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6 The day after

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Am nächsten Mittag, kurz vor meinem Abtauchen in die Arbeitswelt, schickte ich ihr, sonst nicht meine Art, ungefragt, unvermittelt und ohne Umschweife eine kurze Nachricht mit der Feststellung, dass ich ab 21.30 Uhr verfügbar sei.

oh ok keine sorge das passt zu mir und ich hoffe wir können noch ein gutes gespräch teilen“

Ich fühlte mich, wie vor 50 Jahren. Am 02. Dezember, morgens. Ich durfte das zweite Türchen öffnen. Schon am Abend. Ich war glücklich und wirklich gespannt, welche Leckerei sich dahinter verbergen würde.

Das Leben ist ja angeblich ein langer, ruhiger Fluss. Meiner begann, langsam anzuschwellen und sich mit Wasser und Sonstigem zu füllen. Der Anker war gelichtet und ich bereit, dem Strom des Lebens seinen Lauf zu lassen.

Deswegen konnte ich abends, nach einem aufregenden Tag, mit Fug und Recht behaupten, dass ich ein wenig verrückt sei. Natürlich nicht, ohne mich, direkt im Anschluss, pflichtschuldig nach dem Befinden der Großmutter zu erkundigen.

Ich denke, wir sind beide verrückt“, stellte sie den emotionalen Gleichklang wieder her „und über meine Großmutter ist sie nicht sehr gut, jetzt, wo ich mit ihr zusammen bin und ich liebe sie auch, weil sie dort allein ist und eine Familie, die mich vereint Bleib jetzt“

Was sollte dieses „Bleib jetzt“ am Ende ihrer Nachricht? War die Doppeldeutigkeit eine geschickt gesetzte Absicht oder lediglich ein Produkt meiner überspannten Fantasie? Meine Frage

Warum ist sie dort?“, wurde jedenfalls klug missverstanden und mit

Ich denke, sie muss sich jetzt ausruhen“ beantwortet.

Das war nicht das, was ich hatte wissen wollen. Ganz gegen meine sonstigen Gewohnheiten fragte ich vorsichtig weiter. Immerhin ging es um wichtige Dinge: Familie, Bindung, Verantwortung, Fürsorge. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, mich einem der entscheidenden Punkte unserer Beziehung zu nähern.

Warum ist sie nicht in Toulouse?“,

war dann auch die Frage, auf die sie gewartet hatte. Platz für Schicksalhaftes. Zeit und Raum, die ganze Schwere des Daseins in bleierne Sätze zu gießen.

Das ist wirklich eine lange Zeit, um es zu erklären, aber ich werde mein Bestes geben, um die Wahrheit zu sagen, seitdem meine Eltern gestorben sind. Meine Großmutter, Mutter, hat beschlossen, sich an der Elfenbeinküste niederzulassen, weil mein Vater wusste, dass er damit einverstanden ist. Mein Vater war in der Kakaokaffeeindustrie hier in der Elfenbeinküste“

Oh! Der Herr Papa ein Tier in der kolonialistischen Ausbeuterindustrie. Beide Eltern gemeuchelt. Die Großmutter, als letzte Verbliebene….was für ein Päckchen. Die Frau hat zu schleppen. Sofort meldete sich mein innerer Kofferträger, um beim Transport der Lasten behilflich zu sein. Vorher wollte ich aber wenigstens noch einmal schockiert zurückfragen. Vor lauter Betroffenheit verfiel ich direkt in ihre Muttersprache:

„Vos parents sont-ils tous deux morts?“ (für Nichtfranzosen: „ihre Eltern sind beide tot?“)

Wirklich und wahrhaftig? Als ob man mit so etwas Scherze machte. Sie jedoch nahm mir mein Entsetzen ab und antwortete ruhig und gefasst.

Und ja, ich habe vor langer Zeit alle meine zwei Eltern verloren und ich habe nur meine Großmutter als meine einzige Familie“

C´est triste.“ (das ist traurig)

Ich war, nicht nur sprachlich, in ihrer Welt angekommen.

und ja, es ist traurig, die Menschen verlieren zu können, die wir am meisten lieben, aber es ist das Leben, in dem wir nicht dabei sein werden“

Veux-tu m´en dire quelque chose?“ („willst du mir diese Dinge erzählen?“)

fragte ich und hatte innerlich längst beschlossen, die emotionalen Kosten für diesen Fall zu übernehmen. Ich erzählte der Armen, Gequälten, dass ich ab jetzt ebenfalls Google nutzen würde, um sie von der Arbeit des Übersetzens zu entlasten. Sie bestätigte kurz, gab mir aber zu verstehen, dass sie das keineswegs wünsche.

„….Aber um ehrlich zu sein, tut es mir sehr leid, dass Sie mich auf Französisch schreiben“

„Pourquoi? La traduction est-elle si mauvais?“, („warum? ist die Übersetzung so schlecht?“)

„Habe ich gesehen, dass du das gesagt hast, weil du nicht verstanden hast, was ich meine?“

Kein Wort hatte ich verstanden. Jedenfalls nicht, warum sie so viel Aufwand betrieb, mich davon zu überzeugen, dass unsere Verkehrssprache Deutsch bleiben sollte. Nichts hatte ich verstanden und ich war beleidigt, dass sie es gemerkt hatte.

Nein! Ich habe es verstanden.“

antwortete ich daher, leicht angesäuert. Natürlich auf Deutsch. Und damit war ich wieder in der Spur. Für meine Folgsamkeit holte ich mir ein Zuckerchen in Form einer kleinen Schmeichelei ab. Dass ich ein wundervoller und liebenswerter Mann sei, wurde als mögliche Streicheleinheit etabliert.

Damit waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Das Wichtigste jedoch kam, wieder einmal, zum Schluss.

„….sag mir, dass du eine WhatsApp hast, damit wir dieses Gespräch fortsetzen können“

„Ja, das habe ich.“

antwortete ich, ohne lange zu überlegen und schob meine Handynummer direkt hinterher.

Einige Zeit später, als, durch diverse Ungereimtheiten in ihrer Geschichte, mein Misstrauen Nahrung bekam, begriff ich, warum dieser Schritt notwendig gewesen war. Doch da war es zu spät. Jetzt gab ich einfach zu Protokoll, dass mich überhaupt nichts mehr störe, beantwortete ihre WhatsApp-Nachricht und ließ es gut sein.

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