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Schiffe versenken

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Port Said wird durch den regen Schiffsbetrieb zu einem Knotenpunkt des Weltverkehrs. Das setzt aber eine funktionierende Infrastruktur voraus, die den Hafen mit allem versorgt, was für einen reibungslosen Funktionsablauf nötig ist. Dazu zählt in erster Linie Kohle. Die mehrstündige Wartezeit vor dem Eintritt in den Kanal nutzen die Kapitäne, um neuen Treibstoff zu laden. Der Bedarf an Kohle ist gewaltig: Im Jahr 1899 übersteigt er die Menge von einer Million Tonnen. Herangeschafft wird der schwarze Brennstoff vor allem aus Großbritannien, genauer: aus Wales. Aber immer mehr interessieren sich auch andere Kohleregionen für den Absatzmarkt am Kanal, und so kommt um die Jahrhundertwende auch Kohle aus dem Ruhrgebiet nach Port Said, herangeschafft über Rotterdam, das damals im Begriff ist, sich zu einem der bedeutendsten Häfen weltweit zu entwickeln. Umgekehrt werden Port Said und Aden zu den größten Kohleverladestationen der Welt. Und weil in den beiden Städten immer mehr Zulieferer miteinander konkurrieren, wird die Kohle immer billiger. Doch nicht nur der Preis, auch die Verladezeiten bestimmen das Geschäft. Wartezeiten, die das notwendige Minimum überschreiten, können sich die Schifffahrtsgesellschaften im harten Konkurrenzkampf nicht leisten. Bis zu 3000 überwiegend ägyptische Kohleschlepper arbeiten darum in Port Said. Noch bevor die Schiffe angekommen sind, geben die Kapitäne ihre Bestellungen durch. Derweil sie die Verladestationen erreichen, werden dort die gewünschten Mengen bereits portioniert. Die entsprechende Zahl von Kohleschleppern steht bereit, und die Arbeit kann losgehen. Meist findet sie während der Nachtstunden statt. Im kalten Licht der Hafenbeleuchtung nähern sich die Schiffe der Arbeiter sowie die Lastkähne den großen Dampfern, deren Luken schon offen stehen. Über kleinen Rampen schleppen die Arbeiter ihre Körbe den Öffnungen entgegen. Eine endlose Reihe von Lastenträgern schiebt sich in die Dampfer, um das Schiff durch andere Luken wieder zu verlassen – eine Szene, die der britische Arzt Sir Frederick Treves 1904 als geradezu apokalyptisch empfand: „Der Strom der mit einem Korb beladenen Arbeiter könnte aus dem Krater eines Vulkans kommen, und es ist ein Wunder, dass sie nicht verbrennen oder ersticken. Die Arbeiter ähneln einander so sehr, dass sie aus einem einzigen, tausendfach reproduzierten Menschen bestehen könnten.“22

Unter solchen Bedingungen bleiben Arbeitskämpfe nicht aus. 1870 lehnen sich griechische Arbeiter gegen die Bedingungen auf, unter denen sie ihren Dienst zu leisten haben. Die Missstände werden zu Teilen abgestellt, doch 1885 folgt ein weiterer Streik, und einige Jahre später noch einer. 1893 suchen die Anführer der Arbeiter das Gespräch mit der Direktion der Compagnie. Dafür reisen sie nicht nach Alexandria, sondern nach Paris, denn nach wie vor werden die wesentlichen Dinge dort entschieden. Die Streikführer drohen, Schiffe zu zerstören und mit den Wracks den Kanal zu blockieren. Den Direktoren wird klar, wie viel Macht die Arbeiter über das Nadelöhr haben: Einige im Hafen versenkte Boote – und der gesamte Schiffsverkehr zwischen London, Marseille, Bombay, Schanghai und Tokio steht still.23 So ist das Angebot, das ihnen die Arbeiter machen, eines, das sie nicht ablehnen können.

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