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7 Zweiter Teil: WhatsApp - schöne neue Welt

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20.08.19, 22.46 - Justine „Hallo Justine, es ist Justine“

22.47 – Felix „Hallo Justine. Ich habe die Nachricht erhalten. Ici Felix.“ („Hier Felix“)

22.49 - Justine „Wisse, dass ich wirklich froh bin, hier mit dir sprechen zu können, um mir zu sagen, was du gerade schön machst.“

22.51 - Felix „Ja, es ist besser so.“

Endlich! Gewohntes Terrain! Ich war glücklich! Wir waren von Facebook zu Facebook gewechselt. Instagram und WhatsApp gehören ja mittlerweile beide zum Zuckerberg – Konzern.

Ich bin mir nicht sicher, ob meine Ansicht einer datenrechtlichen Überprüfung standhielte, aber WhatsApp scheint mir, durch die andere Art der Textverschlüsselung, sicherer zu sein als Instagram. Wer Privates und Delikates mitzuteilen hat, ohne es allzu öffentlich teilen zu wollen, der tut dies, meiner Meinung nach, besser auf dem Textkanal. Der ist wahrscheinlich auch kein Fort Knox, was Datensicherheit angeht, aber doch nicht ganz so zugänglich, wie Instagram.

Wir hatten uns also ins virtuelle Séparée zurückgezogen.

Der Umstieg auf WhatsApp löste bei mir das Gefühl aus, wieder zuhause zu sein, in gewohnter Umgebung. Mein Account. Mein Hintergrund. Meine Schriftgröße. Meine Farbe. Sicheres Gelände!

Wir legten los! Die Neugier beherrschte den Moment. Territorien wurden erforscht und abgesteckt.

22.52 - Felix „Sag mir bitte: wo genau bist du gerade? Abidjan? San Pedro?“

22.54 - Justine „San Pedro? Nein, ich kenne diese Stadt nicht einmal. Ich bin in einer Stadt in Abidjan. Ruf Cocody auf und sag mir, warum du diese Stadt kennst. San Pedro.

22.57 - Felix „Weil ich gerade eine Google-Maps-Karte von Côte d´Ivoire vor mir habe und mich frage, wo du wohl bist. Cocody. Ich habe es gefunden. Das ist in der Nähe vom Ivoire-Golf-Club. Gibt es viele reiche Leute dort?“

Einige Wochen später sollte ich erfahren, dass meine Frage gar nicht so albern war, wie sie auf den ersten Blick aussieht. Es gibt in Abidjan zwar einige wenige, unverschämt reiche, aber noch viel, viel mehr, unfassbar arme Menschen, die in Verhältnissen leben, die ich mir in meinen schlimmsten Alpträumen nicht hatte vorstellen wollen.

23.01 - Justine „Es ist wirklich toll, wie sie finden können, wo ich bin und es ist wirklich eine schöne Stadt. Und es gibt viele Touristen, die auch in diesem Land kommen“

Die Energie, die das Hochgefühl des Plattformwechsels erzeugte, setzte ich direkt um in Aktivität. Ich ließ mein Tablett im Netz nach Bildern Abidjans suchen. Das gute Stück wurde fündig. Wunderschöne, alte Häuser aus der Kolonialzeit in Grand Bassam, einem, etwas außerhalb gelegenen, Stadtteil. Justines Lieblingsrestaurant - Saakan. Strände. Innerhalb von 20 Minuten sammelte ich mit meinem zweiten Bildschirm eine unglaubliche Anzahl an Scorerpunkten. Es rauschte im Netz. Die Schöne war beeindruckt und mir gefiel das. Ich ließ mich hemmungslos feiern. Noch fand sie „toll, wie ich finden kann, wo sie ist“. Einige Wochen später war das anders. Doch in diesem Moment schlug meine Eitelkeit Pfauenräder. Ich war großartig und postete ihr ein Bild nach dem anderen ins gelobte Land. Und sie? Sie lobte weiter:

23.42 – Justine „du bist wirklich wundervoll von dem was ich sehe, dass du es nicht zu Ende findest und ja, es ist wirklich wundervoll.“

Ich versuchte gar nicht, den Satz vollständig zu begreifen. Zweimal „wundervoll“ war vollkommen ausreichend. Mehr brauchte ich nicht, um selbst ins Schwärmen zu geraten.

23.51 - Felix „Ich sehe die Bilder und bekomme zum ersten Mal seit langer, langer Zeit Fernweh.“

Ja, so war es. Ich, der ansonsten seine Urlaube lieber in den Alpen beim Kraxeln verbringt, sah die Bilder von Grand Bassam und saß, in Gedanken, bereits im Flugzeug. Sowohl das ferne, fremde Land, als auch die dazugehörige Französin waren zu erkunden. Noch einmal säuselte ich einen Satz unter drei Bilder von märchenhaften Stränden:

23.59 - Felix „Jetzt mache ich in meinem Kopf Urlaub in deinem Land.“

Dann war das Tagesziel erreicht. Sie begann mit der Verabschiedung, nicht, ohne den Anschlusstermin in Aussicht zu stellen.

23.59 - Justine „Ok, ich bin froh, dass du das alles gefunden hast und jetzt sage ich gute Nacht, denn es ist Zeit für mich, ins Bett zu gehen. Ich wünsche dir eine schöne und angenehme Nacht und habe mich sehr gefreut, in der Lage zu sein, dieses schöne Gespräch mit ihnen zu teilen, und ich hoffe, dass es für morgen möglich sein würde“

Damit war, nach unserem Insta – Strip, auch die erste WhatsApp-Session beendet. Ich hatte keine Ahnung, was ihr in der guten Nacht widerfahren würde, die sie, für mein Gefühl, etwas zu früh eingeläutet hatte. Dass ich im Traum ins tiefe, warme Meer steigen würde, das wurde mir klar, als ich den ersten Versuch unternahm, schlafen zu gehen.

Natürlich war alles möglich, nur daran nicht zu denken. Ich versuchte ein Buch. Ich versuchte Netflix. Doch das Synchronschwimmen mit meiner französischen Meerjungfrau drängte sich in jedes, noch so trickreich eingefädelte Ablenkungsmanöver. Nach mehreren, erfolglosen Anläufen schlief ich schließlich irgendwann, mitten in der Nacht doch noch erschöpft ein und es kam, was kommen musste. Die Wogen des Atlantiks schäumten durch meine Träume und ließen mich, gefühlt, stündlich erwachen und an Justine denken. In meinen, etwas wabbeligen, in die Jahre gekommenen Körper war vorübergehend ein spätpubertierender Fünfzehnjähriger eingezogen. Ich bemerkte den Wandel belustigt, ließ mich jedoch nicht weiter stören und schlief tatsächlich immer wieder ein.

Am nächsten Morgen, es war der 21. August, eröffnete das treue Weib die nächste Runde unseres Tète-a-tète.

21.08.19, 11.16 - Justine „….ich hoffe, dir geht es gut und dass du eine schöne und angenehme Nacht hattest und einen schönen Traum hast….“

Einen schönen Traum? Zum Teufel! Über welche geheime Leitung hatte die Frau Verbindung hergestellt zum Reich meiner Wünsche und Begierden. Ich war alarmiert und brauchte Zeit zum Nachdenken. Ich ließ einige Stunden verstreichen.

14.02 - Felix „Hallo Justine. Ich denke den ganzen Tag an dich. Ja, ich habe sehr gut geschlafen. Danke! Zurzeit bin ich bei der Arbeit, noch bis 22.00 Uhr.

Das hätte ich sagen sollen: „Denke nicht, dass du hier einfach so in mein Leben knallen und meinen Zeitplan bestimmen kannst. Deshalb habe ich dich drei Stunden auf eine Antwort warten lassen!“

Und das hatte ich gesagt: „Ich bin in Liebesdingen komplett auf dem Trockendock. Verdorrtes Land! Verstehst du? Und es ist mir völlig egal, dass du aussiehst, als wärst du viel zu jung für mich und….“

Zugegeben, eine sehr freie Übersetzung des Satzes „Ich denke den ganzen Tag an dich“, aber ich fürchte, genau das war die Botschaft, die bei meiner Blondine ankam.

Die passende Antwort ließ, selbstverständlich, auf sich warten. Justine hatte das Spiel nicht nur eingefädelt, sie hatte es auch verstanden und spielte es souverän. Pünktlich, mit einer, ans Magische grenzenden Schärfe der Intuition, kam um 20.37 ihre Nachricht. Gut zwanzig Minuten vor meinem tatsächlichen Dienstschluss. 22.00 Uhr war gelogen gewesen, weil ich eine Stunde für mich hatte haben wollen.

Sie hoffe, dass es mir gut gehe, schrieb sie. Zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit fragte ich mich, über welche Kontakte zur klingonischen Geheimregierung diese Frau verfügen musste, um so ungefiltert in mein tiefstes Inneres blicken zu können. Nein, das konnte kein Zufall sein. Magie? Voodoo? Irgendein seltsamer, afrikanischer Zauber? Für den Bruchteil einer Sekunde wurde mir Justine unheimlich. Dann fand ich zurück ins Hier und Jetzt.

Sie hatte eine Antwort verdient. Wenn ich, an diesem Abend, noch etwas von ihr wollte, musste ich reagieren. Nicht in drei Stunden – sofort!

Ich hielt mich nicht lange mit den Fragmenten meines pulverisierten Zeitplans auf, sondern bestätigte wenige Minuten später die Bereitschaft, den Dialogfaden nach meiner Heimkehr um halb zehn wieder aufzunehmen. Peinliche Rückfragen wurden mir diskret erspart. So sprang ich auf mein Verkehrsmittel und hetzte, diverse rote Ampeln missachtend, nach Hause. Um 21.29 Uhr konnte ich, schwitzend und atemlos, Vollzug melden.

21.29 - Felix „Hallo Justine. Ich bin da. Wie war dein Tag?“

21.31 - Justine „Guten Abend, Felix, mein Tag, es ist großartig, danke und ich hoffe, es ist dasselbe für dich. nur, weil mir so langweilig war, weil ich den ganzen Tag allein war und auch glücklich bin schreibe auch“

Sie war allein. Wie schön! Das ließ sich ändern. Sie war glücklich, zu schreiben. Ich auch. Nach Einigem aus meinem Arbeitsalltag fragte ich, was sie den ganzen Tag gemacht habe. Das fasste sie in einem einzigen Satz zusammen.

21.52 - Justine „um ehrlich zu sein nichts besonderes am morgen joggen und dann ein paar stunden laufen und ich bin auch auf der spur, wie es meiner oma geht, dann bin ich zurückgekommen, so war der heutige tag“

Joggen, Laufen und….hatten wir die Oma bereits erwähnt? Jetzt schon. Der einzige Lebenszweck meiner Herzdame, neben Nahrungsaufnahme, Schlafen und Atmen, wurde in einem kurzen Nebensatz gestreift. Irgendein unzugänglicher Winkel meiner Seele ahnte bereits, dass die Zweisamkeit mit der gut erzogenen Französin sich bald zum Dreier mit Großmutter entwickeln würde. Wahrhaben wollte ich diese verstörend unangenehme Ahnung noch nicht. Wozu auch? Die Oma war weit weg in Abidjan und hatte kein WhatsApp. Meine virtuelle Freundin dagegen räkelte sich, gefühlt, neben mir auf der Matratze. Wen stört da die Verwandtschaft im fernen Afrika?!

Andere Themen.

23:46 – Justine: Ich frage Sie, ob Sie alleine oder mit jemandem leben

Jetzt war es klar! Sinnvoll, dass voneinander zu wissen. Ich antwortete wahrheitsgemäß.

23:49 – Felix: Ich lebe allein in einer kleinen Wohnung. Alle zwei Wochen am Wochenende kommt meine Tochter zu Besuch. Sonst ist hier niemand. Ich bin allein, ja. Wenn ich mit jemandem leben würde, würde ich dir nicht schreiben. Warum fragst du?

Was für eine Frage! Klar, im Nachhinein ist man schlauer - meistens! Der Vorteil des „Nach – Denkens“, im Vergleich zum „rechtzeitig Denken“, ist, dass man das Ergebnis schon kennt. Das ist normalerweise sehr entspannend. Man schaut rückwärts auf eine abgeschlossene Geschichte. Heute sehe ich Folgendes: Justine, die reizende Französin, jung, hübsch, intelligent, erkundigt sich, wieviel Platz in meinem Leben für eine Partnerin ist. Gleich wird sie sich, von ganzem Herzen, freuen, dass ich so gut wie frei bin. Break!

An diesem Punkt ist der Spaß für mich vorbei. Eigentlich sollte ich mich ebenfalls freuen, doch es macht mir grausamen Stress! In meinem Unterbewusstsein fangen alte Filme an, zu laufen. Die Aufnahmen sind unscharf und miserabel belichtet. Doch eins ist schon jetzt zu erkennen: es droht, was ich mir am sehnlichsten wünsche: Geliebt zu werden! Ein Glück! Zumindest als Option. Die Aussicht darauf bringt meine Innereien komplett durcheinander. Will sie? Sie will! Brav, andere nennen es naiv, fülle ich ihren Fragebogen mit den gewünschten Antworten und sende ihn ins Reich der Sonne. Die Holde ist beglückt. Und ich bin froh, dass sie froh ist.

23:53 – Justine: Ah ok es ist wirklich zu sagen, dass ich nichtsagen kann, dass ich froh bin, dass du alleine lebst, aber ich bin ziemlich froh, dass du mir schreiben kannst, weil es mich wirklich froh macht, dass ich mit einem Mann wie dir sprechen kann. es ist wirklich nett von dir, mir zu schreiben

Pause…

01:01 – Felix: Musst du morgen etwas tun?

01:05 – Justine: Nicht viel und ich denke, ich werde mich in deiner Abwesenheit morgen sehr langweilen, Felix, weil ich am Tag niemanden zum Reden haben werde ��

01:10 – Felix: Schreib mir. Ich kann während der Arbeit oft nicht antworten, wenn ich Kunden habe. Aber, sobald ich Zeit habe, werde ich dir antworten.

Die nächste Bastion war geräumt. Bislang hatte ich immer streng darauf geachtet, dass meine Arbeitszeit chatfreie Zone bleibt. Ich mag es nicht, Dinge zu vermischen, die nicht zusammengehören. Arbeit, Familie, Freizeitvergnügen – wenn man diese Aktivitäten durcheinanderbringt, erzeugt dass unnötige Unruhe und Stress. Dieses sogenannte Multitasking, das viele der Gehetzten in unseren modernen Großraumbüros wie eine Art Leistungssport betreiben, erscheint mir als Symptom der Unfähigkeit, sich auf eine Sache wirklich einzulassen. Es ist keine olympische Disziplin, sondern eine Krankheit. Während man, scheinbar, noch mit dem einen beschäftigt ist, prüft man schon die Optionen für das Nächste und Übernächste. Dadurch ist man nie ganz da, wo man eigentlich ist. Ein Teil unserer Gedanken, Gefühle, unserer Aufmerksamkeit ist immer schon weiter, in einer möglichen Zukunft. Das Leben aber findet in der Gegenwart statt, immer - und nur dort!

Weil die digitale Taktung, die in Millisekunden Milliarden Euro oder Dollar um den Globus schiebt, mittlerweile überall unseren Rhythmus bestimmt, können wir nie ganz in der Gegenwart leben. Das erzeugt Spannungen und permanente Unzufriedenheit.

Und vor allem: so wie wir arbeiten, führen wir auch unsere Liebesbeziehungen. Zack, zack! Wer nicht funktioniert, wird ausgetauscht. Das Leben wartet nicht! Der Ersatzmann steht schon vor der Tür. In der Arbeitswelt braucht man Tempo und Flexibilität, im Beziehungsalltag heißt dies Unabhängigkeit. Das lässt allzu tiefe Empfindungen nicht zu, seien sie nun freudig oder schmerzvoll, denn tiefes Fühlen braucht Zeit. Zeit, die keiner mehr hat.

Das Ergebnis: wir verschachteln Oberflächen. Wenn genügend davon verbaut sind, entsteht manchmal sogar etwas, das, auf den ersten Blick, aussieht wie Tiefe. Etwas, das sich anfühlt, wie ein Leben, mit all seinen Erfahrungen, auch und vor allem den abgründigen. Oft genügt jedoch ein leichtes Zittern und das kunstvoll aufgetürmte Kartenhaus bricht zusammen. Die ständig wachsenden Patientenlisten therapeutischer Praxen erzählen einen Teil dieser Geschichte.

Die Reihe meiner eigenen Therapieerfahrungen ist ebenfalls lang genug. Nicht zuletzt deswegen hatte ich meine „goldene Regel“ aufgestellt: da sein – ganz! Eine Woche nach meiner ersten Begegnung mit Justine im Netz ist dieses Gesetz Geschichte. Warum?

Weil ich ein liebenswerter Mann bin, den sie gerne in ihrem Leben hat. Keine Frage - sie hat mich und ich habe sie. Nur, dass sie mich anders hat, als ich sie, aber das habe ich noch nicht begriffen.

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