Читать книгу Die Lohensteinhexe - Kristian Winter - Страница 9

Etwas Ungeheuerliches

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Oben im Turm war der Wächter noch immer voller Sorge. Es behagte ihm nicht, dass der Magister so lange bei ihr blieb. Was mochte nur in ihn gefahren sein? Niemals hatte er ihn so erlebt. Er kannte ihn nur als überlegten, sachlichen Menschen mit dem rechten Wort zur rechten Zeit. Jetzt aber war er ein völlig anderer. So voller Zorn, mit roten Augen und Schaum vor dem Maul glich er einem Besessenen, der nicht mehr Herr seines Verstandes war.

Wiederholt trat er an die Tür und lauschte. Einmal hatte er sie sogar geöffnet und hinabgerufen. Doch weder konnte er etwas hören noch sehen. Alles lag in gespenstischem Dunkel. Aber ihm zu folgen, traute er sich nicht. Zu groß seine Angst vor diesem Weib und ihren übersinnlichen Kräften, das man schon überall die Lohensteinhexe nannte.

Es wird doch nichts geschehen sein? fragte er sich. Falls doch, würde er dazu Rede und Antwort stehen müssen. Selbst Wächter waren vor Verzauberung nicht gefeit.

Dabei versah er schon seit vielen Jahren seinen Dienst als Turmwächter, hatte schon viele Hexen bewacht, aber noch niemals solche Furcht durchlebt. Auch wenn er sich zuweilen mit Würzwein betäubte wie in diesem Moment, wo er gleich eine halbe Flasche leerte, wollte ihm das jetzt nicht gelingen.

Er wusste um ihre Gefährlichkeit. Allein ihr Blick verunsicherte. Schon deshalb brachte man ihr die tägliche Ration Haferbrei immer zu zweit. Während sie einer mit brennender Fackel gleich einem wilden Tier fernhielt, damit sie ihm bloß nicht zu nahe kam, schob ihr der andere aus gebührendem Abstand mit einer Stange den Napf zu. Ihm graute jedes Mal davor und er hoffte, dass sie bald gerichtet würde. Aber aus unbegreiflichen Gründen ließ man sich damit noch Zeit.

Normalerweise schlief er jetzt. Aber daran war heute nicht zu denken. Je länger die Ungewissheit, desto unruhiger wurde er. Mal griff er zur Lanze und erhob sich, um im gleichen Moment wieder auf den Stuhl zu sinken. Was sollte er tun? Den Hauptmann zu informieren, wagte er nicht. Er könnte bemerken, dass er getrunken hatte. Außerdem, wie sollte er ihm etwas erklären, was er nicht erklären konnte? War es wirklich der Magister oder nur sein Spiegelbild? Nicht mal dessen war er sich sicher.

Wollte er wirklich Klarheit, blieb ihm nichts, als hinabzusteigen, selbst auf die Gefahr, damit sein Leben zu riskieren.

Also fasste er sich ein Herz, nahm Lanze und Laterne und öffnete die Tür. Zuvor setzte er noch die Haube mit dem Geierschnabel auf - eine Maske, die ihn vor dem bösen Blick schützte. Dann schlug er den Kragen hoch, spuckte dreimal über die linke Schulter und steckte das bronzene Kruzifix in den Gürtel. Er würde es ihr auf die Stirn drücken, sollte sie ihm zu nahe kommen.

Lautlos stieg er die Treppe hinab, von der er jede Stufe kannte. Immer auf der Hut vor etwas Bösem, was ihm, wie er glaubte, jeden Moment widerfahren müsste, starrte er gebannt hinunter und war doch voller Anspannung.

Immer weiter stieg er hinab. Die Luft wurde kalt und stickig. Nur noch Ratten und Hexen verirrten sich hierher, und ihm erschien diese Gruft wie ein Vorhof zur Hölle. Schließlich aber nahm er einen schwachen Lichtschein wahr.

Beim Himmel, es verschlug ihm die Sprache. Das war doch unmöglich! Fassungslos betrachtete er jetzt das sich ihm bietende grauenhafte Bild. Dabei geriet er so durcheinander, dass er nicht wusste, was er jetzt tun sollte. Sah er doch etwas mit an, was er bestimmt nicht sehen sollte und doch musste.

Auch wenn er genau wusste, dass es ihm das Leben kosten könnte, würde er jetzt ertappt, konnte er nicht anders als Zeuge von etwas Unbeschreiblichem zu werden.

Ihre nackten Leiber waren eng umschlungen und verharrten in eindeutigen Posen. Ab und an richtete sie sich auf, um ihn wollüstig zu dominieren. Dann wieder neigte sie sich willfährig zu ihm herab, indes er völlig berauscht ihren Kopf in seinen Schoß drückte.

Zweifellos bereitete es ihr Spaß, ihn qualvoll zu verführen, und war darin eine Meisterin.

Einen Moment überlegte er, ob er nicht vor sie hintreten und ihr die Lanze in die Brust rammen sollte. Dann wäre ihr Opfer erlöst. Aber er ließ davon ab.

Zum Glück waren sie so vertieft, dass er unbemerkt blieb. Er hatte genug gesehen, um zu wissen, dass der Magister längst verloren war. Möge der Himmel seiner armen Seele gnädig sein.

Es gelang dem Wächter nach kurzer Zeit, sich wieder unbemerkt nach oben zu entfernen. Hier platzierte er sich wieder auf dem Stuhl neben der Tür und wartete mit der Lanze in der Hand, bis ihm die Glieder schwer wurden und sein Kopf nach vorne sank.

Irgendwann erschrak er und sah eine dunkle Gestalt an sich vorüberhuschen. Noch bevor er Genaueres sagen konnte, war sie schon wieder verschwunden. Er eilte ihr nach, hastete die Treppen hinunter und erreichte schließlich das Zugangstor.

Hier spähte er in die morgendliche Dämmerung. Aber von der Gestalt war nichts mehr zu erkennen. War es wirklich der Magister? Zwar meinte er, es beschwören zu können, würde es aber niemals wagen. Oder doch?

Sofort begab er sich wieder an seinen Platz zurück. Pflichtbewusst verriegelte er die Tür und steckte den Schlüssel ein. Dann endlich nahm er einen weiteren Schluck.

Doch die nächsten Stunden wurden für ihn zur Qual. Er kam einfach nicht zur Ruhe. Geschah das wirklich oder war es nur ein Traum?

Als er bald darauf mit seinem inzwischen eingetroffenen Knappen erneut in den Keller hinabstieg, um ihr den Brei zu bringen, nahm er allen Mut zusammen und sprach sie daraufhin an. Er musste wissen, ob das, was er gesehen hatte, kein Trugbild war. Sie aber lachte ihn nur höhnisch an und bleckte die Zähne, worauf die beiden zu Tode erschraken und zurückwichen.

Das war zu viel für ihn. Sie war besessen, das stand fest. Doch ihre Kaltschnäuzigkeit überraschte ihn. Als ihn nachts darauf noch Alpträume plagten, wusste er, dass er sich offenbaren musste. Anderenfalls würde er bis zum Ende seines Lebens im Fegefeuer schmoren.

Also suchte er am folgenden Tage Se. Cantorius in seiner Amtsstube auf. Dort trug er ihm die Sache in allen Einzelheiten vor. Der hörte sich das auch an, war fassungslos und wurde vor lauter Schreck ganz blass.

„Und du hast auch nicht getrunken?“

„Bei meiner Seele, edler Dominus“, log er. „Ich sage Euch, genau so war es! Der Magister war wie von Sinnen! Sein Gesicht war feuerrot, seine Augen leuchteten vor Zorn, und er ließ nicht mit sich reden. Was ich auch sagte, er hörte nicht zu, hatte nur die Hexe im Kopf. Und als er dann im Turm verschwand, flatterte kurz darauf eine Fledermaus heraus. Da bekam ich es mit der Angst und wusste, dass etwas Schlimmes geschehen war. Fast zwei Stunden war er bei ihr.“

„Jesus Maria! … Und du bist bereit, das zu beeiden?“

„Aber gewiss, Dominus, jederzeit! Der Herr ist mein Zeuge, und ich habe noch nie …“

„Schon gut.“ Der Ratsherr winkte ab und dachte einen Moment angestrengt nach. Dann aber befahl er ihm, vorerst darüber still zu schweigen. Keine Menschenseele dürfe darüber etwas erfahren. Er müsse sich erst beratschlagen. Dann entließ er den Wächter.

Bereits kurz darauf setzte er sich mit Dn. Consul in Verbindung. Beide kamen darin überein, dass mit dem Magister etwas nicht stimmte. Das sei schon während des Prozesses deutlich geworden, als er ihr wiederholt unanständig nahe gekommen war und zudem unerklärliche Milde walten ließ.

Man habe nur nicht intervenieren wollen, da das Urteil auch so zu aller Zufriedenheit ausfiel. Sollte der Wächter allerdings die Wahrheit sprechen – und man hatte keinen Grund, daran zu zweifeln - wäre ein solches Verhalten nicht mehr zu tolerieren.

Schon deshalb müsse man sich unverzüglich an den örtlichen Amtshauptmann, den edlen Herrn Matthias von Revenstein, wenden, da er in seiner Funktion dem Tribunal als oberster Ratsherr vorstehe und über die Sache entscheiden könne.

Nachdem ihm das vorgetragen wurde, lachte er laut auf und erkundigte sich nach der Quelle. Erst als man ihm einvernehmlich die Loyalität des Wächters versicherte, der schon seit Jahren anstandslos im Dienst der Stadt stand und noch auf das seltsame Verhalten des Magisters während des Verhörs hinwies, wurde er nachdenklich.

Nun und räumte ein, dass ein solches Verhalten schon sehr merkwürdig sei. Zugleich aber gab er zu bedenken, dass Hexenfälle nicht selten in Phantastereien gipfelten und stumpfsinnige Wächter dafür anfällig waren.

„Gibt es noch weitere Beweise?“, wollte er wissen.

Se. Cantorius verneinte.

Das gefiel dem Edlen nicht. Ein Pedant wie er mochte keine vorschnellen Entscheidungen, schon gar nicht aufgrund eines Zeugenberichtes, der durch nichts belegt war.

Besorgt strich er sich über den sorgsam gezwirbelten Schnauzbart und mahnte, dass man sich in diesem Fall keine Irrtümer leisten könne. Immerhin sei der Camerarius ein guter Bekannter von niemand Geringerem als dem Commendator zu Lohenstein, des von Gottes Gnaden erlauchten Prinzen zu Preußen und Burggraf in Brandenburg seiner Majestät Christian Philipp höchst selbst.

Dabei verzog sich sein Gesicht voller Ehrfurcht, was seine tiefe Skepsis und mangelnde Bereitschaft erahnen ließ. Natürlich verschwieg er seine eigenen Intentionen, wovon die beiden anderen aber längst wussten.

Schon deshalb hielt er es für geboten, die Sache nicht sofort öffentlich zu machen, sondern durch weitere Indizien zu untermauern. Bis dahin würde auch die Vollstreckung des Urteils gegen die Hexe ausgesetzt, damit sie gegebenenfalls als Zeuge herangezogen werden könnten. Ebenso hatten fortan jede Übergriffe zu unterbleiben und sie sollte ordentlich versorgt werden.

Um ihren Zustand zu stabilisieren, sollte sie ab sofort wieder ins Frauenverlies zurückverlegt werden. Erst wenn die Beweislage ausreichend wäre, könnten weitere Schritte folgen.

„Meine Herren, wenn es sich wirklich so verhält, muss die Sache stichfest sein! Alles andere wäre ein unverantwortlicher Skandal.“

„Natürlich, Euer Gnaden“, erwiderte Se. Cantorius ergebenst. „Gewiss ist ein Mann wie Daniel Titius sehr verschlagen und wird deshalb mit Sicherheit über die wirkliche Sachlage zu täuschen versuchen. Aber glaubt mir, ich habe selbst gesehen, wie weibstoll er war. Mehrmals hat er sich im Verhör neben sie gekniet und so leise gesprochen, dass wir es nicht protokollieren konnten. Vielleicht nannte er dabei gar selbst die Formel?“

„Und die Leibesvisitation konnte er auch nicht mit der nötigen Sorgfalt absolvieren“, sekundierte ihm Dn. Consul. „Ich sage Euch, er war drauf und dran, sie zu bespringen. Dabei ist doch bekannt, dass er dazu gar nicht in der Lage ist. Ihr solltet uns daher autorisieren, auch sein Umfeld aufzuklären und ihn notfalls zu arrestieren.“

„Aber mein Bester, was verlangt Ihr da von mir?“ Herr von Revenstein lachte laut auf. „Das ist doch alles nur eine Frage des Geschicks. Es liegt also in Eurer Hand. Nur bitte ich darum, die Sache so diskret wie möglich zu behandeln.“

Zwar gefiel das den beiden anderen nicht, aber man kam dennoch darin überein, den Magister zu beobachten.

So wurde es beschlossen und bis dahin sollte man über alles Weitere kein Wort verlieren. Auch der Büttel hatte über diese Meldung strengstes Stillschweigen zu wahren. Jeder geringste Verstoß würde schwer geahndet.

Damit war die Unterredung beendet und die Herren begaben sich zurück in ihre Amtsstuben.


Ende Teil 1


Die Lohensteinhexe

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