Читать книгу Unsterblich geliebt - Lara Greystone - Страница 19

Kapitel 10

Оглавление

Das Letzte, was Lara sah, waren die wunderschönen, bernsteinfarbenen Augen dieses Ritters mit seinen nassen, goldenen Locken.

Ritter? Nein, falsch. Das war der echte John. Sie hatte ihn ja erst zu einer Fantasiegestalt in einem Roman gemacht. Er hatte sich nie bei ihr gemeldet, dabei hatte sie sich gewünscht, einmal sein Gesicht und diese Locken zu berühren. Mit letzter Kraft, trotz rasender Schmerzen, die ihre Sinne vernebelten, streckte sie ihre Hand aus. Ja, er war wirklich hier. Seine Locken fühlten sich genauso weich an, wie sie sich das vorgestellt hatte. Und wäre sie zu einem Gebet fähig gewesen, hätte sie Gott gedankt, dass sie nicht mutterseelenallein sterben musste.

Sein Bild vor Augen zu haben, tröstete sie auf unglaublich tiefe Weise, als sie in eine kalte Dunkelheit tauchte, die ihr alle Schmerzen nahm.

Der Plan, ihr Ende selbst in die Hand zu nehmen, hatte einen überraschenden Abschluss bekommen.

Aber irgendwann rief sie jemand aus dieser Dunkelheit zurück und die furchtbaren Schmerzen überrollten sie erneut. Ihr Mund war voller Blut, sie bekam keine Luft und schluckte aus einem Reflex heraus.

Dann eroberte starre Kälte, wie zäher Schlamm, Stück für Stück ihren Körper und ihre Nervenbahnen hörten auf, den Schmerz weiterzuleiten.

Wieder riss eine Stimme sie mit schierer Gewalt aus der Finsternis zurück.

„Trink!“ Sie hörte ständig nur: „Trink!“

Warum ließ man sie nicht einfach in Ruhe sterben?

Aber irgendetwas, tief in ihr, drängte sie mit aller Macht, auf diese Stimme zu hören, also tat sie es.

Sie spürte, wie eine alles durchdringende Wärme mit der Kälte einen Kampf austrug. Jedes Gefühl für Raum und Zeit ging ihr verloren, aber sie fühlte in ihrem Inneren, dass sie nicht allein war, spürte Geborgenheit und Nähe. Ihr war, als würde jemand ohne Worte mit ihr reden.


Dann begann sie, von dieser einen Nacht vor vielen Wochen zu träumen …

Sie war zu sich gekommen, hatte die Augen geöffnet und hätte am liebsten vor Wut geheult. Wieder einmal konnte sie sich kein bisschen bewegen und war völlig hilflos! Bestimmt lag sie schon seit Stunden hier draußen am Flussufer, denn inzwischen war die Nacht hereingebrochen.

Aber dann gefror ihr das Blut in den Adern, denn sie war nicht mehr allein! Und diesem Unbekannten war sie nun hilflos ausgeliefert, weil ihre Muskeln noch zu keiner Reaktion fähig waren! So musste sich ein Querschnittsgelähmter fühlen.

In diesem Moment hoffte sie inständig, es gäbe Schutzengel und Gott hätte gerade einen für sie übrig.

Wer weiß – vielleicht schmunzelte Gott in diesem Augenblick.


Mist, Mist, Mist! Ich bin ein gefundenes Fressen für jeden Perversen. Und das Einzige, was ich tun kann, wäre schreien. Super! Hier draußen hört mich eh keine Menschenseele!

Ich hasse diese Hilflosigkeit! Wenn mich diese Krankheit nicht umbringt, verliere ich deswegen trotzdem den Verstand!

Jetzt reiß dich bloß zusammen, Lara! Tu, als wäre alles in Ordnung!

Wenigstens meine Nackenmuskeln sind wieder zu gebrauchen!

Auf mir liegt ein Ledermantel. Ein Hauch von Moschus? Dieser Fremde hat mich also mit seinem Mantel zugedeckt.

Mein Laptop? Ist noch da und meine Tasche unberührt.

Das Feuer muss auch dieser Mann entzündet haben und es brennt wohl schon länger. Also hätte er inzwischen genug Zeit gehabt, mich auszurauben oder … Besser nicht dran denken, Lara. Anscheinend ist mir zur Abwechslung einfach mal etwas Gutes passiert. Danke, lieber Gott.


In der Hoffnung, ihre Muskeln würden wieder zum Leben erwachen, bevor der Fremde sich umdrehte, verhielt sie sich ganz still und musterte ihn derweil.

Der äußerst gut gebaute Mann saß auf einem angeschwemmten Stück Baumstamm und sah gedankenverloren ins Feuer. Die Ruhe und Sanftheit, die er dabei ausstrahlte, gefiel ihr und beruhigte sie ein wenig.

Mit seiner attraktiven Gestalt hätte er ohne Weiteres ihrem Ritterroman entspringen können. Seine glänzenden, goldbraunen Haare fielen ihm in Wellen bis auf die Schultern herunter. In dem edlen, weißen Hemd und der braunen, vermutlich sündhaft teuren Wildlederhose wirkte er natürlich, aber gleichzeitig sehr gepflegt. Die Ärmel waren hochgekrempelt, wie ihre eigenen und trotz der Kleidung war sein muskulöser Körperbau deutlich zu erkennen. Vermutlich hätte er mit diesen Muskeln und bei seiner Größe, die sie auf 1,90 m schätzte, leicht eines dieser mittelalterlichen Schwerter ausdauernd führen können.

Ja, ja – wieder Mal typisch Autorin, Lara!

Bei dieser Vorstellung schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Wäre ihr Roman nicht schon fast im Druck, hätte sie ihn mit Vergnügen als Vorlage für ihren Ritter genommen. Vielleicht ließ sich da ja noch was ändern …

Man sagte ihr nach, dass sie sich die Männer „schön schreiben“ würde, aber hier saß der leibhaftige Beweis, dass ihre Fantasie durchaus der Realität entsprechen konnte. Dabei wäre ihr ein amüsiertes Schmunzeln herausgerutscht, doch in diesem Moment drehte sich ihre männliche Fantasiegestalt langsam zu ihr um.

Tut er das absichtlich so langsam? Versucht er, mir keine Angst einzujagen? Oh, Mist! Ahnt er etwa, wie hilflos ich bin? Nein, unmöglich!

Sein zurückhaltendes Lächeln wirkte auf sie etwas unbeholfen, doch das machte ihn umso sympathischer. Endlich mal ein Mann, der um seine Kraft wusste und trotzdem nicht zum Macho mutiert war.

Sie biss sich auf die Lippe. Hätte sie Punkte vergeben dürfen, er wäre auf die volle Punktzahl gekommen.

„Schön, dass Sie endlich aufgewacht sind.“

Seine Stimme war tief und sanft, genau wie vermutet.

„Ich habe mir schon Sorgen um Sie gemacht. Darf ich mich vorstellen, ich heiße John – Whiteflower.“

Merkwürdig, er hatte gezögert und gewirkt, als müsse er sich den Nachnamen erst aus einer Liste heraussuchen. Log er sie an?

„Mein Name ist Lara, Lara O’Brian.“

Sie brauchte jetzt schnell eine harmlose Erklärung, die von ihrer Hilflosigkeit ablenkte. Schließlich konnte ein schöner Mann mit guter Erziehung auch eine tödliche Bestie in sich verbergen.

„Ich ähm – muss wohl eingeschlafen sein.“

„Sie haben aber einen ungewöhnlich festen Schlaf.“

Sein Blick, sein Tonfall … Mist, er kauft mir das nicht ab! Und nach seiner Miene zu urteilen, hasst er Lügen.

„Sie sind also schon länger hier?“

„Eine ganze Weile.“

Sie hätte vor Wut schreien können, denn sie schaffte es noch nicht einmal, den Arm zu heben, um auf ihre Uhr zu sehen.

Reiß dich zusammen, Lara! Bleib ruhig!

„Ach, könnten Sie mir bitte sagen, wie spät wir es haben?“

Er blickte auf eine Schweizer Breitling, nicht gerade billig, das wusste sie. Eine Uhr für Leute, die Wert auf Qualität legten, aber kein Angeber-Statussymbol nötig hatten. Das zeugte für sie von Charakter.

„Zehn Minuten vor Mitternacht.“

„Die Zeit ist wie im Flug vergangen.“

Lahmer Spruch, aber sie war nervös. Er schien sie bis ins Detail zu mustern und ab dem Hals war ihr Körper immer noch wie tot, nicht die klitzekleinste Bewegung. Sie gab sich größte Mühe, genau das vor ihm zu verbergen, hätte aber schwören können, er durchschaue sie.

Dieser John sah sie schweigend an. Er wollte die Wahrheit wissen.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, aber sie wich seinem Blick nicht aus. Die Stille zog sich hin, und um nicht weich zu werden, schrie sie ihn im Geiste an.

Was erwartest du? Du bist für mich ein Fremder! Ich werde dir nachts, mitten in der Wildnis nicht meine Schwäche gestehen und mich deiner Gnade ausliefern!

Sie biss die Zähne zusammen und presste schließlich hervor: „Tja, ich muss wohl ein enormes Schlafdefizit haben.“

Akzeptier die Lüge, oder lass es!

Der Mann seufzte und brach den Blickkontakt ab. Er begriff vermutlich, dass er sich ihr Vertrauen erst verdienen musste. Ein kluger Mann also.

Dann nickte er zu den hellen Flammen, die sich friedlich tanzend dem Nachthimmel entgegenstreckten und erklärte: „Die Feuerstelle ist von mir.“

Okay, sein Small Talk wirkte eingerostet, demnach kein flirtender Frauenheld.

Dieser John wurde ihr zunehmend sympathischer und sie versuchte, ihre innere Anspannung loszuwerden, während sein Blick in die Ferne schweifte.

„Das hier ist mein Lieblingsplatz.“

„Meiner auch. Ich mag diesen Ort. Hier fällt es mir leicht, meine Gedanken treiben zu lassen und meiner Fantasie Raum zu geben. Keine Menschen, kein Lärm, keine Ablenkung. Der Fluss – er beruhigt und belebt mich zugleich. Ich glaube, hier fühlt sich meine Seele wohl.“

„Wie es aussieht, fühlen wir uns am selben Platz wohl.“

Dieser schlichte Satz berührte sie, denn darin schwang viel mehr mit als nur die bloßen Worte. Und der Mann war kein Schwätzer, der jede Stille mit geplappertem Zeug füllte. Sehr, sehr sympathisch! Und nun spürte sie, wie das Gefühl in ihren Armen und ihrem Oberkörper zurückkehrte. Erleichtert stützte sie sich auf ihren Ellenbogen.

Er sah sie direkt an, registrierte ganz offensichtlich die Veränderung. Als sie den Mund aufmachen wollte, um ihm eine weitere Lüge aufzutischen, ließ sie es doch bleiben. Er würde es merken. Stattdessen betrachtete sie seine bernsteinfarbenen Augen, die auf wunderschöne Art die Flammen spiegelten und gleichzeitig den Hauch von Wildheit vermittelten.

Er stand auf und legte zwei Holzstücke nach. Das ermöglichte ihr einen anderen Blickwinkel auf ihn.

Sein Gesicht hätte sie als charakterstark beschrieben, mit weichen, aber dennoch männlichen Zügen. Die goldbraunen Augenbrauen passten ebenso gut ins Bild wie ein kleiner, senkrechter Streifen Kinnbart. Eine aufrechte, aber unverkrampfte Haltung, Stärke, gepaart mit Güte. Wobei das Wort Gentleman ihm nicht ganz gerecht wurde. Er wirkte eher – wie ein Ritter.

„Ich bin sehr oft an diesem Ufer und habe mich schon länger gefragt, wer hier immer dieses Lagerfeuer veranstaltet.“

Er zeigte ein kleines Lächeln, das spitzbübisch wirkte.

Tatsächlich hatte sie bei jedem Besuch zuerst die Feuerstelle inspiziert, um zu wissen, ob ihr Unbekannter wieder dort gewesen war. Irgendwie hatte sie dabei immer einen Mann vor Augen gehabt. Einmal war sie extra kurz nach Sonnenaufgang gekommen, in der abwegigen Hoffnung den Unbekannten anzutreffen. Die Asche war noch warm gewesen.

„Ich bin Ihnen tagsüber noch nie hier begegnet. Sie sind wohl eher ein Nachtmensch, was?“

Ein breites Grinsen, noch spitzbübischer, und es stand ihm hervorragend.

„Das muss wohl in meiner Natur liegen.“

„Apropos Natur. Um uns herum ist nur Wildnis und es klingt unnatürlich, sich hier an einem Feuer so förmlich anzureden. Nennen Sie mich doch einfach Lara.“

Hoffentlich beging sie damit jetzt keinen Fehler!

„Also gut – Lara. Ich hoffe, du hältst mich nicht für aufdringlich, weil ich einfach hiergeblieben bin, aber du hast ziemlich fest geschlafen …“

Mist! So, wie er das Wort betonte, hatte er ihre Lüge eindeutig durchschaut, aber sie würde nicht darauf eingehen.

„… und ich wollte dich nicht so allein und einsam hier draußen im Dunkeln liegen lassen.“

Einsam, das stimmte, aber ihre wirkliche Einsamkeit hatte nichts mit dieser Wildnis zu tun.

Vor vielen Jahren ging es mit ihrer Beziehung zu Ende, weil sie ihrem Freund nicht mehr häuslich genug war und für seinen Geschmack viel zu oft wegen Autorenlesungen und Buchmessen unterwegs war. Sie machten einen Versöhnungsurlaub in der Schweiz, um einander wieder näherzukommen. Doch am zweiten Urlaubstag fuhren sie mit dem Auto in diesen Unglückstunnel. In einem späteren Interview hatte ein Reporter es einmal so zusammengefasst: Sie sind zu zweit in diesen Tunnel gefahren, aber nur einer hat ihn wieder lebend verlassen.

Danach hatte sie sich ganz in die Arbeit vergraben. Das machte ihr Spaß und füllte sie aus. Die Zeit verging wie im Flug. Die Rauchvergiftung war bald überstanden, auch die Albträume hörten irgendwann auf. Nur ihr klaustrophobisches Problem hielt sich hartnäckig, aber sie hatte gelernt damit zu leben – meistens.

Seit dieser Zeit blieb jedoch ein Teil ihres Herzens einsam und leer. Sie genoss es zwar, mit ihren alten Freunden manchmal auszugehen, doch die waren alle Pärchen, und an einer Bar einen Fremden anzusprechen, war einfach nicht ihr Ding. Wenn sie wegen ihrer Bücher unterwegs war, traf sie fast nur auf weibliche Fans. Ihre Romane waren eher für Frauen gedacht und die wenigen Männer sahen in ihr nur die Autorin, die den Tunnelbrand überlebt hatte, und nicht die ganz normale Lara O’Brian. Inzwischen meinte sogar ein Stalker mit unbekannter Identität, sie sei selbst die Romanheldin, und schrieb ihr immer aufdringlichere Briefe.

Über das Leben, das sie führte, wollte sie aber auf keinen Fall undankbar sein. Dennoch stellte sie sich oft vor, wie schön es wäre, nach einer Reise die Haustür zu öffnen und von jemandem herzlich begrüßt zu werden. Die warme Umarmung eines Menschen zu spüren, der sie liebte, fehlte ihr am meisten.


John räusperte sich und riss sie aus ihren Gedanken.

„Schön, dich endlich auch mal nachts hier anzutreffen.“

Wie meinte er das denn? Woher sollte er wissen, dass sie tagsüber hier war? Wie auch immer, bis zur Hüfte war wieder Leben in ihrem Körper, also setzte sie sich mühsam auf und schob unter dem Mantel, mit den Händen, ihre tauben Beine zurecht. Dann legte sie sich den weichen Ledermantel um die Schultern.

„Das mit dem Mantel war nett von dir. Du scheinst heute wohl mein edler Ritter zu sein.“

Er hob schmunzelnd eine Augenbraue und wirkte amüsiert.

„Würde dir ein Ritter denn gefallen?“

Okay, jetzt war die eingerostete Phase wohl vorüber. Aber leider war ihr Mund schneller als die Vorsicht, die vielleicht angebracht wäre.

„Das käme ganz auf den Ritter an.“

Wenn er so wäre wie du, ganz bestimmt!

Ihr Bauch fing an zu kribbeln und ihr wurde ganz warm.

Für einen langen Moment nahm der Blick dieses Mannes sie gefangen. Dabei wirkten seine bernsteinfarbenen Augen im Schein des Feuers auf sie wie die einer Raubkatze, deren Jagdtrieb gerade geweckt wurde.

Ein angenehmer Schauer lief ihr den Rücken hinunter, aber dann musste sie doch lächelnd den Kopf schütteln.

„Was ist denn, Lara?“

Sie hatte den Blickkontakt unterbrochen, dennoch spürte sie auf seltsame Weise seinen Blick auf sich, wie von einem Raubtier, das versteckt nach seiner Beute späht.

„Na ja, ich komme hierher und schreibe über Ritter. Und manchmal habe ich mir vorgestellt, wie es wohl wäre, wenn mal einer leibhaftig auftaucht.“

Sie blickte ihn wieder an und bei seinem spitzbübischen Lächeln wären ihr sicher die Knie weich geworden – wenn sie schon wieder Gefühl darin gehabt hätte.

Doch endlich! Ihre Beine kribbelten und sie hatte das Gefühl, den ersten tiefen Atemzug nach einer Ewigkeit zu machen.

Gleich wäre ihr ganzer Körper wieder befreit!

Seit Langem fürchtete sie sich, eines Tages bei vollem Bewusstsein für immer in so einer Starre gefangen zu bleiben. Schließlich war das nicht ihr erstes Mal. Immer öfter und länger verlor sie die Kontrolle über sich, klappte einfach bewusstlos zusammen. Es fühlte sich so an, als bekäme sie einen elektrischen Schlag oder ihrem Körper würde die Sicherung herausfliegen. Aber das Schlimmste daran war die Ungewissheit.

Wann würde das nächste Mal sein? Und wie lange?

Diese Hilflosigkeit machte sie unglaublich wütend, aber auch entschlossen. Morgen würde sie eine dritte Meinung einholen und vielleicht die erste von mehreren Chemotherapien beginnen. Die beiden Fachärzte zuvor hatten erklärt, der Tumor sei inoperabel, zu groß und vor allem zu verwachsen mit anderen Hirnbereichen. Eine Entfernung würde nur die Erhaltung ihrer vitalen Funktionen garantieren. Das ganze Fachkauderwelsch hatte sie nicht verstanden, deshalb fasste der letzte Spezialist das Ergebnis so zusammen: „Ihre Hand wäre in der Lage zu schreiben, doch ihr Kopf hätte vergessen, was Worte sind und wie er die Hand steuert.“


„Alles okay?“, fragte John eindeutig zweideutig.

Sie nickte nur und versuchte, ihre Tränen zurückzuhalten.

Er musste das wohl gemerkt haben und schaute ins Feuer.

„Hast du schon mal in der Dampflokomotive gesessen, die über diese Brücke fährt?“

Dankbar für die Ablenkung von dem über ihr schwebenden Damoklesschwert erzählte sie von ihrer Fahrt im historischen Zug und beantwortete jede seiner Nachfragen. Ihr schien, als bekäme sein Gesicht dabei einen wehmütigen Ausdruck. Möglichst unauffällig bewegte sie währenddessen ihre noch steifen Beine. Kurz darauf war sie in der Lage, sich zu ihm auf den Baumstamm zu setzen, und hielt ihre Hände ans Feuer, nahm die behagliche Wärme in die noch etwas steifen Finger auf.

Am Lagerfeuer unterhielten sie sich noch eine Zeit lang über die herrliche Naturlandschaft. Dabei konnte sie zwei Dingen nicht widerstehen. Zum einen gönnte sie sich einen unauffälligen Blick. Sein oberster Hemdknopf stand offen und gab ein kleines Stück seiner muskulösen Brust frei, die einige feine, blonde Härchen zierten, die gleichen, die auch auf seinen kräftigen Unterarmen im Feuer schimmerten. Zum anderen lehnte sie sich erst ganz vorsichtig, dann aber mit mehr Mut leicht an seine Schulter. Albern, sicher, aber es fühlte sich unbeschreiblich gut an. Dass sie dabei warme, angenehme Schauer durchfuhren, hatte mit dem Feuer nichts zu tun.

Mit einem prickelnden Kribbeln erwachte auch eine Region ihres Körpers zum Leben, die seit Jahren stillgelegen hatte.

Plötzlich sah er sie von der Seite an und seine Nasenflügel bebten. Merkwürdig. Vermutlich leuchteten ihre Wangen gerade feuerrot auf. Mist!

Schnell stützte sie ihren Kopf in beide Hände.

„Ich muss zugeben, es ist wunderbar, hier bei Nacht im Schein dieses Feuers zu sitzen.“ Mit dir.

„Keine steifen Glieder mehr, alles in Ordnung?“, fragte er skeptisch.

„Ähm, ja. Ich hoffe nur, dass ich in dieser Dunkelheit auch den Rückweg zu meinem Jeep finde.“

„Ich bin meistens nachts hier und kenne diese Wege wie meine eigene Westentasche.“

„Soll das ein Angebot sein?“

Ja, sie stellte sich blöd an. Schließlich hatte sie sein Angebot provoziert, oder? Aber konnte sie diesem Fremden wirklich vertrauen? Etwas Unheimliches, Gefährliches war an ihm und irgendetwas verbarg dieser Mann. Vielleicht sollte sie besser einen Rückzieher machen.

Bevor er Gelegenheit zum Antworten hatte, meldete sich aber sein Handy und ihr war, als hörte sie ein Knurren. Er blickte aufs Display, wohl bloß eine SMS, aber seine Schultern sackten etwas herunter.

„Tut mir leid, ich muss los. Die Arbeit ruft.“


Unsterblich geliebt

Подняться наверх