Читать книгу Die Lohensteinhexe - Kristian Winter - Страница 3

Das Verhör

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4. nach Trinitatis, A.D. 1632, Comturei Lohenstein, Gewahrsam im Keller des Ratshauses


„Marie Schneidewind, Tochter des Joseph und dessen Frau Magda Gräber, die du am 18. September 1612 in reinem und keuschen Ehebett geboren bist. Du wirst der Hexerei bezichtigt, da du den Erbkrüger Jacob Bellach vernarrt hast, dass er darüber sein vor Gott angetrautes Weib Mechthild mit einer Axt erschlagen und im Wald verscharrt hat, um dir hernach in ehebrecherischer Wollust beizuwohnen!“, zitierte Magister Daniel Titius aus dem vorliegenden Insiegel.

„Rede, Weib! Wie ist es dir gelungen, solche Macht über ihn zu gewinnen, dass er bald darauf den Verstand verlor und sich selbst entleibte?“

„Oh, edler Camerarius, so ist es nicht gewesen!“, beteuerte die auf die Bank Gebundene und musste mit Entsetzen ansehen, wie der Büttel ein glühendes Eisen aus dem Feuer zog. „Ich habe ihm niemals schöne Augen gemacht! Ich schwöre es bei meinem Leben! Vielmehr stellte er mir nach, wo er nur konnte, nur weil er …“

„Lüge mich nicht an!“, fuhr ihr der Magister über‘s Maul und machte ein Zeichen, worauf sich der Büttel mit der rotglühenden Zange näherte. „Gestehe! Du hast den armen Mann mit Satans Hilfe in deine Fänge gebracht und ihn so lange genarrt, bis er dir hörig war! So sollst du in einem Trog gebadet und ihm danach völlig schwarz entstiegen sein. Weiterhin hast du Kröten gegessen und einer Natter den Kopf abgebissen! Das Blut sei in Milch verrührt und durch dich getrunken worden! Das alles ist durch Zeugen belegt!“

„Wie soll ich etwas gestehen, was ich nicht getan habe!“, schrie sie, angststarr das rotglühende Eisen vor Augen. „Wenn es solche Zeugen gibt, dann lügen sie!“

Doch der Magister blieb unerbittlich. Er wusste längst mehr. Gestern erst wurde er bei der gütlichen Befragung fast selbst Opfer ihrer boshaften Aura.

Obwohl sie nach Vorschrift rücklings und ohne Schuhe an beiden Arme von den Bütteln gestützt, hereingeführt wurde, fühlte er sofort eine große Befangenheit. Dieses verstärkte sich noch, als sie sich umdrehen durfte.

Noch jung an Jahren, in der Blüte ihrer Fruchtbarkeit, widersprach sie allen Ankündigungen. Eine hässliche Hexe sollte sie sein, alt, gebrechlich und mit hohlwangigem, gelben Gesicht. Doch vor ihm stand ein Weib von bezaubernder Schönheit. Sie war blass, hatte klare Augen, sehr weiße Lippen und ein weiches Gesicht. Ihr mittig gescheiteltes Haar war nach bäuerlicher Art im Nacken verknotet und von seidigem Glanz.

Ihre Stirn war hell und klar, das Oval ihres Gesichts von harmonischer Symmetrie und ihre vollen Lippen von verführerischer Sinnlichkeit. Unter ihrem ärmlichen Kleid zeichnete sich ein wohlgeformter Körper ab, dessen stolze Haltung allen Anschuldigungen zu trotzen schien.

Während der Prozedur ihrer Entkleidung wurde sein Unbehagen so groß, dass er den Anblick ihres nackten Leibes nicht unbefangen ertragen konnte, wie es der ‚Malleus maleficarum‘ vorschrieb, jenes von Magister Heinrich Kramer 1486 als Hexenhammer verfasstes Traktat, wonach Hexen zweifelsfrei zu überführen waren.

Von ihren zarten Brüsten und dem dunkel verschatteten Geschlecht verschreckt, wurde ihm schmerzlich das eigene Unvermögen zur Mannbarkeit bewusst – ein Mangel, worunter er schon seit langem litt. Und als sie dann noch ihre Scham mit den Händen bedeckte und errötend den Kopf senkte, quälte ihn eine große Pein.

Er versuchte zwar, die nachfolgende Leibesvisitation mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, damit ihm bloß nichts entginge, was ihr der Satan an verräterischen Zeichen eingepflanzt haben könnte. Als ihm aber jener betörende Moschusduft wider die Nase fuhr, der jeden Mann unweigerlich verlockte, wandte er sich erschrocken ab.

„Weiche von mir, Satan!“, hatte er gerufen und befohlen, ihr ein Büßerkleid überzuwerfen. Und obwohl er sein Gesicht hinter einer Maske verbarg, um sich vor ihrem bösen Blick zu schützen, verstand sie ihm Bilder von martialischer Schönheit zu zaubern.

Es waren die zinnoberroten Zitzen, deren Knospen starr wie Lanzen emporstanden, dazu ihre wohlgeformten, wollüstig ausladenden Hüften samt dem dunklen Flaum, der sich verführerisch kringelte. Alles an ihr war wohlgeformt und makellos gleich dem Ideal einer antiken Statue. Ihr ganzes Wesen atmete den Hauch eines Weibes mit jenen tiefen, auf dauerhafte Genüsse gerichteten Begierden, die jeden Mann unweigerlich in ihren Bann zogen. Mit Grausen dachte er an das Untier in der heiligen Schrift. Sein bloßer Geruch erstickte alle Welt mit Fäulnis.

Dennoch starrte er sie gleichsam gebannt wie fasziniert an, bis ihm plötzlich, als er die Lider schloss, um nichts mehr sehen zu müssen, das Tier aus der Finsternis erschien. Es streckte die Hände nach ihm aus und drohte ihm völlig zu erliegen.

Verstört wies er den Büttel an, die Maßnahme an seiner statt fortzusetzen. Der ging auch gleich daran, wurde aber so grob, dass sie vor Schmerzen schrie.

Und wieder konnte er es nicht ertragen. Sie war so zart und rein, er hingegen so brutal und dumm, dass er es nicht ertrug.

Es sei schon gut. Er habe genug gesehen, unterbrach er und griff sich schwer atmend an die Brust. Und als man sie hinaus führte und er noch einmal ihren ängstlich-flehenden Blick einfing, las er eine Frage darin, die er nicht beantworten konnte. Es war die Frage nach dem Warum.

Seltsam war das. Anstelle einer Hexe erblickte er eine Venus. Ihre Stimme war die eines Engels und nicht einer Hure, ja ihr ganzes Wesen atmete Liebenswürdigkeit anstatt Abscheu. So sehr er sich auch mühte - er konnte nichts Böses an ihr finden.

Das war aber nötig, um den Prozess mit dem gebotenen Augenmaß zu führen. Wie sollte er also die Schuldfrage beantworten können, wenn er selber daran zweifelte?

Man hatte sie angezeigt, weil ungehörige Dinge geschehen waren, die überall Ängste schürten. So wurde glaubhaft berichtet, dass der Blitz in die Kirche zur Liebfrauen einschlug, nachdem ihr der Küster den Zutritt verweigert hatte. Weiterhin soll dessen Schwester Gertrud nur deshalb ihr Kind verloren haben, weil sie zuvor ihren bösen Blick empfing, und die Ferkel der Bäuerin Diethild wären nur deshalb krepiert, weil sie mit ihr im Hader lag.

Aber selbst wenn man nichts Genaueres wusste und sich oftmals nur in Mutmaßungen erging, genügten allein die unabhängigen Feststellungen zweier glaubhafter Zeugen zur Einberufung des Tribunals.

Aber die Angst vor einem neuen Hexenkomplott wie im Jahre 1615, als in vielen Flecken die Cholera wütete, nur weil man die Verursacher nicht rechtzeitig richtete, saß den Menschen noch immer in den Knochen.

Gewiss muss die Welt vor teuflischen Verwerfungen bewahrt werden, und seine Aufgabe als Magister disciplinae und städtischer Camerarius bestand darin, in aller Schärfe darüber zu wachen. Dass er aber ihretwegen litt und erstmals zweifelte, blieb ihm unbegreiflich.

Zwar hatte er in vorangegangenen Prozessen ebenfalls gelitten, doch niemals gezweifelt. Sein Leid resultierte aus einer Art stumpfem Rausch infolge des quälenden Bewusstseins des Unausweichlichen, was mit anzusehen nicht immer einfach war. Dabei kann fremdes Leid niemals freuen oder gar befriedigen, es sei denn, man ist von krankhafter Natur, was er jedoch von sich ausschloss, im Gegensatz zu manch anderem seiner Zunft.

Jetzt aber vermeinte er ihren Schmerz wie den eigenen zu spüren, und das war neu. Selbst abends in der Kammer noch versuchte er diese innere Qual zu vertreiben, indem er sich die ganze Nacht, das ‚Cor meum‘ betend, mit einer Rute geißelte.

„Herr, befreie mich von dieser Last!“, stöhnte er, als ihn wieder jener Lendendruck quälte, den er durch den Eingriff des Medicus Gregorius vor Jahren hatte dämmen lassen. Seither trug er einen Reif unter seinem Rock, der eine Schamkapsel in seinen Schoß drückte. Diese bereitete ihm Schmerzen, sobald ihn unzüchtige Gedanken peinigten.

Das kam hin und wieder vor, blieb aber meist nur von kurzer Dauer. So aber vermochte er die Entsagung besser zu ertragen, und niemals war es in den letzten Jahren dazu gekommen, dass er eines Weibes bedurfte, wenngleich sich Möglichkeiten dafür genug boten.

Das war vor allem im städtischen Badehaus der Fall, wo er öfter weilte und die Bäderinnen alles andere als zimperlich zu Werke gingen, wenn es galt, ihre Gäste zu stimulieren.

Er aber lehnte ihre Dienste stets ab und genügte sich in der Passivität fremder Beobachtungen. Allerdings bereitete ihm diese mehr Ekel als Vergnügen, vor allem, wenn er mit ansehen musste, wie leicht und schnell sie doch ihr Geld verdienten ohne nur das geringste Gefühl.

Leicht beschürzt und in den Künsten der Verführung geübt, handelten sei rein mechanisch, allein vulgären Notwendigkeiten gehorchend, die normalerweise eine Schande für Anstand und Moral darstellten, hier aber Gang und Gäbe waren. In Wahrheit gab keine von ihnen nur einen Dreck für das Wohl eines Gastes außerhalb ihrer Dienste. Alles bleibt anonym, kalt, ohne jede Harmonie.

Männer, die darauf hereinfielen, waren in seinen Augen Narren. Sie konnten nicht begreifen, dass ihre Rolle als Verlangende sie zu Sklaven machte. Sie wären für sein Amt allesamt ungeeignet.

Lange glaubte er sich darüber erhaben, doch jetzt war er sich da nicht mehr sicher, fürchtete er das Schlimmste, was ihm als Magister disciplinae passieren kann - die Befangenheit.

Nicht auszudenken, wenn er ihr schon verfallen war. Er brauchte Gewissheit. Noch am selben Abend ritzte er sich mit dem Dolch in den Arm, fing das Blut in einem Becher auf und tat etwas Bilsenkraut hinzu. Angstvoll erwartete er das Ergebnis.

Glücklicherweise blieb die Verfärbung aus. Er hatte den Mächten des Bösen widerstanden. Erleichtert verband er die Wunde und war entschlossener denn je. Und sollte sie es wagen, ihn noch einmal zu foppen, würde er ihr jeden Schandpflock einzeln in die Gelenke rammen.

Als Mann in den reiferen Jahren verkörperte er mit seiner imposanten Erscheinung einen würdevollen Repräsentanten des hiesigen Tribunals. Dieses Amt genoss hohes Ansehen, aber auch Respekt, da es wegen seiner Unerbittlichkeit gefürchtet war.

Dabei mochte man ihn mit seinem schulterlangen, hellbraunen Haar und dem sorgsam gestutzten Bart beim ersten Hinsehen eher für einen Krämer halten - aber das täuschte. Sein unbestechlicher Blick für das Wesentliche, kombiniert mit einer geschliffenen Logik, verriet schnell den messerscharfen Kasuisten, der selbst unscheinbarste Dinge als Ausdruck der Verderbtheit zu entlarven wusste.

Und er ließ nicht locker, bis sie eingestanden waren, selbst wenn er dabei bis zum Äußersten gehen musste. Darin hatte er Erfahrung. Deshalb hatte man ihn auch mit der Leitung des Prozesses beauftragt, denn es ist vor allem eine Frage des Prestiges für die hiesige Comturei, eine Hexe möglichst schnell und ‚sauber‘ zu überführen.

Vom Wesen her war er sensibel, still und belesen, kurzum, ein Mensch, der die Künste liebte als auch die Auseinandersetzung mit ihnen. Seine Wirkung auf andere wurde als angenehm bezeichnet, und sein Wort hatte Gewicht.

Auch wenn er sich stets bescheiden gab und keinen Wert auf diesen Umstand legte, so schmeichelt ihm doch der damit verbundene Respekt.

Noch niemals hatte er eine Hexe geschont, und das würde auch jetzt so bleiben, denn er verstand sich als Verfechter der heiligen Inquisition, jener vor Gott geschaffenen Instanz der Wachsamkeit vor dem Bösen dieser Welt, ohne dem – davon ist er überzeugt – sie für alle Zeit verloren wäre.

Dennoch war heute etwas anders, verspürte er eine unbestimmte Unruhe, die ihm sagte, dass dieser Prozess kein gewöhnlicher war. Auch wenn er es noch nicht benennen konnte, würde er es herausfinden.



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Die Lohensteinhexe

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