Читать книгу Trissa, Hexe von Eichstätt - Lars Gelting - Страница 8

6. Der Prozess

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Darf ich auch mal was fragen?“ Stefan hatte die Unterarme auf den Tisch gelegt und den Kopf in beide Hände gestützt.

„Ah, Stefan! Wir haben schon gedacht, du wärest am Schlafen!“ Therese nahm sich einen Kanten Brot, um etwas davon abzubrechen.

Stefan ganz ruhig, „Ja, habe ich auch schon! Aber hier hat jemand so fürchterlich schrill herumgekeift, da kann man nicht schlafen!“

Therese zog eine Grimasse, „Du kleiner Mistkerl, pass bloß auf!“ und tat so, als suchte sie einen Gegenstand, mit dem sie nach ihm werfen könne. Sie streckte den Kopf auf langem Hals vor, machte große Augen: „Was wolltest du fragen?“

„Ihr habt vorhin von dieser alten Frau gesprochen, die so schwer verletzt war. Diese beiden Kerle haben die doch wieder abgeholt, wohin haben sie die gebracht? Die lebte doch noch!“

Therese holte tief Luft, lehnte sich dabei langsam wieder an die Wand zurück, „Die lebte noch, irgendwie ja, Stefan. Aber die haben es fertig gebracht, diese Arme noch einmal zu verhören!“

„Was? Das war doch bestimmt gar nicht mehr möglich! Was sollte die denn noch sagen?“ Angewidert blickte Franz zum Pater, dessen Blick versonnen geradeaus an der Hauswand ruhte, zu Therese, die ruhig mit dem Kopf nickte

„Die haben sie stundenlang verhört! Stundenlang!“ Sie blickte ihn an, nickte ernst, „Solange, bis die Arme endlich gesagt hat, was sie hören wollten.“

„Was sie hören wollten? Und dann?“

„Nichts ‚dann‘! Die haben sie wieder runter geschleppt und vermutlich einfach in ihrer Kiste sterben lassen.“ Sie wandte sich ab, verschränkte wieder die Arme über der Brust, zog sich dabei kurz zusammen, als würde sie frieren, „Und dann war ich dran!“

„Du bist gefoltert worden?“ Franz sagte das bestürzt, fast leise, und er musste einen Moment warten, bevor er eine Antwort bekam.

Therese blickte auf den Tisch, still, sinnend, „Nicht so wie die Raußbacher! Aber auf eine bestimmte Weise doch!“...

Das war etwas, was sich ganz fest in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte, dieser Augenblick, als sich der Narbige damals von der Raußbacher abwandte und sich dann in ihr Verließ zwängte. Sein entstelltes Gesicht war aufgedunsen, wirkte erregt, gewalttätig, trieb ihre Angst bis zum Überschlag. Ohne ein Wort, ohne einen Laut von sich zu geben, griff er sie einfach, so wie man nach einer widerstrebenden Ziege greift, zerrte sie aus ihrem Verließ heraus, durch den Gang, schob sie die Treppe hinauf – rasch, gefühllos. Schob sie oben durch das Turmrund, und endlich durch die tief in der Wand liegende Tür auf einen kurzen, dunklen Gang. Direkt vor ihr sickerte aus einem Türspalt etwas Licht und mit dem Licht Stimmen und einzelne Gesprächsfetzen zu ihr ins Dunkle. Der Narbige hielt einen Augenblick inne, wartete auf den Älteren, der schnaubend hinter ihnen herkam. Dann drängte die Hand auf ihrem Rücken sie wieder vorwärts gegen die Tür. Unwillkürlich schob sie die Tür mit beiden Händen auf, ließ das aufgestaute Licht auf den Gang hinaus, während die Stimmen schlagartig aufhörten zu sickern und verstummten. Dafür guckten ihr aus dem Raum fünf Augenpaare abschätzend, teils verächtlich aus strengen und selbstgefälligen Gesichtern entgegen, erfassten jeden ihrer verhaltenen Schritte, mit denen sie vorwärts in den Raum geschoben wurde.

Ziemlich genau in der Mitte des Raumes stellte sie der Narbige endlich ab, den Gesichtern gegenüber.

Sehr vornehm gekleidet saßen diese, auf ihren Stühlen bequem zurückgelehnt, hinter einem großen, grünverhangenen Tisch, der, bis auf schmale Durchgänge an den Seiten, über die gesamte Raumbreite von einer Wand zur anderen reichte.

Für einen Moment war es still im Raum, und sie fühlte sich unter den Blicken dieser Männer plötzlich klein, schmutzig, minderwertig und hilflos verlassen. Stand da mit hängenden Armen, wagte nicht aufzusehen, allenfalls aus den Augenwinkeln, wartete einfach und zitterte.

Der riesige, grünverhangene Tisch, vor dem sie stand, war fast leer. Nur auf dem Platz direkt vor ihr lagen drei einzelne Blätter nebeneinander, und sie konnte erkennen, dass alle drei Blätter dicht beschrieben waren.

Dahinter, auf der anderen Seite des Tisches, bewegte sich einer der Männer nach vorn, griff nach den Blättern. Sie folgte unter den Augenbrauen hervorschauend seiner Bewegung, versuchte Anzeichen für das zu finden, was nun auf sie zukommen würde. Der Mann, der mindestens ihr Vater hätte sein können, wirkte milde auf sie, mit seinen weißen Haaren, seinem vollen, weißen Bart und dem großen, bis auf die Schultern reichenden Spitzenkragen.

Als er unvermittelt von seinen Papieren aufschaute, war ihr schwacher Hoffnungsfunke im Nu verglüht. Eisig und unerbittlich fuhren seine Augen rasch und prüfend über sie hinweg. Sie empfand Atemnot! Vielleicht doppelt so groß wie eine normale Stube schien ihr der Raum plötzlich zu eng, wollte sie mit seinen dunklen Holzwänden und der niedrigen, inzwischen rußgeschwärzten Decke erdrücken. Die ranzig riechenden Öllampen an der Wand hinter dem Tisch verbrauchten die Luft, die ihr zunehmend fehlte. Sie zog die Schultern hoch, atmete tief durch, wäre am liebsten losgerannt, aber sie konnte die herb-scharfen Ausdünstungen des Narbigen riechen, er stand irgendwo dicht hinter ihr.

Ihr seid die Therese Driesner vom Köblerhof!“

Sie zuckte zusammen, sog aufgeregt die Luft tief ein und schaute in die eisigen Augen ihres Gegenübers, das war keine Frage, eher eine Feststellung! Ihre Hände suchten Halt im sperrigen Gewebe ihres Kittels, ballten und knüllten dort den Stoff. Ihre Stimme versagte, war unfähig den trockenen Hals und Mund zu verlassen.

Antwortet, wenn ihr gefragt werdet!“ Die Augenbrauen des Weißhaarigen zuckten nach oben, er blitzte sie drohend an und schnitt jetzt mit geradezu metallener Stimme die Luft in unterschiedlich dicke Scheiben.

Ja!“ Sie beeilte sich zu antworten; ihre Stimme klang spröde und fremd.

Hinter ihr betrat jemand den Raum, ging rasch in ihrem Rücken vorbei.

Ah – Pater Vinzenz!“ Alle Strenge ablegend schaute der Weißhaarige an ihr vorbei, „Wir haben das Verfahren gerade erst eröffnet, sind noch bei den Formalien. Ihr habt also nichts versäumt!“ Seine Hand wies nach rechts auf den freien Stuhl am Ende des Tisches, während sich sein Gesicht zu einem sparsamen Dienstlächeln verzog. „Wie ich sehe habt ihr euch Verstärkung mitgebracht! Das ist sehr weitsichtig von euch. Man kann gar nicht früh genug Erfahrungen mit diesen Zauberischen sammeln. Bruder Gregor, nicht? Ihr bekommt sofort einen Stuhl“

Pater und Bruder zwängte sich eilig zwischen Tisch und Wand hindurch, und Pater Vinzenz, groß, hager, kahlköpfig und auf strenge Ausstrahlung bedacht, setzte sich auf seinen Stuhl, während Bruder Gregor stehend verharrte und Therese mit offenem Mund erschrocken ansah. In rascher Folge flog deren Blick zwischen ihm und dem Weißhaarigen hin und her, um endlich zu erkennen, dass eine Preisgabe der losen Bekanntschaft zwischen dem Bruder und ihr an dieser Stelle nur mehr schaden als nutzen konnte. Noch vor gut einem Jahr hatte dieser Bruder ihr Grüße, Geld und eine lange Haarlocke ihres Mannes von irgendwo aus dem Krieg überbracht. Nun gehörte er zu denen, die hier über sie zu Gericht saßen. Ein winziger Hoffnungsfunke glimmte in ihr auf.

„Was sagtet ihr?“ Sie beugte sich vor, um den Pater besser sehen zu können, da er hinter Franz an der Hauswand lehnte. „Ich sagte: Gut, dass ihr nicht wusstet, wie gering mein Einfluss war! Meine Stimme war innerhalb des hohen Gerichtes ohne Bedeutung!“

„Ein Mann der Kirche, noch dazu ein Jesuit, sitzt bedeutungslos in einem weltlichen Gericht, welches nach den Regeln der Kirche Hexenprozesse abwickelt? Wie geht das zusammen?“ Franz sah, die Hände immer noch hinter dem Kopf verschränkt, den Pater von der Seite her an.

„Ja nun, die damaligen Hexenprozesse in Eichstätt wurden alle im Sinne Bischof Westerstettens geführt, der sein Eichstätt frei von Hexen und Zauberern haben wollte. Aus diesen Gründen gab es für den beisitzenden Geistlichen keine Einwirkungsmöglichkeiten zu Gunsten der Beschuldigten.“

„Also stand die Schuld der Angeklagten und deren Verurteilung schon zu Prozessbeginn fest! Warum dann diese ganze Quälerei?“ Franz schaute abwechselnd den Pater und Therese an.

„Ja weil jedes ordentliche Gericht zur Fällung eines Urteilsspruches zwingend den klaren Schuldnachweis braucht, oder ein Geständnis. Ein solches ´Hohes Gericht´ konnte keine Willkürurteile fällen, so darf man sich das nicht vorstellen!“ Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass Therese entschlossen von der Wand abrückte und zu ihm herüber sah, hob beschwichtigend die Hand, „Hexenprozesse waren schon eine kitzlige Sache. Sie stellten auch solch ein hohes Gericht vor besondere Probleme. Hatten die Nachforschungen erst einmal begonnen, gab es fast immer mehrere Anzeigen wegen Hexerei und Zauberschäden und jede Menge Zeugenaussagen. Auch in eurem Fall war das so: Die Lisbeth hatte kaum ihre Anzeige gemacht, da war euer Fall schon im Ort herum und noch am gleichen Tag ging es los.“

„Was ging los? Zuerst einmal ist doch gar nichts passiert. Deshalb dachten wir ja, Lisbeth hätte sich wieder beruhigt und alles wäre in Ordnung!“

„Das solltet ihr ja auch wohl denken, in Wirklichkeit liefen längst die Nachforschungen. Ihr habt es ja im Prozess gehört: Es müssen sich damals täglich Leute gemeldet haben, die entweder Zeugen eurer Zauberei gewesen sein wollen oder die ihr geschädigt haben solltet. Als dann die Raußbacher euch unter der Folter benannt hat, waren Richter und Schöffen überzeugt, in euch eine gefährliche Hexe sehen zu müssen – ihr solltet das nur noch gestehen.“ „Genau so kam ich mir auch vor!“ Therese kniff die Augen etwas zusammen und richtet ihren gestreckten Zeigefinger auf den Pater, „Ich sehe ihn noch heute, wie er seine feinen Hände rechts und links des vollgeschriebenen Papiers auf dem Tisch liegen hat und mich mit seinen kalten, grauen Augen zwingt, ihn anzublicken. …

Therese Driesner! Wegen zahlreicher Anzeigen und Zeugenaussagen, denen dieses Hohe Gericht nachzugehen hatte, werdet ihr der Hexerei, Zauberei und der Teufelsbuhlschaft beschuldigt und vor diesem Hohen Gericht angeklagt.“

Als hätte er in einer fremden Sprache zu ihr gesprochen, schaute Therese den Weißhaarigen mit krausgezogener Stirn und geöffnetem Mund an. Seine Stimme tat ihr weh und immer noch glaubte sie an einen Irrtum.

Der Schreiber wird euch jetzt die Anklageschrift der Reihe nach vorlesen. Ihr tut gut daran, genau zuzuhören,“ dann etwas langsamer mit drohendem Unterton, „und Punkt für Punkt zu bekennen!“

Bekennen? Was soll ich denn bekennen? Ich habe doch nichts Unrechtes getan!“ Unwillkürlich hatte sie ihre Hände in hilfloser Gebärde vorgestreckt, schaute verzweifelt zu ihrem Gegenüber, zu Pater Gregor, der sie reglos und irgendwie erschrocken ansah, zu ihrem Gegenüber, der sich unbeeindruckt im Stuhl zurücklehnte.

Das Papier,“ seine Hand wies auf die sauber beschriebenen Blätter vor ihm auf dem Tisch, „spricht eine andere Sprache! Also,“ er zog seine Augenbrauen hoch, wieder der drohende Unterton, „redet nicht lange herum! – Schreiber!“ Ein kurzer Blick zur linken Tischseite, wo ein noch junger Mann, vornüber gebeugt, mit rascher Feder das eben Gesagte auf dem Papier festhielt. Danach griff dieser zu einem anderen Papierstapel, weiter vorn auf dem Tisch, und erhob sich mit einer geradezu eckigen Bewegung. Er war sehr groß, spinnenartig dünn und hatte, obwohl der jüngste im Raum, schon schütteres, rötliches Haar. Nach einem knappen, eckigen Kopfnicken in Richtung des Weißhaarigen, begann er mit überraschend tiefer Stimme zu lesen, eintönig, so als handle es sich bei dieser Schrift um eine unwichtige, amtliche Bekanntmachung.

Therese fiel es schwer, dem monotonen Vortrag des Schreibers zu folgen. Ungemein schnell reihte er Wort an Wort, ohne dabei die Stimme zu heben oder zu senken.

Als sein Redefluss dann so unvermittelt endete, als habe er mitten im Satz gestoppt, schaute ihn Therese, entgeistert an, unfähig zu reagieren. Sie schaute wie durch einen Tunnel, sah nichts anderes als den, der sie soeben, in gefühllose Amtssprache gekleidet, schon mit dem ersten Anklagepunkt als berechnend mordende Hexe dargestellt hatte.

Heimtückisch habe sie sich in der Nacht in den Zagelhof geschlichen, habe plötzlich leuchtend im ansonsten fast dunklen Schlafzimmer gestanden. Und das genau in dem Moment, als die Geburt des ersten Kindes unmittelbar bevorstand, sich die Jungbäuerin in den letzten Wehen wand. Einfach eingemischt habe sie sich, habe den Geburtsvorgang durch Zauber abgebrochen, Mutter und Kind dadurch getötet und sei dann, so plötzlich wie sie gekommen auch wieder verschwunden.

Und?“ Die Stimme des Weißhaarigen löste ihren Blick, rief sie zurück, schärfte plötzlich ihre Sinne für die Gefahr, in der sie schwebte. „Steht da nicht schweigend herum! Steht zu eurer Schuld und gebt zu, was man euch vorwirft!“

Zugeben? Ich kann doch nichts zugeben, was nicht wahr ist!“

Der Gesichtsausdruck ihres Gegenübers bekam etwas Lauerndes „Nicht wahr? Und was ist wahr?“

Wahr ist ...“ Sie sah eine Möglichkeit. Schilderte minutiös, was sich in besagter Nacht wie zugetragen hatte. Ihr Gegenüber hörte ihr regungslos zu, wartete stumm einen Moment, als sie ihre Schilderung beendet hatte und nickte dann, ohne jegliche Erwiderung, dem Schreiber zu, der in gehabter Manier nun den nächsten Punkt vortrug.

Der Fall Rossschläger!...“ Wieder stand der Schuldvorwurf des „satanischen Kindmordes“ und hier außerdem der Vorwurf des „Leichendiebstahls und der Leichenschändung, wie Hexen dies tun“ im Raum.

Therese widersprach, erklärte, legte dar: Auch in diesem Fall wurde Therese zu spät gerufen. Das Kind hatte sich die Nabelschnur um den Hals gewickelt, starb praktisch direkt nach der Geburt und ohne Nottaufe. Wie üblich hatte sie es auf dem Gebeineacker oberhalb Eichstätts beerdigt.

Ohne die Haltung zu ändern hob der Weißhaarige kurz die Hand in Richtung Schreiber, der den nächsten Fall vortrug. Und so ging es immer weiter: Der Schreiber las einen Fall nach dem anderen vor, Therese erinnerte sich, legte dar, erklärte, — „der nächste Fall“!

Insgesamt waren es vierzehn Anklagepunkte, derer sie sich zu erwehren versuchte, ohne erkennbare Wirkung auf der anderen Seite des Tisches. Rechts und links des Weißhaarigen las sie nur hochmütige Gleichgültigkeit in den Gesichtern, Pater Gregor ausgenommen, der sie geradezu mitleidig ansah.

Als der Schreiber sich setzte, war es für wenige Augenblicke sehr still im Raum. Der Weißhaarige schaute sie ruhig an – immer noch lag etwas lauerndes in seinem Blick. Die Feder des Schreibers kratzte leise, aber offenbar mit raschen Strichen über das Papier. Hinter ihr räusperte sich einer der Büttel.

Der Weißhaarige löste sich aus seinem Stuhl, beugte sich vor an den Tisch, wobei sein Blick auf dem Papier ruhte, welches vor ihm auf dem Tisch lag. Als er sie, die nun endlich eine Reaktion, eine Würdigung ihrer Richtigstellungen erwartete, wieder ansah, traf sie ein eigenartiger Blick. Die Augen leicht zusammengekniffen, das Gesicht gespannt, schaute er sie von unten herauf an: hinterlistig oder gar tückisch, „Ist euch aufgefallen, dass ihr zu jedem der vorgelesenen Anklagepunkte eine plausible, euch in jedem Falle entlastende Erklärung abgeben konntet?“ Er sprach leicht verlangsamt, hatte die Lautstärke zurückgenommen, eine Veränderung, die Therese im Zusammenspiel mit dem Gesichtsausdruck Angst machte! „Die drei toten Kinder starben ohne eure Schuld und Einwirkung, ebenso die Zagelbäuerin – ohne eure Schuld! Der von euch lahm gehexte und seiner Manneskraft beraubte Schuhmacher hat euch gewalttätig bedrängt und wurde dann bei eurer Gegenwehr verletzt. Ihr habt kein Unwetter und Gewitter gemacht, sondern eine störrische Kuh rufend und mit den Armen wedelnd nach Hause getrieben und so weiter, und so weiter! Wir alle,“ seine Hand deutete lässig und etwas ironisch einen Kreis an, „sollen also glauben, dass die vorgetragenen Anklagepunkte samt und sonders falsch sind, Meldungen boshafter Nachbarn oder einfach Irrtümer!“

Umsonst! Therese war schlagartig klar, dass alle ihre Schilderungen und Erklärungen umsonst gewesen waren. Ihr Gegenüber glaubte ihr kein Wort. Tränen schossen ihr in die Augen, verzweifelt ballte sie noch einmal ihre Fäuste vor dem Bauch „Bitte! Ihr müsst mir glauben! Ich habe euch die Wahrheit gesagt! Ich habe nichts Unrechtes getan! Bitte!“ Mehr wusste sie nicht zu sagen, zitterte am ganzen Körper.

Ihr Gegenüber schaute sie immer noch unverändert an. Da war noch etwas, sie spürte es, sah es hinter seinen Augen. Und dann: „ Gut! Dann bin ich nur gespannt, was euch zum letzten Punkt einfällt!“ Therese wischte sich mit einer hastigen, fahrigen Bewegung die Tränen aus dem Gesicht, starrte ihn an.

Die Raußbacher, ihr kennt sie doch, oder?“

Eine einfache Frage; Therese nickte verwirrt.

Die Raußbacher kannte euch auch! Sie hat euch benannt! Hat euch bei mehrfachem Nachfragen einwandfrei benannt!“ Seine Augen wurden stechend, er lauerte wieder!

Was hat die Raußbacher mich?“ Sie verstand den Sinn der Worte nicht, zog die Stirn kraus.

Die Raußbacher hat euch beim großen Buhlfest mit dem Bösen gesehen,“ er beugte sich ein ganz kleines Stückchen vor zu ihr, schob dabei die linke Schulter leicht vor und wies mit dem Zeigefinger auf sie: „Ihr ward dort, das ist sicher! Und ihr habt es mit dem Teufel getrieben – wie die Raußbacher auch. Sie hat´s gestanden! Also, was fällt euch jetzt noch ein?“ Zufrieden ob seines Schachzuges und dessen Wirkung lehnte er sich zurück, schaute sie aus großen stechenden Augen an, wartete.

Hilflos streckte sie ihre zitternden Hände vor, schüttelte langsam, beschämt und tiefem Unverständnis folgend den Kopf „Das ist doch Unsinn! So etwas gibt es doch gar nicht!“ Dann etwas lauter, während sie ihn direkt ansah „So etwas kann es doch gar nicht geben, das sind Hirngespinste!“

Ihr Gegenüber rührte sich nicht, fast entsetzt blickte sie von einem teilnahmslosen Gesicht hinter dem Tisch zum anderen, hörte die Feder des Schreibers kratzen, kam nicht bis zum Pater, „Wie ihr wollt!“

Seine Stimme markierte, dem Tonfall nach, das Ende von etwas. Er beugte sich vor, legte beide Hände dicht nebeneinander auf den Tisch, blickte sie an, gleichgültig, kalt. „Wir werden gleich wissen, ob das Hirngespinste sind oder vielleicht doch die Wahrheit. Doktor Moshofer!“ Sie folgte seinem Blick ganz nach links zu dem Mann, der direkt vor Pater Gregor saß und sich jetzt mit einer betont vornehmen Neigung des Kopfes dem Weißhaarigen zuwandte. „Schaut doch einmal nach, ob ihr den Beweis findet, mit dem wir die Delinquentin vielleicht zur Wahrheit und endlich zu einem Geständnis überreden könnten.“

Mit Entsetzen verfolgte Therese, wie sich der als ´Doktor Moshofer´ angesprochene nach einer angedeuteten Verbeugung erhob. Mit einer raschen Bewegung glättete er seinen eleganten Rock, zwängte sich dann, wie vordem Pater Gregor, zwischen Wand und Tisch hindurch und wandte sich ihr gemessenen Schrittes zu.

Kleiner als die meisten Männer, kleiner auch als Therese, eher gedrungen, gut fünfzigjährig, wirkte er aufgesetzt vornehm, erschien Therese streng, unnahbar, als leibhaftige Bedrohung.

Doktor Moshofer hatte sie jedenfalls, während er ihr näher kam, fest ins leidenschaftslose Auge gefasst, taxierte sie geradezu, blieb dann aber dicht vor ihr unvermittelt stehen. Als sei ihm etwas eingefallen, worüber er konzentriert nachdenke, legte er, ausgesucht elegant, den rechten Zeigefinger vor den Mund, drehte dann, wieder eine Spur zu geziert, Kopf und Oberkörper in Richtung des Weißhaarigen: „Ich werde,“ dozierte er langsam und sehr deutlich, „für diese Untersuchung eine gewisse Zeit benötigen. Vielleicht solltet ihr diese Zeit für eine sicher längst fällige Vesper nutzen. Ich gebe nichts darum und kann derweil ohne Zeitdruck umso sorgfältiger arbeiten.“ Kein Lächeln schlich sich in sein Gesicht, während er das sagte und den Weißhaarigen bedeutungsvoll ansah.

Überdeutlich geisterte die Raußbacher, gequält und verunstaltet, durch Thereses Hinterkopf. Was kam auf sie zu? Was sollte der Medicus untersuchen, ihr Blick fuhr zurück über den Tisch, suchte eine Antwort. Aber der Weißhaarige war schon dabei, sich mit dem Angebot des Arztes anzufreunden, zog die Augenbrauen freudig hoch. Alle Strenge und Widerwärtigkeit war mit einem Male verflogen, „Sehr gut, lieber Doktor!“ Die Ellenbogen auf den Tisch gestützt hoben und öffneten sich seine Hände seitwärts und in Höhe des plötzlich aufgeräumten Gesichtes, „Ein ärztlicher Rat, dem wir wohl gerne folgen. Meine Herren?“ Er beugte sich leicht vor und schaute kurz nach links und rechts zu seinen Beisitzern und Schöffen, die ihm freudige Zustimmung signalisierten. „Nun denn,“ er schaute den Doktor gut gelaunt an, „genehmigen wir uns eine ärztlich verordnete Vesper!“ Während er sich dann erhob, klopfte er dem neben ihm Sitzenden auf die Schulter, „Herr Amtmann Huerseler, auf geht´s, erhebt euch! Die Vesper geht zu den Prozesskosten. Also, ihr könnt heut ruhig mitgehen!“ Sein kurzes Lachen klang meckernd, spöttisch, als er sich nach links wandte, wo ihm der Amtsdirektor Hartmann und der Assessor Rosenbichler aufbrechend bereits den Rücken zudrehten.

Vielleicht!“ Der Doktor hob noch einmal, fast entschuldigend, Arm und Zeigefinger, machte so verhalten auf sich aufmerksam. Schon abwesend, aber gutmütig und fragend wandte sich ihm der Weißhaarige noch einmal zu.

Vielleicht – wenn der Schreiber bleiben könnte?“ Er streckt den Arm andeutungsweise in Richtung des Schreibers aus.

Der Stierner? – Natürlich kann der bleiben!“ Legte dem Schreiber, der sich noch gar nicht erhoben hatte, die Hand auf die Schulter, gewissermaßen im Vorbeigehen, „Also Stierner, bleiben´s halt und gehn dem Doktor ein wenig zur Hand!“

Dienstbeflissen, vielleicht auch ein wenig hungrig, hielt ihm der Rosenbichler, der kleine, dicke Geheimrat schon die Türe auf, und in weniger als einer Minute befand sich das ´Hohe Gericht´ fast gänzlich auf dem Weg ins Gasthaus. Die Verhandlung war für die Zeit der Vesper unterbrochen!

Thereses Blick war noch beim Schreiber liegengeblieben, der ohne erkennbare Reaktion weitergeschrieben und vermutlich die letzten Äußerungen der noch laufenden Verhandlung festgehalten hatte.

Sie verstand inzwischen gar nichts mehr, fühlte sich leer, klein, mehr Ding als Mensch. Ganz offensichtlich lief das Spiel des Lebens zur Zeit ohne sie, lief einfach an ihr vorbei. Selbst der Pater! Aus seiner Gegenwart hatte sie ein wenig Hoffnung geschöpft, war sich nicht ganz so alleine vorgekommen. Aber sie war allein! Sein Stuhl war leer und sie hatte nicht einmal bemerkt, dass er gegangen war – zum Vespern! …

Trissa, Hexe von Eichstätt

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