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SHITSTORM UND KEIN KLOPAPIER

»Alles ist billiger, als die Wirtschaft noch länger lahmzulegen.«

(Prof. Dr. Jens Südekum, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, im Interview mit Der Spiegel – 26.03.2020)

Tja, da hatte sich Michael gründlich verrechnet. Von wegen um sieben der Erste vor den Toren von Rewedeka! Die Schlange reichte bis über die Lagerstätte für die Einkaufswagen hinaus und einmal um die Ecke, als er pünktlich am Ort der Begierde eintraf. Zähneknirschend stellte er sich hinten an. Zumindest schienen die Leute in der Schlange nicht so gesprächig zu sein wie gestern, und niemand schien sich an ihn zu erinnern. Darauf hatte er gesetzt. Allerdings hatte es über Nacht einen Kälteeinbruch gegeben, weswegen sich die Anstehenden die Hände in die Taschen steckten und den Nacken einzogen. Auch Michael hatte entgegen seiner sonstigen Gewohnheit die Lederjacke fest um sich geschlossen. Dadurch blieb den Umstehenden sein Band-Shirt der amerikanischen Gothic Progressive Metal-Band Saviour Machine verborgen. Die Kalifornier hatten zwischen 1997 und 2001 drei zusammenhängende Konzeptalben veröffentlicht, auf denen sie die Offenbarung des Johannes vertonten. Entsprechend prangte auf Michaels Brust das biblische fahle Pferd mit seinem Reiter, dessen Name war: der Tod, im Hieronymus-Bosch-Stil.

Nach geschlagenen fünfundzwanzig Minuten stand Michael endlich vor dem Mann mit der Karussellbremserstatur: Security Man! War der hier etwa rund um die Uhr im Einsatz? Wenn Michael den Blick gen Boden richtete, würde der ihn sicher nicht wiedererkennen. Augen zu und durch!, dachte Michael noch, als eine Rentnerin durch den Ausgang kam und er an die elektrische Schiebetür herantrat.

Doch zwei dunkle Sonnenbrillengläser hielten ihn auf. »Du Hausverbot.«

Mist.

»Pssst«, machte Michael, »das muss doch nicht unbedingt jeder hier wissen … «

»Du Hausverbot«, wiederholte Security Man in unveränderter Lautstärke.

»Ja, ich weiß. Aber bitte, ich bin heute ganz brav und komm auch ganz schnell wieder raus. Ehrenwort, von Mann zu Eisschrank!«

Doch der blieb kühl. Michael suchte nach weiteren Worten, als sich ein verärgerter Mann weiter hinten in der Schlange, die immer länger wurde, einschaltete. »Lassen Sie den Kerl schon durch, damit das hier endlich vorangeht!«

Michael sah hoffnungsvoll zu seinem Torwächter hoch. Der änderte zwar nicht den Tonfall, aber immerhin die Parole. »Bescheinigung.«

»Bescheinigung? Was für eine Bescheinigung?«

»Bescheinigung Arbeit«, spezifizierte der osteuropäische Akzent näher.

»Ach so, die Bescheinigung. Klar, hab ich. Moment!«

Verwundert zog Michael Toms Schreiben hervor. Musste er sich jetzt nicht nur der Polizei gegenüber legitimieren, sondern auch beim Einkaufen? Die Welt war wirklich verrückt geworden. Er hielt dem Hünen das Blatt entgegen. Der warf einen kurzen Blick darauf. »Du kommst hier net rein.«

»Ich komme was nicht? Was ist denn jetzt wieder!?«

»Falsche Bescheinigung Arbeit.«

»Hä? Wieso falsche Arbeitsbescheinigung? Ich arbeite genau da! Rocking Radio! Da steht’s!« Michael pochte auf das Papier.

»Ja, das mag ja richtig sein, junger Mann. Aber Ihr Sender ist leider nicht systemrelevant.« In gestelztem Hochdeutsch meldete sich ein weiterer Herr im Tweedanzug vorbildliche eineinhalb Meter hinter Michael zu Wort.

»Das haben die in der Nacht der lebenden Toten aber anders gesehen«, griff Michael den Faden seiner gestrigen Sendung auf. Der Mann schaute ihn verständnislos an. Er sah auch nicht gerade nach einem Rocking Radio-Stammhörer aus …

Eine junge Frau drei Meter hinter Michael brachte sich sachdienlicher und mit freundlicher Stimme ein. »Nur Personen, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, dürfen hier einkaufen. Also Krankenschwestern, Altenpfleger, Erntehelfer, solche Leute eben. Und Rentner natürlich, weil die auch benachteiligt sind.«

Nun war es an Michael, verständnislos dreinzublicken. »Und wo soll dann der Rest einkaufen? Mr Magoriums Wunderladen? «

»Das gilt nur von sieben bis neun. Danach sind alle dran. Auch die Radioleute«, klärte sie ihn mit einem bezaubernden Lächeln auf.

Michael nahm es nicht wahr. Seine Stimmung wurde zusehends frostig. »Ich habe also wieder eine Ewigkeit hier angestanden für nichts und wieder nichts? Wollen Sie mir das damit sagen, ja?«

Sie nickte entschuldigend. Michael zählte im Geiste bis zehn und atmete tief durch. Er wollte nicht wieder eine Szene hinlegen, schon gar nicht vor Security Man. »Und wieso hängen die da kein Schild auf, auf dem das steht?«, quetschte er schließlich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.

»Nun, darüber wurde auf allen Kanälen ausführlich berichtet.« Der Tweedanzug wieder. »Bekommen Sie keine Nachrichten?«

»Ich bin beim Radio, schon vergessen? Ich bin die Nachrichten!«

»Aber was regen Sie sich denn so auf? Kommen Sie doch einfach später wieder.«

Michael blickte den Tweedanzug finster an. »Genau. Ich komm einfach später wieder. Ich hab ja die Zeit!«

»Na ja, hat im Moment nicht eigentlich jeder die Zeit?«, konterte die junge Frau Michaels Sarkasmus, und damit gelang es ihr tatsächlich, ihn zu entwaffnen.

»Ich will doch einfach nur mein verschissenes Klopapier!«, stöhnte Michael auf.

Security Man, ganz unbeeindruckt, legte Michael die behandschuhten Pranken auf die Schultern. »Du Hausverbot.«

Michael blieb nichts anderes übrig, als von dannen zu ziehen. Fürs Erste! Und bis morgen würde die eine Rolle noch reichen.


Michael war wieder auf dem Weg nach Hause, als sein Telefon klingelte: Tom. Er nahm ab. »Ja, Tom?«

»Oh Michael, was hast du da heute Nacht wieder erzählt…«

»Was? Wieso? Was hab ich denn erzählt?«

»Schon auf unsere Social-Media-Kanäle geschaut? Da bricht gerade ein Shitstorm sondergleichen über uns herein.«

»Ach. Was wird denn so geschrieben?«

»Das will ich gar nicht wiedergeben.« Michaels Chef klang erschöpft. »Die übliche Hetze aus dem rechten Spektrum und dann noch diese Verschwörungsspinner und -spinnerinnen. Du verlierst da echt den Glauben an die Menschheit. Ich komm mit dem Löschen der Posts gar nicht hinterher.«

Oha. Wenn Tom Onlinepostings löschte, mussten sie wirklich schlimm sein.

»Hey, Mist, Tom. Das hab ich nicht gewollt!«

»Michael, ich hab deinen Anfang noch gehört. Das war echt scharf formuliert. Du weißt, das oberste Gebot von Rocking Radio ist politische Neutralität. Und du weißt auch, dass ich es nicht schätze, wenn Moderatoren und Moderatorinnen ihre Sendezeit für Pamphlete missbrauchen.«

Michael schluckte.

»Aber manchmal gibt es Dinge … die müssen einfach gesagt werden. Starke Leistung, Metal Mike!«

Michael lief es heiß und kalt den Rücken rauf und runter. Ja, Tom konnte manchmal etwas eigen sein, aber wenn es hart auf hart kam, stand er immer hinter seinen Leuten. Zu einhundert Prozent. Nicht nur Michael war froh darüber, dass Tom seinen wohlverdienten Ruhestand jedes Jahr aufs Neue aufschob.

»Pass auf, Michael, warum ich dich anrufe: Halte bei deinen nächsten Sendungen vielleicht den Ball erst mal ein wenig flacher. Und pass auf dich auf! Diese ganzen Hater und Haterinnen könnten wissen, wie du aussiehst. Und denen ist leider alles zuzutrauen.«

Die Webcam!, fiel es Michael siedend heiß ein. Er schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter.

»Halt die Ohren steif! Bin stolz auf dich. Apropos Ohr: Mach unbedingt weiter mit deinem HORROHR!«, verabschiedete sich Tom.

»Alles klar. Danke dir, Tom. Werde ich.«

Es knackte in der Leitung, als Tom auflegte. Michael starrte noch einen Moment geistesabwesend das Display an. Dann packte er das Handy weg und lief los – und stolperte. Er befand sich wieder im Volkspark. Und unter einer Hecke ragte ein Bein hervor.

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