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„Schön, dass wieder alle da sind. Was haben wir an neuen Informationen?“ Kern stand vorne am Whiteboard im Besprechungsraum, in der Hand einen Marker. Auf dem Board war das Bild von Palmers Leiche angebracht, ebenso wie die Fotos vom Tatort.

Ihr Vorgesetzter ließ den Blick durch die Runde schweifen. Der Mord lag inzwischen elf Stunden zurück. Kathrin war froh, nicht mehr im Krankenhaus liegen zu müssen und ihre Kopfschmerzen hatten sich ebenfalls gebessert. Neben ihr saß Cem, Jürgen hatte gegenüber Platz genommen und hatte so die gesamte Längsseite für sich.

Cem fasste nochmal kurz die wichtigsten Informationen zu Dr. Palmer zusammen. Außer dem, was Kathrin bereits wusste, erfuhr sie, dass Palmer Anfang Fünfzig war und getrennt von seiner Ex wohnte. Die beiden gemeinsamen Kinder lebten bei ihr und hatten den Vater regelmäßig besucht. Die Familie war bereits informiert worden. Kathrin war froh, dass dieser Part erledigt war. Außer der Ex-Frau und den beiden Kindern gab es offensichtlich noch eine Mutter, die im Pflegeheim wohnte und an Demenz litt. Sie wurde ebenfalls benachrichtigt, konnte aber in ihrem fortgeschrittenen Krankheitsstadium die Information vermutlich nicht mehr zuordnen.

Cem hielt kurz inne und ging zum aktuellen Stand der Zeugenbefragungen über. „Wir gehen inzwischen davon aus, dass Dr. Palmer gegen halb drei ermordet wurde. Mehrere Nachbarn gaben an, einen lauten Knall gehört zu haben.“

„Das war der tödliche Schuss“, warf Kern ein. „Dann können wir den Zeitpunkt des Mordes sehr genau eingrenzen. Hat einer der Nachbarn etwas beobachtet?“

„Weniger als erhofft.“ Cem klang enttäuscht.

„Die Meisten hielten es für einen Chinaböller und dachten, ein paar Kids hätten sich einen Scherz erlaubt.“

„Haben wir irgendetwas?“ Kern sah ihn hoffnungsvoll an.

„Ja“, antwortete Cem etwas optimistischer. „Eine Augenzeugin, eine gewisse Frau Singer, die im Erdgeschoss wohnt, hat“, er blätterte in den Unterlagen, „kurz nachdem der Knall ertönt ist, Schritte im Treppenhaus gehört. Sie warf einen Blick aus dem Fenster und sah eine dunkle Gestalt, mit Jeans und Kapuzensweatshirt bekleidet, das Haus verlassen.“

Kern hörte aufmerksam zu. „Konnte sie das Gesicht erkennen?“

„Da die Person sich die Kapuze über den Kopf gezogen hatte, nein.“ Cem schüttelte den Kopf. „Die Beschreibung begrenzt sich auf nicht sehr groß, vielleicht einssiebzig, schlank, zügig unterwegs.“

„Das ist wenig.“ Kathrin sah erst zu Cem, dann zu Kern.

„Das ist gar nichts. Wissen wir, in welche Richtung die Person ging?“ Kern kratzte sich am Kopf.

„Vermutlich zum Berliner Platz.“

„Dann schauen wir, ob die Verkehrsüberwachung dort etwas hergibt.“

„Glauben Sie, das war der Täter?“, schaltete sich Jürgen ein.

„Eine Person, die kurz nach dem Schuss das Haus verlassen hat, ja, gut möglich.“ Kern nickte. „Was sonst noch?“ Er blickte wieder zu Cem.

„Ansonsten haben wir eine junge Frau, die einige Zeit vor dem Schuss das Haus betreten haben soll.“

„Hat das Frau Singer auch beobachtet?“, fragte Kathrin überrascht.

„Nein, das war ein Herr Tüfken.“ Jürgen nahm die Unterlagen zur Hand. „Er hatte Spätschicht in einem Schnellrestaurant und kam erst gegen halb zwei daheim an.“

„Kannte er die Frau?“

Cem schüttelte abermals den Kopf. „Er hat von seinem Wagen aus gesehen, wie eine Frau das Haus betrat und ging etwa fünf Minuten später selbst hinein.“

„Aufgrund der Brutalität der Tat können wir eine Frau als Täterin, meiner Meinung nach, ausschließen.“ Kern überflog erneut die Tatortfotos an der Wand. „Palmer wurde erst gefoltert und anschließend hingerichtet. Das spricht für einen Mann. Und da ich nicht glaube, dass es der Nachbar war, sollten wir uns auf die Gestalt, die kurz nach dem Schuss das Haus verlassen hat, konzentrieren. Dennoch werden wir die Aussage von Herrn Tüfken überprüfen. Haben wir eigentlich schon den Bericht von der Gerichtsmedizin?“

Ehe Jürgen antworten konnte, betrat Kriminalrat Wullner den Besprechungsraum. Seine finstere Miene verhieß nichts Gutes. „Frau Klein, kommen Sie mal bitte kurz mit in mein Büro?“ Er blickte sie auffordernd an.

„Klar.“ Kathrin nickte und erhob sich. Sie hatte ein dumpfes Gefühl im Magen. Kerns Satz an ihrem Krankenbett, dass sie in Schwierigkeiten stecke, hallte noch in ihr nach. Im Hinausgehen warf sie ihrem Kollegen noch einen kurzen Blick zu, der ihn besorgt erwiderte.

Im Büro angekommen deutete Wullner auf den freien Stuhl, auf dem sie erst vor kurzem gesessen hatte, als er ihr die Möglichkeit einer Beförderung in Aussicht gestellt hatte. Heute war es sicher nichts Erfreuliches.

„Nehmen Sie Platz.“

Kathrin beobachtete den Kriminalrat aufmerksam. Er kratzte sich am Nacken und stieß einen tiefen Atemzug aus. „Ich möchte Sie gar nicht lange auf die Folter spannen.“ Sein Gesichtsausdruck war nach wie vor stockfinster. „Wir haben die Ergebnisse der Spurensicherung erhalten.“

Kathrin sah ihn irritiert an. Davon hatte Markus nichts erwähnt.

„Ich bat die Spurensicherung, mich zuerst zu informieren“, erklärte Wullner, dem Kathrins verwirrter Blick nicht entgangen war. „Sie konnten Fingerabdrücke auf dem Baseballschläger, mit dem Palmer zusammengeschlagen wurde, sicherstellen.“

Normalerweise eine gute Nachricht, dachte Kathrin. Aber der finstere Blick von Wullner und die Tatsache, dass er sie dafür extra in ihr Büro zitiert hatte, deuteten auf etwas anderes hin.

„Es wurden darauf ausschließlich Ihre Fingerabdrücke gefunden, Frau Klein!“

Kathrins blieb für einen Moment die Luft weg. „Wie bitte?“

Sie blickte den Kriminalrat erschüttert an. „Das ist ausgeschlossen. Ich hatte das Ding nie in der Hand.“

„Ich habe hier eine andere Information.“

„Kann ich mal sehen?“ Kathrin streckte die Hand aus, aber Wullner machte keinerlei Anstalten, ihr den Bericht auszuhändigen.

„Haben Sie irgendeine Erklärung für die Fingerabdrücke?“ Der Kriminalrat schaute sie abschätzig an.

„Der Täter muss Handschuhe getragen haben, als er den Baseballschläger und meine Waffe benutzte.“

„Das ist keine Erklärung, wie Ihre Fingerabdrücke auf den Schläger kommen!“

„Vielleicht hat der Täter mir den Baseballschläger in die Hand gelegt, als ich bewusstlos war, und so sind die Fingerabdrücke drauf gekommen.“ Kathrin wusste, wie das klang. Aber das war die einzige Option, die ihr einfiel.

„Hm. Frau Klein, ich möchte Sie jetzt keinem Kreuzverhör unterziehen.“ Der Kriminalrat schlug wieder einen versöhnlichen Tonfall an. „Sie sind eine hervorragende Ermittlerin und Sie leisten gute Arbeit. Dennoch bleibt mir keine andere Wahl, als Sie vorübergehend zu suspendieren.“

Kathrin fühlte sich wie vom Blitz getroffen. „Bitte?“

„Es tut mir wirklich leid. Anordnung von höherer Stelle.“ Wullner mied den Augenkontakt. „Bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts möchte ich, dass Sie daheim bleiben.“

Kathrin konnte es nicht glauben. „Denken Sie etwa, dass ich Palmer umgebracht habe?“ Kathrin blickte den Kriminalrat schockiert an.

„Natürlich nicht. Ich weiß, für Sie ist das im Moment schwer nachzuvollziehen, aber mir sind die Hände gebunden. Ich bin sicher, die Sache wird sich schnell aufklären und dann können Sie selbstverständlich wieder ihre Arbeit aufnehmen. Ich informiere Sie, sobald sich etwas Neues ergibt.“

„Und nun?“

„Gehen Sie nach Hause, ich unterrichte Kern. Ihre Dienstmarke lassen Sie hier, die Waffe haben wir ja schon.“ Kathrin nahm sie aus ihrer Tasche und legte sie Wullner hin. „Den Kollegen in Frankfurt werde ich erst mal nichts sagen, das brauchen die nicht zu wissen, ich möchte Ihnen die Chance nicht verbauen.“

„Danke.“ Sie erhob sich wie in Trance und verließ das Büro. Wullner sagte noch irgendetwas, das sie aber kaum mitbekam.

Sie durchquerte den langen Flur, der am Besprechungszimmer vorbei führte. Als Kern ihren Gesichtsausdruck bemerkte, unterbrach er die Teamsitzung und kam zu ihr. „Kathrin, was ist passiert?“

„Ich bin vorübergehend suspendiert.“ Sie blickte Kern an.

„Verdammt.“ Er fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht.

„Meintest du das mit, ganz schön in der Scheiße stecken?“

„Ich habe etwas in der Art befürchtet“, flüsterte Kern. „Allerdings hatte ich gehofft, noch zeitnah Ergebnisse zu erhalten, die dich als Täterin ausschließen.“

Kathrin nahm einen tiefen Atemzug. „Glaubst du etwa, ich hätte Palmer erschossen?“

„Nein!“ Kern klang absolut überzeugt. „Du wärst niemals zu so etwas fähig. Und ich verspreche dir, ich drehe jeden einzelnen Stein um, bis ich herausgefunden habe, wer für dieses Verbrechen verantwortlich ist!“

„Danke.“ Kathrin war froh, dass Markus ihr zur Seite stand. Er nahm sie freundschaftlich in den Arm. „Wir kriegen das Schwein, mach dir keine Sorgen!“

Kathrin spürte die beruhigende Wirkung, die Kerns Worte auf sie hatten. Sie löste sich aus der Umarmung.

„Geh erst mal nach Hause und ruhe dich aus. Sobald ich etwas Neues weiß, gebe ich dir Bescheid. Ich knöpfe mir unseren feinen Herrn Kriminalrat vor.“

„Mach das.“ Kathrin rang sich ein Lächeln ab. Sie straffte die Schultern und verließ das Gebäude.


Ohnmacht

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