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Von Acquapendente zum Bolsenasee

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Unsere Reise möge beginnen, wo einst der Kirchenstaat begann, in einem kleinen Städtchen namens Acquapendente. Es ist seit alters und bis heute ein Grenzort. Heute steht er an der Grenze zwischen Latium und der Toskana. Über Jahrhunderte war Acquapendente die nördliche Grenze des Kirchenstaates, der äußerste Vorposten der päpstlichen Territorien. Der Ort hatte unter dieser Grenzlage zu leiden, besonders während der Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst im hohen Mittelalter, aber er hat es auch verstanden, Vorteil daraus zu ziehen. Ab hier reiste man auf dem Terrain des Patrimonium Petri, und noch heute merkt man den Unterschied. Ein letztes Mal findet man die typisch toskanischen Gourmet-Läden, in denen kalt gepresstes Olivenöl in homöopatischen Dosen (300 ml) zu Schweizer Preisen an ausländische „Gesundheitsapostel“ verkauft wird. Ab hier wird das Öl in 5-Liter-Tanks aus Blech an örtliche Großverbraucher vertrieben (und ist deshalb auch nicht schlechter). Das Raffinierte, das Überfeinerte ist Latiums Sache nicht: Es ging ja alles nach Rom.

Ohne die Straße, ohne die Reisenden wäre der Ort nicht, was er geworden ist. Längs der Straße gebaut, verteidigt er sich nach Norden mit Stadttor und Burg. Im Süden steht wiederum ein Stadttor und – anstelle der Burg – eine ebenso herrschaftliche Kirche, die ihre Apsiden stolz und wehrhaft der Via Cassia und der Stadt Rom entgegenstreckt. Es ist keine Stadt- oder Pfarrkirche, sondern ein Heiligtum für Pilger: S. Sepolcro. Die Reisenden zu den römischen Apostelgräbern konnten hier Rast machen und des anderen großen Heiligtums gedenken, das die Pilgerströme anzog: des Heiligen Grabes in Jerusalem.

Die Kirche an der Via Cassia hat beachtliche Ausmaße, in der Neuzeit stieg sie gar in den Rang einer Kathedrale auf: Das hat ihr nicht gutgetan, denn die daraus folgende Umgestaltung unter Benedikt XIV. (1746) hat von den mittelalterlichen Bauten nicht viel übrig gelassen. Nichts außer der Krypta, doch dort findet sich das eindrucksvolle Heilige Grab, eine mittelalterliche Nachbildung des Grabes Christi in Jerusalem: „genau die Maße des Originals“, verkündet stolz eine Inschrift. Die Kirche wurde errichtet in den ersten Jahren oder Jahrzehnten der aufkommenden Jerusalemfrömmigkeit, der beginnenden Kreuzzugsbewegung (11. Jh.). Die herrlichen alten Kapitelle stammen noch aus dieser Zeit.


Acquapendente, Krypta der Kirche zum Heiligen Grab (heute: Kathedrale)

Von Acquapendente zieht sich die Straße über eine Hochebene sanft gewellt weiter nach Süden, Richtung Rom, bis nach S. Lorenzo Nuovo, wo der steile Abstieg zum Bolsenasee beginnt. Wie die anderen Seen in Latium ist auch er ein erloschener Vulkan, daher seine kreisrunde Grundform und daher die steilen Hänge auf allen Seiten. Die Via Cassia erreicht das Ufer in einigen weiten Kurven. Für den Historiker ist dies freilich noch gar nicht die Cassia im eigentlichen Sinne, auch wenn die Staatsstraße (Strada Statale 2) heute offiziell diesen Namen trägt. Sie ist es nicht, wenn man darunter die alte römische Konsularstraße versteht, die etwa im 2. vorchristichen Jahrhundert von einem gewissen Cassius angelegt worden war und Rom mit dem nördlich angrenzenden Etrurien verband. Diese alte Straße lief weiter östlich als heute die Strada Statale, von Bolsena direkt nach Chiusi.8 Auf römische Spuren werden wir darum erst ab Bolsena treffen. Im frühen Mittelalter hatte sich der Straßenverlauf nach Westen verlagert, und so finden sich dort die Spuren der mittelalterlichen Pilger: Kirchen und Klöster. Die Straße wurde nun Via Francigena genannt, Frankenstraße, und als solche wurde sie zur wichtigsten Verbindungsachse Roms.9 Denn das nachantike Rom ändert seine Blickrichtung. Es ist ja nicht mehr Hauptstadt eines großen Mittelmeerreiches, das zur Hafenstadt Ostia als dem Tor zur Welt blickt oder allenfalls südlich die Via Appia entlang, die nach Brundisium, heute Brindisi, führt und von dort über Griechenland nach Kleinasien. Auch der in byzantinischer Zeit so wichtige Weg nach Ravenna (über die Via Flaminia oder Amerina) verliert an Bedeutung, denn das neue Machtzentrum befindet sich jetzt im Norden: Es waren die Franken unter den karolingischen Herrschern, die Rom für sich neu entdeckten – als geistliches Zentrum, aber auch zur Legitimation weltlicher Macht. Und umgekehrt war es Rom, das die Chance entschlossen wahrnahm. Denn die neue Konstellation brachte nicht nur territorialen Zugewinn und politische Sicherheit, sondern auch reichen ideellen Gewinn mit sich, hatte doch Rom – und nur Rom – ein Erbe, das ihm niemand nehmen konnte: das Papsttum und vor allem den nie gänzlich erloschenen Ruhm alter Größe.

Und der Kaiser: Wenn er auch nicht mehr in Rom residierte, so war doch sein Titel unauflöslich an diese Stadt gebunden. Die Achse Kaiser–Rom oder, besser, Kaiser–Papst wird daher für viele Jahrhunderte zur historischen Grundachse; das ganze Mittelalter über, ja im Grunde noch in der Reformationszeit, ist es ein stetes Geben und Nehmen entlang dieser Achse von Nord nach Süd. Sie wird konkret und greifbar in der Via Francigena, denn hier zogen die Kaiser zur Krönung nach Rom – oder zur politischen und militärischen Auseinandersetzung. Hier zogen die Pilger zum Grab der Apostel Petrus und Paulus und dann wieder nach Hause. Hier zogen Bittsteller und Agenten in geistlichen und weltlichen Geschäften hinauf und hinab. Einige werden uns unterwegs begegnen.

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