Читать книгу Lockdown Luck Down - Matthias Engelhardt - Страница 17

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DIE BONNIE SITUATION

»Die Lage ist ernst, sie ist sehr ernst. [… Wir brauchen jetzt] ein Höchstmaß an bürgerlichem Verantwortungsbewusstsein. […] Wenn sich so viele Menschen nicht freiwillig beschränken, dann bleibt am Ende nur eine bayernweite Ausgangssperre als einziges Instrument, um darauf zu reagieren. Das muss jedem klar sein.« (Dr. Markus Thomas Theodor Söder (CSU), Ministerpräsident des Freistaates Bayern, in einer Regierungserklärung – 19.03.2020)

Ihr hört die Rocking Radio Midnight Show mit dem Besten in Sachen Rock! Wir spielen harte Musik für harte Kerle – und Kerlinnen, denn wir sind genderneutral. Die nächsten fünf Stunden mit mir, Metal Mike!« Michael startete die heutige Mitternachtssendung, doch er klang müde. Das Verhör von Kriminalhauptkommissar Salomanski war doch nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass er als Verdächtiger gegolten hatte – oder sogar immer noch galt, denn so ganz überzeugt hatte Salomanski bis zum Schluss nicht gewirkt.

Michael musste kurz grinsen, als er an den anschließenden SMS-Wechsel mit seinem Chef zurückdachte.

»Das mit der Mikrofonüberwachung war doch Quatsch, oder?«

»Natürlich. Aber wenn du es dem Kommissar nicht weitersagst, werde ich es ihm auch nicht verraten. [Zwinker-Emoticon]«

»Danke! Aber warum hast du das gesagt?«

»Michael, ganz egal, um was es da gerade ging, du warst es nicht.«

Weniger erfreulich war gewesen, dass Michael wieder kein Toilettenpapier abbekommen hatte. Er war bereit gewesen, über seinen Schatten zu springen, und hatte vorgehabt, einen anderen Supermarkt aufzusuchen. Doch als er endlich dort angekommen war, war das güldene Gut natürlich schon wieder ausverkauft gewesen. Bis zum nächsten Tag musste seine letzte Rolle also noch halten.

Michael hatte zwar versucht, sich ein wenig hinzulegen, doch an Schlaf war nicht zu denken gewesen. Musste ihn eben die Musik wach halten! Und die große Kanne extra starken Kaffees, die er sich aufgebrüht hatte.

»Die treuen Stammhörer und Stammhörsies unter euch werden sich an meine Sendung von vorgestern erinnern.« Mit dieser Verballhornung der gendergerechten Sprache, die nur er lustig fand, richtete er das Wort an sein Publikum. »Ich habe da ein wenig vor mich hin philosophiert, wie diese ganzen Endzeitfilme, die wir als Kinder nie sehen durften, sich in ihren Prognosen geirrt haben. Da möchte ich heute anschließen.

In meiner Jugend gab es diesen einen Film, der alle Rekorde gebrochen hat. Außerirdische haben sämtliche Metropolen der Welt in die Luft gejagt, in Zeitlupe! Am Ende hat natürlich das Gute gesiegt, wisst ihr noch? Will Smith und Jeff Goldblum haben die Außerirdischen plattgemacht – mit einem Virus. Aber wisst ihr auch noch, wie die Menschheit zu diesem Sieg gekommen ist? Sämtliche Nationen haben sich zusammengeschlossen und feierten schließlich ihren gemeinsamen Independence Day. Was für eine schöne Utopie! Und Hollywood hat recht: Nicht nur in der Krise sollten wir alle näher zusammenrücken – also, bis auf einen Meter fünfzig natürlich. Aber der Regisseur des Films hätte es besser wissen müssen. Roland Emmerich ist ja Schwabe. Und die Schwaben haben es doch erfunden, dass jeder denunziert werden muss, der einmal seine Kehrwoch’ auslässt!

Wachsen wir denn näher zusammen? Pustekuchen, Freunde! Niemand steht für andere ein! Die USA zeigen mit dem Finger auf China als Verursacher der Corona-Krise. China wiederum behauptet, die Amerikaner hätten ihnen das Virus untergejubelt. Die Österreicher beschimpfen die Italiener, die hätten die Krankheit bei ihnen eingeschleppt. Und die Isländer machen die Schluchtenscheißer verantwortlich für ihre toten Landsleute, weil die ihre Grenzen nicht schnell genug dichtgemacht hätten. Die Rechten machen sich’s wie immer besonders einfach und gleich alle Ausländer verantwortlich. Die allererbärmlichsten Kreaturen tummeln sich natürlich wieder anonym online. Da erklärt sich unsere Regierung bereit, besonders schwer Erkrankte aus besonders schwer betroffenen Gebieten wie dem italienischen Bergamo bei uns zu behandeln – und Tausende schreiben ins Netz: ›Deutsche Intensivbetten den Deutschen! ‹ Ich würde auf den Tisch kotzen, würde ich hier nicht in meiner eigenen Bude hocken!« Michael reckte beide ausgestreckten Mittelfinger Richtung Webcam.

Ja, Tom hatte ihm geraten, sich zurückzuhalten – seine Angst, Michael könnte einem Anschlag zum Opfer fallen, ließ sich nicht gerade als unbegründet bezeichnen. Deswegen hatte Michael auch vorgesorgt. Er hatte sich unsichtbar gemacht, indem er direkt vor die Linse ein Foto des Frontmanns von Motörhead geklebt hatte: »Ian Fraser Lemmy Kilmister 24.12.1945–28.12.2015« stand darauf zu lesen. Lemmy – neben Bon Scott die andere Legende, auf die sich alle Rocker einigen konnten.

Michael leitete zum ersten Song der Nacht über. »Emmanuel Macron, der französische Präsident, hatte völlig recht, als er gesagt hat, wir alle wären im Krieg. Aber nicht gegen das Virus – gegeneinander! Ihr hört Rocking Radio auf der 106.5 mit Metal Mike, und das sind die Gunners mit Civil War. Und möge die Nacht mit euch sein!«

Der Longtrack von Guns n’ Roses endete knappe acht Minuten später mit dem brillanten und von Axl Rose leise gesprochenen Wortspiel. Michael ließ es mit genau neun Sekunden Stille nachwirken. Denn nach zehn Sekunden würde die Havarie anspringen, jener Automatismus, der Rocking Radio vor einem Sendeloch bewahrte, wenn es eine Panne gab oder ein Moderator vergaß, weiterzumachen.

Und Michael machte weiter. »Hi, this is Deep Purple. You are listening to Metal Mike, the best radio guy in the world. Of course only on Rocking Radio.« Mit dieser Station-ID, die er über das markante Intro von Child in Time legte, ließ sich Michael von den Rockgiganten loben. Der Classic Rock-Klassiker sprengte die Zehn-Minuten-Marke, und in dieser Form bestritt Michael die weiteren vier Stunden und vierzig Minuten. Die überlangen Stücke konnte er hervorragend für kleine Powernaps nutzen. Schließlich musste er wieder um Punkt sieben vor Rewedeka stehen – er hatte einen neuen Plan …


Um Punkt sieben stand vor Rewedeka ein seltsam anmutender Kerl. Er trug einen breitkrempigen Strohhut und einen langen Trenchcoat, dessen Kragen hoch ins Gesicht geschlagen war.

»Du kommst hier net rein. Du Hausverbot.« Security Man ließ sich nicht von der Maskerade täuschen. Dabei hatte Michael extra den Rauschebart aus seinem ZZ Top-Faschingskostüm entmottet und vor dem Spiegel einen zittrigen Rentner-Gang einstudiert!

Michael wollte schon das Feld räumen, als ihm eine helle Stimme hinterherrief: »He, Sie!«

Er drehte sich um. Die junge Frau, die in der langen Schlange vor dem Eingang stand und ihn zu sich winkte, kam ihm irgendwie bekannt vor … Richtig! War das nicht die systemrelevante Angestellte, die ihn gestern über die separierenden Einkaufszeiten informiert hatte? Er gesellte sich zu ihr. »Ja, kann ich Ihnen helfen?«

»Sind Sie das?« Sie hielt ihm ihr Mobiltelefon hin, auf dem ein TubeYou-Video lief. Michael sah einen Mann aus der Zimmereckenspinnenperspektive, der gestenreich eine Supermarktverkäuferin zusammenstauchte und dann von einem grobschlächtigen Mann mit Security-Schriftzug auf dem breiten Rücken abgeführt wurde. »Verrückter Klopapier-Mann marodiert in Supermarkt« lautete der Titel. Die Kommentare der 87.739 User, die das Video bislang angeklickt hatten, waren weniger schmeichelhaft. Na, schönen Dank auch: Der Rewedeka-Filialleiter oder irgendein anderer Mitarbeiter musste das Band ins Internet gestellt haben! Huschte da der Anflug eines Grinsens über die verkniffenen Lippen von Security Man?

Michael hingegen wurde knallrot. Ein Leugnen war zwecklos, und er musste zugeben, dass er aus diesem Kamerawinkel wirklich ein gemeingefährliches Bild abgab. »Ich, äh … also, das … Missverständnis … äh, ich …«, stammelte er hilflos.

Doch die Frau lächelte nur. »Hey, alles gut! Die Zeiten sind für alle nicht einfach! Auch nicht für so einen harten Kerl wie Metal Mike.« Sie war nicht nur freundlich zu ihm – sie kannte auch seine Sendung! »Passen Sie auf, wir machen das so: Sie warten hier, und ich bringe Ihnen eine schöne flauschige Packung Toilettenpapier mit. Muss für mich selbst ohnehin auch welches besorgen.«

Michael bedankte sich überschwänglich, warf Security Man einen triumphierenden Blick zu, den dieser nicht weiter zu beachten schien, und wartete geduldig auf ihre Rückkehr.

Wenige Minuten später trat sie aus dem Ausgang. Und sie hatte tatsächlich eine Packung Toilettenpapier in der Hand! Moment, eine Packung? Hatte sie nicht gemeint, für sich selbst auch eine zu besorgen? Mit entschuldigender Miene bestätigte sie seine schlimmsten Befürchtungen. »Es tut mir sooo leid! Die haben die Bestimmungen verschärft: Jeder darf nur noch eine Packung Klopapier kaufen, nicht mehr zwei.«

Nun war Michael definitiv sicher, dass Security Man grinste!

»Haben Sie denn sonst niemanden, den Sie fragen können? Ihre Nachbarn vielleicht?«

Michael lachte bei dem Gedanken an »Nachbarn – einer für alle, alle für einen« bitter auf und schüttelte den Kopf.

Die junge Frau sah leicht verzweifelt drein. »Ich mache es wieder gut, okay? Ich gebe Ihnen jetzt eine Rolle ab. Und morgen treffen wir uns wieder hier. Zur selben Zeit? Ich bin da eh auf dem Weg in die Klinik. Einverstanden? «

»Einverstanden.« Michael nahm den Vorschlag dankbar an. Er würde endlich zu seinem Toilettenpapier kommen! Und diese eine Rolle würde definitiv bis morgen reichen.

»Ich bin Krankenpflegerin. Und ich heiße Bonnie!« – »Michael, TubeYou-Star«, stellten sie sich einander vor. Sie reichten sich nicht die Hand.

»Coole Band übrigens!«, sagte sie und deutete auf sein Shirt, das unter seinem Mantel hervorblitzte. Es zeigte ein Bandfoto aller Mitglieder der Folk-Metaller Die Apokalyptischen Reiter.

»Stimmt. Vor allem live sind die Jungs der Hammer«, pflichtete er ihr bei.

Dann standen sie sich für einen stillen Moment einfach nur gegenüber. Bis sie sich schließlich voneinander lösten und Michael ungeahnt gut gelaunt von dannen zog. Ein Spatzenpärchen zupfte lange Strähnen aus einem Faschingsrauschebart, der in einem beistehenden Mülleimer entsorgt worden war.

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