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Citius, altius, fortius

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Die Szene spielt im Sommer 480 v. Chr., wenige Tage nach dem Opfertod des Spartanerkönigs Leonidas und seiner Dreihundert bei den Thermopylen. Herodot berichtet: „Das Landheer unter Xerxes machte sich eben auf den Marsch; da kamen Überläufer aus Arkadien, ein paar Leute, die einen Lebensunterhalt suchten und sich nützlich machen wollten. Die Perser führten sie unter die Augen des Königs, und einer befragte sie vor aller Ohren über die Griechen, was die jetzt machten. Die erwiderten, sie feierten die Olympischen Spiele und schauten dem Wettkampf der Athleten und der Viergespanne zu. Der fragte weiter, was denn dort für ein Siegespreis ausgesetzt sei, um den sie stritten. Die nannten den Kranz vom Ölbaum, der dort vergeben wird. Da sprach Tritantaichmes, ein Vetter des Xerxes, ein hochedles Wort und zog sich damit vom König den Vorwurf der Feigheit zu. Denn als er hörte, dass der Siegespreis dort ein Kranz ist und nicht Geldeswert, hielt er es nicht länger aus zu schweigen; zu dem Kriegstreiber Mardonios gewendet, rief er: ‚Wehe, Mardonios, gegen was für Männer hast du uns in den Krieg geführt: die nicht um Geldeswert den Wettkampf austragen, sondern um den Rang des Besten!‘“

Nicht um Geldeswert, einzig um den Rang des Besten – und zumal um den des Schnellsten, der den Spielen jeweils seinen Namen geben durfte –: Es ist ein urgriechisches Selbstverständnis, das Herodot den edlen Perser, den Feind und „Barbaren“, hier mit Schrecken erkennen und aussprechen lässt. Wer will, mag nun Verbindungen schlagen: zurück in die Frühzeit der Olympischen Spiele zu dem einstmals geflügelten Homerischen Mahnwort: „Immer der Beste zu sein und hervorzuragen vor andern“, oder voraus zu den Spielen der Moderne, zu dem heute vielzitierten Motto der Olympischen Bewegung „Citius, altius, fortius“.

Das ist, so lateinisch lapidar, so rhetorisch raffiniert das Motto daherkommt, doch erst neuzeitlichen Ursprungs. Im März 1891 hatte der sportbegeisterte Dominikanerpater Henri Didon an seinem Albertus-Magnus-Kolleg in Arcueil nahe Paris einen Schulsportverein gegründet und ihm den flammenden Appell „Citius, altius, fortius!“, „Schneller, höher, stärker!“, aufs Banner geschrieben, und der Begründer der Olympischen Bewegung Pierre de Coubertin, zu der Zeit Generalsekretär der „Union des Sociétés Françaises de Sports Athlétiques“, trug die Flamme weiter. Er hatte damals jene Vereinsgründung angeregt und selbst die ersten Wettkämpfe geleitet, und auf seinen Vorschlag hin erhob der Gründungskongress des Internationalen Olympischen Komitees, der im Juni 1894 in der Pariser Sorbonne tagte, in seiner Schlusssitzung dieses ohrenfällige „Citius, altius, fortius!“ mit seinen drei gleichgewichtigen, gleich ausklingenden Worten zum Motto der Olympischen Bewegung.

Es sind, notabene, Adverbien im Komparativ, und hinter ihnen stehen vielerlei ungeschriebene Imperative: Lauf schneller, spring höher … Bei dem dritten Glied, dem „fortius“, das im klassischen Latein „tapferer“ bedeutet, geraten wir in ein Dilemma. Dafür ist im deutschen Zitiergebrauch anstelle eines vagen, allgemeinen „stärker“ ein frischweg erfundenes „weiter“ geläufig geworden, als sei da nach Wettlauf und Hochsprung doch noch an Weitsprung und Weitwurf zu denken. So kann Henri Didon es nicht gemeint haben. Vielleicht, ja wahrscheinlich ist da noch eine anderes geflügeltes Wort im Spiel.

Gewiss kannte dieser sportbegeisterte Humanist so gut wie der alte Turnvater Jahn die Juvenalische Satire, aus deren Schluss schon Jahrzehnte zuvor das vielzitierte Turnermotto „Mens sana in corpore sano“, „Ein gesunder Geist in einem gesunden Leib“, aufgeflogen war. Da geht es freilich nicht ums Turnen, sondern um Gebetswünsche – darum, was einer sich vernünftigerweise von den Göttern wünschen solle –, und da nennt der römische Dichter unmittelbar nach den allemal sinnvollen Wünschen eines „gesunden Geistes“ und eines „gesunden Leibes“ zu guter Letzt noch einen dritten, vollends sinnvollen Gebetswunsch. „Fortem posce animum!“, heisst es da: „Bitte um eine tapfere Seele!“, eine Seele, die den Schrecken des Todes nicht kennt – „mortis terrore carentem“ –‚ die jedwede Anstrengung und Belastung zu ertragen vermag, die sich von keinem Zorn, keinem Begehren hinreissen lässt und die Aufgaben und „ Arbeiten“ des Leistungsmenschen Herkules höher schätzt als alle Genüsse des Luxusmenschen Sardanapal. Sollte dieses Juvenalische „Fortem posce animum!“ Henri Didons „fortius“ inspiriert haben, sollte sein „fortius“ in diesem stoischen, Herkulischen Sinne tatsächlich „tapferer, unerschütterlicher“ bedeuten, und sind wir damit unversehens wieder ganz nahe bei jener eingangs geschilderten Herodoteischen Episode?

Vgl. „Mens sana in corpore sano“, unten Seite 88.

Geflügelte Worte aus der Antike

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