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Kapitel 2

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Seit Jahrtausenden donnert das Wasser talwärts. An den meist schneebedeckten Flanken des Krimmler Törls entspringt die Krimmler Ache als Gletscherbach, schiebt sich entlang der Böden fruchtbarer Almen in Richtung Norden, ehe sie oberhalb des Ortes Krimml die erste mächtige Felsenkante erreicht. Von da stürzt das Wasser in drei gewaltigen Fallstufen mehrere Hundert Meter in die Tiefe, ein breites, weißgischtiges Band zwischen hoch aufragenden dunklen Fichten. Das unaufhaltsame Donnern der Wassermassen ist weithin im Tal zu hören.

Ein dunkler Punkt tauchte vor der gischtigen Kaskade des obersten, des höchsten der drei Fälle auf. Auch wenn die Nacht erst allmählich der Dämmerung wich, war der sich bewegende dunkle Fleck vor dem breiten weißen Wasserteppich gut auszumachen. Es schien, als bekäme der Fleck mit einem Mal Zacken, Schwingen schoben sich daraus hervor. Die Erscheinung am Nachthimmel entpuppte sich als Vogel, der mit weit ausgebreiteten Flügeln seine Bahn zog. Den Kopf hielt er nach unten gestreckt, als suche er etwas am Boden. Dann ein schneller Flügelschlag, und das Tier tauchte nach unten. Wie ein Skispringer, der über eine schneebedeckte Schanze gleitet, zog der schwarze Körper des Vogels nun im Sturzflug vor den hell aufwirbelnden Wogen des mittleren Falls in die Tiefe, verschwand für eine Sekunde in der Schwärze des immer noch von der Nacht bedeckten Waldes und tauchte dann am untersten der drei mächtigen Wasserfälle wieder auf. Unbeeindruckt von der Wucht, mit der das Wasser nach seinem gigantischen Fall in weißen Fontänen auf die Felsen prasselte, setzte der schwarze Vogel, es war ein Rabe, zur Landung an. Seine Krallen erfassten einen der Steine am Ufer. Er spreizte noch einmal hektisch die Flügel, machte zwei Trippelschritte auf dem feuchten Felsen, dann hatte er Halt gefunden. Feine Wassertropfen schimmerten auf seinem Gefieder, das dunkler war als die Bäume ringsum, dunkler als die sich langsam auflösende Nacht. Das Schwarz des Gefieders stand in bizarrem Kontrast zum bleichen Gesicht der Frau, die auf den Steinen lag. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in den Himmel. Einer Porzellanpuppe ähnlich schimmerte ihr weißes Antlitz in der Dunkelheit. Doch ihr Kopf glich dem einer geschundenen Puppe mit dunklen Flecken auf hellem Grund. Erstarrtes Blut schimmerte auf Stirn und Wangen. Der Rabe hob eine seiner Schwingen an, streifte dabei das Haar der Frau, das nass am Kopf klebte. Ein schwaches Wimmern tastete sich durch die Dunkelheit, war wegen des Tosens der herabstürzenden Wassermassen kaum zu vernehmen. Der Rabe reckte den Schnabel, zuckte kurz mit beiden Flügeln, löste sich vom Boden, flatterte hoch und landete auf den Schultern einer Gestalt, die neben der Frau kauerte. Ein alter Mann hockte auf dem Boden. Er hielt die rechte Hand der Toten fest umklammert und tätschelte immer wieder ihre Schulter. Sein Oberkörper wiegte sanft nach vor und zurück. Der Rabe schaukelte auf der Schulter des Mannes mit wie die schwarze Ähre eines Schilfhalmes im Wind. Über die zerfurchten Wangen des Alten rannen die Tränen, während im Hintergrund die Fluten der Krimmler Wasserfälle unaufhaltsam hernieder donnerten, wie seit ewigen Zeiten.

Drachenjungfrau

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