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Alea iacta est

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Im Morgengrauen des 11. Januar 49 v. Chr. ist der Rubikon an der Adriaküste halbwegs zwischen Ravenna und Rimini zum sprichwörtlichen Fluss of No Return geworden. Das schmale Flüsschen markierte die Grenze zwischen Caesars gallischer Provinz und dem freien Italien und an diesem Tag zugleich die Grenze zwischen kaltem Machtpoker und heissem Bürgerkrieg. Am 7. Januar 49 v. Chr. hatte der Senat das senatus consultum ultimum‚ den „äussersten Senatsbeschluss“, gegen Caesar verhängt: „Die Konsuln … mögen sehen, dass der Staat keinen Schaden nehme.“ Diese Nachricht erreichte Caesar in Ravenna wohl am 10. Januar. Der Caesarenbiograph Sueton berichtet:

„Nachdem Caesar die Kohorten unverzüglich heimlich vorausgeschickt hatte, besuchte er, um keinen Verdacht zu erregen, scheinbar müssig ein öffentliches Schauspiel, betrachtete die Pläne zu einer Gladiatorenschule, die er bauen wollte, und widmete sich wie gewohnt einem Essen in grossem Kreis. Dann, nach Sonnenuntergang, liess er Maultiere aus einer nahen Mühle vor einen Wagen spannen und schlug mit kleinerem Gefolge einen versteckten Seitenweg ein. Da er die Lichter hatte löschen lassen, kam er vom Wege ab; nach langem Umherirren fand er endlich gegen Morgen, als sich ein Führer fand, auf schmalsten Trampelpfaden zu Fuss wieder hinaus. Als Caesar die am Rubikon haltenden Kohorten erreichte, verharrte er einen Augenblick, und indem er überschlug, welche Umwälzungen er da auslöse, wandte er sich zu den Nächststehenden: ‚Selbst jetzt‘, sagte er, ‚können wir noch zurück; doch wenn wir dieses Brückchen da überschritten haben, wird fortan alles mit den Waffen auszufechten sein.‘“

Sueton verklärt die Szene durch die Wundererscheinung eines unversehens am Ufer auftretenden über Menschenmass grossen Flötenspielers, der einem Signaltrompeter die Tuba entreisst und siegverheissend mit einem kräftigen Trompetenstoss zum anderen Ufer hinüberschreitet: „Darauf rief Caesar: ‚Gehen wir, wohin die Zeichen der Götter und das Unrecht der Feinde uns rufen: Iacta alea est (esto)! – Geworfen ist (sei) der Würfel!‘“

Auch Plutarch verweilt in seiner Caesarbiographie bei diesem Augenblick der Entscheidung: „Als Caesar den Rubicon erreichte, kamen ihn Bedenken an; er stand nun unmittelbar vor der ungeheuren Tat, und ihn schwindelte vor der Grösse des Wagnisses. Er liess den Zug anhalten; lange überdachte er, in sich selbst versunken, schweigend seine Entscheidung, das Für und Wider abwägend, und wendete seine Entschlüsse in dieser Zeit noch viele Male hin und her. Lange erörterte er sie auch mit den Freunden in seinem Gefolge und überschlug, wieviel Unglück für die Menschheit von diesem Schritt ausgehen werde, und welches Urteil darüber sie der Nachwelt wohl hinterlassen würden. Schliesslich riss er sich mit einer leidenschaftlichen Aufwallung von den Bedenken los, dem Kommenden entgegen, und sprach das Wort all jener, die sich auf ungewisse Schicksale und Wagnisse einlassen: ‚Anerríphtho kýbos!‘ – ‚Aufgeworfen sei der Würfel!‘“

Mit diesem Wort zitierte Caesar einen geflügelten Halbvers seines Lieblingsdichters Menander, und dies, wie Plutarch in seiner Biographie des Pompeius ausdrücklich festhält, im griechischen Original. Um das Wort recht zu verstehen, müssen wir uns den Wandel des Würfelgestus vor Augen stellen: Wir werfen den Würfel ohne viel Theater aus der Hand auf den Tisch; der mittelalterliche Landsknecht schwenkte ihn im Knobelbecher herum, knallte ihn damit auf den Spieltisch und hob schliesslich den Becher auf; der antike Würfelspieler warf den Würfel hoch in die Luft auf, so dass das Auge seinem Auffliegen und Herabfallen noch gespannt folgen konnte.

Durch Sueton ist Caesars Ruf in lateinischer und in deutscher Version zum geflügelten Wort geworden, doch dies in arger Entstellung, Verflachung und Verkehrung. Die Entstellung betrifft den Wortlaut: Die genaue lateinische Übersetzung des griechischen Ausrufs müsste ja statt des bei Sueton überlieferten „Iacta alea est“, „Geworfen ist der Würfel“, richtig „Iacta alea esto!“, „Geworfen sei der Würfel!“, lauten; so hat Erasmus in seiner Basler Sueton-Ausgabe von 1518 die Überlieferung berichtigt. Die Verflachung betrifft die Wortstellung: In unserem Zitiergebrauch hat sich die Suetonische, dem Griechischen nachgebildete Version „Iacta alea est (esto)!“, „Geworfen ist (sei) der Würfel!“, zu einem spannungslosen „Alea iacta est“, „Der Würfel ist geworfen“, abgeflacht. Und die Verkehrung betrifft die Übersetzung: Wider das simpelste Schullatein, wonach das lateinische Verb iacere, iacio, ieci, iactum „werfen“ und nicht „fallen“ bedeutet, hat sich im Deutschen statt des korrekten „… ist (sei) geworfen“ die platterdings falsche, das einprägsame Bild verfälschende Version „Der Würfel ist gefallen“ durchgesetzt.

Menanders Vers und Caesars Ruf meinen ja nicht die unabänderliche Entscheidung des Zufalls über die Eins und die Sechs, über Scheitern und Gelingen, die buchstäblich mit dem Würfel „fällt“, sondern die voraufgehende geradeso unwiderrufliche, aber ganz und gar nicht zufällige Entscheidung des Spielers für das Wagnis des Wurfs, für das Spiel mit dem Glück. Das Wort gilt dem Moment, da der Spieler den Würfel aus seiner Hand entlässt, da er das Wagnis des Wurfs nicht mehr zurücknehmen kann. Gefallen sind die Würfel, die Caesar im Morgengrauen jenes 11. Januar 49 v. Chr. dort am Rubikon bis an die Sterne hoch emporgeworfen hat, erst Jahre später in den Bürgerkriegsschlachten bei Pharsalus, Thapsus und Munda, und einer noch an den Iden des März 44 v. Chr.

Vgl. die beiden anderen Caesarworte „Veni, vidi, vici“, unten Seite 145, und „Et tu, Brute?“, unten Seite 55.

Geflügelte Worte aus der Antike

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