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6. Die „Intelligenzaktion“ und der Terror gegen die Zivilbevölkerung

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Der mittels antisemitischer und rassistischer Kategorien geführte Krieg gegen Polen hatte nicht nur die beschriebenen katastrophalen Auswirkungen auf das polnische Judentum. Die Vorstellung der nationalsozialistischen Führung, die Polen insgesamt als ein Volk von Sklaven zu kolonisieren, beinhaltete das Vorhaben, als eine Vorbedingung mittels organisiertem Massenmord deren intellektuelle Führungsschicht zu beseitigen. Die Ermordung der polnischen Intelligenz begann im Oktober 1939 und dauerte im wesentlichen bis zum Frühjahr 1940 an. In diesem Zeitraum wurden Politiker und Unternehmer, Grundbesitzer, Offiziere und Geistliche, Lehrer und Angehörige akademischer Berufe sowie Journalisten und Künstler getötet. Insgesamt ermordeten die Deutschen im Rahmen der „Intelligenzaktion“ mehrere zehntausend Menschen. Das Gros der Opfer wurde von den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und von den Verbänden des „Volksdeutschen Selbstschutzes“ getötet. Neben Ordnungspolizei und Wehrmachtsverbänden waren jedoch auch die SS-Totenkopfverbände an dem Massenmord beteiligt.118

Vor dem Hintergrund des Genozids an der polnischen Elite schrieb Fegelein über die Aufgaben seiner Truppe: „Es war manches Mal nicht leicht, die vielen Exekutionen und Sonderaktionen durchzuführen, da vom Mann Tag für Tag die schwerste moralische Belastung gefordert werden mußte.“119 Zusammen mit dem Stab der Totenkopf-Reiterstandarte war die 1. Schwadron im November 1939 in Warschau stationiert worden. Dem Höheren SS- und Polizeiführer berichtete Fegelein, die Einheit sei in der Vergangenheit „in stärkstem Umfang zu Exekutionen herangezogen“ worden.120 In diesem Zusammenhang ermittelte die Berliner Staatsanwaltschaft Anfang der sechziger Jahre gegen den Kommandeur der Einsatzgruppe IV, Lothar Beutel. Während des Ermittlungsverfahrens kam ans Licht, daß die Warschauer Einheiten der SS-Kavallerie in enger Abstimmung mit dem dortigen Kommandeur der Sicherheitspolizei häufig Massenerschießungen im Warschauer Parlamentsgarten und in dem etwa 30 km entfernten Wald von Kampinos bei Palmiry ausführten. Allein in dem genannten Waldstück wurden ab dem 7. Dezember 1939 unter anderem von den Reitern über 1700 Personen, darunter auch zahlreiche Juden, erschossen.121

Die beschriebenen Massenerschießungen im Wald von Lucmierz im Warthegau fanden vielfach ebenfalls im Rahmen der systematischen Ermordung der polnischen Intelligenz statt. Neben den Juden wurden regelmäßig polnische Insassen aus dem Gefängnis von Lodsch nach Lucmierz transportiert und dort erschossen.122 Obwohl die 3. Schwadron noch im Juni 1940 berichtete, auf Befehl des Höheren SS- und Polizeiführers an einer Aktion in Zamosc „anläßlich der Festnahme der polnischen Intelligenz“ teilgenommen zu haben, ebbten die Erschießungen im Verlauf des Frühjahrs 1940 langsam ab.123 Durch die verschiedenen Institutionen des deutschen Besatzungsapparates angefordert, wurden die Totenkopfstandarten jedoch auch in den folgenden Monaten zu zahlreichen Einsätzen gegen die polnische Zivilbevölkerung herangezogen. Einheiten des 1. Reiterregiments verhafteten bei einem Großeinsatz im August 1940 in Warschau 1500 polnische Zivilisten, die anschließend in das Konzentrationslager Dachau abtransportiert wurden.124 Nach der angeblichen Erschießung eines SD-Angehörigen wurden im Folgemonat erneut 1600 Polen aus Warschau verhaftet.125 Nachdem während des Himmler-Besuchs in Auschwitz am 1. März 1941 die weitere Vergrößerung des dort entstandenen Konzentrationslagers und der Bau des IG Farben-Werkes projektiert worden war, begleiteten 180 SS-Männer und 20 Unterführer des SS-Kavallerieregiments 2 am 5. und 6. April einen großen Eisenbahntransport polnischer politischer Gefangener von Zamozc über Lublin nach Auschwitz.126

Weiterhin gehörte auch die Erschießung polnischer Zivilisten zum Dienstalltag der Waffen-SS. Die 1. Schwadron des Reiterregiments 1 tötete am 30. August 1940 in Warschau im Auftrag des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD 87 „aufrührerische Polen“.127 Allein im nächsten Monat übernahmen Einheiten der SS-Kavallerie nach entsprechenden Aufträgen der Sicherheitspolizei die Erschießung von 200 Personen.128 Die in Seroczyn stationierte Schwadron verhaftete im Frühjahr 1940 laufend polnische Zivilisten. Vorübergehend wurden die Polen in einen Verschlag im Pferdestall der Einheit gesperrt. Jeweils nach einigen Tagen wurden die Gefangenen aus dem improvisierten Verließ herausgezogen, häufig von SS-Männern schwer mißhandelt und anschließend erschossen.129 In Kielce tötete die 2. Schwadron der 1. Reiterstandarte auf Anordnung der Sicherheitspolizei am 12. und 13. Juni 1940 insgesamt 73 angebliche „Schwerverbrecher und Angehörige der Widerstandsbewegung“. In zahlreichen weiteren Fällen berichteten einzelne Schwadronen immer wieder von der Teilnahme an Exekutionen, ohne daß die Identität oder die Anzahl der Opfer nähere Erwähnung fand.130

Wenn sich auch die Quellenlage als sehr dünn darstellt, zeigt sich doch, daß auch andere Totenkopfverbände an der Ermordung polnischer Zivilisten beteiligt waren. Hermann S., früherer Soldat bei der 10. SS-Totenkopfstandarte, gab bei seiner Vernehmung an, daß er 1940 in Krakau dazu eingeteilt war, nach der Erschießung von Polen Fangschüsse abzugeben.131 Die 8. Totenkopfstandarte wurde von Obergruppenführer Heißmeyer, dem Generalinspekteur der verstärkten Totenkopfverbände, bereits im Dezember 1939 aufgefordert, wegen der zu erwartenden Heranziehung zu Exekutionen ein spezielles Sonderkommando auszubilden.132 Als der Verband am 5. Juni 1940 nach Radom verlegt wurde, rief der Chef des SS-Hauptamtes die Männer kaum verhüllt dazu auf, ihren Teil „zur Niederwerfung aller Aufstände und zur Herstellung geordneter Verhältnisse im Generalgouvernement“ beizutragen.133

Abgesehen vom Massenmord an jüdischen und christlichen Polen galten Einsätze der Standarten der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“.134 Am 12. Oktober 1939 kam eine Gruppe SS-Reiter der 3. Schwadron aus Posen in die zehn Kilometer weiter nördlich gelegene Stadt Owinsk.135 Dort gab es eine psychiatrische Anstalt, in der mindestens 1000 männliche und weibliche Patienten, Erwachsene und Kinder, untergebracht waren. Die SS-Reiter bezogen Quartier in einem Teil des Krankenhauses. Kurz nach dem Eintreffen des Trupps wurde außerdem eine Kompanie der 12. SS-Totenkopfstandarte nach Owinsk verlegt. Diese Männer waren der Reitereinheit möglicherweise bei dem nun folgenden Massenmord behilflich.136 Unmittelbar nachdem deutsche Ärzte die Psychiatrieeinrichtung inspiziert hatten, begannen die Angehörigen der Reitereinheit mit dem Abtransport der Patienten. Anfangs nur einmal, im weiteren Verlauf auch zweimal täglich, verluden die Reiter bis zu 75 Männer, Frauen und Kinder in bereitstehende Lastwagen und fuhren mit den Menschen davon. In den Wäldern um Owinsk wurden die Psychiatriepatienten anschließend von den SS-Soldaten erschossen.137

Ein polnischer Anstaltsarzt identifizierte die Täter der SS-Kavallerie in Nachkriegsaussagen unbewußt anhand ihrer Ärmelstreifen mit der Aufschrift „Adolf Hitler“.138 Die Uniformjacken waren den Angehörigen der Einheit kurz zuvor bei ihrer Einkleidung in der Kaserne der SS-Leibstandarte in Berlin ausgehändigt worden.139 Wahrscheinlich wegen der am 25. November 1939 erfolgten Abkommandierung des Reitertrupps wurde ein kleiner Teil der bislang überlebenden polnischen Patienten danach mit Lastwagen ins Fort VII nach Posen gebracht, wo die Menschen in der dortigen Gaskammer ermordet wurden. Die etwa 100 deutschen Patienten der Anstalt blieben vorerst verschont und wurden Ende November in eine andere Einrichtung verlegt.140 Insgesamt hatte die Reitergruppe der 3. Schwadron mit der möglichen Unterstützung von Soldaten der 12. SS-Totenkopfstandarte im November 1939 mindestens 700 christlich-polnische und 30 jüdische Psychiatriepatienten ermordet.141 Neben den beschriebenen Massentötungen in Owinsk ermordete ein Kommando der Lucmierzer Schwadron im März 1940 die 50 Patienten des Pflegeheims der jüdischen Gemeinde für psychisch Kranke in Lodsch.142

Ergänzt wurden die mörderischen Feindbilder der Deutschen durch die hysterische Erwartung, die Besatzungsverwaltung könne mit starkem Widerstand aus der polnischen Gesellschaft konfrontiert werden. Bereits unter Militärverwaltung wurden potentiell widerständige Organisationen wie die Parteien aus dem nationalen, sozialdemokratischen oder kommunistischen Spektrum sowie nationale Vereinigungen wie der Westmarken- oder der Aufständischenverband erbittert verfolgt.143 In den Wochen nach der polnischen Niederlage entstanden zwar einzelne Widerstandsorganisationen wie der Ende September 1939 gegründete Służba Zwycięstwu Polski (Dienst zur Befreiung Polens), aus dem im Februar 1942 die Armia Krajowa (Heimatarmee) hervorging. In Graudenz entstand zudem der „Verband des Freien Polen“. Während der beiden ersten Besatzungsjahre standen den Gruppen außer der Verbreitung von Propaganda jedoch kaum Operationsmöglichkeiten zur Verfügung. Für die Deutschen stellten sie somit keine wirkliche Bedrohung dar.144

Darüber hinaus waren einzelne Gruppen polnischer Soldaten noch während des Krieges untergetaucht; sie versuchten in schwer zugänglichen Gebieten Polens zu überleben. Hinweise auf eine solche polnische Widerstandsgruppe führten im Frühjahr 1940 zu einem großangelegten Einsatz der SS, der in Verlauf und Ergebnis deutliche Analogien zu den späteren mörderischen Formen der deutschen „Partisanenbekämpfung“ aufzeigte. Nach der polnischen Niederlage hatte sich eine 100 Mann starke Truppe aus Resten der polnischen Armee unter dem Kommando des Majors Henryk Dobrzański, sein Kampfname lautete „Hubal“, in die Gegend um die im Distrikt Radom gelegene Stadt Konskie zurückgezogen. Gegen die Deutschen trat die Einheit faktisch kaum in Erscheinung. Nichtsdestotrotz wurde in der zweiten Märzhälfte des Jahres 1940 eine komplette Infanteriedivision der Wehrmacht in Marsch gesetzt, um die Soldaten zu vernichten. Krüger riß jedoch mit dem Verweis, daß „die Beseitigung von Freischärlern Sache der Polizei“ sei, deren weitere Bekämpfung an sich.145 Bei dem nun folgenden Einsatz von Waffen-SS und Ordnungspolizei, der vom 29. März bis zum 9. April dauerte und von Krüger persönlich geleitet wurde, entfaltete der Höhere SS- und Polizeiführer zwar besonderen Ehrgeiz, ließ faktisch aber kein Geschick bei der Verfolgung des Militärverbandes erkennen. Schonungslos verurteilten Vertreter der in eine bloße Beobachterrolle gedrängten Wehrmacht das dilettantische Vorgehen der SS. In einem Bericht an Brauchitsch kritisierte Blaskowitz den Einsatz scharf und sprach Krüger jede Kompetenz zur Bewältigung derartiger Aufgaben ab.146

In der Anfangsphase der Aktion geriet eines der beiden eingesetzten Polizeibataillone am 30. März in einen Hinterhalt der polnischen Kämpfer und mußte sich unter Verlusten zurückziehen. Den polnischen Soldaten gelang es außerdem, die unter schwacher Bewachung auf einer nahen Straße haltenden Fahrzeuge der Ordnungspolizei mit Handgranaten anzugreifen und mehrere Wagen in Brand zu setzen. Anstatt nach dem ersten Debakel auf die im Einsatzraum stationierten, ortskundigen Truppen der Wehrmacht zurückzugreifen, zog Krüger nunmehr aus Warschau, Krakau und Lublin ein weiteres Polizeibataillon, die 8. und 11. Totenkopfstandarte sowie mehrere Schwadronen der SS-Kavallerie zusammen. In den Augen der Wehrmacht offenbarte er auf diese Weise nicht nur seine persönliche Eitelkeit, er verzichtete mit der Kommandierung der SS- und Polizeiverbände auch auf eine im gesamten Generalgouvernement bereits längerfristig geplante Verhaftungsaktion von etwa 1000 „Führern der polnischen Aufstandsbewegung“, die für den gleichen Zeitraum angesetzt war. Nach dem Urteil des Wehrmachtsoberbefehlshabers im besetzten Polen wäre diese Aktion „unendlich wichtiger“ gewesen, als die Bekämpfung der polnischen „Bande“.147

Die eilig zusammengezogenen Einheiten von Waffen-SS und Ordnungspolizei begannen am 1. April mit der Einkreisung der Truppe von Major Dobrzański. In der folgenden Nacht versuchten polnische Soldaten an mehreren Stellen, den Einkesselungsring zu durchbrechen. Es kam zu Gefechten, in deren Verlauf etwa 50 Polen getötet oder gefangengenommen wurden. Kommandeur Hubal und seinem Stab gelang dagegen die Flucht. Damit war die eigentliche „Großaktion“ bereits beendet, der Hauptteil der Verbände der Ordnungspolizei kehrte in ihre Standorte zurück; nur ein Polizeibataillon, die 8. SS-Totenkopfstandarte und die SS-Reiterschwadronen blieben noch vor Ort. Deren neuerlicher Versuch, Hubal und dem Rest seiner Gruppe habhaft zu werden, schlug am 4. April abermals fehl. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die vorrangig militärischen Motive des Einsatzes der SS durchaus erkennbar. In den folgenden Tagen bekam das Unternehmen jedoch einen gänzlich anderen Charakter. Die noch vor Ort befindlichen Einheiten der Waffen-SS machten ihrer Frustration über das verfehlte Einsatzziel in Aktionen gegen die polnische Zivilbevölkerung Luft.148 Die Initialzündung für den Umschwung markierte der Tod Hauptsturmführer Staufers, des Kommandeurs der 7. Kompanie der 8. SS-Totenkopfstandarte. Dieser war am 7. April mit einem Stoßtrupp in das Dorf Krolowiec eingefallen und dort bei der Durchsuchung eines Hauses von einem polnischen Uniformierten angeschossen und so schwer verletzt worden, daß er wenig später starb. Oberführer von Jena, der Kommandeur der 8. Standarte, befahl darauf als Repressalie die sofortige Erschießung von zehn im Dorf festgenommenen Geiseln. Als Krüger von dem Vorfall in Krolowiec erfuhr, sorgte er seinerseits für eine weitere Radikalisierung. Er befahl die Ermordung sämtlicher Männer im wehrfähigen Alter und die Niederbrennung des Ortes, was von der 7. und 8. Kompanie der 8. Totenkopfstandarte umgehend in die Tat umgesetzt wurde. Bei der Mordaktion wurden ungefähr achtzig Männer erschossen.149 Auch die SS-Kavallerie kannte nun kein Halten mehr. Von Gustav Lombard, dem Chef der vor Ort eingesetzten 3. Schwadron, ist vom 7. April ein denkwürdiger Befehl überliefert, der grundsätzlich anordnete: „Im Gefechtsstreifen im Hinblick auf die Kampfmethoden der irregulären, poln[ischen] Truppen sofort auf Nichtdeutsche schießen.“150

Im direkten Anschluß an die Ermordung der Männer aus Krolowiec befahl Krüger, daß nunmehr auch aus den umliegenden Dörfern die wehrfähige männliche Bevölkerung zusammenzutreiben und abzutransportieren sei. Am 8. April 1940 begann die systematische Besetzung und Durchsuchung der Orte. Der 3. Schwadron der SS-Kavallerie wurde am Vorabend per Funk der Befehl übermittelt: „Bei diesem Auftrag kommt es darauf an, die gesamten, im Gefechtsstreifen liegenden Dörfer für die nachrückende Pol[izei-] Truppe zu umstellen und die gesamte männl[iche] Bevölkerung gefangen zu nehmen. Abtransport erfolgt durch die nachfolgende Pol[izei-] Truppe. Bei Widerstand werden sämtliche Männer im Alter zwischen 17 und 60 Jahren erschossen und das gesamte Dorf eingeäschert. Jeder Fluchtversuch bedingt sofortiges Erschießen.“151 Die radikalen Formulierungen des Befehls sind eine Andeutung dessen, was am folgenden Tag im Rahmen der „Großaktion“ tatsächlich stattgefunden haben muß – die wahllose Ermordung zahlreicher Männer, die in den umliegenden Dörfern lebten. Wie die von Fegelein in seinem Abschlußbericht angegebene Zahl von 250 Erschossenen vermuten läßt, müssen die SS-Reiter die Bewohner einiger Dörfer sofort nach der Besetzung der Ortschaften zusammengetrieben und ermordet haben. In anderen Dörfern wurden die Festgenommenen gemäß dem arbeitsteiligen Befehl der Ordnungspolizei übergeben, die die gefangenen Zivilisten nach Radom abtransportierte. Viele der inhaftierten Männer kamen nie wieder frei, sondern wurden in den folgenden Tagen in den Gefängnissen von Radom erschossen.152

Die abschließende Bewertung des wenig später abgeschlossenen Großeinsatzes nutzte Fegelein zu einem blutrünstigen Lobgesang auf seine Truppe. „Es wurde in jedem Falle rücksichtslos durchgegriffen“, stellte der SS-Kommandeur fest, um dann zu formulieren: „Die gestellten Aufgaben im Niederbrennen von schuldigen Dörfern als Sühneaktion und das Erledigen von üblen Elementen geschahen auf eine so saubere und anständige SS-mässige Art, daß jeder Zweifel an der Charakterfestigkeit der Truppe beseitigt werden mußte.“153 Ganz anders beurteilte Generaloberst Blaskowitz die Aktion. In seinem Bericht an Brauchitsch fällte er ein rundum vernichtendes Urteil. Insgesamt habe die SS die Schwierigkeiten des gesamten Unternehmens unterschätzt und das Verhalten der eingesetzten Verbände in Bezug „auf Aufklärung, Sicherung und Benehmen auf dem Gefechtsfeld [habe] in keiner Weise den primitivsten Anforderungen“ entsprochen.154

Der sich überall im deutsch besetzten Polen entfaltende und in Bezug auf die Waffen-SS in Ansätzen beschriebene Massenmord an Juden und Polen warf für die Besatzungsverwalter jedoch auch erhebliche Probleme auf. Etliche der Erschießungen fanden unter den Augen zahlreicher Zuschauer, also quasi in der Öffentlichkeit, statt. Mitunter gelang einzelnen Opfern sogar die Flucht von den Erschießungsstätten. Unter der polnischen Bevölkerung waren die Massenerschießungen schnell vorrangiges Gesprächsthema, was in den Augen der Deutschen wiederum die Gefahr der ‚Unruhestiftung‘ barg. Auf der anderen Seite warf die Mordpraxis disziplinarische Probleme bei den SS- und Polizeitruppen auf. Wie bereits mehrfach dargestellt, konnten SS-Männer durch die Alltäglichkeit des Mordens zu eigenen Exzessen mit schwerlich absehbaren Konsequenzen angeregt werden. Krüger reagierte im April 1940 mit der Herausgabe einer detaillierten Anweisung zum Ablauf von Exekutionen auf derartige Schwierigkeiten. Umfang und Zusammensetzung der Exekutionskommandos, der Zeitpunkt sowie das organisatorische Prozedere bis zur eigentlichen Schußabgabe wurden damit genau festgelegt. Keinesfalls, so Krüger, dürften „einheimische Juden oder Polen zum Grabschaufeln“ verwendet werden; die Gefahr von Fluchtversuchen der Opfer sei durch geeignete Sicherungsmaßnahmen zu minimieren. Unbefugten sei das Betreten des Erschießungsplatzes strikt verboten, ebenso sei jegliches Photographieren unbedingt zu unterbinden. Zudem untersagte Krüger jegliche Form von Mißhandlungen der Erschießungsopfer.

Über den Versuch einer Vereinheitlichung des Tötungsverfahrens hinaus waren die genauen Vorgaben des Höhere SS- und Polizeiführers wohl noch aus einem weiteren Grund entstanden. Obwohl die polnischen Juden und ein Großteil der christlichen Polen seit der deutschen Besetzung faktisch in einem rechtsfreien Raum lebten, suggerierte Krügers Befehl die Existenz rechtsstaatlicher Normen. Die SS-Männer seien, so der beabsichtigte Eindruck, nur ausführende Organe, die dem funktionierenden nationalsozialistischen Rechtssystem durch die in „einwandfreier soldatischer Form“ auszuführenden Exekutionen Geltung verschafften. Wenn auch bei vielen Massenerschießungen weiterhin Exzesse stattfanden und die Tötungen meist keineswegs dem geforderten Verfahren entsprachen, ermöglichten derartige Anweisungen den eingesetzten SS-Führern und Mannschaften doch, die eigene Verantwortung beim Mord gegebenenfalls auszublenden. Auch in anderer Beziehung sorgte sich Krüger um das seelische Wohl seiner Männer. Die Offiziere von Waffen-SS, Sicherheits- und Ordnungspolizei erinnerte er anläßlich der Weitergabe seiner Tötungsanleitung ausdrücklich „an den persönlichen Wunsch des Reichsführers SS, daß die Exekutionskommandos nach der Exekution einer Zerstreuung mit geistig wertvollem Inhalt zuzuführen sind“.155

Die vorangegangene Untersuchung hat gezeigt, daß die in Polen stationierten und 1941 dem Kommandostab unterstellten Einheiten der Waffen-SS an allen Facetten der mörderischen deutschen Besatzungspolitik in Polen beteiligt waren. Neben der Sicherheitspolizei und den Bataillonen der Ordnungspolizei waren die SS-Totenkopfstandarten ein ganz wesentliches Mittel zur Verwirklichung der antisemitischen und rassistischen Politik gegenüber Juden und christlichen Polen. Gerade die deutsche Judenpolitik wurde in dem eroberten Land unter anderem durch die Totenkopfstandarten im Vergleich zur Vorkriegssituation im Reich ganz wesentlich radikalisiert. Erstmals wurde unter Beteiligung der Waffen-SS eine Politik in Gang gesetzt, die auf eine „Endlösung der Judenfrage“ abzielte und dabei, wenn auch noch nicht in ausschließlich eliminatorischem Sinn, bereits den Tod vieler Menschen einkalkulierte. Daneben beteiligten sich zumindest die Reiter der SS-Kavallerie an den Massenerschießungen Zehntausender christlicher und jüdischer Polen der sogenannten Intelligenz, dem ersten von den Deutschen in Gang gesetzten Genozid.156 Der in zahlreichen Fällen deutlich zu Tage tretende Einsatzwille von Führern und Mannschaften der SS-Verbände war dabei ein bedeutsamer Faktor. Bei den dargestellten Einsätzen existierte offenbar eine weitgehende Übereinstimmung zwischen den Zielen der Befehlsgeber und den Motiven der ausführenden Befehlsempfänger. Rassistische Einstellungen gegenüber christlichen Polen und besonders der Haß auf die Juden zeigte sich darüber hinaus in Taten, die auf reiner Eigeninitiative von Angehörigen der Totenkopfstandarten basierten. Die Ereignisse belegen exemplarisch, daß die Deutschen bereits mit der Besetzung des Landes im September 1939 einen Vernichtungskrieg gegen die polnische Gesellschaft in Gang setzten.157 Hinsichtlich des bevorstehenden Angriffs auf die Sowjetunion erschien es von der SS nur folgerichtig, für die zukünftigen Aufgaben erneut auf Einheiten zurückzugreifen, die bereits in den vergangenen 22 Monaten mit viel Eigeninitiative eine derart mörderische Besatzungspolitik realisiert hatten.158

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