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Die Hexe Liese Kolken

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Beim Nennen dieses Namens bekreuzigten sich die Anwesenden und sahen einander entsetzt an. Handelte es sich doch um jene Hexe, die vor kurzem auf dem Marktplatz zu Lohenstein brannte, und von der man sagt, sie habe bis zum Schluss in den Flammen gelacht. Am nächsten Morgen sah man einen Raben über den Resten des Scheiterhaufens kreisen, der erst verschwand, als man ihre Asche in den Fluss streute.

Danach hatte es mehrere Tage geregnet und der Schlamm färbte den Fluss dunkel. Das soll ihr Fluch gewesen sein. Bis heute hat sich der Fluss nicht wieder erholt und man sagt, das würde wohl erst in hundert Jahren geschehen.

„Du wolltest den armen Mann mit Satans Hilfe läutern?“, fragte der Magister, als könne er es nicht fassen.

„Heißt es nicht im 12ten Matthäus: der Herr habe den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, wo ihn die Pharisäer lästerten?“ erwiderte sie trotzig. „Was kümmerte mich es, dass sie eine Verworfene war, so sie mir nur hülfe.“

„Aber es heißt auch, du sollst nicht versuchen Gott deinen Herrn wider dem Übel, Matthäus 4.7.“

„Edler Camerarius, als Kenner der Schrift wisst Ihr sie nach Eurem Dafürhalten auszulegen. Doch ich hatte keine Zeit dafür. Ich musste leben, schon um meines Kindes willen. Darum lasst mich bitte zu Ende erzählen und dann richtet.“

Es wurde ihr gewährt.

„Ich nahm also mein Kind und suchte ihre Hütte auf. Dazu musste ich den Weg durchs Moor nehmen, denn sie hauste im Finkengrund, jener verruchten Gegend, wohin sich kaum jemand verirrt.

Dort angekommen, traute ich mich zunächst nicht hinein, denn vor der Tür lag ein großer schwarzer Hund. Er knurrte mich auch an, tat mir aber nichts.

Da fasste ich mir ein Herz und öffnete die Tür. Drinnen herrschte Dunkelheit und auf mein Rufen blieb alles stumm. Ich wollte schon wieder gehen, als sich mir eine Hand auf die Schulter legte und mich zu Tode erschreckte.

Da stand sie plötzlich vor mir, die Liese Kolken, von der ich schon so viel gehört hatte. Sie trug ein langes, weißes Kleid und eine seltsame Haube auf dem Kopf. Auf ihrer Schulter saß ein Rabe und knabberte an ihrem Ohr, ihre Augen blitzten sonderbar und in der Hand hielt sie einen Krug.

Sie war ein seltsames Weib mit einem krankhaft abgemagerten Gesicht. Man konnte sie nicht ansehen, ohne sich zu fürchten, wenn auch in ihrem Blick etwas Warmes und beinahe Tiefes lag.

Ich bin noch nie einem Menschen begegnet, der wortlos reden kann. Sie tat es mit den Augen und ich verstand, was sie sagte. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber nachdem sie mich angesehen hatte, wusste ich, dass sie meine Gedanken kannte und erschrak.

Sie spürte das und suchte meine Zweifel zu zerstreuen, indem sie mir von den Leuten erzählte, die zu ihr kamen. Sowohl einfaches Volk wäre dabei, aber auch angesehene Personen. Zwar seien auch sehr viele Feinde unter ihnen, aber auch glühende Verehrer.

Weiterhin meinte sie, dass bestimmt noch viel mehr zu ihr fänden, sich aber wegen Charakterschwäche oder falscher Skrupel nicht trauten. Selbst der Truchsess habe sie schon einmal angesprochen, dann aber wegen seiner Zerstreutheit wieder vergessen. Aber alle wollten immer nur das Gleiche – die Erlösung von einem Übel, und das wäre doch auch bei mir der Fall, oder?

Da ich nicht antwortete, stellte sie den Krug beiseite, nahm etwas Haferkleie und Sauerampfer und tat es in einen Topf. Das zerstampfte und verrührte sie dann unter Hinzugabe eines gelben Puders, worauf alles sonderbar aufquoll und eine ganz andere Farbe annahm. Ich war darüber verwundert. Doch sie lachte nur und meinte, dass wäre kein Zauber, sondern nur eine natürliche Reaktionen der verschiedenen Zutaten.

Sie bat mich zu Tisch und reichte mir einen Becher von diesem Sud, den ich aber ablehnte. Sie war mir deswegen aber nicht böse, im Gegenteil. Sie nannte mich ‚sehr bedacht‘, und das gefalle ihr.

Die nachfolgenden Komplimente zu meinem Kind hingegen waren gestellt, auch wenn sie es bestimmt gern mal in den Arm genommen hätte. Aber sie waren nichts als Anstandsfloskeln. Vielmehr sah sie mich ununterbrochen mit einem geradezu durchdringenden Blick an.

Nach einer Weile sagte sie dann, ich wäre sehr abgemagert und sähe viel blasser aus als früher. Offenbar läge das an meinem Kummer.

Darüber war ich sehr erstaunt, denn ich konnte mich nicht entsinnen, ihr je begegnet zu sein, und von meinem Kummer hatte ich auch noch nicht gesprochen. Als sie dann noch einen seltsamen Vergleich zu meiner Mutter anstellte und darin Eigenschaften anführte, die sie ebenfalls nicht kennen konnte, hielt ich sie für einen Scharlatan.

Sie wollte mich nur ausholen. In Wahrheit wusste sie gar nichts von mir, sondern versuchte nur, mich zu verunsichern. Auch dieses Gebräu diente offenbar nur diesem Ziel. Wer weiß, was da alles drin war! Schon deshalb dachte ich nicht daran, ihr irgendetwas von mir zu erzählen.

Vielmehr wollte ich mich von ihrer Zauberei überzeugen, in der Hoffnung, davon zu lernen. Das aber gefiel ihr nicht, denn sie begann mich erneut sehr intensiv anzuschauen. Dabei sah sie mir unentwegt in die Augen, ohne auch nur ein Wort zu sagen.

Und wieder wusste ich, was sie beabsichtigte. Sie wollte mich bis zum Grund meiner Seele ergründen, wollte in mir lesen wie in einem Buch.

Schon deshalb versuchte ich, die ganze Zeit an etwas anderes zu denken, um mich bloß nicht zu verraten. So dachte ich zum Beispiel an den umgestürzten Baum vor meiner Hütte und das Moos, das darauf wucherte. Immer wieder zwang ich mich dazu und sah dieses Bild vor meinen Augen.

Dann aber geschah etwas Sonderbares. Plötzlich schob sie den Topf beiseite, hob entnervt die Hände an die Schläfen, worauf der Rabe aufflatterte und fuhr mich an, was dieser Baum mit meiner Mutter zu tun habe.

Ich war wie vor den Kopf geschlagen und vermochte darauf nicht zu antworten. Als sie dann noch nachsichtig lächelte und mich mit einem so festen und unnachgiebigen Blick ansah, begriff ich, dass sie längst alles wusste.

Ob mir der Jacob von ihr erzählt habe? fragte sie jetzt erstaunlich direkt, was ich verneinte, obwohl es stimmte. Natürlich hatte er von ihr erzählt und sogar all die Schauergeschichten, die sich um sie rankten. Nur mochte ich das nicht auch noch zu zugeben. Ich fühlte mich ohnehin schon bis zum Grunde durchschaut und wagte sie kaum noch anzusehen.

Dann aber gab ich auf und nannte ihr den wahren Grund meines Kommens. Ich sagte ihr also, wie die Sache stand, dass mich der Jacob fortwährend bedrängte und ich nicht länger wollte, dass er mir nahe käme. Allerdings wüsste ich nicht, wie ich es ihm begreiflich machen sollte, ohne ihn zu verletzen, denn im Grunde wäre er doch ein guter Mensch. Außerdem wäre es doch wider Gottes Gebot, da er noch immer in gültiger Ehe lebe, und überhaupt hätte ich doch niemals etwas für ihn empfunden.

Damit nicht genug. Ich gestand ihr sogar meine schlimmsten Gedanken und Wünsche, die ich selbst vor Gott niemals offen auszusprechen gewagt hätte. So auch mein Plan, ihn notfalls umzubringen, sollte er mich nicht in Ruhe lassen.

Auch wenn das alles sicher reichlich wirr und überzogen klang, hatte ich das Gefühl, dass sie mich verstand.

‚Man kann nicht an Gott glauben, ohne es zugleich an den Satan zu tun‘, meinte sie, und nichts anderes hätte ich getan. Dann rührte sie erneut in ihrem Gebräu herum, worauf plötzlich eine helle Stichflamme bis zur Decke schoss.

Ohne die geringste Reaktion, griff sie in den Topf und holte zu meiner Verwunderung einen seltsamen Gegenstand heraus, den sie mir mit den lateinischen Worten ‚Accipe hanc vilem coronam et haec’ (nimm diesen schlechten Kranz) in die Tasche steckte.

‚Das ist ein Sukkubus‘ erklärte sie. ‚Sobald der Vollmond über den Südhängen steht, zerbrichst du ihn und du wirst von allen Qualen erlöst sein.‘

Da fühlte ich mich veralbert. Was trieb sie für ein Spiel? Ich geriet in Wut und bereute schon, sie aufgesucht zu haben. Ohne noch etwas zu erwidern, verließ ich sie. Aber bereits auf dem Heimweg fühlte ich mich bereits ungemein leichter, ohne dass ich es hätte erklären können.

Dann habe ich diesen Gegenstand – es war eine seltsam geformte Wurzel - noch am gleichen Abend zerbrochen, so wie sie es sagte. Niemals hätte ich gedacht, damit etwas zu bewirken und hielt es für einen dummen Schabernack. Und doch kam der Jacob fortan nicht mehr.

Zuerst dachte ich, er hätte sich besonnen und wäre zu seiner Frau zurückgekehrt. Dann aber erfuhr ich, dass er sie erschlagen habe und ihren Leib zu verstecken versuchte. Dabei hatte man ihn ertappt und in den Turm geworfen. Er sollte dazu befragt werden, entzog sich aber der Tortur, indem er sich im Kerker an seinem Gürtel erhängte.

Da ergriff mich unsägliche Wut. Wie konnte sie mich so betrügen? Er sollte wieder zu seiner Mechthild zurückfinden, denn nur dort war sein Platz. Meine Gedanken an seinen Tod waren niemals ernst gemeint, und ich hatte sie nur im Vertrauen geäußert. Niemals hätte ich den vier Kindern den Vater genommen. Ich schwöre es bei meinem Leben. Dass es so endete, lag nicht in meiner Absicht.“

Schweigen herrschte. Für einen Moment waren die Gesichter der Anwesenden starr vor Entsetzen. Ein solch deutliches Bekenntnis hatte man nicht erwartet. Dann aber stellte das Tribunal mit Genugtuung die Vollständigkeit des Geständnisses fest. Alle Punkte waren erfüllt. Die Schöffen signierten das Protokoll und gaben es an die Zeugen weiter. Diese bekundeten ebenfalls ihre Zufriedenheit und sahen angesichts der klaren Beweislage keinen Grund für weitere Anträge.

Der Articulum principalem war erfüllt und das sogar in doppelter Hinsicht, zum einen durch den Kontakt zur Liese Kolken und zum anderen in der widerrechtlichen Anwendung des als Sukkubus bekannten Buhldämons der wendischen Heiden. Damit überreichten sie es zur Urteilsverkündung.

Dem Magister blieb nichts, als es noch einmal zu sichten. Doch seine Augen flimmerten und seine Hände zitterten. Obwohl er die Buchstaben sehen konnte, verstand er ihren Sinn nicht. War das etwas schon alles? Er hatte mehr Kampf erwartet, ein letztes Aufbäumen vielleicht, was ihn gefordert hätte, um sie zu Fall zu bringen. So aber war es viel zu einfach, geradezu beleidigend einfach. Vor allem aber ist es ihr Todesurteil. Keine Macht der Welt konnte sie jetzt noch erretten. Ihre Schuld stand fest. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit großer Trauer.

Aber es musste wohl sein. Die Gesetze waren unerbittlich. Also nahm er sich zusammen und erhob sich. Ihm folgte das ganze Tribunal. Auch die Angeklagte wurde von den Bütteln hoch zogen, auch wenn sie nur unter Schmerzen stehen konnte. So sah es das Protokoll vor.

Der Magister sah sie lange an. Dann nahm er den Insiegel zur Hand und verkündete mit fester Stimme: „Maria Schneidewind, damit bist du der Hexerei überführt. Du hast dich in Erlangung deines niederträchtigen Zieles der Magie bedient und bist dadurch zum Sklaven des Satans geworden. Er ist dir in Gestalt der Liese Kolken erschienen und hat mit seiner teuflischen Kraft den armen Mann in den Tod getrieben. Ohne dein schändliches Wirken würde er heute noch leben, ebenso sein Weib. Das Tribunal bekennt dich in allen Punkten für schuldig und verurteilt dich zum Feuertod. Das Urteil wird auf dem Marktplatz zu Lohenstein öffentlich vollstreckt. Möge der Herr deiner armen Seele gnädig sein!“

Mit diesen Worten beschloss er das Urteil und rollte das Pergament zusammen. Dann wies er die Büttel an, die Hexe in den Turm zu verfügen. Dort sollte sie bei Wasser und Brot die restlichen Tage ihres Lebens ohne weitere Marter verbringen. Ihren letzten Wünschen sei weitgehend zu entsprechen. Gegebenenfalls soll ihr ein Pater ihrer Wahl für die letzte Ölung bestellt werden.

Die Sitzung war beendet.


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Die Lohensteinhexe

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