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1 Vorspiel

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Guten Tag! Mein Name ist Weill, Kurt Weill. Ja, genau - wie der Komponist. Ich sehe, sie kennen sich aus. Meine Eltern wollten das so, obwohl wir nicht verwandt sind. Freunde nennen mich bei meinem Zweitnamen Felix. Das ist mir weitaus angenehmer. Felix, der Name meines Onkels und Taufpaten. Ich mochte ihn. Dass meine Initialen KFW identisch sind mit dem Namenskürzel der „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ ist nicht mehr als eine Laune des Schicksals und für den Fortgang der Geschichte ohne jede Bedeutung. Ihnen stelle ich mich an dieser Stelle vor, nicht, weil ich das für besonders wichtig, sondern weil ich es für ein Gebot der Höflichkeit halte.

Ich bin Ende 50, habe zwei Töchter mit zwei verschiedenen Frauen. Von der zweiten, die ich geheiratet hatte, lebe ich seit nunmehr fünf Jahren getrennt, allerdings ungeschieden. Alles in allem, man mag das bedauern, ist das heutzutage ja normal. Durchschnitt. Wie, mehr oder weniger, mein ganzes Leben.

Gesellschaftlich bin ich dort verortet, wo es am wenigsten weh tut. Am unteren Rand der Mittelschicht, knapp oberhalb der Armutsgrenze. Zum (guten) Leben habe ich zu wenig, zum Sterben zu viel. Man wurschtelt sich durch. Reichtümer anzuhäufen ist mir nie gelungen und war auch nie wirklich mein Ziel. Wahrscheinlich wird es nicht einmal für eine vernünftige Versorgung im Alter reichen. Dafür haben aber einige Geldjongleure, sogenannte Finanz- und Anlageberater ganz ordentlich an mir verdient. Immerhin etwas, wenn auch nichts Vorzeigbares.

Aufgewachsen bin ich in einer öden, scheintoten Kleinstadt, ungefähr zehn Jahre zu spät, um die großen Utopien mitzuerleben. Meine Zeit waren die Siebziger - Zeit der Experimente und Geschmacklosigkeiten – gesellschaftlich, politisch, künstlerisch.

Das erste Großereignis, dass ich bei vollem Bewusstsein miterlebt habe, war eine Trauerfeier. Die Zeremonie zum Tod von Konrad Adenauer, am 25. April 1967. Der „Alte“ trat damals gerade rechtzeitig ab, um den Umbruch in seinem Lebenswerk, dem konservativ restaurierten Restdeutschland, nicht mit ansehen zu müssen.

Der erste Bundeskanzler, den ich auch als solchen wahrnahm, hieß Willy Brandt. „Mehr Demokratie wagen!“ wurde in dem Jahr gewählt, als Neil Armstrong den Mond betrat. „It´s one small step for a man…“. Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein riesiger Sprung für die Menschheit. Mit wenig Aufwand viel erreichen, das wollte ich auch. Ein lässiger Hüpfer, Softlanding im Mondstaub und zack, wir alle waren im Weltall angekommen.

Ich saß als Neunjähriger drei Tage lang mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen, nonstop vor der schwarz-weiß-Glotze meiner Tante, bei der ich die Sommerferien verbrachte. Ich lauschte Günther Siefarths klugen Erklärungen. Damals war Fernsehen bis zur völligen körperlichen und mentalen Erschöpfung noch kein pädagogisches Problem. Danach hatte ich nur noch einen Wunsch: Ferne Welten entdecken, Astronaut werden. Wurde ich nicht. Ich arbeite zwar heute in der Reisebranche, aber gegen das Fliegen und gar durchs All, sprach meine notorische Flugangst, die ich einige Jahre später entdeckte. Zu dieser Zeit fuhr der Normalsterbliche noch mit dem VW Käfer ins Grüne, statt mit Ryan Air nach Malle zu jetten. Flugreisen in den Urlaub konnten sich meine Eltern und die meisten anderen Normalverdiener nicht leisten.

Hart gelandet bin ich, nach langem Anlauf, einigen abgebrochenen Studiengängen und einem erfolglosen Versuch als Kleinunternehmer, in einer großen, deutschen Firma. Sicher, krisenfest, nicht das Schlechteste in diesen Zeiten. Schließlich habe ich Unterhalt für zwei Kinder zu bezahlen und die sind mir das Wichtigste im Leben. Ich sehe diese Zahlungen als Pflicht, aber eine, die ich gerne erfülle, eine Herzenspflicht, auch wenn ich mich über die Summen gelegentlich mit den Müttern streite.

Mein Bänker hat mich, beim Einrichten des neuen Kontos, mit mitleidigem Blick als armen Mann bezeichnet, als er sah, welche Zahlungen ich monatlich zu leisten habe. Finanziell gesehen mag er recht haben. Aber ich will mich nicht bedauern. Mitleid finde ich nicht nur unangenehm, sondern auch unangebracht. Ich war bei der Entstehung beider Kinder anwesend, körperlich, seelisch und geistig, bin also voll verantwortlich und dazu stehe ich – ohne „Wenn und Aber“. Emotional fühle ich mich reich. Auch das hat überwiegend mit den Kindern zu tun. Alles andere würde meine Selbsterzählung grundsätzlich infrage stellen. Das lasse ich nicht zu. Gelegentlich frage ich mich, was sein wird, wenn die Kinder irgendwann ihr eigenes Leben leben und keine Lust mehr haben, ihren Erzeuger mit ihrer Gegenwart zu beglücken. Das macht mir Angst und diese Angst finde ich normal.

Überhaupt, normal: In meiner Jugend galt es als chic, nicht normal zu sein. Man tat alles, um aus der Masse herauszustechen. Unnormal, crazy, war das Normale für uns. Join your party every day. Heute bin ich der Normalste, Durchschnittlichste, den man sich vorstellen kann. In jeder Beziehung. Nicht, weil ich das besonders aufregend, sondern weil ich es zu anstrengend finde, anders zu sein. Ich sage meine Meinung, wenn es genügend andere gibt, die der gleichen Meinung sind. Ich verdiene ein Durchschnittsgehalt.

Nicht, dass das Leben mir nicht ein paar Angebote gemacht, ein paar Türen offengehalten hätte. Es war mir nur schlicht zu aufwändig, durch diese Türen auch hindurchzugehen, die Angebote anzunehmen. Karriere und Erfolg haben mich nie interessiert. Wäre ich in einem weniger behüteten Umfeld aufgewachsen, hätte ich das wahrscheinlich anders gesehen. Bin ich aber nicht. Ich war immer safe. Ich musste nie fighten und wenn doch, dann habe ich es gelassen. „Wer keinen Mut zum Träumen hat, hat auch keine Kraft zum Kämpfen“, haben die Spontis noch in den frühen Achtzigern an die Wände unserer Uni gesprüht. Den Mut zum Träumen hatte ich. Das war´s dann aber auch. Zum Kampf ist es nie gekommen. Auch deswegen war Karriere nicht mein Ding. Ich hatte einfach nicht das Gefühl, dass man dadurch glücklicher wird, dass sich der Aufwand lohnt.

Also habe ich mir meine eigene Komfortzone gebastelt. Ich nenne sie aufgeklärtes Spießertum. Es lebt sich nicht wirklich gut darin, aber angenehm unaufgeregt. Man geht zur Arbeit, zählt die Tage bis zum Renteneintritt und leidet, wenn man am Sonntagabend, nach einem schönen gemeinsamen Wochenende, die Tochter wieder bei ihrer Mutter abliefern muss. Die Große geht ohnehin schon länger ihre eigenen Wege und hat das Interesse an ihrem Biovater verloren, woran ich nicht unschuldig bin.

Man schreibt abends ein paar WhatsApp-Nachrichten an Freunde und füttert seinen Instagram - Account mit Bildchen, um seine knapp 200 Follower zu bespaßen und ein paar Likes fürs Ego abzuholen. Bei mehr als 50 fühle ich mich für einige Sekunden fame, wie meine Tochter das nennt. So weit, so na ja….bis zu jenem 15. August

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