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FÜHRT INDIVIDUALISIERUNG NOTWENDIG ZUM INDIVIDUALISMUS?

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Individualisierung

Die andere Seite der Medaille der Pluralisierung ist die Individualisierung. Dieser Begriff beschreibt die Tatsache, dass der Mensch durch die oben angedeuteten gesellschaftlichen Umwälzungen immer mehr auf sich selbst gestellt ist. Er selbst muss die Entscheidungen treffen, wie er sein Leben einrichtet, niemand nimmt ihm mehr diese Entscheidung ab. Was früher die Familie oder das Milieu, aus dem man stammt, vorgeprägt hatte, ist nun Sache des Individuums. Dies bietet ihm oder ihr nicht nur Freiheiten und Optionalität, sondern kann auch zur bitteren Last bis hin zur Unfähigkeit zur Entscheidung werden. Immer mehr wird er oder sie von der „Qual der Wahl“ heimgesucht. Junge Menschen müssen aus einem schier unendlichen Meer an Möglichkeiten zur Berufsausbildung auswählen, junge Erwachsene müssen entscheiden, an welchem Ort, in welchem Zweig des Berufsschulwesens oder der Hochschule sie ihren Platz finden, Ausgebildete finden – in Zeiten wirtschaftlichen Erfolgs – zahlreiche Optionen vor, müssen sich aber höchst flexibel zeigen und ggf. auch mit anderen Städten und Regionen vorlieb nehmen oder sich gar auf einen Arbeitsplatz im Ausland gefasst machen. Was für die einen Freiheit bedeutet, heißt für andere oft lange Trennungen von Familie und vertrautem Freundeskreis.

Auch die konkreten Lebensformen und Beziehungsstrukturen dürfen, müssen aber auch selbst gewählt werden. „Verliebt – verlobt – verheiratet“ ist Sache von gestern. Die Vieloptionalität muss individuell ausgehalten werden und konfrontiert die Einzelnen mit einem ständigen, nie enden wollenden Entscheidungszwang, der nicht wenige überfordert.

kein Egozentrismus

Wichtig ist zu sehen, dass Individualisierung nicht zwangsläufig Individualismus oder Egozentrismus bzw. Egoismus bedeutet. Individualisierung ist ein soziologisch neutraler Begriff zur Beschreibung der Tatsache, dass Menschen in der heutigen Gesellschaft ständigen Entscheidungsprozessen ausgesetzt und dabei weitgehend auf sich selbst gestellt sind. Sie müssen ihr Leben in eigener Regie entwerfen. Individualismus ist eine ethische Kategorie, die die Selbstzentriertheit von Menschen, die vor allem auf den eigenen Vorteil bedacht sind, charakterisiert und meist verurteilt. Beide Begriffe sind voneinander zu unterscheiden. Dennoch ist eindeutig: Individualisierung führt rasch zu Entsolidarisierung. Wer stets mit seinen Entscheidungen auf sich gestellt ist, gewöhnt sich rasch eine Lebensweise an, die nicht oder wenig nach dem Schicksal anderer fragt. Folge können soziale Verwerfungen sein, die Strukturen der Benachteiligung und Ungerechtigkeit fördern. Menschen, die es aufgrund individueller Voraussetzungen (Behinderungen, Krankheit; geringere Bildungsabschlüsse etc.), familiärer oder sozialer Bedingungen schwerer haben, geraten leicht unter die Räder und werden von denen auf den Erfolgsstraßen kaum noch wahrgenommen. Individualisierung bedeutet auch die Gefahr des Scheiterns, wobei es immer schneller geschehen kann, dass Menschen nicht mehr durch soziale Netzwerke getragen sind, sondern in sozial schwächere Verhältnisse abrutschen. Auch hier zeigt sich die bisweilen gefährliche „Ambivalenz der Moderne“ (Bauman 2005).

Einführung in die religiöse Erwachsenenbildung

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