Читать книгу Trissa, Hexe von Eichstätt - Lars Gelting - Страница 9

7. Die Hochnotpeinliche Untersuchung

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„Mein Gott! Auch das habt ihr behalten!“ Pater Gregor stand in der Nähe des Feuers, hatte zuhörend in die Glut gestarrt und drehte sich jetzt herum.

„Es stimmt: Ich hatte mich ziemlich unauffällig davon gestohlen, weil ich ein fürchterlich schlechtes Gewissen hatte – immerhin zeichnete sich die Folter ja schon deutlich ab. Aber es gab keine Möglichkeit, einer solchen Einladung, die in Wirklichkeit eher eine Aufforderung war, nicht zu folgen. Außerdem war ich damals ja nur ein Anhängsel von Pater Vinzenz.“

Die frischen Kiefernscheite, die Stefan aufs Feuer geschichtet hatte, nährten die hungrig lodernden Flammen, knackten, knisterten und schossen glühende Funken durch die Luft. Vor diesem Hintergrund agierte der Pater wie ein Scherenschnitt, sein Gesicht war nicht zu erkennen.

„Eine solche Vesper war üblicherweise Teil der Verhandlung. Die haben eben nicht nur gegessen und getrunken, sondern so zwischendurch auch die Prozesslage erörtert und den weiteren Verlauf schon mal skizziert. Kaum zu glauben, aber wahr! Übrigens waren die Kosten der Vesper ´Prozesskosten´. Sie mussten – ich nehme an, es ärgert euch nicht mehr – vom Angeklagten und später Verurteilten übernommen werden…“

„Ihr irrt euch schon wieder, Pater! Das ärgert mich über alle Maßen – noch heute! Dass ich diesen selbstgerechten, bornierten Kerlen, die da so gnadenlos über mich zu Gericht saßen, auch noch eine sicher sehr üppige Mahlzeit bezahlt habe, das ärgert mich ganz fürchterlich! Man muss sich das mal vorstellen!“

Sie rutschte aufgebracht nah an den Tisch heran, wischte wütend einen lichtblind herumschwirrenden Falter von der Platte und stützte sich mit den Ellenbogen ab, „Die wussten alle, dass sie mich nach der Mahlzeit dem Pocher übergeben und dieser mich wie die Raußbacher zerschinden würde. Die waren sich sicher, dass sie mich schuldig sprechen würden, egal was ich noch sagte, in jedem Falle! Also konnten sie auch schon mal auf meine Kosten speisen! Grün vor Wut könnte ich werden, lieber Pater, wenn ich mir das vorstelle. — Ha!“

Sie warf den Kopf zurück, schaute bitter lächelnd nach oben. Blieb einen Atemzug lang auf der Kante sitzen, um dann ganz langsam zurück an die Wand zu rutschen. „Zu gern hätte ich all diesen aufgeblasenen Kerlen zuteil werden lassen, was sie mir und der Raußbacher zuteil werden ließen, zu gern! Aber,“ sie blickte zu Franz, blickte am Pater vorbei ins Leere, „wir werden sehen! Immerhin wurde der erste Teil der Rechnung, schon mal bezahlt, mit Zuschlägen! Und irgendwie werden sie auch noch den Rest bezahlen! Zumindest das werden sie! Und es wird ihnen wehtun!“

Sie verschränkte wieder die Arme, sah ins Feuer, dessen unstet flackernder Schein über ein hartes und entschlossenes Gesicht huschte.

Kurzzeitlich war nur das Knacken und Knistern des Feuers zu hören. Ein schwacher Lufthauch verwirbelte spielerisch die lose Glut, trieb den heißen Atem und einen dünnen Rauchschleier wie beschwichtigend über die schweigende Gruppe, zwang sie für einen Moment einzuhalten.

Franz löste seinen Blick aus dem Feuer, musterte sie, schaute sie nachsinnend an, „Ich versteh dich jetzt nicht. Wer soll dir was bezahlen? Soweit die, die damals mit dem Prozess befasst waren, noch leben, kommst du doch gar nicht an sie ran!“

„Wart´s nur ab!“ Ihre harten, wissenden Augen streiften sein Gesicht nur, schauten dann wie abwesend in Richtung des Paters, der immer noch als Scherenschnitt vor dem Feuer stand, das Gesicht in tausend Fragefalten gelegt, was außer Stefan aber niemand sehen konnte.

„Bezahlt, bezahlt! Wer hat bezahlt, wird bezahlen?“

„Später Pater!“ Sie hob ihre Hand, als wollte sie ihm Einhalt gebieten. „Alles schön der Reihe nach! Zuerst will das alles eingefädelt sein. In einigen Tagen wissen wir vielleicht schon mehr!“

„Was soll denn da eingefädelt werden? Du kannst doch hier wohnen, hier findet dich keiner. Hier bist du am sichersten!“

„Franz, ich werde mich nicht mehr verstecken, das habe ich jahrelang getan, das ist vorbei! Aber es geht auch um etwas anderes: Ich werde mich in den nächsten Tagen mit jemandem treffen, außerhalb Ingolstadts. Das Treffen müssen wir erst abwarten, danach sehen wir weiter.“

Franz sah sie noch einen Augenblick an, verblüfft, fragend, wechselte dann zum Pater, der seinen Blick aber nicht erwiderte, sondern auch nur nachdenklich und forschend auf Thereses Gesicht verweilte.

„Mein Gott! Ich habe eine geschäftliche Verabredung! Eine ziemlich schwierige dazu!“ Und während sie von einem zum anderen blickte, „Aber man braucht euch nur anzusehen: Wenn eine Frau so etwas sagt, denkt ihr immer in die eine andere Richtung. Verabredung, das passt noch, aber nüchterne Geschäfte?“ Sie amüsierte sich über die Verwirrung, die sie angerichtet hatte, sah belustigt vom einen zum anderen.

„Lach nur! Du bist gut!“ Den Kopf hin- und herwiegend sah Franz sie mit gespielter Betroffenheit an „Wir sind froh, dich lebend hier zu haben, machen uns Gedanken, wie wir dich dauerhaft schützen können, und du triffst so nebenbei Verabredungen und machst Geschäfte. Vielleicht noch ganz offen auf dem Markt in Ingoldstadt.“

„Nein Franz, deine Mutter ist kein Marktweib,“ scherzhaft ging sie auf seine Betroffenheit ein, legte ihm sanft die Hand auf den Unterarm, „und die Gespräche sind auch alles andere als offen. Sei man ganz beruhigt!“

„Kaum! Jedenfalls solltest du hier nicht alleine herumfahren!“

Ihr Blick, immer noch mit einem Rest an Heiterkeit gefüllt, zuckte kurz zum Pater und zurück. „Gut! Wir müssen über die Brücke auf die andere Seite. Mehr möchte ich jetzt erst einmal nicht sagen.“

„Ich weiß nicht!“ Der Pater veränderte das Aussehen des Scherenschnitts, indem er seine rechte Hand in die Hüfte stemmte, die linke verschwand im Dunkel vor dem Körper, der Kopf legte sich schräg nach rechts, „Was führt ihr im Schilde? Bezahlen, Rechnung begleichen! Da sind wir wieder beim Thema Vergeltung und Rache! Ich sage euch, das bringt euch um Kopf und Kragen! Immerhin,“ er wandte sich an Franz, „hat sie ja den Pocher schon auf die eigene Spur gesetzt. Der lauerte schon vor ihrer Tür!“

„Der Pocher weiß schon, dass du zurück bist?“ Franz blickte fassungslos von ihr zum Pater, wandte sich ihr direkt zu und ruckte vor, nicht verstehend, „Damit hast du ihn doch jetzt am Hals. Der findet dich irgendwann ganz sicher. Warum hast du das gemacht?“

„Rache!“ Der Pater kam ihr zuvor, aufgebracht „Sie hat ihn geködert, um ihn fertig zu machen! Um ihn am Ende selbst in den Turm und auf den Scheiterhaufen zu bringen. Das ist doch euer Plan, oder? Er sollte brennen! Eiskalte Rache!“

„Und – Pater, ihr könnt das nicht verstehen?“ Zu Franz „Ich wusste, dass die Schweden über Eichstätt gezogen waren, wir hatten davon in Leipzig gehört. Und was das bedeutete, musste mir niemand erklären! Ich hatte deshalb nur noch wenig Hoffnung, dich oder Anna oder Lina hier noch zu finden.“

Eindringlich „Verstehst du: Sie haben völlig ohne Grund meine ganze Familie aufgelöst, alle im Reich verstreut oder umgebracht. Sie haben unser Leben von einem Tag auf den anderen einfach zerstört. Und dann hängt sich der Pocher an meine Fersen und verfolgt mich durchs ganze Reich. Wie ein Schweißhund hing der immer wieder auf meiner Spur und gab einfach keine Ruhe.“

„Aber augenscheinlich ist er ja nie an euch rangekommen, und ich will meinen, so schlecht hat es das Leben in all den Jahren doch nicht mit euch gemeint. Warum müsst ihr dem Schinder jetzt selbst vor die Füße laufen?“

„Warum? – Pater, ich habe es ja schon gesagt: Was nutzt all der Reichtum, wenn einem der Sinn des Lebens abhanden kommt? Und das war, so schien es mir, endgültig im letzten Sommer der Fall, als Wandecki erschlagen wurde. Wandecki war für mich mehr als ein guter Freund, er war die Hoffnung auf einen neuen Anfang. Mit seinem Tod verlor alles andere seinen Sinn. Mir blieben nur mein Reichtum und der Pocher. Mit ihm hatte alles begonnen. Er hatte mich all die Jahre über gejagt, jetzt sollte er auch für alles büßen. Deshalb bin ich zu ihm gekommen. Er war das Ziel, und sollte im eigenen Feuer schmoren!“

Sie nickte langsam, schaute sinnend auf die Tischplatte, dann zu Franz, „Aber Gott sei Dank sitzen wir jetzt hier. Der Rest muss sich finden,“ zum Pater, „auch was den Pocher betrifft!“

Es hielt ihn nicht mehr im Scherenschnitt. Geradezu hastig setzte er sich in Bewegung, suchte unruhig nach einer Sitzgelegenheit, setzte sich dann eine Spur zu heftig auf seinen alten Holzklotz, „Ihr sagt das so einfach! Als könntet ihr den Pocher aufhalten! Niemand hält den! Niemand!“

Er redete eindringlich, mit großen, sorgenvollen Augen. „Ihr ward in all den Jahren sein Ziel, jetzt habt ihr ihn herausgefordert! Wie soll das jetzt weitergehen? Ich kann dabei keinen Vorteil für euch erkennen!“

Sie nickte, ernst diesmal, „Wir werden sehen! Es wird für alles noch einen Weg geben, ganz sicher! Es gibt immer einen Weg. – Fast immer! Und wenn nicht, dann geht er eben doch noch mit!“

Franz räusperte sich, ruckte auf seinem Platz etwas mehr zu ihr herum, legte ihr die Hand ruhig auf die Schulter. „Kannst du nicht verstehen, dass wir besorgt sind?“ Er zog wie hilflos die Schultern hoch, „Ich kann mir nicht vorstellen, worauf du hinaus willst, wenn du von „bezahlen“ und von „Geschäften“ sprichst. Du bist ein anderer Mensch geworden, und vielleicht hast du ja Möglichkeiten, die wir nicht erahnen. Aber du musst den Pocher sehr ernst nehmen. Jetzt erst recht!“

Sie antwortete nicht sogleich, schaute ruhig von einem zum anderen, erkannte tiefe Besorgnis und auch Angst.

„Wir hatten das Thema heute schon einmal, der Pater und ich. Warum traut ihr mir nicht zu, mit dieser Gefahr vernünftig umzugehen. Ich habe den Pocher erlebt, in seinem Hass, seinem Zwang, mich zu jagen und unbedingt zu greifen. Er war in Nürnberg, in Bamberg, im Lager während des Zuges, er war sogar in Leipzig; immer war er mir dicht auf den Fersen!“

Franz schüttelte langsam den Kopf, starrte sie mit offenem Mund an „Und dann wagst du dich hierher? Vor seine Haustüre?“

„Franz! Es sollte mein Spiel werden! Ich hätte die Regeln bestimmt und die Züge gemacht, bis zum bitteren Ende!“ Sie zuckte lächelnd die Schulter, „Erledigt!“

Der Pater beugte sich vor, machte große Augen: „Für ihn nicht! Der spielt euer Spiel jetzt alleine weiter. Das macht ihn nicht ungefährlicher und seinen Hass auf euch nicht geringer!“

„Ganz sicher nicht! Aber sein Hass macht ihn nicht nur gefährlich, er macht ihn auch blind. Am Ende wird er ihn auffressen. Wartet´s ab: Ihn – nicht mich! Also,“ beruhigend, geradezu aufmunternd schaute sie von einem zum anderen, „es wird mir schon was einfallen! Seht das Ganze etwas gelassener.“

Mit einem gewinnenden Lächeln und überleitend zum Pater „Ihr wolltet mir noch etwas über das von mir spendierte Vespermahl berichten, ich hatte euch unterbrochen.“

Er, keineswegs beruhigt, launisch: „Den ganzen Abend fahrt ihm mir schon über den Mund, wo habt ihr diese Unart nur gelernt!“

Franz spielte mit, zuckte schmunzelnd die Schultern „Wenn man sich jahrelang in der Welt herumtreibt. Wer weiß!“

„Genau: Wer weiß! Es ist noch eine meiner harmlosesten Unarten. Ihr werdet sehen Pater. – Was war denn nun mit der Vesper? Ihr habt gesagt, dass auch während der Mahlzeit noch wesentliche Dinge der Verhandlung besprochen wurden. An der Stelle, glaube ich, habe ich euch unterbrochen.“

„Ja,“ Er beugte sich vor, nahm ruhig ein Stück Brot vom Tisch, „vielmehr gibt es auch nicht zu berichten. Vielleicht noch die Kleinigkeit, dass dabei, gewissermaßen zwischen Speck und Brot, eine wahrscheinliche Folter und das Urteil schon einmal vorweg erörtert wurden, als Wahrscheinlichkeit eben. Ich war damals entsetzt und habe ganz vorsichtig, unerfahren wie ich war, darauf hingewiesen, dass ja noch kein Schuldbeweis vorliegen würde. Die haben mich angeguckt, als hätte ich ihnen wichtigtuerisch erklärt, dass Weihwasser kein Abführmittel ist.“

„Vielleicht seid ihr da ja im Irrtum!“ Schmunzelnd wehrte sie den Blitz ab, den er ihr durchaus ernst entgegen schleuderte.

„Der Knapp, das war der weißhaarige Vorsitzende, der hat mir damals quer über den Tisch geraten, ich könne ruhig weiteressen, auf den Moshofer sei ganz sicher Verlass. Das Ganze sei auch eine Erfahrungssache, und der Moshofer sei im Aufspüren von Hexenmerkmalen schon eine Kapazität.“ Er verengte die Augen ein wenig, machte eine kleine Pause „Das war der Zeitpunkt, an dem ich mich endgültig entschlossen habe, euch da heraus zu holen.“

„Doktor Moshofer, eine Kapazität!“ Sie lehnte wieder an der Wand. Der schwächer gewordene Schein des Feuers machte ihr Gesicht mit dem versonnen Blick, eingerahmt von den immer noch blonden, jetzt rötlich schimmernden Haaren weich und sehr sinnlich.

„Diesen Menschen hatte ich eigentlich aus meinem Gedächtnis gelöscht. Was diese Kapazität Untersuchung nannte, war so ziemlich das Mieseste, was ich überhaupt erlebt habe. Und das will weiß Gott was heißen.“ Sie wandte sich dem Pater zu, schaute dann aber an ihm vorbei. „Das solch eine Untersuchung einen Nachweis meines Umganges mit dem Bösen erbringen sollte zeigt, wie dumm und blind all diese honorigen Herren doch waren.“ Sie sah ihn gerade heraus an „Diese Kapazität war ganz einfach ein Schwein und als solches wusste er jedenfalls die Zeit der Vespermahlzeit gut zu nutzen. ...

Deutlich sah sie den vor sich, den sie längst aus ihrem Gedächtnis verbannt zu haben glaubte. Sah, wie er sich, nachdem alle den Raum verlassen hatten, aufgeblasen und plötzlich machterfüllt vor ihr aufbaute. Wie er vor ihr tänzelnd hinabstieg in dieses Gewölbe, dessen Geruch nach Rauch, nach fauligem Schwefel und menschlichen Ausscheidungen ihre Angst und auch wieder ihre Lebensgeister wachrief. Schon nach den ersten Stufen wusste sie, wohin man sie hinabzusteigen zwang. Dieses dämmrige Gewölbe war der Inbegriff für Sühne, für Schmerzen und Tod, das Reich des Peinmannes.

Noch von der Treppe aus durchhetzten ihre Augen das von dicken Steinmauern umschlossene, fensterlose Gewölbe, stolperten über den mächtigen Pfeiler im Zentrum, der die Bögen der Decke abfing. Erkannten links unten an der Außenwand und nur wenige Schritte neben der Treppe, die riesige Esse und gleich dahinter die lange Bank mit den großen Spindeln. Der Narbige schob sie weiter und ihre Augen rissen sich los, jagten auf die anderen Seite des Gewölbes, blieben am groben Sitzbock hängen, dessen inzwischen dunkel eingefärbten Arm- und Beinlöcher sich ihr drohend zeigten: die Raußbacher! Noch zwei Stufen! Sie wollte sich aufbäumen, wusste doch den Narbigen hinter sich, riss unvermittelt Mund und Augen weit auf, rang nach Luft als müsse sie ersticken. Vor ihr der Moshofer!

Vor dem mächtigen Pfeiler erschien er noch kleiner als sonst, wartete dort auf sie, eingerahmt zwischen Streckbank und Sitzbock, gerade aufgerichtet, das Kinn vorgestreckt. Die für sein Gesicht übermäßig großen, grau-grünen Augen musterten sie kalt und abschätzend und sahen, so schien es, auf sie herab.

Ich werde euch jetzt untersuchen. Wenn ihr euch in das Unvermeidliche fügt und meinen Anordnungen folgt, wird euch nichts geschehen.“ Hinter ihr kam jemand die Treppe herunter, der Moshofer schaute, ohne seine gebieterische Haltung zu verändern an ihr vorbei „Ah – Stierner! Das ist gut! Ihr könnt gleich anfangen, kennt ja das Procedere.“ Zurück zu ihr „Ihr könnt euch entscheiden, ob ihr euch jetzt selbst entkleidet oder ob ihr entkleidet werdet! –Also?“

Ich kann mich doch nicht vor euch ausziehen!“ Fassungslos, fast atemlos waren ihr wie von selbst diese Worte entglitten. Sie wusste sich ausgeliefert und konnte doch nicht anders, legte wie schützend ihre Arme um den Leib, um die schmutzige Kleidung, die ihren Körper noch verbarg.

Das Kinn des Doktors ruckte kaum merklich vor, bevor er sich abwandte. Im gleichen Moment wurden ihre Arme nach oben gebogen, etwas legte sich kühl und fest erst um ihr rechtes dann um ihr linkes Handgelenk; frei stehend war sie doch gefesselt und wehrlos. Schnaubend schob sich der Narbige zwischen dem Pfeiler und ihrem Körper hindurch und begann vor ihr stehend damit, ihr Mieder zu öffnen. Entsetzt versuchte sie sich abzuwenden, zu drehen, konnte nicht! Sie roch seinen schlechten Atem, den herben, scharfen Geruch, der seinen Kleidern entströmte und den sie bereits oben im Raum wahrgenommen hatte, blickte in ein stumpfes, gleichgültiges Gesicht und hörte sich plötzlich angstvoll wimmern. …

„Nein Franz, in dem Punkt liegst du falsch: Der Kerl hat weder gefeixt noch gesabbert oder sonst wie reagiert, ich habe jedenfalls nichts bemerkt. Der hat mich einfach ausgezogen, im Wortsinn! So, wie man ein Kind auszieht oder auch seinem Pferd Sattel und Decke abnimmt – einfach so. Mieder, Rock, Unterkleider, alles schön der Reihe nach und ohne sich um mein Geheule zu kümmern.“

„Du wirst das wohl kaum bemerkt haben.“ Nicht zu ihr, zum Pater schaute Franz im Glauben sicherer Übereinstimmung, „Dieser Wallert war bis zuletzt ein Lump. Übrigens:…“ Er versuchte eine ernste Mine aufzusetzen „Stefan, woran denkst du? Schau mal zum Feuer! Gleich sitzen wir hier im Dunkeln!“

Stefan riss es förmlich hoch von seinem Holzblock, froh, dass er sich für einen Moment entfernen konnte.

„Franz, ich glaube auch, dass du diesem Büttel zu normale menschliche Reaktionen zutraust.“ Der Pater schüttelte skeptisch den Kopf, „Wer anderen Menschen solch unsägliche Qualen zufügen kann, wie das diese Kerle ja mussten, der Wallert oder der Pocher, wer unberührt bleibt, wenn diese Qualen hörbar und sichtbar werden, der muss vorbelastet sein. Für normale Reize ist der nicht mehr empfänglich. Anders ist das sicherlich mit diesem Doktor Mosbacher.“

Zu Therese „Der ist übrigens seit 34, als die Schweden Eichstätt in Asche gelegt haben, verschwunden, spurlos! Kanntet ihr den schon vorher?“

„Gott bewahre! Nein! Hin und wieder hatte ich mal von ihm gehört, wenn ich als Hebamme in Eichstätt unterwegs war, aber nichts Bestimmtes! Nur, heute weiß ich: Der Kerl war in jeder Beziehung ein Schwein und als solches wahrlich eine Kapazität!“ Sie sagte das betont ruhig, nickte nachdenklich vor sich hin.

„Könnt ihr euch noch erinnern, wie katzbucklig sich dieser Mensch gegenüber dem Weißhaarigen – was habt ihr gesagt, wie hieß der? Knapp? – wie der sich gegenüber dem Knapp verhalten hat, wie er vor Sachlichkeit und Vornehmheit fast geplatzt wäre? Das war nur Fassade! Unten im Peinkeller, dort wo er endlich Herr der Zwerge war, dort konnte ich gewissermaßen am eigenen Leibe erleben, wie einfach gezimmert, wie mies dieser Herr Doktor in Wirklichkeit war.“…

Der Narbige hatte sich direkt vor ihr auf den Boden gekniet, ihre Beine eine Elle weit gespreizt, so dass er mit seinen Händen bequem zwischen ihren Knöcheln hindurchgreifen und hantieren konnte. Um diese schlang er fingerdicke Seile, an denen große Steine befestigt waren. Damit war sie zur Unbeweglichkeit verdammt!

Wie aus dem Nichts tauchte unvermittelt der Doktor Mosbacher neben ihr auf und blieb dicht vor ihr stehen. Er hatte seinen Rock ausgezogen, seine Halskrause abgelegt, wirkte in seinem weißen Hemd beängstigend distanzlos.

Seine Hand drückte ihr Kinn nach oben, so dass sie ihn ansehen musste. Offenbar hatte er mit seinem Rock auch seine kalte Sachlichkeit abgelegt, schaute sie freundlich und beruhigend an.

Leider müssen wir eure Bewegungsfreiheit ein wenig einschränken. Ihr neigt wohl zu spontaner Gegenwehr, und die können wir während der Untersuchung nicht gebrauchen.“ Sein Gesicht kam dem ihren ein Stück entgegen, immer noch drückte seine sehr warme, weiche Hand ihr Kinn nach oben. „Ihr habt euch nicht zu ängstigen. Solange ihr mit mir hier unten seid, wird euch nichts geschehen. Die beiden – dabei wiesen seine Augen zur Seite, zum Schreiber und zum Narbigen – zählen nicht! Achtet nur auf das, was ich euch sage! Und seid nicht so bockbeinig, dann ist es halb so schlimm! – So!“

Und damit ließ er ihr Kinn los, hob rasch mit beiden Händen ihre Haare aus der Stirn, drückte dann ebenso geschäftig ihren Kopf mal nach links und mal nach rechts, betrachtete sie dabei sehr konzentriert. Er trat einen Schritt zurück, musterte sie wieder ausgiebig, ging so um sie herum, drückte ihren Kopf sacht nach vorn, hob wieder die Haare an und jäh wurde sie stocksteif, hielt reflexbedingt die Luft an: Sanft und um einige Grade zu gefühlvoll hatten sich seine Hände ganzflächig rechts und links unterhalb ihrer Achseln an ihren Körper gelegt, tauschten ihre schwüle, geile Wärme gegen ihre angstbibbernde Kühle. Glitten bald sachte und weich ein winziges Stück abwärts, um dort, wo er den leisen Brustansatz erfühlte die Richtung zu ändern, bis seine Hände links und rechts an ihren Brüsten lagen.

Eigentlich hätte sie eine Gänsehaut bekommen müssen, so aber schauderte es sie, alles in ihr lehnte sich auf! Unbeirrt von ihrer Erstarrung, ihrem Zittern wanderte seine Hand sanft auf ihrem Rücken abwärts, strich fast zärtlich weiter, fuhr die Rundung vollkommen ab, fuhr darunter nach innen und blieb dort einen Herzschlag lang liegen.

Ihre Augen glitten am Pfeiler hoch, suchten etwas, was sie ablenken könnte, bohrten sich in den dicken Balken über ihrem Kopf, an dem zwei Flaschenzüge befestigt waren, sehr große Flaschenzüge. Seitwärts neben den Rollen erkannte sie Schleifstellen von den Seilen, an denen sie jetzt hing, daneben… Ihr Kopf fiel in den Nacken: Nein! Sie schüttelte wild ihren Kopf, schleuderte ihr Haar hin und her, wollte nicht spüren, was abzusehen war.

Vorsichtig, so als habe er Sorge sie zu erschrecken, wanderte seine Hand, immer noch ganzflächig anliegend, zwischen ihre Schenkel.

Nein! Das dürft ihr nicht!“

Die Hand war gehörlos.

Der Balken! – Nein, nicht weiter! Bitte! – Die Steine über ihr, hoch oben, sie tastete sie mit ihren Augen ab, Stein für Stein – zum Pfeiler hin werden sie kleiner! – Sie hielt die Luft an, hielt den Schrei zurück, schnappte nach Luft, hielt wieder an, atmete etwa so, als habe ihr jemand in erhitztem Zustand ein Stück Eis zwischen die Schulterblätter gedrückt.

Die Hand verstärkte den Druck etwas nach oben, drückte gegen den kleinen Bereich ihres Körpers, den sie dieser vordringenden, viel zu warmen Hand freiwillig niemals zugänglich gemacht hätte, und wurde endlos langsam zurückgezogen. Wieder schüttelte sie ihren Kopf, schlug die Haare hin und her; nicht so stark wie vorher, resignierter!

Flüchtig spürte sie seine Hand auf ihrem rechten Schulterblatt, dort, wo sie seit ihrer Geburt ein Blutschwamm zierte, wenig größer als ein Daumennagel. Er sagte zwei, drei Worte, sie drangen nur undeutlich zu ihr, obwohl er immer noch viel zu nah an ihrem Körper stand. Hinter ihr kratzte die Feder des Schreibers über das Papier.

Unvermittelt hörte sie ihn – dicht, viel zu dicht – neben sich atmen, spürte eine Hand in ihrem Rücken, während die andere langsam, fast streichelnd über ihren leicht gewölbten Bauch strich.

Ruhig, warum zittert ihr so?“ Er sprach fast leise, sein Atem flog ein wenig zu schnell und zu labil durch die Nase, wobei er sie beobachtete. Fast zärtlich umspielten seine Finger den Leberfleck etwas unterhalb ihres Bauchnabels. Hätte sie sich doch nur wehren, ihn wenigstens anspeien können, unmöglich. Hinter ihr kratzte die Feder des Schreibers.

Und dann stellte er sich noch einmal unmittelbar vor sie hin, trat zwei Schritte zurück, betrachtete sie in aller Ruhe von oben nach unten und wieder zurück, trat wieder sehr dicht an sie heran und versuchte sie direkt anzusehen. Sie wich seinem Blick aus, starrte verzweifelt an die Seitenwand, auf den Sitzbock, weiter auf die Geräte, die dort hingen und in deren Zwingen und Dornen unübersehbar der Schmerz lauerte. Ihr Blick fiel auf den Schreiber, der an der Wand neben einem Vorsprung kauerte, sie unverhohlen ansah.

Sie spürte die Hand auf ihrem Bauch, warm, drängend, dicht über dem Schamhaar. Irgendjemand legte ihr wieder den Eisblock in den Rücken, sie schnappte nach Luft, ihr Kopf flog herum – überdeutlich sah sie, wie sich seine Nasenflügel blähten. Sie presste ihre Augen zu, biss sich von innen auf die Lippen.

Im gleichen Augenblick fuhr die Hand, die bisher so unverschämt sanft über ihren Körper geglitten war, zwischen ihre Beine. Tastete wissend und immer noch zu heiß. Unversehens dann und gar nicht mehr gefühlvoll presste er mit irgendeinem harten Gelenkknochen gegen den kleinen, festen Knubbel, von dem aus in glücklichen Jahren Wellen größter Verzückung und süßer Wollust ihren Körper durchfluteten, und von dem aus jetzt ein wilder Schmerz ihren Körper wütend durchzuckte.

Das Kratzen der Feder! Sie hatte es wieder nicht gehört, was dieser Doktor zum Schreiber gesagt hatte. Jedenfalls schrieb der Schreiber etwas auf, während sich das Scheusal entfernte.

Der Narbige ging daran, ihre Fesseln zu lösen. Ihre Hände und Arme waren eingeschlafen und fielen kraftlos herab. Nichts nahm sie mehr wahr hinter ihrem Tränenschleier, fühlte sich zutiefst erniedrigt, entehrt und wertlos.

Hier!“ Der Narbige warf ihr etwas vor die Füße.

Sie stand, ohne einen Blick darauf zu werfen.

Zieh das an – los!“

Willenlos gehorchend bückte sie sich, streckte den Arm, in den kribbelnd und stechend das Leben zurückströmte, erkannte das ´Etwas´ in ihrer Hand als einfaches, grobes Leinenhemd. Weinend: „Mein Kleid.“

Ungeduldig der Narbige: „Zieh das an!“

Sie fragte nicht weiter, zog es sich einfach über ihren Kopf, über ihr tränennasses Gesicht, streifte es über ihre Arme, ihren Körper, spürte nicht die Derbheit, nicht dass es kratzte, gehorchte nur!

Hinter ihr entfernten sich Schritte auf der Treppe nach oben.

Komm jetzt!“ Der Narbige stand an der Treppe, wies mit einer knappen Kopfbewegung nach oben, wo der Schreiber, die letzte Stufe eilig nehmend, durch die geöffnete Tür verschwand.

Sie stieg die ersten Stufen hinauf, schniefte, musste ihr Leinenhemd raffen, welches ihren Körper weit und sperrig umhüllte – und blieb stehen: Über ihr, am Anfang der Treppe, stand jemand in der geöffneten Tür, füllte die gesamte Türöffnung aus und kam dann groß und dunkel die Treppe hinunter, ruhig, Stufe für Stufe. Sie hörte, dass der Narbige hinter ihr die gerade genommenen Stufen wieder hinabstieg. Zaghaft rückwärtsgehend folgte sie ihm, ohne die dunkle Gestalt, die sie als neue Bedrohung auf sich zukommen sah, aus den Augen zu lassen.

Der Peinmann! Sie erkannte ihn, bevor er ganz in das spärliche Licht hinab gestiegen war. Ihn kannte jedes Kind im Ort, sprach nur mit Schaudern vom ´Peinmann´, statt vom „Pocher“, wie er eigentlich hieß. Er war der Mann, der den Übeltätern und Gaunern unter Schmerzen ein Geständnis abpresste, der als Scharfrichter die bisweilen grausamen Urteile des ´Hohen Gerichtes´ vollstreckte. Nun kam er die Treppe hinunter auf sie zu, kam mit der Festigkeit und Sicherheit desjenigen hinunter, der sein dunkles Reich betritt, und der um die Furcht derjenigen weiß, die ihm hier ausgeliefert sind.

Therese Driesner.“ Er sagte das, die letzten zwei Stufen hinabsteigend, einfach so dahin. Nicht fragend oder feststellend, einfach so, mit tiefer und ruhiger Stimme, als wolle er sich den Klang des Namens schon mal einprägen. Sie war einen Schritt an die Seite gegangen, um ihn vorbei zu lassen und so blieb er etwas seitwärts von ihr vor der Treppe stehen.

Hast du dich mal umgesehen – hier unten?“ Einen langen Moment blickte er sie wie prüfend an, ließ seine großen, grauen Augen dann betont langsam durch das Gewölbe streifen. Blickte zur Streckbank, verweilte einen langen Moment bei den schaurigen Öffnungen des Sitzbocks und kehrte dann, den mächtigen Flaschenzug ausgiebig betrachtend, zu ihr zurück, bedeutungsvoll schweigend.

Sie hatte nicht gewagt, seinem Blick zu folgen, noch einmal zurück zu sehen und wusste doch, wohin er schaute, vermochte jetzt nur mit dem Kopf zu nicken. Schaute wie durch Angst gebannt in dieses Gesicht, dieses entseelte, harte und schon von tiefen Falten durchzogene, vielleicht gerade erst fünfzig Jahre alte Gesicht.

Hier unten haust der Schmerz, und manchmal sogar der Tod, Mädchen. Bedenke das!“ Er ließ sie stehen. Im Weitergehen: „Überlege dir gut, was du gleich da oben sagst! Spätestens hier unten sagst du mir doch die Wahrheit.“

Sie blickte hinter ihm her, entsetzt! Sah plötzlich die Raußbacher, wie sie gequält und verunstaltet vor ihrem Loch da unten zusammensackte. Sah verwirrt und immer noch entsetzt, wie dieser Mensch, neben dem Pfeiler stehend, in einer ganz normalen Bewegung seine speckige Lederkappe vom Kopf nahm, zwei-drei Mal mit der Rechten langsam durch das dunkle, leicht krause Haar fuhr, und die Kappe wieder aufsetzte.

Der Narbige schob sie die Treppe hinauf, und zum ersten Mal fügte sie sich bereitwillig seiner vorwärtsdrängenden Hand, nahm hastig Stufe um Stufe, trat auf das Hemd, das ihr bis auf die Füße reichte und immer schon vor ihr auf der nächsten Stufe war. Sie fiel hin, nahm die nächste Stufe auf allen Vieren, rappelte sich auf, hetzte weiter, hinauf zur geöffneten Tür. …

„Wie kann das sein, dass diese Kerle da unten tun und lassen konnten was sie wollten. Das ist unerträglich! Warum lässt das Gericht die so einfach wurschteln, Pater?“ Franz beugte sich weit über den Tisch, spießte mit seinem Messer geradezu wütend den Speck auf, der auf der anderen Seite des Tisches direkt vor Stefans aufgestützten Ellenbogen lag und zog ihn über den Tisch zu sich heran.

„Was fragst du mich, Franz? Ganz sicher ahnte auch der Knapp nichts von diesen Dingen. Ganz sicher nicht!“

„Ha – und dann hat der Kerl diese Ferkeleien auch noch als Untersuchung mit Ergebnis verkauft?“ Franz schnitt wütend an der Speckseite herunter, stach das Messer in die Tischplatte, wo es neben dem Speck aufrecht stecken blieb.

„Hat er! Und das war der Anfang vom Ende.“ Sie beugte sich vor, sah ihn mit hochgezogenen Brauen bei verengten Augenschlitzen von der Seite her an und tippte mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte

„Bis zu dieser grässlichen Verhandlung hätte ich mir nicht vorstellen können, welche abartigen Vorstellungen, Bilder und Handlungen männliche Phantasie entwickeln und für möglich halten kann. Für den Moshofer war ich ein willfähriges Liebchen des Teufels. Selbst der blau-grüne Fleck auf meinem Hintern, den ich mir beim Sturz auf der Treppe im Zagelhof geholt habe, selbst der war für den Moshofer ein deutlicher Beweis abartiger, teuflischer Liebespraktiken. Das reichte! Damit hat er mich dem Pocher ausgeliefert.“

Sie stand auf, reckte sich, „Hätte mich der Pater in der Nacht nicht da rausgeholt: Der Pocher hätte mich am nächsten Tag gedehnt und gequetscht, bis ich vermutlich gesagt hätte, was immer er hören wollte!“

Trissa, Hexe von Eichstätt

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