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Die Realität des Krieges

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Reusch erhielt viele handschriftliche Briefe von Soldaten an den verschiedenen Fronten. Er antwortete in der Regel prompt und er kümmerte sich in Einzelfällen um die Nöte der Soldaten, die an ihn schrieben. Der Historiker darf also annehmen, dass er ein einigermaßen realistisches Bild von dem Elend an der Front erhielt. Umso mehr befremdet seine Reaktion in einigen Einzelfällen.

Als ihn ein Gefreiter um „Liebesgaben“ für die Rekruten aus Oberhausen und Mülheim zu Weihnachten bat, vermerkte er auf dem Schreiben lediglich: „Antworten Sie dem Mann, dass derartige Gesuche nur von uns berücksichtigt werden können, wenn sie von dem kommandierenden Offizier ausgehen.“135 Ein Rittmeister dagegen, im zivilen Leben Königlicher Oberbergrat, erhielt je 50 Flaschen Rot- und Weißwein „mit den besten Grüßen für den weiteren Verlauf des Feldzuges“. Als derselbe Rittmeister ein halbes Jahr später die Wein-Vorräte aufgebraucht hatte und um Nachschub bat, erhielt er allerdings eine Abfuhr: „Es tut mir außerordentlich leid, dass ich diesmal Ihrer Bitte, Ihnen mit einer Weinsendung unter die Arme zu greifen, nicht entsprechen kann.“ Die Vorräte im Werksgasthaus seien bereits zu stark geschrumpft.136 Aus eigener Tasche zahlte Reusch die Liebesgaben an den Rittmeister also nicht. Allerdings war er bereit, seine goldene Uhrkette für die Rüstung zu spenden. Dem Oberbürgermeister Havenstein schrieb er: „Ich wollte schon zweimal meine goldene Uhrkette bei der Oberhausener Goldankaufsstelle abliefern, um dagegen eine eiserne Kette zu erhalten. Beidemal wurde mir geantwortet, dass eiserne Ketten nicht vorhanden seien. Ich wollte nicht verhehlen, Ihnen hiervon Kenntnis zu geben.“137

Ende 1915 erkundigte sich ein Unteroffizier, vor dem Krieg Maschinist im Werk Neu-Oberhausen, voller Sorge nach dem Schicksal seiner Familie. Er hatte vier Kinder, das älteste davon 9 Jahre. Die Versorgung der Zivilbevölkerung war anscheinend schon zu Beginn des zweiten Kriegswinters so schlecht, dass die Frau ihrem Mann einen verzweifelten Brief geschrieben hatte. Die Werksleitung nahm die Anfrage des Unteroffiziers zum Anlass, erst einmal gründlich zu recherchieren. Dr. Lueg, der Werksleiter persönlich, berichtete Reusch, dass Neu-Oberhausen der Frau eine Krieger-Unterstützung von monatlich 23 Mark zahle, ferner einen Mietzuschuss von 8 Mark. Zweimal habe sie eine zusätzliche Unterstützung von 20 Mark erhalten. „Auch haben wir Weihnachten eines ihrer Kinder beschert.“ Die Frau habe sich mehreren Unterleibsoperationen unterziehen müssen. Die Kosten für die erste Operation in Höhe von 26 Mark habe ihr der Arzt bis nach dem Krieg gestundet, die Rechnungen für die weiteren Operationen habe die Armenverwaltung übernommen. Für die Kleidung ihrer Kinder habe sie 43 Mark Schulden gemacht, diese werde das Werk begleichen. „Die Frau macht einen ordentlichen Eindruck, sie scheint aber etwas hysterisch veranlagt zu sein, denn es liegt kein Grund vor, dass die Frau verzweifelt, da ihre Verhältnisse geordnete sind. … Gleichzeitig haben wir sie gebeten, ihrem Mann solche Klagebriefe nicht mehr zu schreiben und ihn nicht ganz unnötigerweise aufzuregen.“138 Eine Abschrift des Schreibens an Reusch erhielt der Vorgesetzte des besorgten Unteroffiziers. Ausdrücklich im Auftrag Reuschs wurde ihm mitgeteilt, dass die Familie von Staat und Gemeinde 58 Mark und zusätzlich von der GHH noch 31 Mark erhalte. Für die Familie würde ausreichend gesorgt, „wie es überhaupt Gepflogenheit der Gutehoffnungshütte ist, überall dort helfend einzuspringen, wo eine besondere Notlage Hülfe notwendig macht.“ Für den Unteroffizier liege also kein Anlass vor, „über das Schicksal seiner Familie beunruhigt zu sein“.139

Auch von Offizieren erhielt Reusch nicht nur optimistische Durchhalte-Berichte. Im zweiten Kriegsjahr wussten die Soldaten längst über den schrecklichen Hunger in der Heimat bescheid. Als ihn ein Oberleutnant darauf ansprach, reagierte der Konzernherr verschnupft: „Es kann keine Rede davon sein, dass wir wirtschaftlich nicht durchhalten werden. Wir werden mit der Zeit den Riemen noch etwas enger schnallen als bisher, aber durchhalten werden wir, aushungern werden uns unsere Feinde nicht.“140 Am Ende des Jahres 1916 erhielt Reusch von demselben Offizier einen Stimmungsbericht von der Front, den er so nicht akzeptieren wollte. Er widerspreche anderen Nachrichten, die er vom Kriegsschauplatz erhalten habe. „Im allgemeinen wird von den meisten Herren, mit denen ich sprach, die Stimmung der Leute als überraschend gut bezeichnet.“141 Dabei wusste Reusch sehr wohl, was die Soldaten an der Front zu ertragen hatten: „Sie scheinen ja harte Kämpfe durchgemacht zu haben. Ich freue mich zu hören, dass Sie alles gut überstanden haben. Mit Eintritt der besseren Jahreszeit kommen hoffentlich auch für Sie und Ihre Truppen etwas bessere Tage; wenigstens sind Sie nicht mehr so sehr den Unbilden der Witterung ausgesetzt.“142

Ein anderer Leutnant, der nach schweren Kämpfen gesundheitlich angeschlagen war, bat den GHH-Chef um seine „Reklamation“ für die Arbeit im Walzwerk, an einem Hochofen oder auch in einem Labor. Reusch schickte ihm umgehend eine glatte Absage: Eine Reklamation sei in seinem Fall schwer zu rechtfertigen und daher wahrscheinlich aussichtslos. „Es tut mir leid, Ihnen unter diesen Umständen keine Aussicht machen zu können, Sie von den Anstrengungen des Krieges zu befreien.“143 Der Leutnant entschuldigte sich erschrocken für seine Bitte.144

Auch in der Öffentlichkeit unterstützte Reusch die Kriegsanstrengungen nach Kräften. Als der „Generalanzeiger“ ihn um einen „Sinnspruch“ für eine Großanzeige zur neuen Kriegsanleihe bat, war er sofort dabei. Drei Tage später schickte er der Zeitung die folgenden Verse zur Veröffentlichung: „Der einzelne Mensch ist nichts, / das Vaterland ist alles! Das / Vaterland ruft! Darum / Bürger und Bauer / Hoch und Nieder / Alt und Jung / Heraus mit dem letzten Groschen!/ 10/X. 17 R.“145 Ein halbes Jahr später formulierte er für die „Kölnische Zeitung“ in Prosa: „Ein günstiges Ergebnis der achten Kriegsanleihe bricht voraussichtlich den letzten Widerstand unserer Feinde.“146

Die von ihm selbst gezeichneten Kriegsanleihen hatte Reusch schon lange vorher abgestoßen. Im Herbst 1916 finanzierte er damit den Kauf des Schlosses Katharinenhof bei Backnang in Württemberg. Er verhielt sich als Privatmann dabei durchaus rational, wusste er doch zweifellos, dass in der Industrie die Flucht aus den Kriegsanleihen in vollem Gange war. Krupp z. B. hatte für die gigantische Summe von 310 Millionen Mark Kriegsanleihen gekauft, stieß den größten Teil davon aber schon während des Krieges diskret ab, so dass der Essener Konzern 1918 nur noch Papiere im Nennwert von 8 Millionen besaß.147

Der Ruhrbaron aus Oberhausen Paul Reusch

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