. Es sind Bestseller, an die sich nun auch eine beispiellose multimediale Vermarktung in Form von Hörbüchern, Bühnenshows, Fernsehauftritten, DVDs, Gesellschafts- und PC-Spielen usw. anschließt.

Während SICKS sprachkritische Beiträge beim breiteren Publikum großen Anklang finden, sind sie insbesondere von Sprachwissenschaftlern wiederholt abgelehnt worden.2 Eine besonders umfassende Kritik der SICKschen Sprachauffassungen hat der Linguist André MEINUNGER mit seinem Buch Sick of Sick? (2008) vorgelegt. Der generelle Tenor dieser Arbeit kann dahingehend zusammengefasst werden, dass SICK viele sprachliche Phänomene zu undifferenziert beurteile, dass er seine Bewertungskriterien nicht klar bestimme, dass er in grammatischen und linguistischen Fragen zu unbedarft sei und dass er Entwicklungstendenzen der Sprache nicht gebührend berücksichtige.

Es wäre eine durchaus reizvolle Aufgabe, detailliert zu diskutieren, in Bezug auf welches Phänomen SICK oder MEINUNGER das Richtigere trifft. Diese Frage soll hier jedoch nicht im Vordergrund stehen. Statt dessen möchte ich die Debatte zwischen SICK und MEINUNGER von einer etwas höheren Warte betrachten. Hierbei will ich folgende Thesen vertreten:

1) Sowohl SICK als auch MEINUNGER stehen in einer Tradition, von der sie offenbar nichts wissen, die sie jedenfalls in keiner Weise reflektieren.

2) Dass die Geschichte des Konflikts zwischen normativer (= Normen setzender) und deskriptiver (= auf reine Beschreibung beschränkter) Sprachbetrachtung in der aktuellen Debatte weitgehend unberücksichtigt bleibt, ist ein gravierender Mangel, denn im Verlauf dieses lange währenden Streits wurden interessante Argumentationen entwickelt, deren Einbeziehung dazu beitragen könnte, das Niveau der aktuellen Debatte zu heben, aber auch zu verhindern, dass permanent das Rad neu erfunden wird.

3) Viele Sprachwissenschaftler, darunter auch MEINUNGER, betrachten die Auseinandersetzung mit normativen Sprachkritikern als notwendiges Übel, als Belästigung, die sie von ihren angeblich viel wichtigeren deskriptiven Bemühungen abhält. Hierbei verkennen sie jedoch, dass dieser Streit sogar aus genuin linguistischer Sicht fruchtbar war, indem er die Sprachwissenschaft um interessante Probleme bereichert hat. Auch aus dieser Sicht wäre eine historische Aufarbeitung dieser Debatte wünschenswert; sie ist ein nicht unwesentlicher Teil der linguistischen Fachgeschichte.

4) In einem FAZ-Beitrag vom 5. November 2006 hat der Journalist Claudius SEIDL in treffender Weise Bastian SICKS arrogante Attitüde charakterisiert: „Sick blickt nicht hinauf, er schaut herab – und denen, die er angreift, verbessert, kritisiert, möchte man immer wieder zur Seite springen“. Dieselbe überhebliche Einstellung haben aber auch viele heutige Sprachwissenschaftler gegenüber der normativen Sprachkritik, und gerade André MEINUNGER liefert hierfür ein Paradebeispiel. Für ihn ist alles, was dem Bereich des Normativen zugehört, suspekt. Die Duden-Grammatik als ‚normative Grammatik‘ ist für ihn genauso verdammenswert wie die SICKschen Glossen. Die Frage, ob auch dem Bemühen um Sprachpflege ein rationaler Kern zugrunde liegen könnte, kommt ihm gar nicht in den Sinn. Seine (angeblich) rein deskriptive Haltung untersagt es ihm von vornherein, mit den Vertretern der Sprachkritik eine sachliche Debatte zu führen. Noch vor wenigen Jahrzehnten waren viele Sprachwissenschaftler für normative Fragen weitaus offener. Auch deshalb ist es sinnvoll, sich mit den älteren Beiträgen zu beschäftigen. Dies bietet auch einen Anstoß dazu, die in der modernen Linguistik so beliebte Selbstbescheidung auf ‚reine Deskription‘ kritisch zu überprüfen.

Kurzum: Im Hinblick auf Traditionsbewusstsein und Toleranz sind SICK und MEINUNGER sich viel ähnlicher, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Und dies gilt nicht nur für sie, sondern für viele heutige Vertreter beider Lager.

Die hier skizzierten Thesen möchte ich im Folgenden untermauern. Im ersten Schritt soll der ‚SICK–MEINUNGER-Konflikt‘ fachhistorisch verortet werden.

Zuvor ein Wort zur Terminologie: Mit ‚Sprachpflege‘ sollen hier ganz allgemein solche Bemühungen bezeichnet werden, die darauf abzielen, die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft zu einem als vorbildlich angesehenen Sprachgebrauch zu veranlassen oder zu befähigen.3 Die Bezeichnungen ‚Sprachpflege‘, ‚normative Stilistik/Sprachwissenschaft‘, und ‚Sprachkritik‘ werden in den folgenden Ausführungen nicht sorgfältig voneinander geschieden. Natürlich kann man sich um eindeutige Abgrenzungen bemühen,4 doch haben diese das Missliche an sich, dass sich die in diesem Sektor tätigen Autoren höchst selten danach richten.5 Warum die Grenzen so unscharf sind, soll auch der folgende historische Abriss deutlich machen.

Sprache, Stil und starke Sprüche

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