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Kapitel 6

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Auch wenn Meranas Gedanken um anderes kreisten, entging ihm auch auf dem Rückweg nicht der groteske Gegensatz, der an diesem Ort immer wieder zum Vorschein kam. Da war auf der einen Seite der Anblick einer vor Wildheit strotzenden Natur, die unvergleichliche Schönheit einer charakterreichen Gebirgslandschaft. Selten fand man anderswo eine derart beeindruckende Komposition aus malerischer Felsenkulisse im Einklang mit dem majestätischen Schauspiel zu Tal stürzender Wasserfälle. Aber zugleich strotzte derselbe Platz an manchen Stellen vor ausgesuchter Hässlichkeit, die Merana wehtat. Die asphalttrübe Eintönigkeit der riesigen Parkplätze und die wenig gelungene Architektur mancher Gebäude im Eingangsbereich nahm er noch hin. Hier zeigte nur die neu errichtete Wasser Wunder Welt einen Anflug von kreativer Gestaltung. Aber an anderen Stellen, an denen man nicht vorbei konnte, waren dem Kitsch offenbar keine Schranken gesetzt. Die an jedem vergammelten Souvenirstand dieses Landes ewig gleichen idiotenhaften Sepplhüte waren auch hier zu finden. Und dazu grinsten aus allen Läden diese zum Kotzen widerlichen Plüschtiere, schwankten Hampelmänner in Fantasietracht im Wind, verstaubten Schneekugeln, denen schon langsam das Wasser ausging, stapelten sich Kaffeehäferln mit mehr oder weniger sinnigem Aufdruck und verblasstem Blumendekor, warteten Dosen mit angeblich heilkräftiger Murmeltiersalbe auf fußmarode Wanderer. Bei all dem Firlefanz hier schlug die sonst oft noch abgeschottete Welt des Oberpinzgaus eine Brücke zur übrigen Geschmacklosigkeit dieses allerorts touristengeilen Landes.

Die Busse auf dem Vorplatz zum Eingangsbereich waren weniger geworden. Offenbar war es den Sicherheitskräften gelungen, die Besucher zur Abreise zu bewegen. Dafür fielen Merana mehrere Autos von TV-Sendern auf. Medienleute auf der Jagd nach der Sensation. Ermordete junge Schönheiten an malerischen Schauplätzen sorgten immer für steigende Quote. Die Gruppeninspektorin begleitete den Kommissar. Sie waren auf dem Weg in den Ort. Merana konnte sich nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal hier heroben in Krimml gewesen war. Es musste viele Jahre her sein. Er kam überhaupt selten in den Pinzgau. Wenn dann nur, um die Großmutter zu besuchen, die einige Kilometer von hier entfernt in einem kleinen Dorf wohnte. Dort war Merana aufgewachsen. Es war ihm schon bei der Herfahrt bewusst geworden, dass er während der Ermittlungen zu diesem Fall hin und wieder mit Ereignissen, Begegnungen und Erinnerungen aus seiner früheren Zeit konfrontiert sein würde. Aber dass dies gleich derartig heftig passieren würde, hätte er nicht gedacht. Er war völlig unvorbereitet gewesen, Alma Thaler zu begegnen, die jetzt Alma Striegler hieß. Sie war die Mutter der jungen Frau, die erschlagen am Fuß der Krimmler Wasserfälle lag. Wieder stiegen ihm die Erinnerungen auf.

Es kam ihm vor, als sei das gemeinsame Erlebnis jener Gewitternacht in Almas Haus in einer völlig anderen Zeit, einem gänzlich anderen Leben passiert. Er schob die Gedanken beiseite. Er hatte im Augenblick keine Zeit dafür. Er würde sich ohnehin bald damit auseinandersetzen müssen, wenn er Alma und ihre Familie aufsuchte, um sie zu befragen. Fürs Erste hatte er seine Erkundigungen am Tatort beendet. Er hatte veranlasst, dass ein Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes sich um die Familie Striegler kümmern sollte. Um Alma und ihre Kinder, die achtjährige Clara und den zwölfjährigen Raphael. Und um Almas Vater, Arthur Thaler, den alten Mann mit dem Raben. Den hatte man in der Früh gefunden, völlig verstört neben seiner toten Enkelin. Vielleicht hat er sie aus dem Wasser gezogen, überlegte Merana. Das würden sie wohl bald erfahren. Ulla Heilmayer als Leiterin der Polizeiinspektion Krimml war von einem Mitarbeiter des Wasserfällebetreibers gegen sechs Uhr alarmiert worden. Der Mann hatte auf seiner routinemäßigen Kontrollrunde, bei der er die Wege und Steige abging, den alten Mann und das tote Mädchen entdeckt.

Auf dem kleinen Platz vor der Kirche im Zentrum des Ortes summte es wie in einem Bienenstock, ein Gewirr von Stimmen war zu vernehmen.

Und ist des wirklich wahr mit der Lena? Ist die tatsächlich tot?

Also ich hab’s ja immer schon g’sagt, dass mit der einmal was passieren wird, so wie die sich immer herausstaffiert hat. An Ausschnitt bis zum Nabel. Und ein auffälliges Getue, damit ihr ja alle Manderleut nachrennen.

Geh, halt den Mund! Die Lena war a anständiges Dirndl. Eine Lustige halt.

Einfach nur schrecklich, des arme Kind. Wie’s wohl der Alma jetzt geht?

Eine Gruppe von zehn Frauen und drei Männern stand beisammen. Einige gaben sich betroffen, andere gestikulierten aufgeregt. Immer wieder hob jemand aus der Gruppe den Kopf und schaute hinüber zum Wasserfall, der in der Ferne als weißer Streifen auszumachen war, der das Dunkel der bewaldeten Felsformationen durchschnitt.

»Ja, der Kommissar, der aus Salzburg gekommen ist, heißt Merana. Des ist der Enkel von der alten Kristina, die kennt im Oberpinzgau ein jeder.«

Die mollige Frau in dem viel zu engen gelben Dirndlkleid warf sich in Positur. Jede Dorfgemeinschaft an jedem Ort dieser Welt hat ihre meist im Hintergrund waltende, bestens funktionierende Informationszentralstelle. Und in Krimml hieß der Inbegriff des dörflichen Geheimdienstes Cilli Krumpner, von manchen auch schlicht und einfach als die Dorftratsch’n bezeichnet. Sie war schon eine reifere Dame in den mittleren Sechzigern, trug gerne enge Trachtenmieder, in denen sie kaum schnaufen konnte, aber die ihre Rundungen vor allem in den oberen Regionen betonen sollten, wie sie inständig hoffte. Dazu ließ sie sich mehrmals im Monat von der Dorffriseurin, eine ihrer ergiebigsten Informationsquellen, in einer Art und Weise schminken, als wäre sie gerade einmal der Pubertät entronnen.

»Und woher willst du das mit dem Merana wissen, Cilli? Hast du jetzt auch schon Informanten in der Salzburger Kriminalpolizei?« Die Geheimdienstchefin des Ortes strafte den jungen Mann mit einem Blick abgrundtiefer Verachtung. Kein Wunder, dass dieser gehirnmäßig unterbelichtete Knilch zweimal in der Hauptschule sitzen geblieben war und es gerade einmal zum Hilfsarbeiter im Lagerhaus geschafft hatte. »Ich brauche keine Insider bei der Kripo«, gab sie schmetternd zur Antwort. »Da genügt schon der Gerry. Der weiß, dass er in mir eine zuverlässige Vertrauensperson hat, der er getrost alles Wichtige mitteilen kann.« Mit Gerry war Gerfried Plutzenhofer gemeint, der stellvertretende Feuerwehrkommandant der Gemeinde.

Eine Dame im eleganten Businesskostüm näherte sich der Gruppe, im Schlepptau eine weitere Frau. An ihrer Begleiterin stachen mehrere Umstände gleichzeitig ins Auge: Die wirre aufgedonnerte Haarpracht erinnerte an die Farbe von billigen Supermarkt-Klobürsten. Die geschmacklose lila Schürze schmerzte in den Augen des Betrachters mindestens genauso wie das giftgrüne Dirndlkleid, in das sie gezwängt war. Und dazu kam ein grell geschminkter riesiger Mund, der beim Lachen ein Gebiss entblößte, um das jedes Lama die Frau beneidet hätte.

»Hast du das von der Lena Striegler schon gehört, Camilla?« Die Krimmler Geheimdienstchefin wandte sich an die Dame im Kostüm. Die nickte. »Ja furchtbar. Ist das nicht die Kleine, von der unser Bürgermeister letzthin so begeistert war?« Cilli Krumpner bestätigte. »Ja, die Lena hat vor zwei Tagen die Pinzgau-Ausscheidung zum Marketenderinnen-Award gewonnen.«

Die Aufgedonnerte mit den markanten Zähnen mischte sich in die Unterhaltung. »Makäää … was? Ich nicht vasteh …« Ihrem Akzent nach war sie als Russin zu erkennen. Cilli Krumpner wandte sich ihr zu. »Hör mir zu, Galjuscha, ich werde es dir erklären.« Doch bevor sie zur Erläuterung ansetzte, warf sie noch einen schnellen Blick in die Runde, ob wohl jeder mitbekommen hatte, auf welch vertrautem Fuß sie mit einer der reichsten Frauen der Gegend war. Und sie durfte sie auch mit deren Kosenamen anreden. Cilli Krumpner erklärte Galina Balanskaja in mit Bedacht gesetzten Worten, dass man mit Marketenderinnen Frauen bezeichnete, die Blasmusikkapellen bei deren Ausrückungen begleiteten. Zu den wichtigsten Aufgaben solcher Marketenderinnen gehörte es, sowohl die Musiker wie auch Gäste und Besucher aus eigens mitgetragenen kleinen Fässern mit Schnaps zu versorgen. Die Russin verstand nicht. Cilli Krumpner machte eine Faust, streckte den Daumen heraus, führte die Hand zum Mund und deute den Vorgang des Trinkens an. »Glugg glugg, Galjuscha, verstehst du?« Das Gesicht der Russin erhellte sich, als wäre ein sibirisches Nordlicht darin aufgeflammt. »Ah, Wodka!«, rief sie. »Makäätänderin iss guter Job!« Dann klatschte sie sich unversehens mit der flachen Hand gegen die Stirn. »проклятие!1 Fast vergessen habe. Muss noch schnell kaufen gehen.« Sie machte auf ihren hochhackigen Schuhen kehrt. »Bis gleich, Camilla«, rief sie der Frau im Kostüm zu. »Wir sehen in Kaffeehaus später.« Dann stöckelte sie davon in Richtung Lebensmittelmarkt.

»Bald trifft man im Pinzgau mehr Russen als Einheimische!« Die ätzende Bemerkung kam von dem fahlgesichtigen Mann, dem inzwischen festangestellten Hilfsarbeiter im örtlichen Lagerhaus. Wieder blitzte es in den Augen der Geheimdienstchefin auf, als wollte sie den Knilch in seiner abgetragenen Leinenjacke auf der Stelle zu einem Häuflein Asche versengen. »Die Galjuscha ist eine äußerst nette Person und zudem, wie alle wissen, eine gute Freundin von mir. Und dir, Reini, gib i an guaten Rat: Schalt dein Hirn ein, bevor es das nächste Mal laut wird aus deinem Mund.« Reinhold Uferer, von allen Reini genannt, zuckte nur mit den Schultern. »Was wahr ist, ist wahr.« Die Frau im Businesskostüm, die in ihrer Handtasche gekramt hatte, hob den Kopf und blickte auf den Lagerhausangestellten. »Sie sollten lernen, etwas wirtschaftlicher zu denken, junger Mann. Die Russen sind potente Kunden, bringen viel Geld in die Region. Das sichert Arbeitsplätze, vielleicht auch den Ihren.« Dann hatte sie die Schachtel Zigaretten samt Feuerzeug gefunden. Reinhold Uferer wollte zu einer scharfen Entgegnung ansetzen, aber er kam nicht dazu. Denn Cilli Krumpner erhob plötzlich ihre Stimme. »Da! Das muss er sein! Der Mann neben der Ulla! Das ist der Kommissar Merana.« Alle wandten ihre Köpfe herum. Sie sahen die ihnen bestens bekannte Gruppeninspektorin Ulla Heilmayer und daneben einen groß gewachsenen Mann. Beide waren mit schnellen Schritten in Richtung Gemeindeamt unterwegs.

1 Verdammt

Drachenjungfrau

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