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Kapitel 2

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Dank seiner übermenschlichen Geschwindigkeit war er bereits im Fluss, als sie im Wasser aufschlug. Doch aus dieser Höhe konnte Wasser hart wie Beton sein. John kämpfte sich mit aller Kraft durch den reißenden Fluss, bis zu der Stelle, an der sie eingetaucht war.

„Lara! Lara!“ Er drehte sich im Kreis und tauchte dann unter – keine Spur von ihr.

Endlich entdeckte er ein Stück weißen Stoff an der Oberfläche weiter flussabwärts.

Mit der Strömung im Rücken holte er ihren leblos treibenden Körper zwar schnell ein, doch ihr Kopf lag unter Wasser.

„Oh Gott, Lara!“ Von hinten legte er einen Arm um sie und hob ihren Kopf aus dem eiskalten Wasser. Hustend rang sie nach Luft, doch ehe John ihr helfen konnte, wurde die Strömung noch stärker und aus dem nun flacher werdenden Fluss ragten scharfkantige Felsen. Ein Zusammenstoß, und ihr Genick oder ihre Wirbelsäule wäre gebrochen.

Menschen sind so verletzlich, dachte John.

Er schirmte sie mit seinem Körper ab und trieb deshalb rückwärts im Fluss. Gleichzeitig versuchte er, ihren Kopf über Wasser zu halten, und hatte deshalb kaum eine Chance, den Hindernissen auszuweichen.

Sie blieb unversehrt, während er selbst mehrmals mit Wucht gegen die Felsen krachte. Ein heftiger Schmerz durchfuhr ihn, als sein Bein an einer scharfen Kante unter Wasser fast abgerissen wurde und der Knochen brach. Im gleichen Augenblick hörte er das Rauschen. Der Wasserfall!

Mit aller Kraft versuchte er, das Ufer zu erreichen, doch die Felskante war schon zu nah. Kurz vor dem Fall legte er seinen Körper wie eine schützende Hülle um Lara, dann stürzten sie im tosenden Wasserfall in die Tiefe.

Vor Johns Augen wurde alles schwarz. Die Wucht des Aufpralls katapultierte ihn bis zum Grund des aufgewühlten Flusses. So schnell wie möglich kämpfte er sich an die Wasseroberfläche, Lara noch immer in seinen Armen. Sein Körper schmerzte und blutete aus einigen Wunden, doch Johns Aufmerksamkeit galt allein ihr. Sie fühlte sich schlaff an. Voller Sorge sah er in ihr Gesicht. Die Augen waren geschlossen.

Hatte er sie nicht retten können?

War sie im Fluss ertrunken, genau wie Elisabeth?

Die Strömung hatte deutlich nachgelassen und so schwamm er mit kräftigen Zügen ans sandige Ufer.

Ein Blick auf die klaffende Wunde an seinem rechten Bein genügte, um zu wissen, dass er eine erhebliche Menge Blut verloren haben musste. Einer der wenigen tödlichen Faktoren für Vampire. Die gebrochenen Knochen und die riesige Wunde fingen bereits an zu heilen. Doch im Augenblick war sein Bein unbrauchbar, an Aufstehen war nicht zu denken. Mühsam schleppte er sich mit ihr auf den trockenen Sand.

Sie war nicht bei Bewusstsein.

Sie atmete nicht.

Sie hatte keinen Puls mehr.

Er begann mit der Mund-zu-Mund-Beatmung. Im Wechsel machte er eine Herz-Druck-Massage.

Unendliche, qualvolle Sekunden vergingen.

Seine Gedanken rasten. Obwohl sie ihn gar nicht hören konnte, appellierte er energisch, ja beschwor sie fast …

„Nein, nicht du auch noch! Bitte, stirb mir hier nicht! Atme, hörst du? Du sollst atmen! Verdammt! Du nicht auch noch. Komm schon, wach auf!“

Endlich, hustend und Wasser spuckend, kam sie wieder zu sich. Vorsichtig drehte er ihren Kopf auf die Seite, damit sie das Wasser leichter ausspucken konnte.

Er sog scharf die Luft ein, denn ihr fehlten stellenweise Haare. Als er daraufhin flüchtig ihren Körper musterte, fiel ihm auf, dass sie seit ihrer ersten Begegnung regelrecht abgemagert war. Das Kleid hatte diese Tatsache nur verborgen. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht mit ihr.

Als sie wieder einigermaßen atmen konnte, strich er ihr ein paar Locken aus dem Gesicht. „Warum?“ Sein Ton war schärfer als beabsichtigt, doch es lag Verzweiflung darin.

Eine Träne lief über ihre Wange. Gefasst, aber unendlich traurig schaute sie ihn aus ihren lebendigen, grünbraunen Augen an. John wurde leiser, sanfter.

„Warum bist du gesprungen? Was ist los mit dir?“

Ihre Lippen bewegten sich, versuchten, etwas zu sagen, aber offenbar litt sie unter großen Schmerzen und hatte fast nicht mehr die Kraft dazu. Kaum hörbar rang sie sich schließlich mühsam ein paar Worte ab.

„Umsonst. Du hast mich umsonst gerettet.“

John runzelte die Stirn. Kein Zeichen von Angst lag in ihrem Gesicht. Sie hob zitternd eine Hand und berührte seine Wange und seine Locken, dabei umspielte sogar ein Lächeln ihre Mundwinkel.

„Wie ein Ritter aus einem Märchen …“

John hätte bei ihrem Kommentar beinahe gelächelt und an die alten Zeiten gedacht, doch aus ihrem Mund quoll plötzlich Blut. Ihre Hand fiel kraftlos herab und ihr Kopf rollte zur Seite.

„Lara!“ In der Stille danach richtete er seine Sinne auf ihr Herz. Es schlug noch, allerdings schwach.

Kniend über sie gebeugt, rückte er ein Stück von ihr ab, um ihren Körper zu begutachten. Die Schulter war ausgekugelt und ein Schlüsselbein stark deformiert, aber das konnte nicht die Ursache sein. Er tastete ihren Oberkörper ab. Ein paar Rippen schienen gebrochen zu sein. Durch den Aufprall musste sie innere Verletzungen erlitten haben und wegen der unumgänglichen Wiederbelebung war noch einmal Druck auf ihren Brustkorb ausgeübt worden.

Sein Handy war wie durch ein Wunder immer noch in seiner Hosentasche, doch total durchnässt. Trotzdem versuchte er einen Anruf, aber leider sinnlos. Das nächste Krankenhaus lag bestimmt dreißig Kilometer entfernt. Schmerzlich wurde ihm klar, dass um sie herum weit und breit nur Wildnis war.

Er schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch.

Hatte sie trotz seiner Bemühungen keine Überlebenschance? Genau wie damals?

Bei Elisabeth kam er zu spät, aber heute war er hier.

Noch lebte sie und es gab eine letzte Möglichkeit.

Doch die war unter Strafe verboten.

Kein Vampirblut für Menschen. So lautete das Gesetz.

Ihr Herzschlag wurde immer schwächer.

Ihre Zeit lief ab.

John musste sich entscheiden, hier und jetzt.

Lara O’Brian – so hatte sie sich am nächtlichen Lagerfeuer an diesem Fluss vorgestellt. Ohne es zu merken, hatte er sie seit jener Nacht tief in sein Herz geschlossen.

Sie hier einfach sterben zu lassen, konnte er nicht ertragen.

Vielleicht besaß sie aber schon jetzt nicht mehr die Kraft, sein lebensspendendes Blut aufzunehmen.

Bitte Gott, lass es noch nicht zu spät sein!

John ignorierte seine Schmerzen, er durfte keine Zeit verlieren.

Behutsam zog er Lara auf den Schoß und stützte ihren Kopf in seiner Armbeuge. Dann biss er sich ins Handgelenk, öffnete ihren Mund und legte sein blutendes Handgelenk darüber. Sanft küsste er ihre Stirn.

„Bitte trink von mir, nimm mein Leben in dich auf.“

Sie rührte sich nicht.

Angst kroch eiskalt in ihm hoch.

Verzweifelt rüttelte er sie in seinem Arm.

„Lara, komm ins Leben zurück! Trink! Du musst trinken!“

Eine kleine Regung. Ihre Lider flatterten, ohne dass sich ihre Augen öffneten. Sie schluckte. Vielleicht einfach nur ein gnädiger Reflex, weil sich Blut in ihrem Mund angesammelt hatte – egal, es war ein Anfang.

Dann wieder nichts.

Sekunden dehnten sich zu einer Ewigkeit. In die Wassertropfen, die von seinen nassen Haaren auf sie herabfielen, mischte sich eine Träne.

Noch einmal rüttelte er sie, diesmal energischer.

„Komm schon, Lara! Gib nicht auf! Du musst mehr trinken!“

„Endlich, Gott sei Dank“, murmelte John, während sie stetig und immer kräftiger sein Blut und damit sein Leben in sich aufnahm.

Eigentlich hätte John längst seine Hand wegnehmen sollen, weil er selbst sehr viel Blut verloren hatte und spürte, wie er mit jedem Schluck von ihr immer schwächer wurde. Doch Lara war in einem kritischen Zustand und er wollte sicher sein, dass sie es schaffte.

Aber dann geschah, was geschehen musste: Sein Körper hatte die Grenze erreicht und er verlor das Bewusstsein.

Als John erwachte, krampfte sich sein Magen schmerzhaft zusammen. Ein quälender Hunger brannte wie ein loderndes Feuer in ihm.

Er fühlte sich extrem schwach.

Wie lange lag er wohl schon ohnmächtig hier im Sand?

Jegliches Zeitgefühl war ihm verloren gegangen.

John hielt Lara immer noch in seinem Arm, eng an seiner Seite.

Das Wasser im Fluss war eiskalt, weil es aus den Bergen kam, und Lara war völlig durchnässt. Mit seinem Körper hatte er sie wenigstens etwas wärmen können. Prüfend legte er seine Hand an ihre Wange, sie fühlte sich kalt an. Ihre Lippen waren blau. Sie brauchte dringend Wärme, aber nicht nur das, sondern auch ärztliche Versorgung. Schließlich war sie kein Vampir, sondern hatte nur Vampirblut in sich. Ihre Heilung würde wesentlich länger dauern, deshalb brauchte ihr Körper in der Zwischenzeit zusätzliche Unterstützung, um am Leben zu bleiben. Durch die inneren Verletzungen hatte sie viel Blut verloren. Um ihr Überleben zu sichern, brauchte sie unbedingt Kochsalzlösung und eine Bluttransfusion.

Erleichtert hörte er, dass ihr Herz wieder regelmäßig schlug, wenn auch schwach. Sie war immer noch nicht bei Bewusstsein und das würde wohl auch noch eine Zeit lang so bleiben.

Er musste sie unbedingt aus dieser Wildnis schaffen. John schaute auf seine Uhr – kaputt. Aber sein Instinkt war untrüglich. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Der Sonnenaufgang nahte.

Sein Körper schmerzte an unzähligen Stellen und fühlte sich an, als ob er mehrere Umdrehungen in einem riesigen Betonmischer mit großen, scharfen Steinen hinter sich gebracht hätte. Das entsprach auch seinem optischen Eindruck, als er sich begutachtete. Trotz der vielen tiefen Schnitte, die glücklicherweise nicht mehr bluteten, und seinen Rippen, die sich anfühlten, als hätte jemand mit einem Hammer Klavier darauf gespielt, stellte sein Bein das eigentliche Problem dar. Es schmerzte nicht nur höllisch, obwohl es schon wieder im Groben verheilt war, sondern der Knochen war auch schief zusammengewachsen. Manchmal hatte die schnelle Wundheilung seiner Vampirnatur eben auch ihre Nachteile.

Dazu kam noch sein unerträglicher Hunger.

Johns Instinkt schrie gierig nach Blut, während die Fangzähne voll ausgefahren nach Nahrung lechzten.

Sein Blick fiel unwillkürlich auf Laras Halsschlagader. Er spürte das Pulsieren des Blutes. Unbewusst hatte er sich bereits über sie gebeugt, ihr Hals war zum Beißen nahe. „Leichte Beute!“, brüllte das Raubtier in ihm.

Er bot seinen ganzen Willen auf und kämpfte mit aller Macht den Drang nieder, auf der Stelle seine Fangzähne in ihrem Hals zu versenken. Mit einem Ruck wich er zurück, sein lautes Knurren hallte durch die Wildnis.

Es war der reine Selbsterhaltungstrieb, dem John sich entgegenstellte. Dadurch wäre sein Überleben gesichert, er würde es ohne Probleme vor Sonnenaufgang zum Auto schaffen und sich selbst retten können. Doch Lara würde sterben, sie war viel zu schwach. Das Leben, das gerade erst zu ihr zurückgekehrt war, würde er wieder aus ihr heraussaugen.

Ein Überlebensinstinkt, wie ihn jedes Lebewesen kennt, tobte in ihm.

Doch John bestand aus mehr als nur seinem Instinkt.

Unerbittlich rückte der Sonnenaufgang näher. Er beugte sich wieder über Lara und nahm sie auf seine Arme. Beim ersten Versuch aufzustehen durchfuhren ihn irrsinnige Schmerzen im rechten Bein. Die Knie gaben nach, er sank auf den Boden zurück und ihm wurde kurz schwarz vor Augen.

Laras Herz, das er die ganze Zeit wie das sanfte Schlagen einer Uhr in seinem Ohr wahrnahm, wurde schwächer.

Das gab den letzten Ausschlag.

Er schwor sich, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. Entweder überlebte er mit Lara oder gar nicht.

Noch einmal stand er auf, biss angesichts der rasenden Schmerzen die Zähne zusammen, sodass sie knirschten. Dann zog er Lara behutsam an seine Brust und marschierte mit eisernem Willen los.

Schritt für Schritt quälte er sich vorwärts, unsicher, taumelnd, jeder Schritt die reinste Hölle. Aber es war die einzige Chance für sie beide.

Nicht an die Schmerzen denken!

John konzentrierte sich auf den Boden unter seinen Füßen und den Klang von Laras Herzen. Alles andere versank in Bedeutungslosigkeit.


Allein und in gesundem Zustand wäre der Rückweg ein Kinderspiel gewesen. Selbst mit ihr in seinen Armen hätte er rennend lange Strecken bewältigt. Aber so? Vor ihm lag unebenes, schwieriges Gelände ohne jeden Pfad und mit dem verletzten Bein war er kaum in der Lage, sicher aufzutreten. Die Entfernung zum Jeep konnte er nicht abschätzen. Wenigstens fiel es ihm leicht, sich zu orientieren, da der Rückweg am Flussufer entlangführte.

Einen Schritt nach dem anderen, von Herzschlag zu Herzschlag, marschierte er voran, bot seine allerletzten Reserven auf. John hatte einen eisernen Willen, aber letztendlich verweigerte ihm sein Körper den Dienst.

Er brach zusammen.


Unsterblich geliebt

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