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1. Worum geht es?

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Wenn über Europa gesprochen wird, geht es immer um die Menschen, die dort leben. Vom Gelingen ihres Lebens hängt auch das Gelingen der Staaten und Kontinente ab. Daher wird im Buch nicht über Politik gesprochen, sondern über das menschliche Leben. Es wird über die innere Befreiung des Menschen gesprochen, über persönliche Selbstwerdung, Reifung durch Lebenskrisen hindurch, das Finden der eigenen Berufung. Es wird aber auch reflektiert über die äußere Freiheit mit den Vorstellungen von Menschenwürde und Menschenrechten. Die innere und äußere Befreiung von Unterdrückung hat wiederum mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild zu tun.

Es wird über das Christentum nachgedacht, das mit seinem dreifaltigen Gottesbild Pluralität und Polarität in sich vereinigt. Es zeigt die Freiheit Gottes, die sich im Menschen und in der Gesellschaft als innere und äußere Befreiung erweisen sollte. Es wird ein Christentum beschrieben, das den Menschen zu seinem tiefsten Wesen führen will und damit für das Leben etwas „bringt“. Es wird über Grundwerte wie Nächstenliebe und Feindesliebe gesprochen, die auch die Sorge um den Armen, Kranken und Gefangenen beinhaltet. Es wird ein Christentum dargestellt, das aufgrund seines Aufrufs zur Selbstreflexion zur Säkularisierung neigt, das die Errungenschaft der Trennung von Kirche und Staat aufweisen kann und eine gute Grundlage für die moderne Demokratie darstellt.

Ohne diese Grundlagen, die zunächst in jedem Menschen selbst zu legen sind und dann in den Strukturen der Gesellschaft, werden weder die einzelnen Staaten Europas noch Europa als Ganzes auf Dauer zusammenhalten. Die Einheit kommt aus dem Geist, nicht aus der Materie. Aber auch das Christentum selbst braucht eine Vertiefung des Geistes im Sinne einer Re-Spiritualisierung, die dem Menschen den Sinn des Christentums für den Alltag erschließt. Spirituelle und intellektuelle „Nachrüstung“ ist gefordert. Diese Grundlage ist auch notwendig, um mit anderen Religionen ins Gespräch zu kommen. Dazu sollte man die eigenen Grundlagen kennen.

Im ersten Kapitel geht es um eine kurze philosophische Reflexion, aus welchen Quellen sich das Wertesystem Europas speist. Im zweiten großen Kapitel werden zentrale Inhalte des Christentums in seiner menschenprägenden Kraft dargestellt. Schließlich wird in einem dritten Kapitel erläutert, was das Christentum dem Einzelnen für sein konkretes Leben „bringt“ und wie sein Verhältnis zu den Wissenschaften ist. So ist der Weg des Buches ein Dreischritt: Zunächst wird die aktuelle Lage der gewordenen Wertüberzeugungen dargestellt, dann das Thema zu den Grundfragen des Seins vertieft, um von da aus verändert wieder aufzutauchen in den Alltag.

In der heutigen pluralistischen Gesellschaft geht es vor allem um die geistigen Auseinandersetzungen zwischen den Menschen. Wenn die Grundbedürfnisse nach Nahrung, Wohnung und Arbeit einigermaßen gestillt sind, geht es um den geistigen Dialog der Kulturen. Wie sich zeigt, ist Religion keine Privatsache, sondern zum Teil höchst politisch. Menschen werden durch Religionen geprägt und prägen ihrerseits Gesellschaften. Der Frieden zwischen den Menschen und den Religionen kann nur gewahrt werden, wenn Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweiligen Religionen benannt werden. So ist es notwendig, bereits in den Schulen über unterschiedliche Grundwerte, religiöse Hintergründe sowie Grundstrukturen der Demokratie zu sprechen. Frühzeitig sollten Reflexionsprozesse über Menschenbilder, Gottesbilder, Normen, ethische Tugenden eingeleitet werden. Autoritätsargumente wie „Gott will das so“ oder „Das ist der Wille Allahs“ haben in einer aufgeklärten Gesellschaft keinen Platz. Das theologische Argument muss – soweit möglich – philosophisch durchreflektiert und vernünftig begründet werden.3

Für das Christentum waren dazu Einflüsse von außen hilfreich. Im ausgehenden Mittelalter und der beginnenden Renaissance waren es die kosmologischen Entdeckungen des Nikolaus Kopernikus, die eine Hinwendung zum heliozentrischen Weltbild herbeiführten. Dieses besagt, dass die Sonne als Lichtquelle im Mittelpunkt des Sonnensystems steht und nicht die dunkle Erde. Das hat auch theologisch mit der Lehre von Christus als dem Licht der Welt sehr viel mehr Sinn gemacht als jene von der dunklen Erde im Mittelpunkt. Die deutsche Aufklärung appellierte an die Vernunft des Menschen und rief ihn auf, sich aus seiner „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu befreien (Immanuel Kant). Auch das entspricht der Vernunftstruktur des Christentums. Die Französische Revolution, wiewohl sie blutig verlief, trat für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ein. Auch dies sind christliche Werte. Da die Kirche nicht immer ihre eigenen Werte verwirklicht hat, waren Inspirationen von außen für die Fortentwicklung des Christentums von großer Bedeutung.

Christ sein – was ist das?

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