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Ein subtiles Gefühl von Mangel

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So schwer es auch für mich zu akzeptieren war: Der Orgasmus selbst schien das Problem zu sein. Wie selig das eigentliche Zusammensein auch immer gewesen sein mag, an den Tagen nach einem Orgasmus meines Partners zeigte sich eine seltsame und unschöne Entfremdung zwischen uns, die ungefähr zwei Wochen anhielt. Erinnern Sie sich noch an den Film Harry und Sally? Billy Crystal sagt dort, dass er dreißig Sekunden nach dem Sexualakt am liebsten aufstehen und gehen möchte. Als ich einen Mann danach fragte, antwortete er: „Ja. Ich nehme an, dass es den meisten Männern so geht. Bumm, das war’s. Der Vorhang ist gefallen. Danke … und nichts wie weg hier.“

Es tauchten immer mehr Bestätigungen für das auf, was ich in meinem Leben erlebte. Anfangs sah ich nur die postorgastischen Veränderungen in Männern und las deren Schriften. Hier ein weiteres Beispiel für den Drang eines Mannes, die Frau nach dem Sex zu verlassen, welches außerdem zeigt, dass wir in der modernen Zeit die Tendenz haben, alles andere für das postorgastische Unwohlsein verantwortlich zu machen, nur nicht die sexuelle Übersättigung:

„Gleichgültig, welche Frau es war, wenn wir Sex miteinander hatten, war ich schon so gut wie weg. In diesem Augenblick berührte ich immer ein Tabu – vielleicht meine Mutter, vielleicht meinen Schmerz – und ich wusste, ich würde wegfliegen müssen … Ich war die ganze Zeit unruhig und wartete nur auf den günstigsten Moment, um zu fliehen. Wenn ich es nicht tat, dann vertrieb ich sie. So oder so, ich wusste, ich kann nicht mit einer von ihnen zusammenbleiben.“ 35

Es war für mich offensichtlich, dass der unbewusste Drang, von ihr wegzukommen, eine Frau nach dem Sex weniger anziehend aussehen lässt, selbst, wenn der Mann bei ihr bleibt. Ich begann, an diese Veränderung als „das Gift an Amors Pfeil“ zu denken, eine Art Kater oder eine vorüber­gehende Phase von subtiler Unruhe, die auf das Gefühl „Ich bin satt!“ folgt und unsere Wahrnehmung wochenlang negativ einfärbt.

Trugen postorgastische Veränderungen wie diese zu den absurden Vorstellungen der Menschen über Sexualität bei? Wenn ein Mann genug Angst nach dem Sex haben kann, um abzuhauen, könnte er sich nicht auch unwohl genug in seiner Haut fühlen, um daraus den Schluss zu ziehen, dass das andere Geschlecht betrügerisch oder widerwärtig ist, dass Beschneidung notwendig ist, um die sexuelle Begierde zu reduzieren, oder dass eine wütende Gottheit die Menschen bestraft, wenn sie sich auf Sex einlassen? Jahre später erfuhr ich, dass ein Theologe aus dem neunzehnten Jahrhundert zu der gleichen Schlussfolgerung gekommen war wie ich:

„Erschöpfung und Selbstvorwürfe verschlechtern den Blick sowohl auf das Instrument des Exzesses als auch auf die Person, die uns dazu verführt hat … Dies ist zweifelsohne die Philosophie hinter dem Ursprung der Scham nach dem Fall. Und auf das gleiche Prinzip können wir auch den Vorgang des „Abkühlens“ zurückführen, der zwischen Liebenden nach der Eheschließung stattfindet und der häufig in Gleichgültigkeit und Abscheu endet.

Im Gegensatz dazu können Liebende, die ihre sexuellen Organe allein als Diener ihres spirituellen Naturells benutzen, und [auf den Höhepunkt] verzichten, wenn es nicht um Nachwuchszeugung geht, die höchste Glückseligkeit aus sexueller Gemeinschaft für eine beliebig lange Zeit genießen, ohne Übersättigung oder Erschöpfung; und auf diese Art wird das Eheleben auf Dauer süßer als die Zeit der Umwerbung oder selbst als die Flitterwochen.“ 36

Selbst wenn jemand sich nach dem Sex nicht schuldig fühlt, könnte es nicht sein, dass seine Wahrnehmung von sich selbst und anderen sich zum Schlechten verschiebt? Folgendes sagte der Schauspieler Hugh Grant über sich selbst, kurz nachdem er 1995 mit Divine Brown erwischt worden war:

„Ich gebe einen Scheiß auf die Moral … Das war mir egal. Jeder ist ein Schwein.“

Wenn wir alle nur „Schweine“ sind, dann ist es leicht, die höheren Aspekte unseres Charakters zu übersehen und uns auf dem niedrigsten gemeinsamen Nenner unseres Sexualverhaltens zu bewegen. Vielleicht tragen die postorgastischen Wahrnehmungsveränderungen zu einem generellen Zynismus und einer Gleichgültigkeit gegenüber Sex bei. Viele geben der christlichen Religion und ihrer Verurteilung von Sexualität die Schuld an der heutigen ungesunden Einstellung gegenüber Sex (ein Standpunkt, an dem sicher etwas dran ist). Doch als ich nach weiteren Fingerzeigen grub, erfuhr ich, dass Amors Giftpfeil weit über den christlichen Einfluss hinaus datiert.

Beispielsweise gab der römische Dichter Ovid vor zweitausend Jahren den zynischen Rat, den Orgasmus bis zum Punkt des Desinteresses zu verfolgen, um sich „von der Liebe zu heilen“:

Übersättige dich mit ihr

… Bist du ein Gefangener der Liebe, aufgrund deiner zärtlichen Gefühle unfähig, zu entkommen? … Geh! Genieße dein Mädchen voller Hingabe, Tag und Nacht. Lass Abscheu deine Krankheit ersetzen. Selbst wenn du das Gefühl hast, genug zu haben, bleib bei ihr, bis du überwältigt bist und Überdruss die Liebe zerstört, so dass du keine Freude mehr an ihrer Gesellschaft hast.“ 37

Oder wie wäre es mit diesen Zeilen aus der alten Griechischen Anthologie?

Einmal versprochen, kein Mann triebe es toll;

er bliebe bei der Liebsten, die er erkor,

wäre sie nur halb so verheißungsvoll

nach dem Akt wie zuvor. 38

Zu guter Letzt akzeptierte ich, dass die veränderte Wahrnehmung meines Partners von meiner Person, die ich so häufig nach einem Feuerwerk im Schlafzimmer gespürt hatte, nicht einfach nur ein Ergebnis meiner oder seiner Themen war. Es war eine reale Veränderung. Und sie war sowohl unfreiwillig als auch vermeidbar. Und das bedeutete, Paare konnten die Veränderung nur aufhalten, wenn sie sich der zugrunde liegenden Ursache widmeten: sexueller Übersättigung. Was für ein schrecklicher Gedanke!

Ich konsultierte erneut meine heiligen Texte. Da stand es schwarz auf weiß: Geschlechtsverkehr ist wohltuend, doch Orgasmen bringen einen Berg von Problemen mit sich. Symptome sind unter anderem ein Gefühl des Ausgelaugtseins, Reizbarkeit, energetisches Ungleichgewicht, gesundheitliche Probleme, und vor allem eine wachsende Abneigung gegenüber dem Sexualpartner.

„Schließlich kann ein Mann Gefühle der Gleichgültigkeit oder sogar des Hasses für seine Sexualpartnerin empfinden, weil er unterbewusst merkt, dass er bei ihrer Berührung die höheren Energien verliert, die ihn zu einem wahrhaft glücklichen Menschen machen können.“ 39

Es handelt sich hierbei auch um ein weltweites Phänomen. Die Hulis zum Beispiel, Eingeborene von Neu Guinea, die wir auch als „Perückenmänner“ kennen, haben Frauen gegenüber ein traditionelles Misstrauen, denn sie glauben, dass Frauen ihnen ihre Kraft rauben. Die Folge davon ist, dass sie getrennt von ihren barbrüstigen Frauen leben und auch selbst für sich kochen. Sex wird auf eine kurze Begegnung reduziert – nicht ganz unähnlich vielen sexuellen Begegnungen heutiger westlicher Krieger. Nicht alle Perückenmänner tragen auch wirklich Perücken.

Natürlich projizieren Liebende ihr postorgastisches Unbehagen (bewusst oder unbewusst) nicht immer auf ihren Partner. Denken Sie mal darüber nach, was der Psychologe Herb Goldberg in seinem Buch What Men Really Want schreibt:

„Das defensive Naturell des Männlichen erzeugt in Männern eine zutiefst argwöhnische und negative Erfahrung der Welt, die sie als einen Ort betrachten, an dem es nie genug Macht, Kontrolle, Sicherheit oder Unabhängigkeit gibt.“ 40

Da war es, das „Gefühl des Mangels“, das zu einer Abwehrhaltung und einer Mentalität „ich gegen alle“ führt, die mich so irritierte. Wie privat auch der Akt des Geschlechtsverkehrs sein mochte, seine Auswirkungen prägten möglicherweise auch unsere kollektive Erfahrung mit. Denn mit Sicherheit verfolgen in jedem Augenblick viele von uns heißen Sex und sexuelle Übersättigung, was das Zeug hält. Und viele andere von uns sehnen sich nach einem Liebsten – ein weiteres Empfinden von „Mangel“. Die Konsequenzen erschütterten mich ziemlich.

Die Welt ist voll von Offensichtlichkeiten, die niemand jemals auch nur annähernd bemerkt.

Sir Arthur Conan Doyle

Und als meine Erleuchtung weiter voranschritt, hatte ich das Gefühl, einen Elefanten in meinem Wohnzimmer entdeckt zu haben, der dort die ganze Zeit über gewesen war, all meine Beziehungen kopflos zertrampelt und die Wahrnehmung meiner Liebhaber von mir vernebelt hatte. Sorgte er, zusammen mit den Elefanten all der anderen Menschen, auch für die Empfindungen von Mangel und Abwehr um den ganzen Erdball herum?

Das Gift an Amors Pfeil

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