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Dimidium facti, qui coepit, habet

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„Das Wichtigste, meine ich, von allem im Menschenleben ist die Erziehung und die Bildung. Denn wenn einer bei einer Sache, welcher auch immer, den Anfang richtig gemacht hat, so wird aller Voraussicht nach auch das Ende richtig herauskommen. So ist es ja auch mit dem Boden: Welcher Art Samen einer hineingesät hat, solcher Art Früchte darf er davon erwarten. Und wenn einer in einen jungen Menschen eine gute Erziehung und Bildung hineingesät hat, so lebt das üppig fort und grünt und blüht das ganze Leben hindurch, und weder Wolkenbrüche noch Dürrezeiten können das je zunichte machen.“

Als der Sophist Antiphon im späten 5. Jahrhundert v. Chr. diese Sätze schrieb, hatte er wohl das griechische Sprichwort vom Anfang als der Hälfte des Ganzen im Hinterkopf, das erstmals in Platons späten „Gesetzen“ bezeugt ist: „Der Anfang, so heisst es doch in einem unserer Sprichwörter, sei schon die Hälfte des ganzen Werkes, und wenn einer gut angefangen hat, spenden wir dem alle regelmässig hohes Lob. Und tatsächlich ist das sogar, wie mir scheint, noch mehr als die Hälfte, und einem gelungenen Anfang hat noch niemand Lob genug spenden können.“

Da spielt von fern her ein vielzitierter Vers des Hesiod hinein. In seinen „Tagwerken“ ereifert sich der alte Dichter über seinen Bruder Perses, der ihn bei der Teilung des väterlichen Erbes übervorteilt habe, und über die bestechlichen Richter, die in diesem Erbstreit willfährig Recht gesprochen hätten: „Diese Toren! Sie wissen ja nicht, um wieviel die Hälfte mehr ist als das Ganze!“ Er meint es in dem Sinne: „Weniger wäre mehr gewesen!“ Die beiden sprichwörtlich geläufigen Worte vom Anfang, von der Hälfte und dem Ganzen mochten zu einer simplen Schlussfolgerung verlocken: Wenn der Anfang – nach dem alten Sprichwort – schon die Hälfte des Ganzen ist und die Hälfte – nach Hesiod – mehr als eben nur die Hälfte, ja sogar mehr als das Ganze, dann ist – mit Platon – auch der Anfang bereits mehr als die Hälfte des Ganzen. Entsprechend gesteigert hat Aristoteles das Paradox in der Einleitung zu seiner „Nikomachischen Ethik“ zitiert; dort geht es um die grundlegenden Prinzipien, die „Anfänge“, der Wissenschaft: „Die Anfänge geben einen starken Ausschlag für alles Folgende; man meint ja, der Anfang sei mehr als die Hälfte des Ganzen …“

Durch Horaz ist das griechische Sprichwort auch in lateinischer Version zum geflügelten Wort geworden, nun nicht mehr in schlichter Prosa, sondern in Gestalt eines Fünf-Sechstel-Hexameters: „Dimidium facti, qui coepit, habet“, wörtlich: „Die Hälfte des Getanen – des Werkes – hat, wer angefangen hat“. In einem seiner lebensklugen poetischen „Briefe“ mahnt Horaz den jungen Lollius Maximus, sich wider alle Plagen von Habgier und Genusssucht, Hektik und Erschlaffung, Stress und Burnout mit Lebensweisheit und Vernunft zu wappnen, und das besser heute als morgen:

„Wie kommt das: Ein Stäubchen,

das dein Auge verletzt, wischst gleich du heraus; doch wenn etwas

dir die Seele zerfrisst, verschiebst du die Heilung ein Jahr lang? Halb hat das Werk schon getan, der anfängt …“

Auf die rhetorische Frage und die sprichwörtliche Mahnung folgt dann, über den Verssprung hinweg, noch ein kräftiger Stoss in die Rippen: „… Sapere aude,/incipe! …“,

„ … Wag’s, sei vernünftig!

Fang einmal an! Wer die Stunde, richtig zu leben, hinausschiebt, ist wie der Tölpel, der wartet, bis der Fluss abfliesst: Doch der strömt

wirbelnd dahin und wird so noch in alle Ewigkeit strömen.“

Der Anfang ist schon die Hälfte des Werkes: So sagt es die sprichwörtliche griechische Lebensregel und so wieder das geflügelte Horazische Dichterwort für die erste Hälfte aller schweren Dinge, die einer nicht gern auf sich nimmt und am liebsten gar nicht erst anpackt. Im 4. Jahrhundert n. Chr. hat sich der gallo-römische Rhetor und Dichter Ausonius des Sprichworts vom Anfang, der Hälfte und dem Ganzen noch einmal angenommen und sich in seiner Vaterstadt Burdigala – doch wohl bei einem Glas Bordeaux – zu diesem fröhlichen Patentrezept für die zweite Hälfte inspirieren lassen:

Incipe! Dimidium facti est coepisse. Superfit dimidium: rursum hoc incipe et efficies!“,

„Fang nur erst an! Das ist schon die Hälfte des Werkes. Es bleibt dir

noch eine Hälfte. So fang noch einmal an, und du hast’s!“

Geflügelte Worte aus der Antike

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