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Frage Nummer 2: Warum essen wir?

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Meine Freundin Meggie kommt aus Thailand und führt ein thailändisches Restaurant in Tirol. Ungefähr einmal pro Monat veranstaltet sie dort auch Kochkurse oder Seminare. Diese Tage sind besonders anstrengend für sie, weil sie sich nach den Kursen untertags nicht ausruhen kann, da beginnt nämlich dann erst das normale Restaurant-Geschäft.

»Ich liebe meinen Job«, erzählte mir Meggie einmal beim Brunch, »aber er bringt einen Stress mit sich, mit dem ich manchmal sehr schlecht umgehen kann. Ich funktioniere den ganzen Tag und es macht mir ja auch Spaß, diese Kurse zu leiten, aber dann fehlt mir die Kraft, den Laden auch am Abend noch zu schmeißen.«

Ich versicherte ihr, dass ich mir das gut vorstellen könne. Vermutlich würde es niemandem anders gehen.

»Aber dann«, erzählte sie weiter, »gibt es diese Phasen nach ein Uhr nachts, wenn das Personal heimgegangen und alles geputzt ist, wenn ich die Abrechnung mache. Dann fällt auf einmal der ganze Stress von mir ab und ich habe nur mehr das Gefühl, mich belohnen zu müssen.«

In diesen Momenten mitten in der Nacht plündert Meggie regelmäßig den Kühlschrank. Allein von Berufs wegen kennt sie sich wirklich gut mit Ernährung und den Bestandteilen von Lebensmitteln aus. Sie weiß ganz genau, dass es alles andere als gut für ihren Körper ist, sich zu dieser Zeit noch den halben Tagesbedarf an Kalorien einzuwerfen.

»Essen kann auch wie ein Medikament oder eine Droge sein«, sagte sie, »es ist eine sehr schnelle Möglichkeit, herunterzukommen vom Stresslevel und sich gleichzeitig zu belohnen.«

Meggies Geschichte ist nur insofern ein Einzelfall, weil nicht jeder ein thailändisches Restaurant in Tirol führt. Ansonsten sind wir alle wohl hin und wieder Meggies:

In vielen Fällen essen wir nicht, weil wir Hunger haben. Wir essen aus Langeweile, um die Zeit mit dem Löffel totzuschlagen. Wir essen, um uns zu beruhigen, wenn wir uns über den Chef aufgeregt oder auch nur keinen Parkplatz gefunden haben. Wir essen, um uns zu trösten, weil sonst gerade keiner da ist, der es tut. Wir essen aus Höflichkeit, weil uns jemand etwas Süßes mitgebracht hat. Wir essen aus sozialen Gründen mit den Kindern mit, obwohl wir eigentlich gar keinen Hunger haben. Wir essen am Abend mit dem Partner, weil wir den ganzen Tag keine Möglichkeit hatten, Zeit miteinander zu verbringen.

Marions Freundin Emily hat eine Leidenschaft für Hundeausstellungen. Sie züchtet auch selbst eine kleine Hunderasse und fährt mit ihrem Rudel immer wieder zu Ausstellungen. Am Tag der Veranstaltung ist es oft für sie schwierig, etwas Vernünftiges zu essen. Zum Teil, weil sie viel zu tun hat, zum Teil, weil es an den meisten Ausstellungsorten nur ein paar lausige Imbissbuden gibt.

Marion, die Emily manchmal mit ihren Kindern auf den Ausstellungen besuchte, brachte dann einfach das Mittagessen mit. Vorspeisen, Brot, Wurstplatten, Pasteten und als Nachspeise dann noch jede Menge Käse und Kuchen. Zu trinken gab es Aperitif, Wein und Bier. »Ich habe alles liebevoll zubereitet, so gut es eben auf einer Hundeausstellung möglich ist, ich dachte, wir könnten uns eine gemütliche Mittagspause machen«, erzählte mir Marion, »aber meistens war es so, dass die Kinder und ich kräftig zulangten, Emily aber nur einen Schluck Wasser trank und fast nichts aß. Ich dachte, es ist ihr vielleicht zu stressig, weil sie sich konzentrieren musste, oder es schmeckt ihr einfach nicht. Sie hat immer nur gesagt, sie habe heute keinen Hunger.«

Emily wiegt gute 120 Kilo. Dieses Gewicht würde sie nicht beibehalten können, wenn sie immer nur so wenig essen würde wie in der Öffentlichkeit einer Ausstellung. Marion konnte sich keinen Reim auf die Zurückhaltung ihrer Freundin machen. Bis sie eines Tages bei Emily zuhause zum Abendessen eingeladen war.

Das Essen war gut. Es gab Suppe und Salate als Vorspeise, Rindsbraten mit Pappardelle und zum Abschluss Schokokuchen mit Erdbeeren. Alle langten mit Appetit zu, alle bis auf Emily. »Sie hat an ihrem grünen Salat herumgekaut wie ein Wiederkäuer, es war echt eigenartig«, erzählte Marion, die sich mit ihren Kindern bald verabschiedete. Auf der Heimfahrt bemerkte sie, dass ihre Tochter Berli ihr Stofftier bei Emily vergessen hatte. »Das gab natürlich ein Drama im Auto, also bin ich zurückgefahren und habe noch einmal bei Emily angeklopft.«

Emilys Mann Peter öffnete. Während Marion ihm das Problem mit dem Stofftier erkläre, sah sie vom Vorraum aus in die Küche, wo Emily vor dem offenen Kühlschrank stand. In der einen Hand hatte sie eine offene Chipstüte, und mit der zweiten stopfte sie alles bunt gemischt und direkt aus dem Eiskasten in sich hinein: Fleisch, Käse, Nudelsalat. »Da war mir alles klar. Sie wollte nicht vor uns essen, es dürfte ihr peinlich gewesen sein.«

Übergewichtige Menschen haben oft Scheu, in Gesellschaft zu essen. Sie beherrschen sich und essen, wenn sie alleine sind oder sie sich nicht beobachtet fühlen. Schlanke Menschen können sich das vielleicht nicht vorstellen und fragen sich nach dem Grund. Menschen mit Gewichtsproblemen kennen ihn.

Essen kann für Übergewichtige Angst vor Kritik bedeuten und deshalb sehr schambesetzt sein. Sie schämen sich für ihr Gewicht genauso wie dafür, dass sie in diesem Zustand überhaupt noch was essen. Emily dürfte diese Sorge haben. Sie befürchtet, dass sie von ihrer Umgebung schräg angeschaut wird, wenn sie sich trotz ihres Übergewichts eine Ladung Bratwürste oder den Rindsbraten gönnt.

Heimlich zu essen schützt Emily vor vielen fragenden Blicken und seien es nur die, die sie sich einbildet. Gerade Übergewichtige möchten den direkten oder indirekten Vorwürfen der Umgebung entkommen. Sie verstecken sich beim Essen, um sich nicht dem auszusetzen, was sie sich selbst vermutlich am meisten vorwerfen.

Eine Einstellung, die lange Schatten wirft.

Wenn wir heimlich essen, entgeht uns sehr viel an sozialem Miteinander: das Frühstücken im Bett zu zweit, ein Mittagessen mit Arbeitskollegen, die gemeinsamen Abendessen mit der Familie, dem Partner oder Freunden, das gemeinsame Kochen, Kaffee und Kuchen mit den Freundinnen. All das, was uns erwiesenermaßen glücklich macht, findet gar nicht mehr oder nur mit schlechtem Gewissen statt und schlechtes Gewissen ist eine üble Beilage im Menü des Lebens.

Sozialpsychologen können erklären warum. Prinzipiell wollen wir alle ein positives Selbstbild von uns haben. Wenn wir nun Dinge heimlich machen, verbergen wir etwas vor anderen. Futtern wir eine halbe Torte heimlich im Bett, obwohl wir vor anderen den Salatesser spielen, entsteht im Gehirn ein Konflikt zwischen dem positiven Selbstbild, das wir gerne von uns hätten, und der Wirklichkeit mit dem täglichen Rendezvous mit dem Kühlschrank um elf Uhr nachts. Die Folge davon: Wir beginnen das heimliche Essen zu verdrängen. Prompt beginnt der Teufelskreis. Laut psychologischen Studien bleiben diese Geheimnisse nämlich besonders lange im Gedächtnis gespeichert. Ausgerechnet an die verschwiegenen Gedanken erinnern wir uns immer und immer wieder, dadurch geraten wir schnell in einen Kreislauf aus Versuchung zwischen dem heimlichen Essen und dem schlechten Gewissen, und dadurch wiederum können wir uns und unsere Gedanken immer weniger und weniger kontrollieren.

Womit wir wieder bei unserem Essensprotokoll wären. Um es so zu führen, dass es tatsächlich einen Sinn hat, ist es wichtig, auch diese Gefühle zu erfassen:

Wie fühle ich mich während des Essens?

Kann ich meine Mahlzeit genießen?

Fühle ich mich wohl und aufgenommen?

Fühle ich mich beachtet?

Hoffe ich, dass mich bloß niemand ertappt?

Habe ich Schuldgefühle oder Wut?

Schäme ich mich?


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