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REVIER 13

#IchBinKeinVirus

(Social-Media-Hashtag der asiatischen Community – Frühjahr 2020)

Michael fand sich in einem fensterlosen Raum wieder. Er saß am einen Ende eines langen Metalltisches, ihm gegenüber ein hochgewachsener Mann im Anzug. Nun trug dieser jedoch nicht die Sonnenbrille, mit der Michael ihn am Morgen zuvor das erste Mal gesehen hatte. Er hatte sich ihm als Kriminalhauptkommissar Salomanski vorgestellt und ihn seit über einer Dreiviertelstunde im Verhör. In der Ecke stand ein weiterer Beamter, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und keinen Ton von sich gab. Über ihnen spendeten zwei summende Halogenröhren flackerndes Licht.

»Also noch mal von vorn, Herr Ritter … «

»Ach nein, bitte nicht schon wieder!«

»Was hatten Sie im Volkspark zu suchen – zweimal?«

»Also bitte, dann zum fünften Mal.« Michael ächzte. »Der Park liegt auf meinem Heimweg. Ich komm da jeden Tag vorbei!«

»Und wie erklären Sie es sich, dass ausgerechnet Sie, Herr Ritter, eine kopflose Leiche finden – zweimal?«

»Ich weiß auch nicht … Journalistischer Instinkt?«, gab Michael wenig eingeschüchtert zurück.

»Wie sind Ihre Fußabdrücke an den Fundort gekommen? «

»Ich hab doch nicht gewusst, dass da eine Leiche ist! Ich dachte, da braucht jemand vielleicht meine Hilfe!« Michael war nicht entgangen, dass der Kriminaler »Fundort« gesagt hatte, nicht »Tatort«.

»Soso, Ihre Hilfe … Was haben Sie mit den Riders of the Apocalypse zu schaffen? «

»Mit wem?«

»Kommen Sie, Ritter, stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie sind. Dem Motorradclub!«

Michael zeigte sich weiterhin schlagfertig. »Tut mir leid, ich bin Fußgänger.«

»Wie sieht Ihre Verbindung zur hiesigen Drogenszene aus? «

»Die einzige Droge, mit denen ich die Menschen fixe, heißt Rock ’n’ Roll!«

Salomanski klapperte seinen Fragenkatalog unbeirrt weiter ab. »Prostitution?«

»Sie können sich mich nicht leisten.« Ja, Michael war langsam wirklich genervt.

Salomanski seufzte. »Verstehe. Kooperation ist Ihre Sache nicht.« Er stand auf, zog seine Anzugjacke aus und hängte sie fein säuberlich über den Stuhl. Dadurch kam ein helles Businesshemd zum Vorschein, das über dem durchtrainierten Oberkörper spannte, sowie eine braune Lederkrawatte. Hatten die hier denn keine eigene Abteilung für die Geschmackspolizei?, kommentierte Michael in Gedanken, beherrschte sich jedoch, das laut auszusprechen.

»Ziehen wir andere Saiten auf.« Salomanski legte noch mehr Strenge in seine Stimme und stützte sich mit durchgestreckten Armen auf die Lehne seines Stuhls. »Ihnen scheint nicht bewusst zu sein, in welcher Lage Sie sich befinden, mein Freund. Einmal einen Toten finden – das ist Zufall. Zweimal einen Toten finden – das ist verdächtig. Sehr verdächtig!«

Michael schluckte, blieb jedoch bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. »Also, ich sehe das anders: Tote finden und vor allen Dingen melden – das ist Bürgerpflicht! Haben Sie da draußen nicht so ein Plakat hängen, von wegen Zivilcourage und so? Na, schönen Dank auch!«

Salomanski erhöhte den Druck auf Michael weiter. »Wie haben Sie die Toten in den Park gebracht? Wo haben Sie sie umgebracht? Wie haben Sie sie umgebracht? Und was zum Teufel haben Sie mit den Köpfen gemacht? «

Ja, es wurde wirklich ernst!

»Ich, also, ich … das war nicht … ich«, stammelte Michael nun.

Salomanski sagte nichts, er sah ihn nur durchdringend an. So langsam wurde es Michael unwohl auf seinem Stuhl, und er begann unwillkürlich, darauf hin und her zu rutschen. Rollte da eine Schweißperle seine Stirn hinunter? Salomanskis Blick ließ ihn nicht vom Haken.

»Ich will einen Anwalt«, brach Michael schließlich die angespannte Stille.

»Brauchen Sie denn einen Anwalt?«

»Ich weiß nicht«, gab Michael verunsichert zurück. »Brauch ich einen?«

»Nun … nicht, wenn Sie nichts ausgefressen haben.«

Oha! Michael erkannte eine rhetorische Falle, wenn er sie sah. Nun war er es, der nichts mehr sagte.

»Also nicht«, schlussfolgerte Salomanski aus Michaels Schweigen. »Herr Ritter, wo waren Sie an den beiden Tagen, als Sie die Leichen gefunden haben, zwischen null und ein Uhr? «

Das war also die jeweilige Tatzeit.

»Ich war auf Sendung.«

»Soso, auf Sendung.«

»Ja, auf Sendung! Und zwar live!«, sagte Michael trotzig. Da fiel ihm etwas ein: »Sagen Sie, ich habe doch einen Anruf frei?«

»Sie haben … was?«

»Na, einen Anruf frei! Ich darf einen Anruf tätigen! Ich kenne meine Rechte!«

Salomanski lachte auf. »Dass die Leute immer diese schlechten amerikanischen Serien schauen müssen!«

Michael sah ihn fragend an.

»Sie können so viel telefonieren, wie Sie wollen! Das ist ein freies Land.«

»Dann ist es also okay, wenn ich kurz …« Michael griff in seine Jackentasche, holte sein Smartphone hervor und präsentierte es dem Polizisten.

»Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, entgegnete der und nahm wieder Platz.

Michael suchte einen ganz bestimmten Kontakt heraus, tippte darauf und erhielt sogleich Antwort. »Ah, Chef, gut, dass ich dich erreiche! Ich brauche dich für einen kurzen Faktencheck. Pass auf, ich bin hier im Polizeirevier, und ein sympathischer, kräftiger Herr möchte von mir wissen, was ich am –«

»Halt! Kein Wort mehr! Telefon her!«, verlangte der sympathische, kräftige Herr.

Michael verstummte augenblicklich und streckte Salomanski das Handy hin. Jener nahm abwehrend die Hände hoch. »Hinlegen!«

Michael gehorchte.

»Lautsprecher an!«

Michael tippte die entsprechende Schaltfläche auf dem Display an, und so hörten sie gemeinsam Tom in den Raum sagen: »… wenn es wegen deiner Leiche da ist, Michael: Das ist wirklich nicht bös gemeint, aber es ist momentan einfach keine Story für uns.«

»Mit wem spreche ich?«, forderte Salomanski eine Identifizierung.

»Mit wem … Michael, das bist doch nicht du? Mit wem spreche ich denn?«

»Salomanski, Kriminalhauptkommissar. Also, mit wem habe ich die Ehre?«

»Ach so … Thomas Lukas, Senderchef von Rocking Radio. Wie kann ich Ihnen helfen, Herr Salomanski?«

»Nun, Herr Lukas, Sie können mir helfen, indem Sie mir sagen, wo Ihr Angestellter Michael Ritter gestern und heute Nacht zwischen Mitternacht und ein Uhr gewesen ist und was er dort getan hat.«

»Wenn das alles ist … Michael hat Sendung gemacht. Gestern vom Studio, heute von zu Hause aus. So wie jeden Tag – außer Montag und Dienstag, das sind seine freien Tage. Wir praktizieren zurzeit Homeoffice, müssen Sie wissen.«

»Verstehe ich das richtig, Ritter war wirklich live auf Sendung?«, wiederholte der Hauptkommissar.

»Sie verstehen richtig.«

»Ritter«, Salomanski wandte sich wieder Michael zu, »kann das jemand bezeugen? War jemand bei Ihnen?«

»Äh … nein. Abgesehen von den Hörern natürlich.«

»Verstehe. Herr Lukas? Sind Sie absolut sicher, dass Herr Ritter wirklich live gewesen ist? «

»Absolut.«

»Kann es sich nicht um eine Aufzeichnung oder Ähnliches gehandelt haben?«

»Nein, ausgeschlossen. Unser System erkennt, ob das Signal von einem Mikrofon kommt oder nicht.«

»Und das überprüfen Sie?«, hakte Salomanski nach.

»Natürlich! Wir bezahlen unsere Leute ja für eine Livesendung!«

»Ihr tut was?!?«, schaltete sich Michael ins Gespräch ein, empört über diese Überwachungsmaßnahme seines Arbeitgebers. Das hatte er Tom nun nicht zugetraut!

Salomanski gebot ihm mit einer kurzen Geste zu schweigen. »Kein Zweifel möglich?«

»Nein. Kein Zweifel möglich.«

»Danke. Sie haben uns sehr geholfen. Auf Wiederhören.«

»Ja, auf Wiederhören. Michael, sag, in was hast du dich da wieder hineinmanövriert?«

Michael wollte antworten, doch Salomanski wies ihn mit einem strengen Nicken an, den Anruf zu beenden. Michael tat, wie ihm geheißen, und steckte das Gerät wieder ein. »Tja, das nenne ich dann wohl mal ein wasserdichtes Alibi«, stellte er schulterzuckend fest.

Salomanski knirschte mit den Zähnen. »Ja, so nennt man das wohl.«

»Wenn also nichts mehr ist, dann gehe ich jetzt. Ich habe noch Besorgungen zu tätigen und –«

»Und ob noch etwas ist«, fiel ihm der Hauptkommissar ins Wort. »Wenn Ihnen doch noch etwas einfallen sollte: Sie rufen mich an.« Er schob Michael eine Visitenkarte mit dem Logo der hiesigen Polizei und seinen Kontaktdaten hin. »Und, Ritter, wenn Sie eine dritte Leiche finden sollten, ob mit oder ohne Kopf –«

»Dann rufe ich Sie an, schon kapiert.«

Salomanski nickte. Michael stand auf, steckte die Karte in seinen Geldbeutel und ging zur Tür. Er war gerade dabei, den Raum zu verlassen, als ihn die schneidende Stimme des Hauptkommissars ein letztes Mal aufhielt: »Ach, Ritter!«

Michael drehte sich um. »Ja?«

»Verlassen Sie nicht die Stadt.«

»Sieh an, Sie haben ja doch Humor!«, gab Michael angesichts der Ausgangssperre schmunzelnd zurück.

Salomanski reagierte nicht.

»Alles klar, Herr Kommissar!« Mit diesen Worten schloss Michael das Gespräch ab und salutierte mit Mittel- und Zeigefinger zuerst vor Salomanski, dann in Richtung des Kollegen in der Ecke. Er verließ das Vernehmungszimmer und ging auf den Fahrstuhl zu, vor sich hin summte er den Refrain von Falcos Der Kommissar.

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Corona-Newsticker:

+++ Asiatischstämmige Mitbürger erleben Anfeindungen. +++

+++ Die Vereinten Nationen spenden New York 250.000 Masken. +++

+++ Geschäft mit Schutzkleidung: Preise sind um 3.000 Prozent gestiegen. +++

+++ Die zehn reichsten Männer der Welt verlieren 75 Milliarden US-Dollar. +++

+++ Onlinemeisterschaft der Deutschen Fußball Liga (DFL): Profi-Fußballer und Profi-Zocker spielen die Fußballsimulation FIFA 20. +++

+++ Portugal: Geflüchtete ohne Aufenthaltsstatus erhalten vorläufiges Asyl. +++

+++ Wegen seiner Zweifel an Corona-Maßnahmen: Internetdienst Twitter löscht zwei Tweets des brasilianischen Präsidenten. +++

+++ Corona-Aprilscherze: In mehreren Ländern drohen Spaßvögeln Haftstrafen. +++

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