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Dominus providebit

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Es heisst ja, man solle eine Münze dreimal umdrehen, ehe man sie ausgibt. Das ist in jedem Fall ein guter Rat, und erst recht für die gewichtige Schweizer Fünf-Franken-Münze. Beim ersten Dreh erinnert sich einer vielleicht an das Aha-Erlebnis des Sokrates im Supermarkt: „Wie viele Dinge gibt es doch, die ich nicht brauche!“ und beim zweiten an die Catonische Massregel, alles irgendwie Entbehrliche sei schon mit der geringsten Münze zu teuer bezahlt. Und wer dann beim dritten Dreh noch an die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde denkt, die nicht säen und nicht ernten, nicht spinnen und nicht weben – „und Gott ernährt sie doch“ –, findet auf diesem silbernen Schweizer Fünffränkler unversehens eine kräftige Bestärkung. DOMINUS PROVIDEBIT steht da ringsum auf dem Rand geschrieben: „Der Herr wird vorsorgen.“

Es braucht gute Augen, die in kapitalen Lettern ausgeprägte, oft arg abgestossene Legende zu entziffern, und einigen Spürsinn, ihrer Herkunft nachzugehen. Die geflügelte Devise ist uns aus dem 1. Buch Mose zugeflogen, aus dem Bericht vom Opfer Abrahams. Dort lesen wir in der neuen Zürcher Bibel: „Dann nahm Abraham das Holz für das Brandopfer und lud es seinem Sohn Isaak auf. Er selbst nahm das Feuer und das Messer in die Hand. So gingen die beiden miteinander. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Vater! Er sprach: Hier bin ich, mein Sohn. Er sprach: Sieh, hier ist das Feuer und das Holz. Wo aber ist das Lamm für das Brandopfer? Abraham sprach: Gott selbst wird sich das Lamm für das Brandopfer ausersehen, mein Sohn. So gingen die beiden miteinander.“

Die wortgetreue Übersetzung aus dem Hebräischen lässt den ursprünglichen Nistplatz des geflügelten Wortes kaum mehr erkennen. Dessen Flugroute führt über die lateinische Bibel der Spätantike und des Mittelalters, die sogenannte Vulgata, die „im Volk Verbreitete“; dort lautet die Erwiderung Abrahams: „Deus providebit sibi victimam holocausti …“, Wort für Wort übersetzt: „Gott wird für sich ein Opfer für das Brandopfer vorsehen …“ Spätestens in der frühen Neuzeit haben sich die Worte „Deus providebit“ von den beiden darauf folgenden Objekten und überhaupt von dieser Opferszene gelöst und konnten fortan in dem allgemeinen Sinne „Gott wird vorsorgen“ für ein unbedingtes Gottvertrauen stehen. Die stoische providentia‚ die göttliche „Voraussicht“ oder „Vorsehung“, mag dabei Pate gestanden haben.

Die geläufigere Variante „Dominus providebit“ begegnet zuerst als Wahlspruch Kaiser Maximilians II. (1564–1576), und gegen Ende des 16. Jahrhunderts erscheint sie in der Emblemata-Sammlung des Joachim Camerarius aus dem Jahre 1596 in einem überraschenden neuen Bezug: mit dem Bild eines herrscherlichen, die Flügel spreitenden Adlers, der sich über eine Erdkugel beugt, und einem Epigramm, einem Distichon, das diese „Vorsorge“ und Fürsorge von dem göttlichen Herrn auf den kaiserlichen Herrscher überträgt. „Et laetae simul et tristis provisio sortis,/inprimis virtus principe digna viro est“, erklärt der Begleitspruch: „Sowohl für ein freudiges als auch für ein trauriges Geschick Vorsorge zu treffen, ist eine Tugend, die zuvörderst einem herrscherlichen Manne würdig ansteht“.

Thomas-Mann-Freunde erinnern sich hier der Inschrift „Anno/Dominus providebit/1758“, die über dem Eingang des Buddenbrookhauses an der Lübecker Mengstrasse steht, und helvetische Spötter des Spruches „Hominum confusione et Dei providentia Helvetia regitur“, der nicht über dem Eingang des Bundeshauses am Berner Bundesplatz steht: „Durch die Verwirrung der Menschen und die Voraussicht Gottes wird Helvetien regiert.“

Seit 1888 findet sich die lateinische Legende DOMINUS PROVIDEBIT im Verein mit dreizehn Sternen auf dem schmalen Rand des Schweizer Fünf-Franken-Stücks, das heisst: Sie „findet sich“ dort eigentlich nicht; man muss sie schon suchen. Aber wer sie glücklich gefunden und entziffert und dabei den im Dialekt liebevoll so genannten „Fünfliber“, diesen einstigen „Fünfpfünder“, noch ein paar Mal umgedreht hat, mag im Sinne dieses biblischen Wortes die alten Heiden Sokrates und Cato vergessen, noch einmal an die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde denken – und dann die so tröstlich sprechende Münze sorglos aus dem Fenster werfen oder auf die Theke knallen.

Geflügelte Worte aus der Antike

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