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Ars latet arte sua

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In der kleinen Kunstgeschichte am Ende seiner grossen „Naturgeschichte“ schildert Plinius der Ältere einen denkwürdigen Malerwettstreit zwischen den grossen Meistern Zeuxis und Parrhasios, der zugleich ein Wettstreit der Kunst mit der Natur ist. Als Zeuxis sein Wettkampfstück enthüllt, kommen die Vögel geflogen, um an seinen gemalten Trauben zu picken. Stolzgeschwellt fordert er seinen Kollegen auf, doch endlich den Vorhang vor seinem Wettkampfstück wegzuziehen, da trumpft Parrhasios auf: der Vorhang sei ja nur gemalt und sei eben sein Wettkampfstück. „Echt beschämt“ gibt Zeuxis sich geschlagen: Er selbst habe ja nur die Vögel, sein Konkurrent dagegen einen Zunftgenossen getäuscht.

Von der klassischen Antike bis in die Renaissance und zur Trompe-l’œil-Malerei der späteren Neuzeit ist der Wettstreit der Kunst mit der Natur ein stehendes, immer wieder variiertes Thema geblieben. In der zauberhaften Legende von Pygmalion, dem Künstler, der sich in seine elfenbeinerne Mädchenstatue verliebt und mit seiner Liebe das Kunstwerk zum Leben erweckt, hat Ovid die klassische Formel für dieses Widerspiel von Kunst und Natur geprägt. „Mit wunderbarer Kunst und glücklicher Hand“, „mira feliciter arte“, sagt er da, habe Pygmalion das Elfenbein gebildet und ihm eine Gestalt verliehen, „wie eine Frau von Natur keine geschaffen werden kann“, „qua femina nasci nulla potest“, und weiter:

„Ganz einem wirklichen Mädchen gleicht sie; du glaubst fast, sie lebe,

ja sie wolle, verböte die Scheu es nicht, eben sich rühren …“

Und darauf folgt das so grossartig schlichte Wort, das der Leser der Legende nur zu leicht überliest und doch, sobald er das heimliche Versteckspiel der Kunst in eben dieser selben Kunst einmal erfasst hat, nicht leicht wieder vergisst: „Ars adeo latet arte sua“, „So tief verbirgt sich die Kunst durch ihre eigene Kunst“, und wir mögen zugleich verstehen: „… in ihrer eigenen Kunst“.

„Du glaubst fast, sie lebe …“: Da denkt der Freund Vergils an die „weicher gebildeten atmenden Bronzen“, „spirantia mollius aera“, und die „lebendigen dem Marmor abgewonnenen Mienen“, „vivos … vultus“, die der alte Anchises in seiner prophetischen Rede im 6. Buch der „Aeneis“ den griechischen Künstlern zuerkennt, und da denkt der Freund von Roms sprechenden Steinen zugleich an Raffaels Grabinschrift im Pantheon. Da heisst es zunächst in Prosa: „cuius spirante(i)s prope imagines si contemplere, naturae atque artis foedus facile inspexeris“, „wenn du seine nahezu atmenden Bilder betrachtest, kannst du ein Bündnis der Natur und der Kunst leicht daraus ersehen“, und darauf folgt Pietro Bembos Epigramm, das dieses „Bündnis“ über raschend ins Grandiose und Fatale übersteigert:

„ILLE HIC EST RAPHAEL TIMUIT QUO SOSPITE VINCI RERUM MAGNA PARENS ET MORIENTE MORI

„Der hier: Raffael ist’s, der die Schöpfernatur, da er lebte, fürchten liess seinen Sieg, und da er starb, ihren Tod.“

In diesem Spiegelkabinett von Natur und Kunst, in dem Sein und Schein sich verwirrlich hinüber und herüber spiegeln, gibt sich auch die kosmetische Kunst ein Stelldichein. Im dritten, dem schönen Geschlecht gewidmeten Buch seines „Leitfadens für Liebende“ beschliesst Ovid den Katalog der vielerlei kunstvoll arrangierten Frisuren mit einem geradeso kunstvoll arrangierten Derangement:

„Auch vernachlässigt steht das Haar vielen: Oft glaubst du, es liege

so noch von gestern, doch nein: Eben erst ist es gekämmt.

Zufall scheine die Kunst – Ars casu similis …“

Und dazu fügt sich zu guter Letzt die rhetorische Kunstregel, die der Rhetorikprofessor Quintilian in seinem klassischen Lehrbuch der Redekunst speziell für das Plädoyer vor Gericht empfiehlt. Gerade manche stilistisch und rhythmisch aufs Sorgfältigste ausgefeilte und memorierte Partien solle der Redner so täuschend unsicher, so raffiniert stockend vortragen, als wären sie aus dem Stegreif gesprochen: „Es soll ganz so wirken, als seien wir noch im Nachdenken begriffen, als suchten wir die Worte erst noch, die wir doch perfekt formuliert und memoriert mitgebracht haben.“

Geflügelte Worte aus der Antike

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