Читать книгу Für immer und ein Vierteljahr - Sonja Roos - Страница 11

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Kapitel 7

Marc stand gerädert nach einer Nacht voller unruhiger Träume vor ihrer Schlafzimmertür und kam sich wie ein Idiot vor. Wem machten sie denn hier etwas vor. Diese alberne Charade würde den zornigen Teenager, der im Untergeschoss lebte, wohl kaum überzeugen. Trotzdem, er hatte ihr sein Wort gegeben und jetzt musste er auch dazu stehen. Marc räusperte sich und klopfte dann etwas zu brüsk an die Tür.

»Ja?«

Er betrat ihren Raum und sah sie an ihrer Frisierkommode sitzen. Sie trug einen scheußlichen, viel zu großen Morgenmantel. »Eine Menge Frottee für so schmale Schultern«, sagte er und zeigte auf das unförmige Teil, das sie bis zum Kinn hochgezogen hatte.

Das sah ihm ähnlich, dass er sich nicht an den Morgenmantel erinnerte, in dem ihre Granny quasi die letzten Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Ja, er war hässlich und unförmig und Jana hätte sich hundert andere Bademäntel kaufen können, Geld war in ihrem Leben nie das Problem gewesen. Doch ihre Granny hatte diesen Bademantel geliebt und immer, wenn sie ihn sich nun überstreifte, hatte Jana das Gefühl, dass sie in die papierdünnen, von Altersflecken übersäten Arme ihrer Großmutter sank und darin Trost fand. Indigniert zog sie den Kragen des Morgenmantels noch etwas höher, was ihn zum Lächeln brachte.

»Hast du Angst um deine Unschuld?«, fragte er, während er sich ihr näherte. Sie schien vor ihm zurückzuweichen und, wenn das möglich war, noch weiter in dem blauen Albtraum aus Frottee zu versinken.

»Hey, es war deine bescheuerte Idee«, blaffte er sie an.

Ihre Augen funkelten kampflustig. »Wärst du nicht ein so egoistisches Arschloch und hättest unser Kind die letzten Jahre nicht vollkommen vernachlässigt, müsste ich erst gar nicht solch bescheuerte Ideen haben.«

Er legte den Kopf schief und atmete betont genervt aus. »Und du denkst, dass dein kleiner Ausbruch nun eine gute Basis ist, damit ich gleich überzeugend den fürsorglichen Ehemann geben kann?«

Sie sah ihn mit gespielter Liebenswürdigkeit an. »Denk doch einfach an dein kleines Betthäschen, dann wirst du wohl genug Leidenschaft an den Tag legen können, um einen Dreizehnjährigen zu beeindrucken.« Er schluckte eine Antwort hinunter, denn ansonsten würden sie noch den ganzen Morgen hier stehen und sich in verbalen Scharmützeln verlieren. Scheinbar ging es nicht ohne diese Grabenkämpfe, wenn sie zusammentrafen. Jana beobachtete, wie er auf sie zuging. Sie verfluchte sich dafür, dass ihr blödes Herz zu hämmern begann. Sie hatte kaum geschlafen und an diesem Morgen das Gefühl, Schmirgelpapier unter den Lidern zu haben. Seine Gegenwart trug noch zu ihrer gereizten Stimmung bei, in deren Fokus er nun wieder geraten war. Sie atmete leise und tief ein, um das Flattern ihrer Nerven zu beruhigen.

Mit stoischem Gesicht ging er zu ihr und fasste sie mit dem einen Arm unter den Kniekehlen und mit dem andern um den Oberkörper, der unter der dicken Lage Stoff kaum zu spüren war. Heftiger als nötig riss er sie hoch, sodass ihre Zähne mit einem hörbaren Klacken aufeinanderschlugen.

»Du bist so ein Idiot«, sagte sie kopfschüttelnd.

»Und du so ein Biest«, gab er zurück, wobei er sich bemühte, seinen garstigen Konter möglichst neutral klingen zu lassen, sodass es eher wie eine Feststellung, als eine Beleidigung klang.

»Es ist wie immer eine Freude mit dir, Marc«, stieß sie gereizt hervor und klang dabei selbst für ihre eigenen Ohren eine Spur zu atemlos. Seine plötzliche Nähe machte etwas mit ihr, ihm so ausgeliefert zu sein, gab ihr noch mehr das Gefühl von Schwäche. Doch sie hatte sich die Suppe selbst eingebrockt und würde sie jetzt wohl oder übel auch auslöffeln.

Sie wog nicht viel, es war keine große Anstrengung, sie die Treppe hinunter zu tragen. Dass sein Atem nun schneller ging und sein Herz vehement gegen seine Rippen klopfte, lag eher an der Art, wie ihr schmaler Körper bei jedem Schritt gegen seinen Brustkorb gedrückt wurde, wobei der dicke Frotteestoff vorne auseinanderfiel und einen Blick auf ihr Dekolleté freigab. Er versuchte, nicht hinzusehen, doch seine Bemühungen waren von wenig Erfolg gekrönt, der Anblick war einfach zu reizvoll. Gerade, als Jana empört bemerkte, wohin seine Augen gewandert waren, kam Julius aus seinem Zimmer; verschlafen und mit zerwühlten Haaren sah er wieder wie der kleine, süße Junge mit der Zahnlücke aus, der ihm immer noch jeden Morgen von einem silbernen Rahmen aus zulächelte. Juli blickte kurz zu seinen Eltern und drehte sich dann zunächst scheinbar unbeeindruckt weg, um ins Bad zu tapsen. Nach zwei Schritten blieb er allerdings ruckartig stehen und wandte sich wieder zu ihnen.

»Was wird’n das jetzt?«, knurrte er und klang nicht weniger irritiert, als Marc sich fühlte.

»Warum, darf ein Mann seine Frau nicht auf Händen tragen?«, fragte Marc und lächelte Jana eine Spur zu breit an. Doch ihr Blick blieb auf Juli geheftet, das Unbehagen war ihr deutlich vom Gesicht abzulesen. »Nicht wahr, Schatz«, sagte er betont fröhlich und knuffte sie dabei in die Seite.

»Ja, klar«, erwiderte sie mit wenig Nachdruck.

»Irrenhaus«, schnaubte Julius und stampfte in Richtung Badezimmer davon.

»Das war wenig überzeugend«, murmelte Marc, doch Jana schwieg weiter beharrlich, sodass Marc nun ebenfalls in Schweigen verfiel und sie ins Esszimmer trug, wo er Jana eigentlich nur unsanft auf einen Stuhl hatte setzen wollen. Leider war sein Augenmaß an diesem Morgen wohl nicht das Beste, denn Jana landete mit einem lauten Scheppern neben dem Stuhl. Erschrocken riss er die Augen auf.

»Oh, das wollte ich nicht, entschuldige.«

Sie hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und er dachte schon, sie würde weinen. Ihre Schultern bebten sichtbar unter dem Frotteeberg. Er ging in die Hocke und zog ihr sanft die Hände vom Gesicht. »Habe ich dir weh getan?«, fragte er leise, während er ihr Gesicht betrachtete. Erst langsam wurde ihm klar, dass sie verzweifelt versuchte, ein Lachen zu unterdrücken. »Okay«, sagte er langsam, während ihre Augen vor Fröhlichkeit funkelten. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, doch es half nichts. Sie prustete förmlich los und während ihr Lachtränen die Wange herunterliefen, spürte Marc, wie sich auch in ihm die Anspannung löste. Erst grinste er, doch dann musste er einfach mit einstimmen. Und so fand Julius sie, auf dem Boden sitzend und hysterisch lachend.

»Oh man, wenn das hier so weitergeht, dann bin ich bald ein Fall für die staatliche Fürsorge«, sagte er betont finster, doch Marc konnte aus dem Augenwinkel sehen, dass selbst sein Sohn sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen konnte.

Das Frühstück verlief schweigend, jedoch war es ausnahmsweise kein unangenehmes Schweigen. Im Gegenteil, ab und zu verfingen sich ihre Blicke und sie mussten beide wieder lächeln bei der Erinnerung an eben.

»Kann ich gleich zu Basti gehen?«, fragte Julius, der sogar ohne große Aufforderung mit ihnen zusammen gefrühstückt hatte.

»Ich dachte, wir machen heute mal was zusammen«, sagte Marc und überraschte damit nicht nur seinen Sohn. Auch Janas Blick kam fragend auf seinem Gesicht zum Ruhen.

»Kein Bock«, sagte Juli, jedoch hatte Marc das kurze Aufflackern von Interesse in seinen Augen gesehen.

»Ich dachte nur, ein Kumpel hat mir Karten für das Spiel Dortmund gegen Bayern besorgt. Aber wenn du etwas Besseres vorhast.«

Er hatte ihn, Marc konnte es an der Art sehen, wie sein Sohn mit sich rang. Eigentlich hatte er das Spiel mit Lydia zusammen sehen wollen, die zwar nichts von Fußball verstand, aber sich mit einer anschließenden Shoppingtour für alles ködern ließ. Bevor die Karte verfiel, konnte er genauso gut einen Vorstoß versuchen. Vielleicht kamen sie sich auf so einem Männerausflug ja ein kleines Stückchen näher.

»Okay«, sagte Juli betont langsam, so als würde er ihm einen Gefallen tun.

Marc holte erleichtert Luft, nickte aber nur kurz. »Wir müssen gegen Mittag los, wenn wir pünktlich da sein wollen.

»Wenn du meinst«, war alles, was als Erwiderung kam.

Marc ermahnte sich innerlich zu mehr Gelassenheit. Einen Schritt nach dem anderen, denn Juli konnte verdammt stur sein. Trotzdem versuchte er, noch einen Anlauf zur weiteren Konversation zu nehmen. »Ich freue mich, dass wir mal wieder etwas zusammen machen.«

Doch sein Sohn hörte ihm schon nicht mehr zu. Julis Handy hatte vibriert. Die Worte seines Vaters verschwammen zu einem unverständlichen Hintergrundgeräusch. »Maya Petzold«, las er auf dem Display. Nur dieser eine Name, doch Juli begann innerlich zu zittern, denn er wusste, was das hieß. Er stand auf und verließ den Esstisch. In seinem Zimmer starrte er auf den Namen und überlegte, wie er aus dieser verdammten Sache wieder rauskommen konnte.

Nachdem Marc und Jana den Tisch abgeräumt hatten, sah sie ihn plötzlich aufmerksam an. »Das war eine klasse Idee. Auch, wenn er gerade wieder so schroff war, im Grunde freut er sich«, sagte sie und lächelte – schon wieder. So oft hatte er sie seit Jahren nicht mehr lächeln sehen. Bei dem Gedanken musste er sich allerdings eingestehen, dass er seiner Frau ja auch seit Jahren keinen Grund mehr zum Lächeln gegeben hatte. Zwei Stunden später stand Juli im Flur und starrte die Treppe hoch, die Marc gerade herunterkam.

»Fertig?«, fragte er seinen Sohn, der mit einem knappen Nicken andeutete, dass sie loskonnten. »Den Rucksack kannst du hierlassen, den darfst du ohnehin nicht mit ins Stadion nehmen«, sagte Marc und zeigte auf den blauen Beutel, den sein Sohn wieder mit beiden Händen umklammert hielt.

»Vergiss es«, knurrte Juli und ging mit dem Rucksack auf Marcs Auto zu. Jana warf ihm einen vielsagenden Blick zu, sagte jedoch nichts. Während sie vom Hof fuhren, sah er im Rückspiegel ihre schmale Gestalt kleiner werden. Sie winkte und sah dabei irgendwie verloren aus.

Nach einer guten Stunde kamen sie in Dortmund an. Der Weg zum Stadion war schon mit Autos verstopft, im Schritttempo krochen sie über den Asphalt, bis sie endlich einen Parkplatz fanden und ausstiegen. »Du musst den im Auto lassen, den bekommst du niemals durch die Kontrollen.« Marc bemerkte, wie der Junge den Rucksack immer noch umklammert hielt, als hinge sein Leben davon ab. Marcs erster Impuls war es, Juli hier und jetzt zu fragen, was sich verdammt noch Mal in dem blöden Rucksack befand. Doch er befürchtete, dass eine Diskussion darüber den restlichen Tag verderben könnte und so verkniff er sich diesen Vorstoß lieber. Stattdessen trat er einen Schritt auf Juli zu und zog sanft an dem Stoff. »Juli, was auch immer an Wert da drin ist; der Rucksack ist im Auto sicher, glaub mir. Der Porsche hat eine verdammt laute Alarmanlage.« Marc sah, wie sein Sohn mit sich rang, doch irgendwann lockerte sich Julis Griff und Marc konnte den Rucksack nehmen und unter dem Vordersitz verstauen. Er war so erleichtert über diesen kleinen Sieg, dass er Juli am liebsten kurz umarmt hätte, doch als er aus dem Fußraum des Porsches wieder auftauchte, war Julis Blick so finster, dass er sich eines Besseren besann. Schweigend trotteten sie nun nebeneinander her in Richtung des ehemaligen Westfalenstadions. »Spielst du noch Fußball?«, fragte Marc und fühlte, wie sich eine leichte Röte auf seinen Wangen ausbreitete, weil er nicht einmal solch profane Dinge über seinen Sohn wusste.

»Hab aufgehört«, sagte Juli nur und sah weg.

»Du warst richtig gut, vielleicht hast du ja Lust, nochmal anzufangen?«

Juli warf ihm einen bösen Blick zu. »Hör zu, es ist nett, dass du mich mitgenommen hast, aber auf den Smalltalk kann ich verzichten. Du musst jetzt nicht versuchen, die vergangenen Jahre in ein paar Tagen nachzuholen. Wir sind bislang gut ohne dich ausgekommen und werden das auch wieder tun, wenn du keinen Bock mehr hast und Mama und mich wieder sitzen lässt.«

Marc starrte seinen Sohn überrascht an. »Wie kommst du darauf, dass ich wieder gehen werde?«, fragte er, auch wenn der Junge damit natürlich recht behalten würde.

»Ach komm schon, ich weiß nicht, was ihr beiden da abzieht, aber es ist nicht echt. Und du bist doch schon immer mit eingezogenem Schwanz abgehauen, wenn es ungemütlich wurde.« Mit diesen Worten ließ ihn sein dreizehnjähriger Sohn wieder einmal stehen.

Marc musste schlucken. Das hatte gesessen, aber er hatte es wohl mehr als verdient. Schließlich hatte er sich von Juli damals ebenso abgewandt wie von Jana und damit war er Anwärter auf den Titel als miesester Vater des Jahres. Er hätte sich von seinem Sohn nicht einfach so fortdrängen lassen dürfen, er war der Erwachsene und hätte dem kindlichen Zorn seines Sohnes mit mehr Verständnis begegnen müssen. Statt sich eingeschnappt zurückzuziehen, hätte er um Juli kämpfen müssen. Er hoffte inständig, dass es jetzt nicht schon zu spät war, um eine Beziehung zu ihm aufzubauen.

Marc sah ihm nachdenklich hinterher. Juli hatte sich angestellt, um vor dem Spiel noch eine Cola zu holen. Während er das Kleingeld in seiner Hand zählte, standen hinter ihm in der Schlange zwei Mädchen, die ihn bewundernd anstarrten und sich dann kichernd in die Rippen stießen, wovon Juli nichts mitbekam. Er war sich seiner Wirkung auf das andere Geschlecht nicht bewusst – noch nicht.

Marc musste ihm in Bezug auf andere Dinge jedoch ein gutes Gespür zugestehen, es war offensichtlich, dass sie ihm so schnell nichts würden vormachen können. Vermutlich lag Jana genau richtig damit, dass der Weg zu seinem Sohn über sie führte. Doch damit war der Weg noch steiniger, als Marc ohnehin schon befürchtet hatte. Er seufzte und ging Juli hinterher, der sich einen halben Liter-Becher geholt hatte und nun geschäftig an dem Strohhalm sog. Marc holte noch Bratwürstchen für sie beide, dann schlängelten sie sich an tausenden Körpern vorbei, ein Meer aus Gelb und Schwarz, bis sie ihre Plätze auf der Tribüne einnehmen konnten. Das Spiel war spannend, doch noch spannender war es, die Wandlung in seinem Sohn zu beobachten. Saß Julius zu Beginn der Partie noch mit mürrischer Miene auf seinem Platz, hatte ihn das Fußballfieber schnell im Griff. Zunächst zuckte er nur und krallte sich rechts und links an seinem Plastiksitz fest. »Man Reus, schieß doch«, brüllte er dann plötzlich und sprang mit dem gefühlt halben Stadion hoch, als der Ball an der Latte abprallte und Lewandowski ihn sich für die Bayern zurückholte. Beim 1:0 sprangen sie beide zeitgleich hoch und Julius drehte sich einen Moment lang zu ihm um, unbeschwert und glücklich und Marc glaubte schon, sein Sohn würde ihn umarmen. In letzter Sekunde räusperte der sich jedoch und drehte sich wieder zum Spielfeld weg. Das Lächeln aber blieb. Marc konnte nicht anders, er grinste selbst breit und unbeschwert und verspürte etwas, das ihn schon lange nicht mehr durchströmt hatte: Vatergefühle.

Nach dem Spiel ließen sie sich von der fröhlichen Menschenmasse mittreiben. Der BVB hatte gesiegt, die Laune auf dieser Seite des Stadions war großartig und Juli plapperte in einem fort, so als sei Marc während des Spiels gar nicht dabei gewesen. »Und als Bürki den Ball von Müller gehalten hat, man, mir ist fast das Herz stehen geblieben.«

Marc legte ihm sanft die Hand auf die Schulter, um ihn an dem Strom der Menschen vorbei in Richtung Ausgang zu führen. Das Geplapper ebbte schlagartig ab, dafür spürte Marc, wie sich Julis Schultern unter seiner leichten Berührung anspannten. Mit einer ruckartigen Bewegung schüttelte Juli Marcs Hand ab und verschanzte sich sofort wieder hinter einer Mauer aus Schweigen. Marc versuchte, nicht gekränkt zu sein. »Hey, ich wollte dir nicht zu nahe treten«, sagte er vorsichtig.

Juli funkelte ihn wütend an. »Bist du aber. Nur, weil ich heute mitgefahren bin, heißt das nicht, dass ich dir nun vor Dankbarkeit nun in die Arme sinke, okay? Lass mich einfach in Ruhe, Alter!«

Sie standen sich nun gegenüber. Juli war nur noch einen knappen Kopf kleiner als Marc, nichtsdestotrotz musste der Junge zu ihm aufsehen, um ihn böse anzufunkeln, was ihn scheinbar noch wütender werden ließ. Bei jedem Atemzug blähten sich seine Nasenlöcher, sodass er aussah wie ein wildes Pferd, das im Begriff war, jeden Moment durchzugehen.

Marc seufzte und trat noch einen Schritt weiter von Juli weg. »Es tut mir leid, Juli.« Es war nicht klar, ob Marc damit die flüchtige Berührung gerade meinte, oder die gesamte verfahrene Situation, doch er konnte förmlich sehen, wie seine Worte wenigstens dazu führten, dass Julis Haltung sich etwas entspannte.

»Vergiss es, ich geh pinkeln«, sagte sein Sohn nun missmutig und trollte sich in Richtung der endlosen Schlangen vor dem WC.

»Ich warte am Ausgang«, rief Marc ihm nach, doch Juli reagierte nicht und so blieb Marc lieber dort stehen, damit er seinen Sohn in dem Gedränge nicht verlor. Während sich verschwitzte, fröhliche Menschen an ihm vorbei schoben, spürte er, wie sein Handy in seiner Hosentasche vibrierte. Er fischte das Gerät raus und sah sofort, dass Lydia wieder einige Nachrichten abgesetzt hatte. »Baby, ich vermisse dich unendlich. Kannst du nicht irgendwie entkommen? Nur für eine Nacht? L.« Sie hatte die Nachricht unter ein Foto geschrieben, das sie mit traurigen Gesicht und einem Schmollmund zeigte, den sie üppig mit rotem Lippenstift nachgezogen hatte.

»Sie sieht billig aus«, sagte da Juli neben ihm und Marc fuhr erschrocken zusammen, weil er ihn gar nicht hatte kommen hören.

»Es ist nicht fair, so etwas zu sagen, du kennst sie ja gar nicht richtig«, sagte Marc und versuchte, nicht verärgert zu klingen.

»Ich will sie auch nicht näher kennenlernen. Sie ist eine Nutte.« Juli hatte das letzte Wort fast ausgespien und Marc kostete es alle Beherrschung, ihm für diesen Ausbruch keine zu knallen.

Er ballte stattdessen die Hände mehrfach zu Fäusten und zählte innerlich bis zehn, um seinen Zorn in den Griff zu bekommen. »Wir fahren«, sagte er danach kurz angebunden und ging mit zügigen Schritten zum Auto. Juli musste fast rennen, um ihm nachzukommen. Ein Umstand, der seine jugendliche Wut aufs Neue befeuerte. Mit einem lauten Knallen ließ Juli die Beifahrertür ins Schloss fallen, riss am Gurt und fingerte danach seinen Rucksack unter dem Sitz hervor, den er die restliche Fahrt über wie einen Schutzschild vor sich hielt. Marc schielte gelegentlich zu ihm herüber und versuchte ein, zweimal, mit einer flapsigen Bemerkung die Stimmung etwas zu lockern, wurde dafür aber nur mit eisigem Schweigen und bösen Blicken belohnt, sodass er schlussendlich ebenfalls in brütendes Schweigen verfiel. Der Weg zu Juli war nicht nur steinig, er war mit Minen gepflastert und wie es schien, hatte Marc das Talent, auf jede einzelne zu treten.

Marc war noch nicht ganz in der Hofeinfahrt zum Stehen gekommen, da riss Juli die Beifahrertür auf und war mit einem Sprung aus dem Auto verschwunden.

»Würdest du wenigstens auf mich warten?«, rief er ihm hinterher, doch Juli zeigte ihm nur über die Schulter den Mittelfinger. Marc rieb sich müde über die Augen. Der Tag war alles andere als ein Erfolg gewesen und er spürte ein ungutes Ziehen in der Magengegend, weil er Jana gleich gegenübertreten musste, die heute Morgen so hoffnungsvoll ausgesehen hatte. Als er die Einfahrt hochkam, stand sie bereits in der Tür. Marc sah, wie Juli sich wortlos an ihr vorbei ins Haus drängte und verschwand. Sie blickte fragend auf Marc, der unweigerlich die Schultern sacken ließ wie ein Krieger, der geschlagen vom Schlachtfeld heimkehrt.

»Wie ist es gelaufen?«, wollte sie wissen, als er vor ihr stehen blieb, die Hände tief in den Taschen vergraben und den Blick auf seine Schuhspitzen gesenkt. Marc schwieg lange, weil er nicht wirklich wusste, was er darauf antworten sollte. Irgendwann holte er Luft und fand den Mut, sie anzusehen.

»Naja, es hätte besser laufen können.« Es hatte locker klingen sollen, kam aber stattdessen nur resigniert heraus. Er konnte sehen, wie die Enttäuschung wie ein Schatten über ihre Züge huschte.

»Es tut mir leid, ich hatte gedacht, dass ihr euch auf dem Ausflug etwas nähergekommen wärt.« Sie klang kleinlaut. »Ich bin da wohl etwas zu optimistisch gewesen.«

Sie schüttelte den Kopf und sah so verzweifelt aus, dass Marc seine eigenen gemischten Gefühle bezüglich des misslungenen Ausflugs vergaß und sie sanft am Arm berührte. »Mir tut es leid, ich habe einfach keinen Zugang mehr zu ihm und weiß nicht, wie und wo ich wieder einen finden könnte. Er ist so verschlossen. Und irgendwie habe ich auch die Wut unterschätzt, die er auf mich hat.«

Jana war nun diejenige, die seinem Blick auswich. Unbehagliches Schweigen machte sich zwischen ihnen breit. Jana war die erste, die wieder sprach. »Ich habe etwas gekocht, hast du Hunger?«

Er sah verstohlen auf seine Armbanduhr. Er hatte Lydia von unterwegs eine schnelle Nachricht zukommen lassen, dass er es irgendwie heute zu ihr schaffen würde. Jana jedoch bemerkte seinen Blick und sogleich verdunkelte sich ihre Miene. »Oder hast du noch etwas vor?«, fragte sie scharf. Marc dachte fieberhaft nach. Jetzt zu Lydia zu gehen, war nicht nur gegen die Abmachung, es würde das kleine bisschen Frieden zwischen ihnen, das seit dem Frühstück herrschte, wieder zunichtemachen. Andererseits hatte er die Befürchtung, dass er dieser Flut an Textnachrichten und Bildern nicht eher Einhalt gebieten konnte, bis er ihrer Bitte, sie zu treffen, nachgekommen war. Er räusperte sich.

»Nein, nein, ich wollte nur gleich noch mal ins Büro. Ich muss noch ein paar Akten für morgen durchgehen.«

Sie nickte und drehte sich weg. An ihrem kerzengeraden Rücken konnte er ablesen, dass sie ihm nicht ein Wort glaubte.

Für immer und ein Vierteljahr

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