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Verschwörung Die Rache

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„Rache“, heißt es in einem französischen Sprichwort, „ist umso süßer, je länger man sie reifen lässt.“ Lorenzo de’ Medici kostete seine Rache bis zur Neige im April 1488 aus – fast auf den Tag genau zehn Jahre nach dem Aufsehen erregenden Attentat auf ihn und seinen Bruder während einer Messe im Dom zu Florenz. In dem Städtchen Forlì, rund achtzig Kilometer nordöstlich von Florenz, wurde einer der Hauptverschwörer, der letzte, der noch am Leben war, im Regierungspalast niedergestochen und sein nackter Leichnam auf den Markt geworfen, wo eine wütende Menge ihn noch weiter schändete. Das Opfer war Graf Girolamo Riario, Herr von Imola und Forlì, ein Neffe des einige Jahre zuvor verstorbenen Papstes Sixtus IV.

Die Mörder wandten sich wenige Tage später mit einem Brief an Lorenzo, in dem sie sich selbst dafür auf die Schulter klopften, in seinem Sinne Rache geübt zu haben. Doch war Lorenzo nicht der Drahtzieher der Tat, obwohl er viel Mühe darauf verwandt hatte, über ein Netz von Mittelsleuten jeden Schritt zu verfolgen, den der Graf in den letzten zehn Jahren getan hatte. Er hatte es sich etwas kosten lassen, in den Ländereien des Grafen Unruhe zu stiften. Er hatte bei drei früheren Anschlägen auf das Leben des Grafen die Hände im Spiel gehabt. Und er hatte stets sein Möglichstes getan, die ehrgeizigen Pläne des Grafen mittels intriganter Diplomatie zu durchkreuzen. Als er nun die Nachricht aus Forlì erhielt, dürfte er sich gefreut haben. Vergeltung zu üben für eine Tat wie das Attentat von Florenz war im Italien der Renaissance praktisch Pflicht, und Lorenzo – wenngleich Schöngeist und ein Dichter von hohem Rang – war mit Sicherheit nicht so zart besaitet, dass er vor brutaler Rache zurückgeschreckt wäre. Er war schließlich auch ein Machtpolitiker.1

Mit 8000 oder 9000 Einwohnern unterschied sich Forlì grundlegend vom quirligen Florenz, das selbst nach der jüngsten Pestepidemie noch eine fünfmal so große Bevölkerung aufweisen konnte. Doch die Mordmethoden – Gift, Erdrosseln oder eine scharfe, glänzende Klinge – waren überall die gleichen. Und wenn es hochgestellten Personen an den Kragen oder aber um Staatsangelegenheiten ging, war der Tod häufig ein Schauspiel öffentlicher Schmach: Menschliche Leiber wurden an Fenstern von Regierungsgebäuden gehenkt oder wie Aas auf den Rathausplatz geworfen. In Städten, wo Gemeinwesen und Privatsphäre eng zusammenhingen, musste die Bestrafung für ein Kapitalverbrechen gegen den Fürsten oder das Allgemeinwohl äußerst blutig sein, und öffentlich dazu.2

Dem Grafen Girolamo wurde zum Verhängnis, was viele Regierungen in Gefahr oder gar zu Fall brachte: Steuern und die Gier nach schnellem Geld. Als Oberhaupt eines Kleinstaates in der päpstlichen Romagna, dem politisch brisantesten Teil Italiens, war dieser an sich unbedeutende Regent sogar gezwungen gewesen, in Bologna und dem weit entfernten Genua das Geschmeide seiner Gemahlin zu verpfänden. Viele sahen in ihm einen Emporkömmling, der aus dem Nichts aufgestiegen war, denn er stammte aus relativ bescheidenen Verhältnissen und einem unbekannten Dorf in der Nähe von Genua. Sein Onkel, Papst Sixtus IV. (gest. 1484), hatte ihm praktisch über Nacht zu Macht verholfen, indem er Imola und Forlì, zwei autonome Lehen auf päpstlichem Territorium, in seine Hände legte und die Heirat mit der vierzehnjährigen Caterina Sforza arrangierte, einer unehelichen Tochter des Herzogs von Mailand, Galeazzo Maria, der seinerseits 1476 einem Mordanschlag zum Opfer fiel.3

Diese zweifelhaften Umstände erhöhten noch die Spannungen im ohnehin gefährlichen Apennin. Der Gebirgszug war ein Stützpunkt von Räubern und ungebärdigen Landesherren, die häufig die Sicherheit in der Romagna bedrohten und auch der Grund für den größten Ausgabenposten des Grafen Girolamo waren: einen Trupp von Wachleuten und ein zusätzliches kleines stehendes Heer aus hundert Soldaten. Doch gegen Verrat aus Leidenschaft konnten auch sie nichts ausrichten. Als Riarios Fiskalbeamte, zwei Brüder aus der Familie Orsi, sowie zwei seiner Hauptleute, sich in hitzigen Auseinandersetzungen wegen Geldangelegenheiten mit ihm überwarfen, fassten die vier den Beschluss, ihn zu töten, zumal sie erwarten konnten, dass sich der öffentliche Unmut zu ihren Gunsten entladen würde. Das war insofern wahrscheinlich, als eines ihrer Hauptmotive eine allgemein verhasste Landsteuer war, die unmittelbar von der Klasse der Landbesitzer erhoben werden sollte. Dazu kamen kleinere akute Ärgernisse. Als einer seiner Offiziere ihn einmal wegen ausstehender Soldzahlungen bedrängte, hatte der Graf gebrüllt: „Verschwindet, oder ich lasse Euch hängen“, woraufhin der Hauptmann erwidert hatte: „Aber mein Herr, gehängt werden Diebe und Verräter, und ich bin keines von beiden. Ich verdiene es, mit dem Schwert in der Hand zu sterben, wie jeder andere tapfere Waffenträger.“4

Als Angehörige des örtlichen Adels genossen die beiden Orsi-Brüder das Privileg des „goldenen Schlüssels“, das heißt, sie hatten das Recht, auch unangemeldet bei Riario vorzusprechen. Folglich begaben sie sich, nachdem die Pläne geschmiedet waren, am Montag, dem 14. April 1488, unmittelbar nach dem Abendessen zu seinem Palast, wo sie ihn und einige wenige Dienstboten im kostbar ausgestatteten Nymphensaal antrafen. Einer der beiden begrüßte Riario mit dem Stoß eines Kurzschwerts (squarcina). Als das Opfer aufschrie und versuchte, sich unter einen Tisch zu retten, stürmten zwei weitere Männer in den Saal, um ihn endgültig zu erledigen, während die Dienerschaft entsetzt das Weite suchte. Andere Verschwörer eilten herbei und drängten, nun zu neunt und teils am Fuße der Palasttreppe postiert, die zu spät gekommenen Wachleute zurück, die Graf Girolamo und seine Familie hätten beschützen sollen. Wenig später, als folgten sie einem gängigen Ritual, zogen zwei Leute den Grafen nackt aus und warfen seine Leiche auf die Piazza hinunter, wo sich rasch eine Menschenmenge ansammelte, die die Tat pries und den Verschwörern Küsse zuwarf. Kaum waren Caterina Sforza Riario und ihre Kinder, die sich in einem anderen Teil des Palastes aufgehalten hatten, gefangen genommen, stürmte der Mob das Gebäude, und ein riesiges Vermögen – das meiste in Form von Juwelen – verschwand auf Nimmerwiedersehen.5

Fünf Tage später und mittlerweile besorgt, nervös und Hilfe suchend, senden die Fiskalbeamten Checco und Ludovico Orsi eine Depesche an „Unseren magnifico und höchst verehrten Lorenzo [de’ Medici]“, zum Teil, wenn man ihren Worten glauben will, „um unsere Schuld [Euch gegenüber] abzutragen“. Des Weiteren erbitten sie seinen Rat und legen ihre Version der blutigen Tat dar. Sie rufen in Erinnerung, dass „dieser Nero [Graf Girolamo] die Unverschämtheit besessen hatte, mit seinen Händen das Blut Eures hohen Hauses zu vergießen“, zählen seine Sünden auf, erwähnen, dass er Gott und die Heiligen missachtet habe und „ein Blutsauger“ gewesen sei, der noch die Armen und Ärmsten ausgenommen habe. Lorenzo reagierte auf das Schreiben so umgehend, dass sein Sekretär, ein gewisser Stefano aus der florentinischen Festung Castrocaro, sich nur zwei Tage später, am 21. April, bereits mit den Brüdern Orsi treffen konnte. Daran anschließend verfasste Stefano einen Brief an seinen Herrn, in dem er die Begegnung mit den beiden und auch die Einzelheiten der Ermordung noch einmal detailliert beschreibt. Die Einwohner von Forlì, so Stefano, seien glücklich über den Tod des Grafen. Alle wünschten, die Kirche solle die Regierung dort übernehmen, und alle sagten, sie würden sich lieber zerstückeln als die Stadt abermals in andere Hände fallen lassen. Er, Stefano, habe den Orsi Lorenzos vollste Unterstützung zugesichert und ihnen auch versprochen, ihren guten Namen und ihre Tat Papst Innozenz VIII. gegenüber zu verteidigen, dem engsten Verbündeten von Florenz. Tatsächlich sollte Innozenz noch im selben Jahr der Schwiegervater von Lorenzos drittgeborener Tochter werden. Stefano zitiert darüber hinaus einen der Brüder mit den Worten: „Ich bin der Sklave des magnifico Lorenzo, ebenso wie meine ganze Familie, und sollte ich nie in meinem Leben mehr etwas anderes tun, so bin ich zufrieden zu wissen, das unschuldige Blut seines Bruders gerächt zu haben.“6

Lorenzo selbst äußerte sich nicht schriftlich zur Tat der Gebrüder Orsi. Eine Verschwörung gutzuheißen, vielleicht sogar zu unterstützen, war eine Sache; schriftliches Zeugnis über die persönliche Haltung abzulegen aber – um in der Sprache der Zeit zu bleiben – „ein anderes Paar Ärmel“.

Zehn Tage später wandten sich die Brüder Orsi, inzwischen panisch vor Angst und kurz davor, die Flucht zu ergreifen, abermals mit einem Bittschreiben an Lorenzo. Dieses Mal erflehten sie militärische Hilfe. Doch Lorenzo, durch und durch Politiker, rührte keinen Finger. Da er nicht sicher wusste, welche Pläne Mailand, das heißt Sforza, verfolgte, entsandten weder er noch Papst Innozenz – obwohl der Kirchenstaat Anspruch auf die Stadt erhob – Truppen zur Unterstützung der Einwohner von Forlì beziehungsweise des dortigen päpstlichen Gouverneurs. Eine kleine Armee aus Mailand und Bologna stand bereits vor den Toren der Stadt, mit dem Auftrag, Forlì für Caterina Sforza Riario zurückzuerobern. Riarios listiger Witwe war es gelungen, sich in die Festung Rivadino am Rand der Stadt durchzuschlagen und dort sicheres Quartier zu beziehen. Sie drohte, Forlì mit schwerer Artillerie beschießen zu lassen, und nachdem bereits einige Häuser beschädigt waren, bewahrte sie die Stadt vor der Plünderung durch die vorrückende Armee, für die man mit Sicherheit ihr die Schuld gegeben hätte. Nun aber sollte auch sie ihre Rache bekommen, wenn auch nur zum Teil und längst nicht so süß. Lorenzo de’ Medici ließ sich derweil über alles auf dem Laufenden halten.7

Angesichts einer mordlüsternen, auf Plünderung und Schlimmeres sinnenden Armee hatte sich die Einstellung der Einwohner von Forlì ins Gegenteil verkehrt, und sie waren nunmehr bereit, jedem zu folgen, der ihnen Rettung versprach. Das war in diesem Falle Caterina. Wie von Geisterhand tauchten plötzlich einige der Gegenstände wieder auf, die aus dem Palast entwendet worden waren. Die Juwelen allerdings wurden nie mehr gesichtet, zumal die Brüder Orsi und ihre engsten Mitverschwörer in der Nacht zum 29. April, zwei Wochen nach der Ermordung des Grafen, mit dem Löwenanteil der Beute aus der Stadt verschwanden.8

Als Caterina am 30. April die Macht übernahm, war ihr ältester Sohn – bezeichnenderweise auf den Namen Octavian getauft – der Erste, der sich demonstrativ auf dem Markt präsentierte. Zum Symbol ihres Triumphes hielt sie sodann, begleitet von Adligen in Rüstung oder prunkvollem Gewand, feierlich Einzug in die Stadt, wobei sie zwischen einem Spalier von Soldaten hindurchritt. Blanker Schrecken erfasste die Männer, die mit den beiden Fiskalbeamten sympathisiert oder gar gemeinsame Sache gemacht hatten, aber nicht geflohen waren. Noch am selben Tag übten Caterinas Söldner Vergeltung. Die Häuser der Orsi sowie der Militärs Pansecchi und Ronchi und anderer wurden geplündert und in Brand gesteckt. Am 1. und 2. Mai folgte eine Reihe blutiger Massaker, die ihren Höhepunkt auf dem Markt erreichten, der sich in einen „Blutsee“ zu verwandeln schien. Andrea Orsi, der fünfundachtzigjährige Vater der Attentäter, musste zusehen, wie sein Haus von vierhundert Männern dem Erdboden gleich gemacht wurde. Anschließend band man ihn auf ein Brett und ließ ihn, das Gesicht im Staub, von einem Pferd dreimal um den Platz schleifen. Später wurde er gevierteilt, seine Eingeweide auf die Piazza geworfen, und „einer dieser Hunde von Soldaten“, so der Chronist Cobelli, „packte sein Herz, schnitt es heraus … führte es an den Mund und biss hinein. Als ich das sah, floh ich.“9

Die symbolische Bedeutsamkeit eines solch kannibalischen Akts soll uns in einem späteren Kapitel noch genauer beschäftigten. Gleichsam als Kompensation für dieses Abschlachten ließ Caterina noch während des blutigen Aufruhrs den Leichnam des Grafen Girolamo exhumieren und drei Tage lang in der Kirche San Francesco aufbahren. Wenige Stunden nach dem Mord hatte ein Mönch im Schutze der Nacht die sterblichen Überreste des Grafen von der Piazza geholt und geborgen. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass er in enger Beziehung zu der religiösen Bruderschaft stand, zu deren Aufgaben es gehörte, zum Tode Verurteilten auf dem Weg zum Galgen moralischen Beistand zu leisten und für sie zu beten.

Was die bloßen Fakten, wie oben erzählt, nicht enthüllen, ist, dass sowohl Lorenzo de’ Medici als auch Papst Innozenz noch einen weiteren ganz speziellen Grund hatten, Riarios Abtreten von der politischen Bühne zu begrüßen. Der Heilige Vater, der einst ganz offen eine Mätresse gehalten hatte (angeblich allerdings nur bis zu seiner Berufung auf den Heiligen Stuhl), war nämlich auch ein ganz und gar unheiliger richtiger Vater und Großvater: Er hatte Kinder gezeugt, und Lorenzo hatte Innozenz’ Sohn Franceschetto seine Tochter Maddalena zur Frau gegeben. Für ebendiesen Sohn nun wollte der Papst einen kleinen Staat schaffen, indem er ihm die Regierung von Imola und Forlì sowie möglicherweise dazu noch Faenza übertrug. Dieses Ansinnen war natürlich zu Lebzeiten des Grafen Girolamo nicht zu verwirklichen gewesen, da Girolamo zum einen Venedig um militärischen Beistand angegangen und zum anderen den Einfluss des Onkels seiner Gemahlin Caterina, des mächtigen Herzogs von Mailand, ins Spiel gebracht hätte. Jetzt aber, da Girolamo aus dem Weg war, konnte der Papst versuchen, Franceschetto mit den beiden Städten auszustatten, die ihm als Oberhaupt der Kirche schließlich nominell unterstanden. Und Lorenzo, stets auf den guten Ruf der Medici und „unseres Hauses“, wie er es zu nennen pflegte, bedacht, schien mehr als bereit, Innozenz bei diesem Unterfangen zu unterstützen. Schließlich wäre dann auch Maddalena „Gräfin“ von Imola und Forlì geworden. Das hätte ihm gewiss gefallen, besser freilich noch ohne den Papst, denn kein patriotisch gesinnter Florentiner konnte ernstlich wünschen, die Macht der Kirche auf kirchlichen Ländereien ausgeübt zu sehen, die unmittelbar an florentinisches Gebiet grenzten. Folglich spielte Lorenzo auf Zeit, während Florenz das Kastell Piancaldoli in der Provinz Imola in seinen Besitz brachte.10

Sieben Wochen nach dem Mord an Girolamo geschah eine weitere Bluttat ähnlichen Ausmaßes. Lorenzo de’ Medicis wichtigster Vasall in der Romagna wurde als Resultat eines Interessenkonflikts zwischen Florenz, Mailand, der Kirche und Venedig niedergestochen. Galeotto Manfredi, Herr der benachbarten Stadt Faenza, war ein brutaler Mann gewesen, der keine Mühe darauf verschwendete, seine ehebrecherischen Vergnügungen vor seiner Frau Francesca, einer stolzen Dame aus der Herrscherfamilie Bentivoglio in Bologna, zu verbergen. Eines Tages gab sie vor, krank zu sein, und ließ – vermutlich nach Absprache mit ihrem Vater – Galeotto in ihr Zimmer rufen, wo er von vier Dienern, von denen sich drei unter ihrem prachtvollen Bett verborgen hatten, augenblicklich angegriffen und umgebracht wurde. Als Mittler ihrer Heirat mit Galeotto hatte kein anderer als Lorenzo fungiert, der Faenza als Basis für seine Operationen gegen Graf Girolamo benutzen wollte.11

Die Verschwörung

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