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Die peinliche Befragung

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Nach der Leugnung in der gütlichen Befragung, folgte gemäß Protokoll nun das ‚peinliche Verhör‘.

Dazu lag sie splitternackt, von Kopf bis Fuß epiliert, am ganzen Leib zitternd, auf der Bank. Die Büttel hatten sie bis zur Bewegungsunfähigkeit geknebelt und ihre nach außen gedrehten Füße mit einem Keil fixiert. Komisch sah es aus, mit den riesigen Schellen an Händen und Füßen, dazu ihr Gewimmer. Er wusste, dass sie gleich leiden wird und mochte sich nicht vorstellen, jetzt an ihrer Stelle zu sein. Schmerz ist etwas Schreckliches, vor allem, wenn er nicht dosierbar war. Er hätte es ihr gern erspart, doch die Wahrheit duldet keinen Kompromiss.

Ob er sie bedauerte? Kaum, auch wenn er in Gedanken das ‚Miserere‘ für sie klagte. Aber das tat er für jede verlorene Seele, obgleich er um dessen Sinnlosigkeit wusste. Sie waren dem Satan verfallen und bekamen ihre gerechte Strafe. Nur ein Wunder konnte sie noch erretten.

Auf Geheiß ihres Defensors genannten Verteidigers, des ehrwürdigen Syndikus Knospe, wurde ihr Vater herbeigeholt, ein alter, kränklicher Mann in einer grauen Strumpfhose und ärmlicher Mantille, damit er sie gütlich stimmte. Dieser hustete schwer wie alle unter der Schwindsucht Leidenden und konnte sich vor Schwäche kaum auf den Beinen halten. Fassungslos starrte er auf sein Kind und wusste ihr nichts anderes zu raten, als ‚vernünftig‘ zu sein; Se. Cantorius und Dn. Consul - zwei Zeugen des Gerichts, die der Befragung beiwohnen - wären dann vielleicht gnädig gestimmt.

Doch sie hörte gar nicht hin, stammelte immer wieder etwas von Unschuld und Verleumdung, und wenn es einen Herrgott gäbe, würde er sie erlösen. Das waren Sprüche, die man hier schon kannte und kaum noch jemanden rührten.

„Hör auf zu jammern!“, erboste sich der Magister. „Wenn du unschuldig bist, wird es sich zeigen, ebenso, ob du Mitgefühl verdienst. Solltest du allerdings lügen, dann Gnade dir Gott!“

Dann ordnete er die Blutprobe an. Dazu kam der Büttel herbei und stach ihr mit einer Nadel in die Hand. Doch sie zeigte keine Reaktion. Ebenso trat kein Blut aus der Einstichstelle, wie eine Nachschau mit dem Glas ergab. Die Anwesenden zeigten sich entsetzt.

Damit nicht genug. Nun spreizte man ihre Schenkel und verwies vor den Zeugen auf jene wunde Grotte, in welcher der Teufel in schändlicher Buhlschaft gedrungen sei. Dazu drückte der Büttel ihre Scham auseinander und deutete auf ein bestimmtes Mal, das nicht natürlichen Ursprungs wäre. Zweifellos ein Stigma diabolicum (Teufelsmal), konstatierte Dn. Consul mit sachlichem Urteil. Besaß doch der Satan die Eigenart, sich nach jeder Kopulation durch ein Zeichen in sein Opfer ‚einzubrennen‘ und sich somit auf ewig mit ihm zu verbinden.

Ihr Vater bat den Syndikus, für sie einzutreten, da dieses natürlichen Ursprungs sei. Schon ihre Mutter habe am Körper reichlich Male gehabt, das könne er bezeugen.

Der aber wirkte unentschlossen, schien beeindruckt von den Beweisen und der Härte der Anklage. Vielmehr riet er ihm, besser zu schweigen, bevor er sich selber noch um Kopf und Kragen brächte. Oder wollte er vielleicht selbst visitiert und als Hexenmeister entlarvt werden?

Verzweifelt sank der Alte vor dem Magister auf die Knie, umfasste den Saum seiner dunkelroten Schaube und stammelte etwas. Dabei war er kaum zu verstehen, denn ihn schüttelte ein erneuter Hustenanfall. Aber das war auch nicht nötig. Seine gebrochene Haltung und das jämmerliche Schluchzen verrieten seine tiefe Bestürzung.

Er wusste, dass ihm nur noch wenig Zeit blieb. Liebend gern würde er jetzt mit der Tochter tauschen, gab das auch zu verstehen, blieb aber unerhört.

„Was soll das, alter Mann?“, wies ihn der Magister ab. „Wollte man jeder Bitte um Gnade nachkommen, bräuchte man keine Gerichtsbarkeit mehr. Die Welt wäre voller Chaos, und am Ende würde der Teufel triumphieren. Darum sage ich dir, wahre Gnade kann nur Gott allein gewähren. Aber man muss sie auch verdienen. Es liegt also nur an deiner Tochter.“ Dann aber wandte er sich dem Büttel zu, damit er ihr die Instrumente und deren Wirkung erkläre.

Dieser trat auch gleich hinzu und fuhr sie barsch an: „Sieh her, Weib. Das hier sind die Daumenschrauben. Ich drehe sie langsam zu, bis dir das Blut aus den Fingerspitzen spritzt. Wie du sehen kannst, sind sie noch rot vom Blut der alten Liese, welche im vorigen Jahr gebrannt und zunächst auch nicht bekennen wollte. Willst du das ebenfalls nicht, so ziehe ich dir die spanischen Stiefel an, und sind sie dir zu groß, haue ich einen Keil hinein, dass dir das Blut aus den Füßen schießt. Genügt das immer noch nicht, werde ich dir heißen Schwefel auf den Leib streuen, auf dass du gebrannt wirst wie ein Stück Ochsenlende.“

Der Scriba (Schreiber), ein kleines buckliges Männlein in grauen Pumphosen, saß auf einem Hocker zur Linken des Magisters Titius und notierte eifrig jede Äußerung. Dabei war er sehr genau. Die relevanten kennzeichnete er mit einem Strich, die vermeintlichen Lügen mit einem Punkt. So ergab sich am Ende ein klares Bild über die ‚Wahrhaftigkeit‘ ihrer Aussage, woran sich letztlich das Strafmaß bemisst. In Fällen wie ihrem stand es jedoch meist fest. Lediglich die Art der Vollstreckung blieb noch offen.

Zu seinen weiteren Aufgaben gehörte die Überwachung der Sanduhr. Sie wurde zu Beginn der Befragung umgestülpt, und nach Ablauf von etwa fünfzehn Minuten folgte ein Ruf zur Unterbrechung, wie es das Protokoll vorschrieb. Der Angeklagten blieb dann Zeit zur Besinnung.

Diese war ganz starr vor Entsetzen und begann erneut um Gnade zu flehen, als der Sand zu verrinnen begann. Doch der Magister blieb unbeeindruckt. Die Beweise seien erdrückend und jedes Leugnen zwecklos. Sie solle endlich bekennen. Dann könne man von weiterem absehen. Das wäre die letzte Ermahnung.

„Nein!“, schrie sie und versuchte, sich aufzubäumen.

„Also willst du dich der Marter unterziehen?“

„Die Wahrheit, die ihr hören wollt, ist eine Lüge! Ich aber kann nicht wider der Wahrheit reden!“

„Wie erklärst du dir dann die Blutprobe?“, setzt er unerbittlich nach.

„Das weiß ich nicht! Ich habe nichts gespürt! Aber da war auch nichts. Ich schwöre es, bei meinem Leben! Untersucht das Gerät!“

„Das können wir gern tun.“ Und schon führte man auf sein Zeichen eine Magd herein. Man hatte ihr die Augen verbunden, damit sie der Anblick der Hexe nicht verschreckt. An ihrem Arm führte der Büttel die Probe durch. Sie schrie laut auf und aus der Einstichstelle quoll Blut. Zum Beweis wurde ihr Arm den Zeugen gezeigt.

„Was sagst du nun?“

Die Angeklagte blieb daraufhin stumm.

„Und was ist mit dem Mal in deiner Scham?“, warf ihr der Magister weiter vor.

„Das habe ich schon immer, edler Camerarius, seit meiner Geburt“, beschwor sie unter Tränen.

„Seit deiner Geburt? Das ist seltsam, zumal solche Male bei Kleinkindern noch nicht beobachtet wurden, wie mir der ehrwürdige Medicus Gregorius in diesem Schreiben glaubhaft attestiert.“ Dazu hielt er es hoch und zeigte es den Zeugen. Der Schreiber machte einen weiteren Strich.

„Ich, ich kann es nicht sagen, Dominus“, stammelte sie.

„Aber wir können es! Niemand hat dort ein Zeichen! Das ist völlig ungewöhnlich, es sei denn, es wurde auf schändliche Weise eingebrannt, wie es nur der Teufel kann.“

„Wie kommt es eigentlich, dass dein Vater davon nichts weiß?“, mischte sich Se. Cantorius in gespielter Einfalt ein - ein hoffärtiger Mann mit dickem Bauch, großem Hut und stutzerhaften Silberschnallen an den Waden. Er war es auch, der sich bei ihrer Visitation viel Zeit ließ und mit dem Finger in sie eindrang, um ihn danach einer Geruchsprobe zu unterziehen.

„Mein Vater ist ein rechtschaffender Mann“, verteidigte sie sich. „Er hat mich niemals so betrachtet, geschweige untersucht. Woher sollte er das also wissen?“

„Aber es ist doch hinlänglich bekannt, dass Hexen mit ihren Vätern buhlen“, ergänzte Dn. Consul verschmitzt und fühlte sich durch ihr Erröten bestätigt. Auch ihn erregte ihre Verlegenheit sehr, und er würde noch viel lieber ins Detail gehen, wagte es aber nicht.

Selbst der Magister war nicht wie sonst. Noch immer schien es ihm unmöglich, ihren Blick länger als zwei Sekunden zu ertragen, vor allem nach solch widerwärtigen Attacken.

Wieder spürte er eine tiefe Betroffenheit. Hinzu kam sein Wissen um die Haltlosigkeit einiger Beweise wie der Nadel, die bei leichtem Druck tatsächlich in den Schaft zurückglitt, durch eine Sperre aber arretiert werden konnte. Das war zwar nicht legal, als zusätzliches Druckmittel aber erlaubt.

Das heilige Tribunal duldete keine Schwächen. Es verlangte nach der Wahrheit, wenn nötig mit allen Mitteln. Nichts war schwerer, als einen Dämon zu überführen, der sich mit tausend Gesichtern tarnt. Daher es war nur legitim, ihn zu überlisten.

„Edler Titius“, fuhr sie an ihn gewandt fort. „Sagt doch selbst, wenn ich verhext bin, warum wende ich dann nicht meine Zauberkraft an und erlöse mich aus dieser Pein?“

„Das versuchst du schon die ganze Zeit“, antwortete er und reckte ihr das Kruzifix entgegen. „Doch unter diesem Zeichen hast du keine Macht mehr. Deshalb verschwindet auch geweihtes Wasser auf deinem Leib.“

Rasch trat er auf sie zu, sprenkelte ihr zum Beweis ein paar Tropfen auf den Bauch, und siehe - bereits nach wenigen Momenten waren sie zum Erstaunen der Anwesenden nicht mehr zu sehen. „Und nun versuche nicht, mich zu beirren. Das sind nur weitere Indizien deiner Schuld.“

Wieder beginnt sie zu jammern. „Das tue ich doch gar nicht! Nur weiß ich nicht, wie ich Euch von meiner Unschuld überzeugen soll! Wohin das Wasser ist, weiß ich nicht. Aber es ist so warm hier, da verfliegt es schnell. Ich glaube, dass Ihr das ebenso gut wisst wie ich.“

„Du wagst es?!“, empörte sich der Magister, verstummte jedoch gleich wieder, denn das Wasser verlor durch eine Zusatztinktur tatsächlich an Spannkraft und verflüchtigte sich leichter. Das konnte sie aber unmöglich wissen. Die Rezeptur war streng geheim und nur im engsten Kreis des Tribunals bekannt. Wenn doch, war es nur ein weiteres Zeichen ihrer Magie.

„Ich bitte euch, Dominus“, flehte sie erneut. „Verschont mich, und ich werde Euch zu willen sein wie immer ihr es wollt. Aber bitte, tut mir das nicht an! Ich habe solche Angst.“

„Schweig, du Vermaledeite! Eine solche Schamlosigkeit ist typisch für eine Verworfene wie dich! Aber dein Zauber ist hier unwirksam. Es gibt nur einen Weg zur Erlösung - die Wahrheit!“ Seine Faust donnert auf den Tisch.

„Aber ich kann doch nicht! … Das ist wider Gottes Gebot, das ihr selber predigt! Wie sollte ich da …“

„Der Mut zur Wahrheit ist immer eine schwere Bürde. Wer ihn aber nicht findet, muss zu ihm geführt werden!“, rief er und gab das Zeichen. Daraufhin drückte man ihr die ‚Pfeife‘ genannte Holzklammer in den Mund, jenes mit Schnüren um den Kopf befestigte Instrument, das die Schreie des Opfers dämpfen soll.

Schon sengte sich unter leichtem Zischen das glühende Eisen in ihre Seite. Panisch wand sie sich in den Ketten, verdrehte die Augen und versuchte, die Füße aus der Verkeilung zu befreien, woraufhin sich diese nur noch mehr verquerten. Blut rann aus den Wunden. Noch einmal bäumte sie sich auf. Dann erschlaffte sie.

Der Gestank verbrannten Fleisches lag in der Luft. Die Wärme der Fackeln und die Glut des Messingtroges schufen eine stickige Schwüle. Der Magister tupfte sich die Stirn.

Er hatte nicht zugesehen, obgleich es seine Pflicht gewesen wäre. Das war den Zeugen nicht entgangen. Ihm war heiß und unerträglich stickig, so dass er sich die Halskrause aufzog. Er wusste, dass sie sich fügen wird, spätestens nach wiederholtem Einbrennen. Er hat das schon oft erlebt. Die meisten gestehen dann, allerdings willenlos, im Zustand der Apathie, so dass es nicht unbedingt glaubhaft wirkt. Das war zwar nicht befriedigend, wurde aber rechtlich anerkannt. Manche blieben aber auch störrisch, vertrauten auf Gott, der sie längst verlassen hat.

Dann folgte als Letztes die ‚hochnotpeinliche Befragung‘, wobei sie der Henker aufs Härteste ran nahm und nicht selten den Rand des Ablebens erreichte, ohne ihn jedoch zu überschreiten. Darauf verstanden sich nur versierte Meister des Quälens. Der Heutige war einer davon.

Aber der Magister wollte ihr das ersparen. Sie war so zart, wirkte so rein, so ganz anders als die gemeinen Bauernhuren, die bei der Tortur wie die Säue quiekten. Darüber hinaus schien sie von scharfem Verstand. Ihre Antworten kamen klar und waren von bestechender Logik.

Gestern noch hatte sie die unzüchtigen Unterstellungen eines Zeugen mit einem Psalm aus der heiligen Schrift pariert und damit das ganze Tribunal verblüfft. Antwortete sie doch auf die Frage, warum sie dem Tribunal Voreingenommenheit vorwerfe, in bestem Latein: ‚Ubi libido dominatur, innocentiae leve praesidium est‘. (Wo die Begierde gebietet, hat die Unschuld schwache Schutzwehr)

Beim Himmel! So etwas war ihm noch nie untergekommen. Das jagte ihm Furcht ein.

Jetzt trat er vor sie hin und entfernte die Klammer, obwohl die ersten 15 Minuten noch nicht vorüber waren. Dann goss er ihr einen Zuber mit kaltem Wasser über den Leib, woraufhin sie zusammenzuckte. Ihr irrer Blick wanderte ziellos umher und blieb schließlich an ihm hängen.

„Confiteor!“ schrie er, was nichts anderes als ‚Bekenne‘ heißt, malte das Kreuz in die Luft und versprach, sie zu erlösen.

Sie murmelte etwas Unverständliches, so dass der Büttel herantreten und sich zu ihr herab neigen musste. Doch kaum kam er ihr näher, rotzte sie ihn an, und er wich erschrocken zurück.

Der Magister war irritiert und wusste nicht zu reagieren. Sofort setzte der Büttel die Tortur fort, noch bevor er das Zeichen dazu bekommen hatte. Mit aller Kraft drehte er die schwere Kurbel, bis ihr Leib gestrafft in einer absurden Schwebe verharrte. Speichel rann aus ihren Mundwinkeln. Ihre Schreie hatten nichts Menschliches mehr. Die Anwesenden zeigten keine Regung. Der Magister, starr vor Schreck, griff sich ans Herz.

Wieder flehte sie um Gnade, dabei immer wieder ihre Unschuld beteuernd, worauf ihr Vater zusammensank. Doch der Magister wusste längst mehr. Sie würde gestehen, spätestens, wenn ein erstes Knacken Wirkung zeigt, wenn die Sehnen bersten und der Schmerz sie in den Wahnsinn treibt. Noch ein Ruck und noch ein Ruck. Der Büttel zerrte mit aller Kraft an der Kurbel.

Verdammt! Wann gibt sie endlich auf! Kein Mensch kann so etwas ertragen.

Noch war sie störrisch wie ein Ziegenbock. Dann aber überstreckte sie den Kopf in den Nacken, drang ein gellender Schrei aus ihrer Kehle, und sie begann hastig zu nicken.

Endlich!

Sie schien gebrochen. Eine Spur der Erleichterung huschte über des Magisters Gesicht und er ordnete sofortiges Innehalten an. Aber er wusste auch, dass manche nur neue Kraft tankten, um danach nur noch störrischer zu werden. Schon deshalb durfte er jetzt nicht nachlassen.

„Rede, Weib! Willst du gestehen, dann will ich dich erhören“, setzte er sogleich nach, in der Hoffnung auf ihre Vernunft.

Sie nickte.

„Dann ist deine Seele noch nicht verloren.“ Sofort lockerte er ihre Ketten, wischte ihr den Speichel vom Kinn und stabilisiert ihre Lage. Um sie besser zu verstehen, kniete er neben ihr nieder, umfasste ihre Hand und wickelte zum Zeichen seines Vertrauens das Velum genannte Schultertuch des Priesters darum. Das verdutzte die Anwesenden.

Sie zitterte noch immer. Die erlittenen Qualen lähmten ihre Zunge. Er kannte das. Es war jene Schockstarre, die den Körper in einen Dämmerzustand versetzt. Erst ganz allmählich wurde sie ruhiger, ihr Atem gleichmäßiger, und ihre Sinne kehrten zurück.

„Sei ohne Furcht, mein Kind. Es ist vorüber. Wir leiden mir dir … Und nun rede. Sage mir alles, was dich bedrückt, und ich werde es verstehen.“ Fast fühlte er sich versucht, ihr tröstend übers Gesicht zu streichen, wusste es aber zu unterdrücken.

Sie holte tief Luft, schloss die Augen und seufzte: „Macht das nie wieder, hört Ihr? Falls doch, werdet Ihr ebenso enden wie ich. Das ist mein Fluch über Euch.“

Diese Bemerkung verwirrte ihn. Sie konnte nur Folge ihres Durcheinanders sein.

„Es ist schon gut. Wenn du jetzt die Wahrheit sagst, wirst du nicht länger leiden. Ich verspreche es.“

„Schwört es, bei allem, was euch heilig ist!“

„Ich schwöre es.“

Nachdem er diesen Eid geleistet hat, schien ihr Widerstand gebrochen. Kaum zu Atem gekommen, gestand sie und das so schnell, dass es der Schreiber kaum protokollieren konnte.

So gab sie zu, verhext zu sein und zaubern zu können, mit dem Teufel gebuhlt zu haben und dessen Schandmal an sich zu tragen. Sie sei auch schon auf einem Besen geritten und habe im Kreis der Dämonen einen ganzen Krug gegorener Jauche gesoffen; ein Schwein wäre ihr Bruder, und geboren wäre sie in einer Neumondnacht unter einer abgestorbenen Weide, in welcher Raben nisten.

Die Züge des Magisters verfinsterten sich. Noch niemals wurde er so infam gedemütigt. Dieses Geständnis war eine Posse. Wollte sie ihn zum Narren halten? Hier tagte ein ordentliches Tribunal und kein Bauernhaufen. Wo blieb die Reue, wo die Aufrichtigkeit, vor allem aber der Respekt vor der Würde dieses Gerichtes? Kein seriöses Protokoll kann so etwas ernst nehmen, nicht so, wie sie es vorträgt.

Aber womöglich lag gerade darin ihre Absicht. Sie wollte ihn und das ganze Verfahren vorführen. Zweifellos redete sie nur so, um weiteren Schmerzen zu entgehen. Er sollte sie dafür züchtigen, doch er hat ihr sein Wort gegeben. Diese Schlange!

„Wer hat dich ein solches gelehrt?“, fuhr er fort, sich zur Sachlichkeit zwingend.

„Der Leibhaftige selbst.“

„In welcher Gestalt erschien er dir?“

„Als Geißbock.“

„Wie ist sein Name?“

„Dismonia.“

Hier erschauerte er. Das ist griechisch und bedeutet in der Abwandlung so viel wie ‚bewundernswertes Weib‘. Eine erstaunliche Duplizität, was allerdings ein Weib wie sie niemals wissen kann. Er wurde unsicher. Vielleicht sagt sie doch die Wahrheit?

„Wann und wo bist du ihm zum ersten Male begegnet?“

„Auf dem Bocksberg, vor zwei Monaten.“

„Wie viele Teufel hast du?“

„Einen, und der ist genug.“

„Hast du mit ihm gebuhlt?“

„Ja.“

Von den Zeugen geht ein Raunen aus.

„Hattest du Spaß dabei?“

„Ja.“

Es folgen Fragen nach Dauer, Art und Intensität des Aktes, welche die Hexe zu seiner Zufriedenheit beantwortete, da sie dem Detail nach dem geforderten Protokoll entsprechen.

„Hast du mit ihm ein Teufelsbalg gezeugt?“

„Nein.“

Das war nicht ungewöhnlich und somit akzeptabel.

„War der Samen des Teufels kalt oder warm?“

„Kalt, eiskalt!“ schrie sie daraufhin und verfielt einem irrsinnigen Lachen.

Wieder verhärteten sich seine Züge. Er wusste, dass er sie jetzt zu allem Möglichen befragen könnte, sie würde es bejahen. Aber es war die erste falsche Antwort, untauglich für‘s Protokoll. Sofort bemerkte die Ärmste ihren Fehler und versuchte, ihn zu korrigieren.

„Oh nein, er war heiß, glutheiß!“, setzte sie schnell hinzu, bevor die Tortur wieder einsetzte.

„Warum lügst du?!“, brüllte der Magister, der sich erhoben hat und schon Miene machte, sie anzuspucken.

„Ich weiß es nicht.“

„Blasphemie!“, rief der Dn. Consul dazwischen, was nichts anderes heißen soll als: „züchtige sie!“

Doch Titius gebietet dem Einhalt. „Du weißt es nicht?“, fuhr er argwöhnisch fort. „Das ist seltsam, zumal ein Leugnen der Wahrheit niemals unabsichtlich geschieht.“

„Ja.“

„Dann gibt’s du zu, gelogen zu haben?“

„Ja.“

„Du lügst also aus Freude am Lügen?“

„Nein.“

„Warum dann?“

„Ich weiß es nicht.“

„Wer soll dir das glauben?“

„Oh Herr, bitte, beendet meine Qual! Ihr habt es geschworen.“

Der Magister sah auf sie herab. Wie schrecklich war sie jetzt anzusehen. Ihr ausgemergelter Leib war von der Folter gezeichnet. Blut und Schwellungen an den Gelenken kündeten von großer Qual.

Ihre Hände waren unnatürlich verkrampft, ebenso ihre Füße. Der Brandfleck unter der Brust hatte sich tief in die Haut gesengt und bereitete ihr große Schmerzen. Am liebsten hätte er sich jetzt abgewandt. Aber er durfte es nicht, nicht vor all den Zeugen, die ihn genau beobachteten und vor denen er keine Schwäche zeigen konnte. Alles folgte einem festgefügten Ritus, jeder Verstoß könnte auch für ihn gefährlich werden.

„Aber ich kann es nicht beenden, nur du kannst es“, drängte er sie erneut.

„Aber wie, Herr? Wie?“

„Sag mir nicht, was ich hören will, sondern, was du mir sagen willst, frei heraus. Es muss dir von Herzen kommen. Erst dann bin ich überzeugt.“

Die Zeugen sahen sich verwundert an. Ein solcher Appell war unüblich. Selbst Syndikus Knospe schien verwundert. Doch obgleich es seinen Pflichten entspräche, die Zeugen auf die offenkundige Verwirrtheit des Magisters hinzuweisen, unterließ er es, denn er war ein Feigling und Duckmäuser. Man zog ihn gern zu solchen Prozessen heran, da von ihm der geringste Widerstand zu erwarten war. Seine Fügsamkeit entlohnte man mit 3 bis 5 Gulden, die er gern einsteckte und ein Drittel davon der Mutter Gottes für das Seelenheil seines Mandanten opferte.

Damit glaubte er seine Schuldigkeit getan und wurde nicht einmal rot. Man wusste das und verachtete ihn dafür. Er selbst kam damit aber ganz gut klar, zumal man ihn niemals daraufhin ansprach. Schon deshalb kamen ihm kaum mehr Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Handelns, worüber ihm jedes tiefere Nachdenken längst abhanden gekommen war.

„Wenn dem so ist, dann habe ich es getan, habe alles getan“, gestand sie überraschend deutlich und senkte den Kopf.

„Was hast du getan?“

„Habe dem Jacob den Verstand geraubt.“

„Also willst du jetzt alles erzählen, die reine Wahrheit, nichts hinweg lassen, aber auch nichts hinzufügen?“

„Ja, das will ich. Ich will alles erzählen, so wahr mir Gott helfe.“

Der Magister wirkte erleichtert. Der Vater schaute mit tränenverquollenen Augen zu ihr hin. Man gab ihr zu trinken. Dann hob man sie von der Bank und setzte sie auf einen Stuhl gegenüber dem Tribunal. Sie durfte sich jetzt mit einem Schaffell bedecken. Die Fackel und Öllampen stellte man jetzt so auf, dass sie von allen Seiten gleichermaßen beleuchtet wurde. Nichts durfte den wachsamen Augen der Zeugen entgehen. Selbst die kleinste Kleinigkeit konnte von Bedeutung sein.

Sie wusste, dass sie verloren war und sie ihr Leiden nur noch verringern kann. Noch niemals war es gelungen, die Unschuld einer Hexe zu beweisen und das würde auch jetzt so bleiben.

Seltsam. Beim Anblick dieses bedauernswerten Weibes, das sich in sein Schicksal ergeben hatte, empfand der Magister plötzlich eine tiefe Rührung, ja beinahe Achtung. Jeder Triumph war ihm unmöglich. Statt dessen überwog eine tiefe Scham.

Ihr Blick war in sich gekehrt, kalt und ausdruckslos, ihr Gesicht bleich und starr. Sonderbarerweise bat sie darum, ihren Vater aus dem Raum zu entfernen. Er sollte sie wie bisher in Erinnerung behalten, erklärte sie, und es klang schon wie ein Abschied. Obwohl sich der alte Mann dagegen sträubte, kam man ihrer Bitte nach. Sie wirkte erleichtert, auch wenn ihr Tränen über die Wange rollten.

Noch lange schaute sie ihm nach, während man ihn gegen seinen Willen aus dem Keller drängte. Welches abscheuliche Schauspiel. Immer wieder versuchte er, sich den Bütteln zu entwinden. Am Ende schliff man ihn unter lautem Wehklagen hinaus.


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Die Lohensteinhexe

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