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11 Bilder – alt und jung

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13:26 - Justine: <Bild von Justine>

Ein überaus hübsches, blondes Mädchen lächelte mich, mit nur leicht bekleidetem Oberkörper, bäuchlings auf einem Holztisch liegend, versonnen aus großen, grün – grauen Augen an. Dazu wurde eine Textzeile gereicht.

13:27 - Justine: Wenn ich alleine zu Hause bin und sehr an dich denke Felix

Sie lag, halb nackt, allein zuhause auf einem Holztisch und dachte sehr an mich. Boooom!!! Innerhalb von Sekundenbruchteilen wurde alles sauerstoffhaltige Blut in meiner unteren Körperhälfte benötigt.

Mir hätte auffallen dürfen, dass das Mädchen auf dem Bild und das Alter, dass sie mir genannt hatte, demnächst 34, nicht zwingend zusammenpassten. Ebenso wenig dieses Bild und ihr Profilfoto auf Instagram. Dass zeigte eine deutlich reifere Frau.

Nun gibt es Menschen, die sich ein Leben lang weigern, so alt auszusehen, wie sie, den Angaben ihres Ausweises zufolge, eigentlich zu sein hätten. Ich, zum Beispiel, gehörte lange dazu. In schönster Regelmäßigkeit wurde ich mindestens zehn Jahre jünger geschätzt. Das geschieht selbst jetzt noch, nachdem ich weitestgehend ergraut bin und mir einen Bart habe stehen lassen, um endlich eine altersgerechte Fassade zu besitzen. „Was, so alt bist du schon?“, lautet die Standardfrage, wenn ich Leute mit der harten Realität konfrontiere. Selbst von Personen, denen ich zutraue, mir die Wahrheit zu sagen. Von daher ist mir durchaus bewusst, dass man, allein aufgrund eines einzigen Bildes, mit Schätzungen des Alters vorsichtig sein sollte. Aber die Bild - Justine ist, wenn ich das Foto heute betrachte, vielleicht Ende zwanzig, mit etwas gutem Willen dreißig. Es wollte mir nicht auffallen. Strike!

Die wenigen verbliebenen Zellen meines Großhirns schwammen in einem Cocktail aus Adrenalin, Testosteron und anderen Leckereien. Hinter meiner Stirnplatte befand sich ein Organ, das sich anfühlte wie ein Weißbrot, das zu lange in Milch gelegen hat. Klares Denken war nicht mehr möglich. Ich versuchte tiefes Atmen, um wenigstens die Kontrolle über meinen Restkörper zurück zu erlangen.

13:28 - Felix: Merci merci für das schöne Bild,

stammelte ich per WhatsApp, nur, um irgendetwas von mir zu geben, was mehr war als „Hmpffffhgnnnhpfff!“ Justine blieb cool. Sie konnte oder wollte nicht wissen, welche Verwüstungen sie gerade in meinem Bewusstsein angerichtet hatte. Oder sie wusste es und wollte mich mit dem Genuss noch ein Weilchen allein lassen, der intensiveren Wirkung wegen.

13:32 - Justine: Du arbeitest gerade, Liebling?

Die Frage, las sich so „unschuldig“, wie ihr Foto aussah. Heute stelle ich mir zu dieser Frage ein diabolisches Grinsen vor. Damals nicht. Langsam sammelte ich mich wieder. Ich seufzte tief und schickte ihr meinerseits ein frisch gesmartphonetes Ganzkörperportrait. Kein Photoshop. Kein Filter. Kein Fake. Alter Mann auf Terrasse, in die Sonne blinzelnd. „Frau, ich könnte dein Vater sein“, dachte ich noch, bevor ich „Senden“ drückte. Dann wandte ich mich dem anstehenden Treffen mit meiner realen Tochter zu und setzte mich aufs Fahrrad.

Bald nach meiner Ankunft schickte ich eine weitere Aufnahme. Vater und Tochter vor Grünzeug im Garten. Ich war wieder klar und wollte keine falschen Vorstellungen aufkommen lassen. Wer mich nimmt, der kriegt meine Töchter dazu. Allein gibt´s mich nicht! Kein Problem für Justine. Einige Tage später waren die beiden bereits adoptiert. Doch zunächst einmal:

15:57 - Justine: Wao Felix du hast ein sehr schönes Mädchen, mein Schatz sie ist wirklich schön und sehr süß

16:21 - Felix: Ja, das ist sie. Wir werden jetzt ihr Zimmer aufräumen, weil sie am Mittwoch wieder zur Schule gehen muss. Da sollen die Dinge an ihrem Platz sein.

Und damit war Pause. Nach meiner Rückkehr: 15 Minuten Larifari. Dann eine weitere Streicheleinheit:

20:35 - Justine: Ich lerne dich kennen und entdecke, wie du wirklich bist. Ich denke, du hast Recht und bist sehr nett. Ich mag deine Art, mit mir zu reden. Du bist so spät bei mir. Du bist respektvoll und ich mag, dass du gut mit mir sprichst. Wenn ich mich hinlege und mit dir plaudere, dann weiß ich, dass es das ist, was ich am meisten Liebe.

Zwischendurch wurden andere Themen ventiliert. Dann wieder:

21:46 - Justine: Du bist wirklich ein wunderbarer und außergewöhnlicher Mann, ich denke, nur du wirst mich glücklich machen, und an deiner Seite würde ich wieder Leben. Ich würde die Definition einiger Worte wie Vertrauen, Teilen, Aufrichtigkeit, Liebe und Treue wieder lernen.

Was genau meine junge Liebe unter Treue und Aufrichtigkeit verstand, dass sollte ich noch erfahren. Ebenso war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, was genau sie eigentlich teilen wollte. Heute unterstelle ich, dass sie, auch an diesem Abend schon, recht deutliche Vorstellungen davon hatte. Auf alle Fälle hatte ich erst einmal eine Träne im Auge. Emo extrem. Trotz dieser sentimentalen Aufwallung war allerdings noch etwas zu klären. Es ließ mir keine Ruhe. Nichts gegen hübsche, junge Frauen. Aber ein Vierteljahrhundert Altersdifferenz? Das erschien selbst mir reichlich viel.

21:50 - Felix: Bin ich nicht eigentlich zu alt für dich? Ich bin ungefähr doppelt so alt wie du.

21:56 - Justine: Weißt du, Alter war nie ein Problem für mich. Und es gibt kein Alter in der Liebe, sonst würde ich dich nicht Kontaktieren, durch das, was ich Suche eine wahre Liebe des Herzens und einen Mann, der mir passt und weiß, dass es sehr wichtig ist, dass alle Welt ernsthaft nach einer Frau oder einem treuen, freundlichen frenche sucht.

Ich wusste nicht, was ein frenche ist. Der Rest ihrer Ausführung ließ jedoch an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Die Antwort auf meine bange Frage. Auch wenn ich damit überhaupt nicht zurechtkam: ein Mensch weiblichen Geschlechts hatte mir Liebe angedroht. Das reichte für einen erneuten Hormonschub. Glauben sie mir: das funktioniert auch noch in fortgeschrittenem Alter.

Als ich selbst in den Dreißigern war, waren meine Freundinnen in der Regel jünger, oft deutlich. Die Beziehungen haben die magische Zweijahresmarke auch meistens nicht überstanden. Wenn sie denn überhaupt so weit kamen. Die Kleinen wollen spielen und der Dreißiger wehrt sich verzweifelt gegen das Erwachsenwerden. Das passt für eine Party zusammen, vielleicht für einen Sommer, aber nicht für weiterreichende Pläne. Schluss! Nach dem letzten dieser Enden bin ich dann, statt mich einfach an einen Baum zu hängen, in Therapie gegangen. Für satte elf Jahre. Danach hielt ich mich für geheilt, gesellschaftstauglich und bereit, zu heiraten und Kinder zu versorgen. Trotzdem wäre ich nie auf die Idee gekommen, etwas mit einer Frau anzufangen, die ein Vierteljahrhundert älter ist als ich.

Was also sucht die leckere, junge Französin bei mir, dem alten, deutschen Sack? Nun ist das zwischen Männern und Frauen offenkundig unterschiedlich. Der Mann darf, im Schnitt, gerne ein paar Jährchen älter sein. Wobei, gerade in letzter Zeit, die reife Frau ja durchaus auch zum Jungmann tendieren soll. Ich kenne Paare, bei denen das funktioniert, aber das ist hier nicht das Thema. Break!

Schon war ich wieder voll drauf! Adrenalin ist ein geiles Zeug! Ich nutzte den Schub, um mich aus der Diskussion herauszuwinden, die ich in meiner Unsicherheit angezettelt hatte.

22:04 - Felix: Es ist kein großes Ding für mich. Es gibt tolle Alte und Junge. Es spielt keine Rolle. Aber es gibt Leute, denen das wichtig ist. Du hast heute zwei Fotos von mir gesehen. Deshalb musste ich noch einmal fragen.

Für die vier ersten Sätze schäme ich mich heute von ganzem Herzen. Der erste war glatt gelogen. Es ist ein Ding für mich und ich achte natürlich darauf. Zweitens: ja, aber es gibt erheblich mehr attraktive Junge als Alte. Viele Junge können nicht viel dafür. Sie sind einfach dadurch qualifiziert, dass sie noch nicht alt sind. Viele Ältere haben es, aus Bequemlichkeit oder welchen Gründen auch immer, aufgegeben, attraktiv sein zu wollen. Ich bedaure das sehr. Bei einigen würde sich ein wenig Arbeit lohnen. Drittens: Alter spielt natürlich eine Rolle. Alles andere ist eine Lüge. Nicht nur, weil die Jungen weniger Falten haben, sondern auch, weil wir Älteren in punkto Lebenserfahrung, Ruhe, Gelassenheit, Weite der Seele, in der Regel mehr draufhaben als die meisten Jüngeren. Wir müssen uns nur gestatten, diese Qualitäten als solche zu sehen und uns dafür auch mal wieder feiern lassen. Und viertens: ja, es gibt Leute, denen das wichtig ist und sollte ich den Eindruck erweckt haben, dass ich nicht dazu gehöre, dann ist das falsch (sorry, Justine). Diese Bekenntnisse gebe ich hiermit zu Protokoll. Natürlich war ich erleichtert.

22:07 - Felix: Ich sehe deine Worte und bin zufrieden und glücklich. Ich denke, für heute gibt es nichts mehr zu sagen.

22:22 - Justine: Ja, ich kann das sehr gut verstehen, mein Schatz, Und Dank dir, mein Herz, bin ich wieder im Zentrum des Himmels, wo ich mein Leben Leben kann, und endlich lächle ich und in mir ist diese unkontrollierte Schüttelfrost von deinem Charme und deiner Sanftheit, deiner Empfindlichkeit, die mein Herz in die Luft jagen und du bist die Liebe, die ich nicht loslassen will. ��❤

Denkt man sich den französischen Akzent hinzu, hat ihr Text unwiderstehlichen Charme. Kann man solche Worte erfinden, wenn man diese Gefühle nicht erlebt hat, wenn man diesen Schüttelfrost nicht kennt? Noch heute bin ich hin – und hergerissen, wenn ich mir diese Frage stelle. Es ist eine der zentralen Fragen dieser überaus merkwürdigen Beziehung. Ich hatte mich endgültig verliebt in zwei Fotos, die Schöpferin dieser Worte, vor allem aber in das, was sie in mir auslösten. Wieviel Wirklichkeit steckt hinter ihren Sätzen? Wer ist Justine im richtigen Leben?

Denken und Glück habe ich in meinem Leben so gut wie nie in Harmonie erlebt. Wenn man bis zum Ende denkt, ist man unglücklich. Wenn man glücklich ist, existiert man im Moment und stellt das Denken ein. An diesem Tag war ich verliebt und glücklich. Damit war ich bereit für….

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