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Kapitel 5

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Elia holte tief Luft. „Du hast recht! Ich kenne unsere Gesetze und Regeln wie kein anderer, denn ich war bereits zur Zeit deines Vaters Schriftführer des Tribunals!“

Er stieß die Luft aus, dann drehte er sich zu Sarah und sah in ihre liebevollen Augen. Seine Fäuste lösten sich und er griff nach ihrer zarten Hand. Es gab Dinge, für die sich jedes Opfer lohnte. Er spürte, wie ihr Anblick seiner verhärteten Miene ein weiches Lächeln abgewann.

Entschlossen wandte er sich wieder an Agnus. Doch dieses Mal versuchte er nicht mehr, sich ihm wie eine harte, kalte Mauer entgegenzustellen. Sein Inneres fühlte sich jetzt wie ein loderndes Feuer an, bereit, alles zu verzehren.

„Das Leben dieser Frau für Sarahs Leben. John hat meine Schuld eingefordert und ich habe es geschworen. Du weißt, was das heißt, Agnus und ich stehe zu den Konsequenzen!“


Ungewollt drangen Elias Erinnerungen an diesen schrecklichen Tag vor über einem Jahr an die Oberfläche …

Einige Flugstunden entfernt, im Ausland, hatte er durch seine Blutsverbindung von einer Minute auf die andere gespürt, dass seine Sarah im Sterben lag. Ohne die kleinste Chance, ihr rechtzeitig zu Hilfe zu kommen, fühlte er sich dem Wahnsinn nahe. In abgrundtiefer Verzweiflung hatte er zuerst im Hauptquartier und schließlich auf Johns Handy angerufen, der eingequetscht im lichtgeschützten Kofferraum von Aras Ferrari lag.

Unter Tränen hatte er seinen besten Freund angebettelt, Sarah sein Blut zu geben, um sie damit zu retten. Er hatte John geschworen, selbst die Strafe des Tribunals für diesen Gesetzesbruch zu tragen, um den er ihn damit bat.

Diese Möglichkeit war tatsächlich in ihren Gesetzen verankert, das wusste er. Familienangehörige und unter besonderen Umständen auch andere konnten auf Antrag freiwillig anstelle der Verurteilten bestraft werden.

Doch das Tribunal war später der Ansicht, dass Johns Schmerz über den Verlust seiner Gefährtin jede Strafe, die sie hätten verhängen können, übertraf.


Sein Freund hatte das Wichtigste in seinem Leben gerettet und er war bereit, jeden Preis dafür zu bezahlen. Ob durch Symbiose oder Liebe, jeder Vampir würde, ohne zu zögern, sein eigenes Leben opfern, um seine Gefährtin zu retten – und sein Chef wusste das.

Agnus stieß geräuschvoll die Luft aus. Dann brach der Anführer den Blickkontakt zu ihm ab, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme.

„Zum Henker! Nicht einmal ich würde aus so einer Nummer rauskommen. Man sollte euch beide in ein finsteres Loch stecken und den Schlüssel wegwerfen! Aber verdammt noch mal, wir sind mitten im Kampf gegen einen Blutfürsten und brauchen jeden Mann!“

„Ich war vorhin kurz auf der Krankenstation“, meldete sich Arabella unvermittelt zu Wort.

Elia hatte den Eindruck, Ara, die zwar oberflächlich wirkte, aber ein feines Gespür besaß, versuchte, die Situation zu entschärfen, indem sie die Aufmerksamkeit in eine andere Richtung lenkte. Außerdem hatte er mitbekommen, wie das Exmodel vorhin mit unverhohlener Neugier auf die Krankenstation gestürmt war und unbedingt sehen wollte, wen John da aus dem Wasser gezogen hatte.

„Ist euch nichts aufgefallen? Das Gesicht dieser Lara mag anders sein, aber ihre Haare und ihre Statur, die erinnern sehr stark an Elisabeth. Von Weitem hätte man die beiden glatt verwechseln können. Vielleicht hat John sie springen sehen und sein Instinkt ist einfach mit ihm durchgegangen?“

Nachdenklich meinte Agnus: „Wer kann das schon sagen, möglich wäre es. Seine Gefährtin ist erst vorletzten Winter gestorben und wir haben uns wohl alle gefragt, wie er das durchsteht. Seine Trauer hat er nie offen gezeigt.“

Elia hatte sich wieder neben Sarah gesetzt und einen Arm um ihre Taille gelegt.

„Na ja, unser Quartier liegt genau gegenüber und durch sein Blut kann Sarah Johns Trauer und seine innere Qual spüren. Seit Elisabeths Tod ist sie unzählige Male aus dem Schlaf hochgeschreckt, weil John Albträume hatte.“

„Deshalb gibt es ja dieses Gesetz“, brummte Agnus. „Ohne Johns Blut würde Sarah seine Gefühle gar nicht spüren, sondern nur deine, weil ihr Gefährten seid. Du hättest mir sagen müssen, dass es Probleme gibt, Elia.“

„Wir kommen zurecht“, meinte Sarah schüchtern. „Ich hab mir von Alva ein Schlafmittel geben lassen.“ Sie blickte auf die Tischplatte. „Die Gefühle eines Mannes sind etwas sehr Persönliches, Agnus …“

Die Stimme seiner Frau wurde immer leiser, den Rest würde er ihr abnehmen.

„Ich denke, kein Mann will, dass man seine Albträume rumerzählt. Wir haben versucht, mit ihm darüber zu reden, aber sobald Elisabeths Name fällt, macht John dicht. Vielleicht wollte er uns auch nicht damit belasten. Immerhin war seine Frau Sarahs beste Freundin und er weiß, wie nah Elisabeths Tod ihr geht, schließlich saß sie neben ihr im Jaguar, als es passierte.“

Er spürte, dass Sarah wieder den Tränen nah war, und nach Arabellas Blick zu urteilen, wusste sie das auch und sagte: „Tja, so ist er nun mal, unser John, ein Ritter durch und durch. Denkt immer mehr an andere als an sich selbst.“

Agnus hob eine Augenbraue und sah auffordernd zu Raven. Elia kannte wie jeder andere am Tisch die Gabe von Raven. Ihm war es möglich, bei Hautkontakt Erinnerungen und die damit verbundenen Gefühle eines anderen zu teilen, falls derjenige gerade daran dachte. Doch Raven lehnte sich demonstrativ zurück und verschränkte die Arme.

„Dass es John nach dem Tod von Elisabeth beschissen ging, kann sich jeder denken. Wenn du mehr wissen willst, frag ihn selbst, Agnus.“ Raven schaute herausfordernd in die Runde. „Oder würde einer von euch wollen, dass ich seine Erinnerung und Gefühle jetzt hier ausplaudere?“

Elia konnte verstehen, dass es Raven immer noch schwerfiel, sich in ihre familiäre Gemeinschaft einzufügen, und er lieber für sich blieb. Schließlich war er im feindlichen Lager herangewachsen. Jeder wusste, dass dort die pure Gewalt herrschte, und wer sich nicht im Kampf durchsetzen konnte, wurde zum Opfer – und Opfer lebten nun mal nicht lange. Elia war bei seiner Verhandlung vor dem Tribunal als Schreiber dabei gewesen. Er wusste, dass Raven damals dem berüchtigten Blutfürsten Ramón als Leibwächter gedient und Rose und ihre kleine Nichte Alice aus dessen Händen befreit hatte. Damit hatte Raven, wie er es nannte, auf die richtige Seite gewechselt.

Agnus riss ihn abrupt aus seinen Gedanken.

„Elia, schalt doch mal rüber in die Krankenstation. Ich will wissen, wie es um die beiden steht.“

Er rollte mit dem Bürostuhl zum Computer links neben ihm, stellte eine Verbindung zur Kamera auf der Krankenstation her und übertrug den Empfang auf den großen Wandmonitor. Dann zoomte er auf Alva, die in ihrem grünen OP-Kittel gerade am Krankenbett von Lara hantierte, schaltete die Audioverbindung zu und gab Agnus ein Okay-Zeichen.

„Alva, meine Liebe. Wie sieht’s bei dir aus?“

Die Ärztin drehte sich zur Kamera und wischte mit dem Ärmel ihren Schweiß von der Stirn.

„Um Haaresbreite hätten wir beide verloren. Dass sie überlebt haben, ist ein kleines Wunder, Agnus. Wenn die Sonne John nicht in Asche verwandelt hätte, wäre er an Blutmangel gestorben. Sein rechtes Bein hat es schlimm erwischt. Böse Wunde, bei der vermutlich die Arterie durchtrennt wurde und die den erheblichen Blutverlust verursacht hat. Außerdem sind seine Knochen schief zusammengewachsen. Quint musste sie für mich noch mal brechen. Ich habe das Bein geschient, damit es diesmal gerade zusammenwächst. Johns andere Verletzungen, Quetschungen, tiefe Schnittwunden, Prellungen und Rippen­brüche sind zwar auch nicht ohne, aber das wird wieder heilen. Gott sei Dank hatten wir genug Eigenblut von ihm da, das ich geben konnte, also wird er es schaffen.“

„Gut“, sagte Agnus schlicht, doch er lehnte sich mit einem tiefen Atemzug zurück, als hätte er gerade eine Schlacht gewonnen. „Wann kann ich wieder mit ihm rechnen?“

„Er ist noch bewusstlos und geschwächt, aber lass das Blut wirken und ihn ordentlich ausschlafen, dann ist er wieder frisch wie ein Frühlingslämmchen.“

„Und die Frau?“

„Diese Brücke hat sie sich aber gut ausgesucht! Wie hoch war die denn?“

„Fettnäpfchen, Agnus“, flüsterte Ara, aber der brummte nur: „War ja klar.“

„Nach dem, was ich beim Ultraschall und auf den Röntgenbildern gesehen habe, kann ich kaum glauben, dass die Frau allein den Aufschlag überlebt hat, aber sie wäre definitiv schwer verletzt ertrunken. Also …“ Alva stöhnte, sichtlich erschöpft, „sie hat oder besser gesagt hatte schwere innere Verletzungen mit Blutungen, das steht fest. Ihr Schultergelenk war ausgekugelt. Gut, dass Raven sich damit auskennt und es mühelos wieder einrenken konnte, außerdem wurde ihr Schlüsselbein zertrümmert. Der Oberarmknochen ist gebrochen, ebenso mehrere Rippen, dazu noch eine Beinfraktur und vermutlich eine heftige Gehirnerschütterung. Ansonsten natürlich noch überall Blutergüsse und eine Unterkühlung.“

Elia vermutete, dass Alva mit ihrer Gabe zumindest einen Teil der Knochen hatte heilen können, deswegen wirkte sie jetzt auch so erschöpft.

„Aber da ist noch mehr, Agnus, und bevor du fragst“, die Stimme der Ärztin klang ernst. Elia schwante Schlimmes, doch er hoffte inständig, dass dem nicht so wäre.

„Ja, John muss ihr sein Blut gegeben haben, und zwar reichlich, sonst wäre sie längst tot und er trotz allem in viel besserem Zustand. Ihre Wunden heilen unnatürlich schnell, wenn auch viel langsamer als bei euch Vampiren.“

Agnus’ Faust schlug mit Wucht auf den Tisch, diesmal entstand ein Riss im massiven Holz und die leeren Gläser kippten um.

„So eine verdammte Scheiße! Er kennt doch das Gesetz! Was ist bloß in ihn gefahren!“

Alva trat ganz nah an die Kamera und schaute hinein, als wollte sie in die Augen ihres Mannes sehen. Elia bemerkte, wie Agnus sich daraufhin wieder etwas beruhigte.

„Mir ist klar, warum es diese Regeln gibt, Agnus, aber ich bin Ärztin. John hat sein eigenes Leben riskiert, um ein anderes zu retten, und das respektiere ich zutiefst.“

Agnus sah sich in der Runde um und Elia folgte seinem Blick. Quint hatte die Hände zu Fäusten geballt und dachte vermutlich an seinen Bruder, der sein Leben für eine Frau nicht nur riskiert, sondern verloren hatte.

Ravens verständnislose Miene entging ihm sicher auch nicht. Es war ein offenes Geheimnis, dass viele Gesetzlose ohne Skrupel ihr Blut an Menschen gaben, um sich dadurch einen Vorteil zu verschaffen. Von Ramón hatte Elia sogar gehört, dass er Kriminelle anheuerte, die chronisch krank und dem Tod geweiht waren. Diese Männer erledigten für ihn bei Tageslicht die Drecksarbeit, denn um gesund zu bleiben, benötigten sie regelmäßig Vampirblut und führten deswegen bedingungslos jeden seiner Befehle aus.

„Muss ich euch daran erinnern, dass es diese Gesetze aus gutem Grund gibt?“, mahnte Agnus nun. „Wenn die Menschen hinter das Geheimnis von Vampirblut kämen, würden sie uns jagen und unser Blut bis auf den letzten Tropfen abzapfen. Sie würde uns alle in Versuchslabore stecken oder einsperren und als lebendigen Jungbrunnen missbrauchen. Inzwischen könnten die Gesetzlosen ungestört ihre Gewalt ausleben und blutige Orgien auf Kosten unzähliger Menschen feiern.“

Sein Chef stieß entnervt die Luft aus und fuhr sich durch seine lange, rotbraune Wikingermähne.

„Ob’s mir passt oder nicht: Ich muss das Tribunal informieren und ich hab keine Ahnung, wie sie in dieser Sache entscheiden werden und was mit der Frau geschieht. Deshalb meine Frage an dich, Alva: Wäre es aus medizinischer Sicht unbedenklich, diese Frau weiter im künstlichen Schlaf zu halten? Dann kann sie wenigstens keine Fragen stellen und wir haben Zeit, mit John zu reden und uns etwas zu überlegen.“

Elia presste die Kiefer aufeinander, er hatte lange genug die Urteile des Tribunals niedergeschrieben, um zu wissen, dass sie Johns Gesetzesbruch nicht als Kavaliersdelikt behandeln würden.

„Ja“, meldete sich Alva, „das wäre auch für ihren Heilungsprozess besser. Aber mir wäre es lieber, wenn ein Vampir sie in Tiefschlaf versetzt und ich keine Medikamente dafür einsetzen muss.“

„In Ordnung“, sagte Agnus, „ich komm gleich selbst rüber zu dir, wir sind hier sowieso fertig.“


Unsterblich geliebt

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