Читать книгу Für immer und ein Vierteljahr - Sonja Roos - Страница 4

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Prolog

»Willst du mich heiraten?« Bis gerade hatte sie noch entspannt und mit geschlossenen Lidern neben ihm gelegen, doch nun fuhr sie hoch, ihre katzenhaften Augen auf ihn gerichtet mit einer Mischung aus Überraschung und Unglauben.

»Über so etwas macht man keine Witze«, sagte sie dann, ließ ihren Blick aber auf ihm ruhen. Ihr schlanker Körper war zu ihm gewandt und ihr Kopf auf einem Arm abgestützt, sodass er an ein Raubtier denken musste, das auf der Lauer lag, schön, wild, abwartend.

Er drehte sich zu ihr, seine Körperhaltung ein Spiegel ihrer. »Ich mache keine Witze«, beteuerte er ernsthaft.

Sie betrachtete ihn eine Weile, während ihre Pupillen wie ein Scanner über sein Gesicht huschten.

»Marc, du bist bereits verheiratet«, stellte sie dann überflüssigerweise fest.

Er ließ sich in die Kissen fallen. Ja, sie hatte Recht. Er war verheiratet – zumindest auf dem Papier. »Ich will jetzt wirklich nicht über meine verkorkste Ehe reden«, sagte Marc missmutig und drehte sich leicht von ihr fort. Doch nun, wo sie das Thema angeschnitten hatte, konnte er nicht verhindern, dass seine Gedanken wie von selbst zu seiner Frau wanderten. Er hatte Jana von Gödlitz auf einer Wohltätigkeitsgala kennengelernt, auf der er für ein paar Euros kellnerte, um sein Studium zu finanzieren. Sie war ihm sofort aufgefallen. Schmal und mit großen, rehbraunen Augen lehnte sie an einem der Stehtische. Sie trug ein kurzes, schwarzes Kleid, das ihre Figur umschmeichelte, und die Haare zu einem Dutt hochgesteckt, sodass er sofort an Audrey Hepburn in »Frühstück bei Tiffany« denken musste. Er war zu ihr geschlendert, um etwas Geistreiches zu sagen, während er ihr ein Horsd’œuvre anbieten wollte. Stattdessen stolperte er und warf die Platte mit den Lachshäppchen quasi auf sie. Sie starrte ihn im ersten Moment entsetzt an, so wie er sie. Doch dann brach sie in schallendes Gelächter aus, das so ansteckend wirkte, dass er selbst ebenfalls lauthals lachte, obwohl ihn der kleine Auftritt später seinen Job kostete. Er erinnerte sich, wie er im Anschluss an die Veranstaltung vor der Tür auf sie gewartet hatte, nervös, von einem Fuß auf den anderen tretend, eine Zigarette in der Hand und ein Grinsen im Gesicht. Damals glaubte er, die Frau seines Lebens getroffen zu haben. Wie sehr man sich doch täuschen konnte.

Heute, 15 Jahre später, hatten sie sich nichts mehr zu sagen. Marc überlegte, wann genau seine Ehe gescheitert war, doch er konnte keinen Zeitpunkt benennen. Gefühlt lebten sie schon lange aneinander vorbei. Sie stritten nicht einmal mehr. Stattdessen begegnete Jana ihm mit kalter Höflichkeit oder Herab­lassung. Alles glitt an ihr ab wie an einem Eiszapfen. Und nichts drang heraus. Als er Lydia von seiner Frau erzählte, gab sie ihr gleich den passenden Beinamen »Eiskönigin«.

Leider hatte er auch den Draht zu seinem Sohn verloren. Schon seit Jahren kam er nicht mehr an den Jungen heran. Nun war Julius dreizehn und die Sache hoffnungslos verfahren. Sie sahen sich kaum noch und jeder Versuch seinerseits, Konversation zu betreiben, endete damit, dass Juli ihn stehen ließ wie einen Idioten, einer Antwort kaum würdig. Die Kälte im Haupthaus hatte ihn bereits vor zwei Jahren ins Gartenhaus getrieben und obwohl er dort alle Annehmlichkeiten wie eh und je genoss, war dieses Provisorium nun mal kein echtes Heim.

Und dann war Lydia in sein Leben getreten. Sie wollte eine Ausbildung als Anwaltsgehilfin in der Kanzlei seines Schwiegervaters machen, wo auch er seit dem Studium arbeitete. Es war bereits ihr dritter beruflicher Neustart, weshalb sie schon Mitte zwanzig war. Sie schien Marc trotzdem so jung, spontan und lebenslustig zu sein; das genaue Gegenteil dessen, wie er sich fühlte. Zudem himmelte sie ihn so offensichtlich an, er konnte gar nicht anders, als schlussendlich ihrem Charme zu erliegen. Die Ausbildung brach sie ab, doch ihm war sie treu geblieben. Zu Beginn ihrer Beziehung hatte sie auch kein Problem mit dem Status der Geliebten, doch mit der Zeit wurde sie ungeduldig und forderte mehr Zugeständnisse. Und sie hatte Recht.

Lydia holte ihn aus seinen Gedanken. »Was ist denn mit diesem Ehevertrag? Du hast immer gesagt, wenn du dich scheiden lässt, kriegst du nichts«, erinnerte sie ihn. Sie hatte sich zurück in die Kissen fallen lassen, sodass sie Kopf an Kopf lagen und beide zur Decke starrten. Er ließ seine Finger spielerisch über ihren Arm fahren, über die unglaublich weiche Haut in der Armbeuge, weiter abwärts, wo er suchend nach ihrer Hand tastete. Er spürte ein kurzes Zögern, bevor ihre Finger ineinander glitten.

Der gottverdammte Ehevertrag. Er war damals so verliebt gewesen, dass ihm das Schriftstück nicht relevant erschienen war. Er konnte jedoch durchaus verstehen, warum sein Schwiegervater seine einzige Tochter durch diesen Vertrag abgesichert hatte. Marc war arm wie eine Kirchenmaus gewesen, sein Vater ein Trinker, seine Mutter schon lange tot und begraben. Er hatte nichts gehabt außer seinem guten Aussehen und seinem Verstand, während Jana von Gödlitz nicht nur einem alten Adelsgeschlecht entstammte, sondern auch noch unverschämt reich war.

Rückblickend wäre es sinnvoll gewesen, sich anwaltlich beraten zu lassen. Denn das Vertragswerk sah vor, dass er mit genauso viel aus der Ehe gehen würde, wie er hineingegangen war – mit nichts. Etwas, das er fürchtete, wie der Teufel das Weihwasser. Marc wusste, wie sich Armut anfühlte, wusste, was es hieß, mit hungrigem Magen zu Bett zu gehen, weil wieder kein Geld für Essen da war. Er spürte noch heute die abfälligen Blicke der Menschen, wenn sein Vater auf der Bank wieder einmal betteln musste, um den Überziehungskredit noch einmal nach hinten auszuweiten.

Nach all den Jahren im Hause von Gödlitz hatte Marc sich entsprechend eingerichtet in dieser Welt des Geldes und der damit verbundenen Annehmlichkeiten. Die Autos, die Ferienhäuser in Südfrankreich und in Florida, die Bediensteten. Und er musste sich eingestehen, dass er auch das Ansehen und die Macht genoss, die mit dem gut gefüllten Bankkonto einhergingen. Wenn er Jana verließ, würde er all das verlieren und zudem noch seinen Job, denn er konnte sich kaum vorstellen, dass der alte von Gödlitz ihn danach auch nur einen Tag weiter beschäftigen würde.

Seine Gründe, an dieser Farce einer Ehe festzuhalten, waren also eindeutig monetärer Natur. Janas Motive waren ihm da schon rätselhafter. Vermutlich ging es um den guten Ruf, der in diesen Kreisen fast so viel zählte wie das Geld. Er konnte sich gut vorstellen, dass sie ihn ansonsten schon lange ganz vor die Tür gesetzt hätte.

Lydia war nun näher zu ihm gerückt, ihre vollen Brüste streiften dabei wie zufällig seinen Arm. Als er leise aufstöhnte, sah er ihr siegessicheres Lächeln, das er mit einem leidenschaftlichen Kuss auslöschte. Als sie eine Viertelstunde später verschwitzt und atemlos nebeneinanderlagen, fasste er einen Entschluss. Es wurde Zeit, dass er aufhörte, wie ein Schlafwandler durch sein Leben zu streifen. Er musste jetzt endlich aufwachen und es in die Hand nehmen.

Entschlossen drehte er sich wieder zu ihr um. »Lydia Lohmann, ich weiß nicht genau, was die Zukunft bringen wird, aber ich weiß, dass ich sie mit dir verbringen will. Wenn du mich willst, dann werde ich endlich einen Schlussstrich ziehen. Dann werde ich sie verlassen. Lydia, ich habe das eben ernst gemeint – heirate mich!«

Sie betrachtete ihn einen Augenblick nachdenklich. »Aber du hast gesagt, dass du bei einer Scheidung alles verlieren würdest, Marc. Dass du dann arm wärst.« Sie klang wenig begeistert bei dieser Aussicht.

»Mein Freund ist der beste Scheidungsanwalt der Stadt, wir werden sehen, was er da machen kann.«

Sie wirkte beruhigt und strahlte ihn an. »Also gut, ja. Ja, ich werde dich heiraten«, sagte sie und zog ihn erneut zu einem wilden Kuss in ihre schlanken Arme. »Und mein Ring?«, fragte sie nach einigen Momenten vorwurfsvoll an seinen Lippen. Er hatte das hier nicht geplant, nicht lange durchdacht. Es war mehr eine spontane Eingebung, der er gefolgt war. Marc sah sich suchend um und angelte dann unter dem Bett nach einer leeren Coladose. Er riss den Verschluss ab und schob den Metallring über Lydias schmalen Finger. Sie betrachtete sein Werk einen Augenblick lang kühl und blickte dann mit einem Funkeln in den Augen zu ihm auf. »Den tauschen wir morgen gegen einen von Cartier. Ich habe einen wunderschönen gesehen in der Stadt beim Juwelier, aus Platin mit einem fetten Stein. Meine Schwester wird vor Neid grün anlaufen.« Sie lachte kurz und sah ihn dann flehentlich an. »Du musst mit mir kommen und ihn dir ansehen, bitte, Marci«, bettelte sie und hüpfte dabei aufgeregt vor ihm auf der Matratze herum.

»Okay, ich kann mir morgen Nachmittag frei nehmen«, sagte er und lächelte gutmütig. Sie hatte einen tollen Ring verdient, sie hatte lange genug gewartet und er auch.

Für immer und ein Vierteljahr

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