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Kapitel 20

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Wieder stand sie vor dem Spiegel, richtete wie jeden Morgen ihre Haare, die Ausreißer, die sich immer selbständig machten.

Heute war es besonders schlimm. Sie hatte es nicht geschafft, ihre Haare zu waschen, obgleich sie heute eigentlich dran gewesen wären.

Und nun hatte sie die Mühe! Erst zu Hause im Bad, hatte endlich Ordnung in ihre Frisur gebracht, hatte sie mit viel Haarspray doch noch zügeln können, und dann kam ein Windstoß, als sie den Wagen verließ. Und die ganze Pracht war vorbei.

Nicht, dass der Turm umgestürzt wäre, so schlimm war es nicht, aber er war in der Diagonale verschoben. Schief thronte er auf ihrem Kopf, für den ganzen Tag ruiniert, denn ihr ganzer Vorrat an Spray würde nicht reichen, um ihm die beabsichtigte Form zu geben. War hier eine widerborstige Strähne gebändigt, riss dort wieder eine aus.

Sichtlich genervt rief Frau Mehwald: „Herein!“ und steckten den Toupierkamm quer zwischen die Lippen.

Erst als sie ihren Besucher erkannte, hellte sich ihr Blick auf, straffte sich der Rücken.

Kerzengerade stand sie da, mit vorgestreckter Brust, sagte: „Ich will mal sehen, ob der Chef schon Zeit hat“, und tackerte zur Verbindungstür.

Wenige Augenblicke später rauschte sie wieder in ihr Vorzimmer und lächelte Müller an.

Der Weg war frei.

Dr. Meier war aufgestanden, drückte Müller freundlich, fast herzlich die Hand und geleitete ihn in die Sitzecke.

„Sie sind früher zurückgekommen. Hat es Ärger gegeben?“

„Im Gegenteil“, verneinte Müller, „es waren wunderbare Tage. Und wir wären auch länger geblieben, wenn Carmen nicht plötzlich wieder hätte zur Schule gehen wollen.“

Es war wie in einem Film, den man plötzlich anhielt, mitten in der Bewegung.

Dr. Meier konnte es nicht fassen, meinte, sich verhört zu haben, fragte noch einmal.

Es musste sich um einen Irrtum handeln. Vielleicht wusste auch Müller nicht, was er sagte.

„Sie haben richtig gehört. Ab heute geht Carmen wieder zur Schule.“

Dr. Meier konnte es immer noch nicht glauben.

Wie machte dieser Müller das bloß?

„Und Sie meinen, sie bleibt dabei?“

Heiko Müller nickte.

„Aber warum? – Verstehen Sie mich richtig, ich freue mich natürlich, sehr sogar. Ich hatte bei ihr kaum Hoffnung. Umso schöner ist der Erfolg. – Aber warum geht sie auf einmal wieder zur Schule, nachdem sie“, er überlegte, „zwei, nein mehr als drei Monate fortgeblieben war?“

Er lachte: „Haben Sie ihr Drogen gegeben?“

„Ja“, sagte Müller ganz ernst, „so könnte man es nennen. Ja, wir haben Drogen genommen.“

Völlig fassungslos sah Dr. Meier seinen Gegenüber an. Natürlich glaubte er ihm kein Wort. Er war zwar manchmal verrückt, hatte merkwürdige Methoden. Aber das ging zu weit. Das machte er nicht.

„Wir haben uns ineinander verliebt“, sagte Heiko Müller einfach, als wäre es die selbstverständlichste Sache von der Welt, dass sich ein Jugendpsychologe in eine Sechzehnjährige verliebte.

Dr. Meier musste sehr entgeistert ausgesehen haben, denn Heiko Müller schob nach:

„Daran ist auch nichts mehr zu ändern. Wir haben uns in Lüttsiel verlobt.“

„Aber warum?“, fragte er wieder, „warum in aller Welt haben Sie sich mit ihr verlobt?“

„Weil wir uns lieben, das sagte ich schon. Und weil Carmen ein ungeheures Vertrauen in mich hat. Wohl zum ersten Mal in ihrem Leben hat sie Vertrauen. Nicht weggestoßen zu werden, zu spüren, nein, zu wissen, dass sie für einen anderen Menschen der wichtigste Mensch überhaupt ist, ihre Liebe schenken zu können, rückhaltlos, sich völlig aufgeben zu können und zu wissen, man wird gehalten, das hat sie in diesen wenigen Wochen erlebt, die wir jetzt zusammen sind. Sagen Sie selbst: Kann sich ein Mann mehr wünschen?“

Heiko Müller machte eine Pause.

Dr. Meier sah ihm gerade in die Augen.

„Sie wollen sie heiraten?“, stellte er fast fest.

Heiko Müller nickte.

„Ja, sobald es geht.“

Dr. Meier dachte nach.

„Sie wissen, es wird nicht ganz leicht sein, die Erlaubnis zu bekommen. Haben Sie schon mit den Eltern gesprochen?“

Heiko schüttelte den Kopf. Sie wären ja gestern erst zurückgekommen. Aber wenn die Eltern drei Monate brauchten, das Verschwinden ihrer Tochter zu melden, dann nähmen sie wohl ihr Sorgerecht nicht so fürchterlich ernst.

Das war überzeugend.

„Wenn Sie wollen, werde ich versuchen, Ihnen etwas unter die Arme zu greifen. Vielleicht kann ich Ihnen den Hechtfisch vom Halse halten. Der ist ein ganz harter Hund und absolut nicht berechenbar. Wenn sich der Deuerlich mit ihrem Fall beschäftigt, dann sehe ich größere Chancen. Ich werde mich mal beim Familiengericht umhören.“

Er erhob sich, und auch Heiko Müller stand auf.

Die Männer gaben sich die Hand, und Dr. Meier hielt sie noch einen Augenblick länger als notwendig.

„Wann, schwebt Ihnen vor, soll die Hochzeit sein?“

„So früh wie möglich. Nach Möglichkeit noch vor Weihnachten.“

„Und wo wohnt Ihre Braut bis dahin?“

Der Chef hatte tatsächlich ‚Ihre Braut’ gesagt. Zum ersten Mal hatte Müller diese Anrede gehört. Wenn er Carmen das berichtete, würden sich wieder ihre Augen füllen, und er würde ihre Tränen trocknen müssen.

„Bei Ihnen?“, beantwortete Dr. Meier selbst seine Frage.

„Ja“, sagte er jetzt, als die Frage langsam zu ihm durchgedrungen war, „bei mir.“

Erstaunt sah Frau Mehwald ihm nach, als er an ihr vorüberging, ohne zu grüßen, ohne eine nette Bemerkung.

Wie in Trance öffnete er die Tür und schloss sie wieder.

Sie wollte ihm noch etwas nachrufen, aber da war er schon weg.

„Komisch“, murmelte sie, „so kenne ich ihn doch gar nicht.“

Am liebsten wäre sie zu ihrem Chef gegangen und hätte ihn ausgehorcht, aber sie war lange genug seine Sekretärin, um zu wissen, dass sie keinen Erfolg damit haben würde. Nur er würde entscheiden, wann und ob und wie viel er etwas offenbaren würde.

Sie würde sich auf den Kopf stellen können!

Wolfskinder

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