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Bedürfnisbeeinträchtigungen

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Bei der Klassifikation von Bedürfnissen wird gemeinhin zwischen physiologischen und psychischen Bedürfnissen unterschieden. Eine solche Unterteilung findet sich u. a. sowohl in der humanistischen Psychologie von Maslow als auch in der Motivationstheorie in Form einer Handlungstheorie. Ohne die Frage beantworten zu wollen, welche psychischen Bedürfnisse es im Einzelnen gibt, seien beispielhaft einige benannt, die von Dritten beeinträchtigt werden können:

- Herr Schmitz ist gekränkt darüber, dass sein Arbeitskollege ihn morgens nicht begrüßt (Missachtung).

- Frau Weiner „tut es weh“, dass ihr Mann immer so barsch mit ihr redet (mangelnde Zuneigung).

Im Rahmen eines Gordonschen partnerschaftlichen Beziehungskonzepts spielen derartige Deprivationen keine Rolle, da es bei Gordon um spürbare Beeinträchtigungen im Sinne von konkreten, d. h. objektiv wahrnehmbaren, negativen Folgen geht. Werden die vorgenannten Beeinträchtigungen im Gordon-Konzept auch nicht unter Bedürfnisbeeinträchtigungen eingeordnet, so lassen sie sich jedoch im Sinne von Wertbeeinträchtigungen interpretieren:

- Arbeitskollegen haben sich morgens zu grüßen.

- Man sollte wertschätzend miteinander umgehen.

Was sind nun spürbare Beeinträchtigungen, die ja von Bedeutung für die Gordonsche Bedürfnisdeprivation sind? Im Folgenden werden einige Beispiele dargestellt:

- So muss die Mutter die Diele und das Wohnzimmer noch einmal durchwischen, weil ihr Sohn, vom Spielplatz kommend, mit den schmutzigen Schuhen in die Wohnung gestürmt ist. Dadurch kann sie nicht ein Buch lesen, wie sie es vorhatte (mangelnde Freizeit).

- Die Ehefrau dreht den CD-Spieler sehr laut auf, obwohl ihr Mann zu Hause noch Arbeiten fürs Büro erledigen muss und so in seiner Konzentration gestört wird. Dadurch befürchtet er, Fehler zu machen und sich eine Rüge vom Chef einzuhandeln. Zudem muss er länger an seiner Arbeit sitzen (mangelnde Freizeit, berufliche Nachteile).

- Die Mutter ist müde und muss sich überwinden, noch einmal die Diele und das Wohnzimmer zu putzen, wo ihr Sohn gerade mit schmutzigen Schuhen durch die Wohnung gelaufen ist (Anstrengung).

Die Unterscheidung von spürbaren und nicht spürbaren Folgen im Sinne von objektiv wahrnehmbaren Auswirkungen eines Verhaltens ist (möglicherweise) nicht immer eindeutig zu treffen:

- Im Falle der Mutter, die die Wohnung noch einmal zum Teil durchwischen muss, ist die Folge einer geringeren Freizeit direkt wahrnehmbar: Wenn sie noch putzen muss, kann sie nicht gleichzeitig eine Zeitung oder ein Buch lesen.

- Die Müdigkeit der Mutter und die damit einhergehende Anstrengung beim Putzen der Wohnung sind hingegen interne Personenzustände, die über andere wahrnehmbare Sachverhalte erschlossen werden (Die Mutter hat vor der Hausarbeit schon halbtags gearbeitet und sich noch nicht ausgeruht als Anzeichen für Müdigkeit; Sie keucht und seufzt beim Putzen als Anzeichen für Anstrengung).

Wie weiter unten dargelegt wird, werden Bedürfnisbeeinträchtigungen mittels einer bestimmten Botschaft mitgeteilt. Letztendlich kommt es dann darauf an, dass eine vorgetragene Beeinträchtigung für eine andere Person verständlich, d. h. nachvollziehbar ist. Und das ist in der Regel eher gegeben, wenn die Folgen in irgend einer Form (ob direkt oder indirekt) wahrnehmbar sind. Ob ein Verhalten von einer Person als Bedürfnisbeeinträchtigung erlebt wird, ist abhängig von spezifischen Faktoren (Persönlichkeit, momentane Lebenssituation, aktuelle Befindlichkeit, unterschiedliche Bewertung von Personen), auf die schon weiter oben im Zusammenhang mit der Annehmbarkeit eines Verhaltens eingegangen wurde. Ergänzend soll hier nun noch eine weitere Einflussgröße, d. h. der materielle Wohlstand, benannt werden. In Abhängigkeit von einem bestimmten Einkommen werden bestimmte Verluste als Lappalie oder als schmerzhaft angesehen .

So muss sich eine Familie, die von Hartz 4 lebt, noch mehr einschränken, wenn der Mann häufiger in die Kneipe geht. Dieses ist nicht der Fall, wenn die Eheleute berufstätig sind und jeder für sich über ein ausreichendes Einkommen verfügt.

Wertbeeinträchtigungen

Werte drücken bestimmte Einstellungen hinsichtlich Ästhetik, Geschmack, Sitten oder Meinungen aus.

- Herr Albrecht ist gläubiger Christ und lehnt Abtreibung ab.

- Frau Winter schätzt es, wenn ihre Kinder sitzen bleiben, wenn Personen am Tisch noch essen und die Kinder nicht mit vollem Mund sprechen.

- Frau Zeitler ist der Meinung, dass ein Mann nur mit Anzug ins Konzert gehen sollte.

Wertbeeinträchtigungen liegen nun dann vor, wenn Personen eine Missachtung ihrer Einstellungen erleben:

- Die Tochter von Herrn Albrecht will abtreiben.

- Die Kinder von Frau Winter springen, nachdem sie gegessen haben, vom Tisch auf.

- Der Mann von Frau Zeitler will mit Jeans ins Konzert gehen.

Unterscheiden sich Personen darin, ob ein bestimmtes Verhalten eine Bedürfnisbeeinträchtigung nach sich zieht oder nicht, so gibt es ebenfalls individuelle Unterschiede hinsichtlich dessen, was als Wertbeeinträchtigung angesehen wird.

Für Frau Winter ist es nicht akzeptabel, wenn sie morgens im Büro nicht gegrüßt wird, hingegen stört dieses Frau Sommer nicht. Frau Winter hingegen stört es nicht, wenn ihr Sohn Thomas vom Tisch aufsteht, wenn noch nicht alle mit dem Essen fertig sind. Hingegen kann Frau Sommer dieses überhaupt nicht ausstehen.

Bedürfnis- oder Wertbeeinträchtigungen

Es lässt sich nicht per se sagen, ob das Verhalten eines anderen als bedürfnis- oder wertbeeinträchtigend erlebt wird. Das belegen die folgenden Beispiele:

- Dreht der Sohn die Musikanlage laut auf, so kann es sich um eine Bedürfnisbeeinträchtigung handeln, wenn die Mutter daraufhin Kopfschmerzen bekommt, hingegen um eine Wertbeeinträchtigung, wenn sie der Meinung ist, es gehört sich nicht, so einen Lärm in der Wohnung zu machen.

- Beteiligt sich der Ehemann nicht an der Hausarbeit, so kann dieses für eine Ehefrau eine Bedürfnisbeeinträchtigung sein, sofern sie berufstätig ist und deshalb weniger Freizeit hat, hingegen eine Wertbeeinträchtigung, wenn sie nicht berufstätig ist und gleichwohl der Meinung ist, dass Männer heutzutage im Haushalt helfen sollten.

- Wenn Ihr Arbeitskollege viel privat telefoniert, stellt dieses eine Bedürfnisbeeinträchtigung dar, wenn Sie für Ihre Tätigkeit eine hohe Aufmerksamkeit benötigen und Sie durch das laute Sprechen eine längere Zeit für die Tätigkeit erübrigen müssen, so dass Sie gezwungen sind, Überstunden zu machen. Hingegen ist dieses eine Wertbeeinträchtigung, wenn Sie der Meinung sind, dass das häufige private Telefonieren am Arbeitsplatz nicht richtig ist.

Einordnung des unannehmbaren Verhaltens nach der vorliegenden Beeinträchtigung

Sieht eine Person ein Verhalten als unannehmbar an, so muss sie zunächst einmal für sich abklären, woran das liegt: Ist es deshalb der Fall, weil ein oder mehrere Bedürfnisse beeinträchtigt werden oder weil das Verhalten einer bestimmten Ästhetik, dem Geschmack, der Sitte oder Meinung widerspricht? In einigen Situationen kann ein Verhalten darüber hinaus sowohl bedürfnis- als auch wertbeeinträchtigend sein. Es stellt sich dann die Frage, wie eine Person hiermit umgehen soll: Soll sie dem anderen mitteilen, dass sie gleichzeitig sowohl in einem ihrer Bedürfnisse als auch in einem ihrer Werte beeinträchtigt worden ist, oder soll sie nur eine Art der Beeinträchtigung mitteilen? Die Frage lässt sich beantworten, wenn man sich vor Augen führt, dass im Gordon-Modell mit Bedürfnisbeeinträchtigungen anders umgegangen wird als mit Wertbeeinträchtigungen. Dieses spricht dann dafür, für sich abzuklären, welche Beeinträchtigungsart man am liebsten abstellen möchte. Letztendlich läuft es dann darauf hinaus, dass man die Art der Beeinträchtigung zum Thema macht, unter der man am stärksten leidet.

(2) Interventionen hinsichtlich unannehmbarer Verhaltensweisen als Folge von Bedürfnisbeeinträchtigungen

Beruht unannehmbares Verhalten darauf, dass entweder eine Bedürfnis- oder aber Wertbeeinträchtigung vorliegt, so soll in diesem Abschnitt auf bedürfnisbeeinträchtigende Verhaltensweisen eingegangen werden. Es werden zunächst nicht angemessene Reaktionen auf Beeinträchtigungen vorgestellt, sodann angemessene.

Nicht angemessene Verhaltensweisen

Gordon (u. a. Gordon, „Die neue Beziehungskonferenz“, 2002, 105 f.) verweist auf Du-Botschaften, die im Zusammenhang mit dem Thema „der andere hat ein Problem“ schon mit Kommunikationssperren bezeichnet wurden. Derartige Botschaften sollen (ebenfalls) beispielhaft dargestellt werden.

Situation:

Ihr Sohn kommt wiederholt mit schmutzigen Schuhen vom Spielplatz und stürmt in die Wohnung, die Sie gerade geputzt haben. Hierauf können Sie in verschiedener Weise reagieren:

Eine Lösungsbotschaft setzen

 befehlen:

„Jetzt zieh’ sofort Deine Schuhe aus!“

 anweisen:

„Zieh’ Dir das nächst Mal Deine Schuhe draußen aus!“

 drohen:

„Wenn Du das nächste Mal Deine Schuhe nicht draußen ausziehst, dann kannst Du Dich auf etwas gefasst machen!“

 zureden:

„Zieh’ bitte Deine Schuhe aus.“

 zuraten:

„Zieh’ Deine Schuhe aus. Dann bleibt der Fußboden sauber.“

 moralisieren:

„Du musst Deine Schuhe ausziehen, wenn Deine Mutter es Dir sagt. Sonst bist Du ein ungezogenes Kind.“

Eine herabsetzende Botschaft senden

 kritisieren:

„Ich habe Dir schon so oft gesagt, dass Du Deine Schuhe ausziehen sollst. Ich mache alles für Dich, und Du kannst mir nicht einmal einen kleinen Gefallen tun. Was bist Du nur für ein undankbares Kind!“

 beschuldigen:

„Du machst mich völlig fertig mit Deiner Art!“

 interpretieren:

„Du willst mich mit Deinem Verhalten nur provozieren!“

 belehren:

„Warum ziehst Du nicht mal Deine Schuhe aus. Dann wird der Boden auch nicht dreckig.“

Eine indirekte Botschaft senden

 sarkastisch sein:

„Vielen Dank dafür, dass ich den Fußboden wieder putzen darf!“

 aufziehen:

„Bist Du etwa ein Zauberer, der bei schmutzigen Schuhen keine Abdrücke hinterlässt?“

Du-Botschaften übermitteln dem anderen nur indirekt Empfindungen, die mit seinem Verhalten einhergehen: So kann hinter einer Aussage wie „Du bist so rücksichtslos“ eine Empfindung stehen wie Enttäuschung oder Traurigkeit, Hilflosigkeit, Angst etc.

Welche Wirkungen haben nun Du-Botschaften aus der Sicht des Gordon-Modells? (u. a. Gordon, „Familienkonferenz“, 2000, 121ff)

- Lösungsbotschaften schränken die Freiheit eines Menschen ein, darüber zu bestimmen, wie er sein Verhalten ändern möchte. Er wehrt sich folglich dagegen.

- Herabsetzende Botschaften drücken einen Mangel an Respekt dem anderen gegenüber aus. Sie führen zu Schuldgefühlen und zu einem Verlust an Selbstachtung, ggfs. auch dazu, sich ungerecht behandelt zu fühlen. Dies hat ebenfalls Widerstand zur Folge.

- Indirekte Botschaften drücken einen Mangel an Offenheit aus, und sie können ebenfalls Wirkungen wie bei herabsetzenden Botschaften entfalten (u. a. Gordon, „Lehrer-Schüler-Konferenz“, 2000, 119 f.)

Da Gordon Du-Botschaften ablehnt, soll nun dargestellt werden, in welcher Weise Personen im partnerschaftlichen Beziehungsmodell auf unannehmbares Verhalten von anderen reagieren können.

Angemessene Verhaltensweisen: Die Konfrontierende Ich-Botschaft

Als erstes ist zu sagen, dass auf unannehmbares Verhalten ebenfalls mit einer Botschaft reagiert werden soll. Der Inhalt einer solchen Botschaft unterscheidet sich jedoch von den gerade thematisierten Du-Botschaften. Es soll zunächst dargelegt werden, welchen Kriterien eine solche Botschaft genügen muss:

Die hier als Kriterien für eine wünschenswerte Botschaft formulierten nachfolgenden Sachverhalte werden im Gordon-Familientraining als Auswirkungen der Ich-Botschaft behandelt (vgl. Hg. Breuer, Karlpeter: „Handbuch für Kursleiterinnen und Kursleiter im Gordon-Familientraining“ 1997, V, 13.

- Sie soll zu einer Verhaltensänderung motivieren.

Befehlen und Drohen motivieren zwar auch zu einer Verhaltensänderung, dies jedoch im Sinne der Vermeidung von Bestrafung. Hingegen ist hier von Motivierung auf der Grundlage der Selbstkontrolle die Rede.

- Die Selbstachtung des anderen soll erhalten bleiben.

Dies ist nicht der Fall, wenn andere beschämt, kritisiert, moralisiert oder beschuldigt werden.

- Der andere soll die Möglichkeit erhalten, selbst zur Problemlösung beizutragen.

Dies ist nicht der Fall, wenn befohlen oder gedroht wird.

- Die Beziehung soll nicht beeinträchtigt werden.

Eine Beeinträchtigung findet statt durch unterschiedliche Formen von Du-Botschaften.

Im Gordon-Modell wird davon ausgegangen, dass eine Botschaft mit den nachfolgenden Merkmalen die zuvor genannten Kriterien erfüllt (Gordon, „Die neue Beziehungskonferenz“, 2002, 97ff; Adams, Lenz: Beziehungskonferenz, 2001, 125ff).

Zunächst wird dem anderen mitgeteilt, was mich stört. Damit wird auf das unannehmbare Verhalten Bezug genommen. Es wird unterschieden zwischen einer Verhaltensbeschreibung und Urteilen über ein Verhalten. Letzteres ist zu vermeiden. Ein Verhalten zu beschreiben beinhaltet, diesem keine weiteren Bedeutungen zuzuweisen, als das, was sich beobachten lässt. Eine Verhaltensbeschreibung lässt sich dann von einer Beurteilung dadurch abgrenzen, dass bei letzterer über die Beobachtung hinausgehende Feststellungen getroffen werden.

Ein Beispiel:

Statt dass eine Mutter zu ihrer Tochter sagt: „Ich finde Deine Wäsche in Deinem Zimmer auf dem Boden und dem Bett, im Wohnzimmer auf dem Sofa und in den Sesseln“, spricht sie zu ihr: „Du bist unordentlich.“

Unordentlich sein stellt ein Urteil dar, das aus einem Verhalten geschlussfolgert wird und das auf Widerspruch derjenigen Person stoßen kann, die so bezeichnet wird. Sie sagt dann womöglich: „Ich bin ja gar nicht unordentlich.“ Die Folge ist, dass eine Auseinandersetzung darüber stattfindet, ob nun Unordentlichkeit vorliegt oder nicht. Die Mutter dringt so mit ihrem eigentlichen Anliegen, das Verhalten der Tochter abstellen zu wollen, nicht durch: Die Tochter schaltet auf stur. Urteile beinhalten eine Etikettierung von Personen. Während Personen gegen (präzise und korrekte) Verhaltensbeschreibungen kaum etwas einwenden, ist dieses anders bei Etikettierungen: Gegen negative Eigenschaftszuschreibungen wehrt man sich zunächst, ggfs. wird eine solche Umweltzuschreibung später als Teil der eigenen Identität übernommen und fördert dann abweichendes Verhalten (vgl. in diesem Sinne Aussagen des labeling approachs, einer Kriminalitätstheorie).

Das unannehmbare Verhalten kann auch übertrieben dargestellt werden. Übertreibungen finden statt, wenn in Aussagen „nie“ und „immer“ verwendet werden.

- „Nie räumst Du Dein Zimmer auf.“

- „Immer bist Du unpünktlich.“

Statt dessen ist es besser zu sagen:

- „Die letzten zwei Wochen habe ich in Deinem Zimmer sechsmal Kleidungsstücke vom Boden aufgehoben.“

- „Von den letzten fünf Verabredungen bist Du dreimal mindestens eine viertel Stunde zu spät gekommen.“

Übertreibungen begünstigen ebenfalls eine mangelnde Bereitschaft, ein unannehmbares Verhalten abzustellen: Das weitere Gespräch wird dann hauptsächlich darum geführt, ob die Aussagen „immer“ und „nie“ tatsächlich zutreffen.

Als Zweites wird auf spürbare Beeinträchtigungen hingewiesen als Folge des Verhaltens. Spürbare negative Folgen lassen sich untergliedern in verschiedene Beeinträchtigungsarten, wovon einige beispielhaft dargestellt werden:

- Mangelnde Freizeit

Unannehmbare Verhaltensweisen Dritter führen häufig dazu, dass durch sie Tätigkeiten ausgeübt werden müssen, die zu weniger Freizeit führen.

Beispiel:

Die Wohnung muss noch einmal geputzt werden. Dadurch ist keine Zeit mehr für das Lesen eines Buchs.

- Anstrengung

Tätigkeiten, die als Folge des Auftretens einer negativ bewerteten Verhaltensweise verrichtet werden müssen, können mit Anstrengung verbunden sein oder aus anderen Gründen als unangenehm erlebt werden.

Beispiel:

Das Putzen wird als anstrengend erlebt, ebenso wie das Tragen von schweren Einkaufstaschen.

- Zerstören von Gegenständen

Bestimmte Verhaltensweisen können zur Folge haben, dass Gegenstände zerstört werden, an denen man hängt, oder, wenn diese ersetzt werden, dass dann andere Dinge, die man gerne haben würde, nicht gekauft werden können.

Beispiel:

Beim Herumrennen im Wohnzimmer stößt Sven eine wertvolle Vase um, die dadurch zerbricht. Die Vase gehörte den Eltern von Frau W., die deshalb traurig über den Verlust ist. Ein Ersatz dieser Vase führt darüber hinaus dazu, dass eine andere geplante Anschaffung erst einmal zurückgestellt werden muss.

- Körperliche Beeinträchtigung

Sehr häufig sind Verhaltensweisen unangenehm, weil sie die körperliche Befindlichkeit beeinträchtigen.

Beispiele:

Kopfschmerzen aufgrund starken Lärms von der Musikanlage des Ehemannes; ein bestimmter unausstehlicher Geruch als Folge eines verbrannten Essens der Ehefrau (Brechreiz); eine Stauchung des Knöchels als Folge des Herumliegens von Gegenständen; die Reinigung der Toilette, die der Sohn nicht sauber hinterlassen hat, erfolgt mit Ekelgefühlen (Brechreiz).

- allgemein: Verhinderung von Bedürfnisbefriedigung

Beispiel:

Die Mutter möchte ein spannendes Buch lesen und wird gestört durch laute Musik ihres Sohnes.

Sind gerade unterschiedliche spürbare negative Folgen genannt worden, so kann eine Ich-Botschaft auch Folgen enthalten, die nicht den hier angesprochenen entsprechen:

- Die ein unannehmbares Verhalten erleidende Person kündigt hierfür Bestrafung an.

Die Person geht hier nicht auf die eigene Beeinträchtigung ein, sondern benennt Konsequenzen, die sie aus dem Verhalten des anderen zieht.

Beispiel:

Die Mutter sagt zu Jürgen: „Da Du das Fernsehen so laut aufgedrehst hast, darfst Du heute nicht zum Fußballspielen gehen.“

Eine Person kann auch neben der Mitteilung über für sie spürbare negative Folgen zusätzlich Konsequenzen ankündigen:

Beispiel:

So sagt Jürgens Mutter: „Du hast das Fernsehen so laut aufgedreht, dass ich es bis in die Küche gut hören konnte. Deshalb konnte ich die Zeitung nicht lesen. Du darfst deshalb heute nicht zum Fußballspielen.“

- Eine Person verweist auf Beeinträchtigungen für andere.

Führt eine Person ein unannehmbares Verhalten aus, so kann eine andere auf Beeinträchtigungen für Dritte verweisen, anstatt eigene Folgen zu benennen.

Beispiel:

Jürgen dreht das Fernsehen so laut auf, dass seine Mutter beim Lesen gestört wird. Sie spricht dieses jedoch nicht Jürgen gegenüber an, sondern verweist auf den ebenfalls anwesenden Vater, der bei Büroarbeiten gestört würde.

Im Gordon-Beziehungsmodell soll jede Person, die sich beeinträchtigt fühlt, nur für sich selbst sprechen.

Im vorliegenden Beispiel wäre es dann an der Mutter, nur auf ihre eigene Beeinträchtigung zu verweisen. Darüber hinaus müsste der Vater selbst mit dem Sohn sprechen, wenn er sich bei seiner Büroarbeit beeinträchtigt fühlt.

- Die beeinträchtigte Person bewertet das Verhalten des anderen negativ.

Eine Person kann ein Verhalten zwar exakt beschreiben, aber der Beschreibung eine moralische Bewertung nachfolgen lassen.

Beispiel:

Die Mutter sagt zu Jürgen, wenn er das Fernsehen so laut aufdrehe, dann sei das rücksichtslos.

Schließlich sollen die mit den Folgen einhergehenden Empfindungen benannt werden. Die Empfindung, an die man zuerst denkt, wenn man sich durch ein Verhalten geschädigt fühlt, ist Wut und Ärger. Gordon weist jedoch darauf hin, dass diese Empfindungen nachrangige Emotionen sind, denen zumeist andere, primäre Emotionen wie Angst, Erschrecken, Traurigkeit, Entsetzen, Enttäuschung, Verzweiflung etc. zugrunde liegen (u. a. Gordon, „Die neue Beziehungskonferenz“, 2002, 103 f.).

Beispiele:

- Wenn die Mutter ärgerlich ist, weil ihr Sohn Jens eine teure Vase und damit auch ein Erbstück zerbrochen hat, dann ist sie traurig über den Verlust und enttäuscht über das Verhalten, weil sie Jens schon mehrere Male gesagt hatte, dass er im Wohnzimmer nicht herumrennen soll.

- Wenn die Ehefrau unerwartet spät von der Arbeit nach Hause kommt, dann ist ihr Mann beunruhigt darüber, dass etwas passiert ist.

- Wenn der Ehemann zum wiederholten Male viel Geld im Kasino verspielt hat, dann ist seine Frau darüber sehr verzweifelt, weil dieses Geld für nötige Anschaffungen fehlt.

Es wird empfohlen, dass Personen darüber nachdenken, welche Emotionen dem Ärger zugrunde liegen könnten, um diese dann anstelle des Ärges zu benennen: Werden primäre Emotionen benannt, dann führt dieses auch dazu, dass die Bereitschaft steigt, ein unannehmbares Verhalten zu verändern.

Beispiel:

Wenn die Mutter mitteilt, dass sie ärgerlich darüber ist, dass ihre teure Vase von Jens zerbrochen wurde, dann wird er eher in eine Position gebracht, sein Verhalten zu verteidigen, als wenn die Mutter ihm Einblick in ihr Erleben der

Traurigkeit gibt. Die Betroffenheit ist bei ihm größer und damit ggfs. auch die Bereitschaft, demnächst nicht mehr im Wohnzimmer so umherzurennen.

Der Gefühlsausdruck sollte dabei der Gefühlsintensität entsprechen (Lenz, Adams, „Beziehungskonferenz“, 2001, 127).

Betrachten wir noch einmal das Beispiel mit den schmutzigen Schuhen des Kindes, das die Wohnung betritt, nachdem die Mutter diese gerade geputzt hatte. Eine Konfrontierende Ich-Botschaft der Mutter an ihr Kind könnte dann lauten:

„Wenn Du mit nassen Schuhen durch die Diele, Küche und das Wohnzimmer rennst, dann sind Deine Abdrücke auf dem Boden zu sehen. Ich muss dann wieder putzen, obgleich ich immer noch viele andere Dinge zu erledigen habe. Ich komme dann nicht dazu, mich wenigstens für ein paar Minuten hinzusetzen, um mich auszuruhen. Und das macht mich unzufrieden.“

Konfrontierende Ich-Botschaft im Vergleich mit Feedback

Gibt eine Person einer anderen ein Feed-Back über ihr Verhalten, so erhält diese Informationen darüber, wie das Verhalten wahrgenommen wird. Grundregeln des Feed-Backs sind dabei (vgl. hierzu u. a. Proksch, Stefan: Konfliktmanagement im Unternehmen, 2014, 73):

- Verhalten soll beschreibend, konkret und zeitnah erfolgen.

- Feedback soll nützlich sein, d. h. sich auf Dinge beziehen, die der andere auch tatsächlich beeinflussen kann.

- Feedback sollte erfolgen, wenn der andere hierzu fähig und bereit ist.

Die genannten Merkmale (beschreibend, konkret) hinsichtlich des Formulierens von Verhaltensbotschaften sind auch Bestandteil der Konfrontierenden Ich-Botschaft, die darüber hinaus noch weitere Merkmale enthält: Mitteilen von spürbaren Folgen und Empfindungen. Auch Konfrontierende Ich-Botschaften sollten erfolgen, wenn die andere Person hierzu bereit und fähig ist und darüber hinaus ist es sinnvoll, derartige Ich-Botschaften auf Verhaltensweisen zu beziehen, die die andere Person auch ändern kann. Konfrontierende Ich-Botschaften lassen sich so als eine spezifische Form des Feedbacks charakterisieren.

Wann ist eine Konfrontierende Ich-Botschaft nun wirksam?

Es lassen sich verschiedene Gründe benennen:

- Der andere erfährt erst durch die Konfrontierende Ich-Botschaft, dass sein Verhalten für die andere Person negative Folgen hat. Zugleich ist mit dem Verhalten keine nennenswerte Bedürfnisbefriedigung verbunden.

- Mit dem unannehmbaren Verhalten ist zwar eine Bedürfnisbefriedigung verbunden, jedoch wird der andere durch die Konfrontierende Ich-Botschaft angeregt, erfolgreich über Alternativen zur Bedürfnisbefriedigung nachzudenken.

- Die Konfrontierende Ich-Botschaft kann beim anderen eine Werthaltung der Rücksichtnahme aktivieren.

- Die Konfrontierende Ich-Botschaft kann beim anderen ein Hilfsmotiv anregen.

Risiken, die mit einer Konfrontierenden Ich-Botschaft verbunden sind

Thomas Gordon (Gordon, Thomas: „Familienkonferenz“, 2000, 133) verweist darauf, dass man mit einer Konfrontierenden Ich-Botschaft dem anderen einen Einblick in sein Innenleben gewährt. Das kann als unangenehm erlebt werden, wenn die Angst besteht, dass man dadurch für den anderen angreifbarer wird. Positiv ist jedoch zu bewerten, dass Aufrichtigkeit auch zu einer herzlicheren Beziehung führt.

Ich-Botschaften und die Freiheit des Verhaltens

Eine Konfrontierende Ich-Botschaft informiert den anderen zwar über sein unannehmbares Verhalten, belässt jedoch die Konsequenzen, die der Angesprochene daraus ziehen will, bei ihm: Der andere hat die Freiheit, sich für eine Verhaltensänderung zu entscheiden und die Art der Änderung zu bestimmen oder aber sein Verhalten (zunächst) beizubehalten. Behält der andere sein Verhalten bei, habe ich meinerseits das Recht, mich mit dem unannehmbaren Verhalten nicht abfinden zu müssen. Wir beide bleiben dann im Gespräch, was seinen Niederschlag findet in der Anwendung weiterer Methoden. Diese sind dann Gegenstand der folgenden Abschnitte.

Empfehlungen zur Reaktion auf unannehmbares Verhalten

- Führt eine andere Person ein unannehmbares Verhalten aus, so sollte zunächst einmal überprüft werden, ob ein Bedürfnis oder ein Wert beeinträchtigt wird.

- Liegt ein bedürfnisbeeinträchtigendes Verhalten vor, so sollte dann geklärt werden, ob dieses anzusprechen oder zu ignorieren ist. Dieses ist dann abhängig vom Ausmaß der Störung.

Gegebenenfalls wird die andere Person überfordert, wenn sämtliches bedürfnisbeeinträchtigendes Verhalten angesprochen wird. Dies gilt für Beziehungen, wo sich Personen fast täglich und zudem über einen längeren Zeitraum sehen. Deshalb kann es auch manchmal ratsam sein, eine Beseitigung eines unannehmbaren Verhaltens auf anderen Wegen anzustreben, wie z. B. über die Veränderung der Umgebung. Möglicherweise kann man auch (durch veränderte Kognitionen) lernen, mit geringfügigen Beeinträchtigungen besser zu leben. Dieses lehrt zumindest die kognitive Verhaltenstherapie.

- Soll das unannehmbare Verhalten angesprochen werden, so ist zu überlegen, wann dies erfolgen soll.

Zu beachten ist, dass für ein solches Gespräch Zeit zur Verfügung stehen sollte, um in Ruhe reden zu können: Sowohl derjenige, der ein Problem ansprechen möchte, sollte Zeit haben, als auch derjenige, mit dem man sprechen möchte. Darüber hinaus sollten Beeinträchtigungen nicht im Zustand hoher emotionaler Erregung (Ärger) angesprochen werden, da sonst die Gefahr des Sendens von Du-Botschaften besteht.

- Schließlich ist zu überlegen, wie ein Verhalten angesprochen werden soll. Eine solche Vorbereitung ist um so wichtiger, je wünschenswerter eine Verhaltensänderung angesehen wird.

Miteinander statt gegeneinander-Partnerschaftliches Problemlösen

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