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Auf antiker Straße durch stille Landschaft

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Die Reise geht weiter in Richtung Süden: Es erwartet uns eines der schönsten Stücke antiker Via Cassia. Hier spätestens sollte der Reisende sein Auto stehen lassen und zumindest ein paar Kilometer zu Fuß zurücklegen. Die römische Straße ist hier nicht unter die moderne Asphaltstraße zu liegen gekommen, aber sie ist dennoch erhalten: als Feldweg und Fahrstraße für die verstreuten Bauernhäuser und Villen. Man sieht das alte Basaltpflaster über weite Strecken intakt durch stille, unberührte Landschaft ziehen: dunkles, von vielen Tausend Füßen und Hufen und Rädern glatt gewordenes Pflaster. In den bekannten, stadtnahen Stücken der Via Appia sieht es anders aus. Dort ist das Pflaster so schrecklich holperig, nicht weil die Römer keine Straßen zu bauen wussten oder weil die Jahrhunderte das Pflaster verworfen hätten, sondern weil es einmal von Archäologen aufgehoben worden ist. Es gelingt nie, die Pflastersteine, wenn sie einmal aus ihrer angestammten Anordnung entfernt sind, wieder ebenso plan zu verlegen. Doch wo das Pflaster noch vollkommen intakt ist, wo die Straßenbaukunst der Römer und der Verkehr der Jahrhunderte zusammengewirkt haben, ist es glatt und eben.


Via Cassia in der Landschaft südlich von Montefiascone. Man sieht sehr gut die Beschaffenheit der Straße mit ihren rundkantigen, glatten Pflastersteinen.

Als die sogenannte Grand Tour, die Bildungsreise nach Italien, unter deutschen Gelehrten Mode wurde, beschrieb Goethes Freund Karl Philipp Moritz das Pflaster der Via Flaminia so: „Vieleckichte glatte Steine von großem Umfange sind dicht aneinandergefugt und bilden ein ganz ebenes Pflaster, das aber durch die Länge der Zeit ganz ausgeglättet und äußerst unbequem für Pferde ist, weswegen mir denn mein Vetturin auch versicherte, dass er diese Steine verfluchte, sooft er darüber führe.“ Man sieht: Noch im 18. Jahrhundert war die alte römische Straße nicht nur Studienobjekt der Historiker – das auch! –, sondern sie diente vor allem der Fortbewegung. Dem örtlichen Kutscher gefiel das Pflaster dabei weniger als dem Bildungsreisenden aus dem Norden: „Die Benutzer sahen [die Straße] alltags anders als die Humanisten sonntags!“16

Heute ist es still geworden auf dem beschaulichen Stück Cassia südlich von Montefiascone. Die Straße wird begleitet von Schafherden mit ihren Hirten, von Weinbergen, Obsthainen, Ölbäumen, und sie bietet immer wieder herrliche Ausblicke: zurück auf Montefiascone mit der charakteristischen Kuppel von Carlo Fontana und vorwärts auf die Monti Cimini mit ihren dunklen, stillen Wäldern. Und doch ist die Straße bevölkert und befahren, jedenfalls für das Auge des Historikers, der hier im Laufe der Jahrhunderte viele vorbeiziehen sieht. Die Straße ist ein einzigartiger Ort der Begegnung, denn hier müssen sie ja alle vorbeikommen: die Kaiser und die Päpste, die Pilger und Soldaten, die Gebildeten und die Handwerker, die Großen und die Kleinen. Und auch die Großen begegnen hier in ihrer Alltäglichkeit: Petrarca nicht als hochgemuter Dichter, sondern bei Bolsena verletzt von einem ausschlagenden Pferd, Luther nicht als Denker und Reformator, sondern als Fußgänger im schlechten Wetter, Ignatius von Loyola nicht in visionärer Ekstase, sondern in Gedanken an das nächste Quartier.17

Auch die großen römischen Jubeljahre, Initiative der Päpste seit Bonifaz VIII. im Jahr 1300, werden hier greifbar – nicht nur als geistiggeistliche Großanlässe, sondern auch ganz lebenspraktisch anhand der Warenströme und der Übernachtungszahlen. Vor allem in dem wichtigen Jahr 1450 würden wir hier bemerken, wie der Verkehr spürbar ansteigt. Nach langem Exil residierten die Päpste wieder regelmäßig in Rom, die Stadt erwachte zu neuem Leben. Sie wurde wieder, was sie einst war: Zentrum der westlichen Welt. Das machte sich nicht zuletzt hier an der Via Cassia bemerkbar, denn es ist ja die Achse von Florenz nach Rom, die Achse, auf der die Kunst und Kultur der Renaissance im 15. Jahrhundert von der Toskana in die Stadt der Päpste kam: Wenn Sixtus IV. die besten Künstler der Zeit nach Rom rief, um die Sixtinische Kapelle ausmalen zu lassen, wenn Julius II. den jungen begabten Michelangelo an seinen Hof holte, wenn Raffael gerufen wurde – so ging all dies hier über das Pflaster der Via Cassia. Hier kamen sie vorbei, und die Schafe und Weinstöcke und Ölbäume werden damals nicht viel anders ausgesehen haben als heute.

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